Daniel Domscheit-Berg Inside Wikileaks Daniel Domscheit-Berg inside WikiLeaks Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt Aufgeschrieben von Tina Klupp Econ Inhaltsverzeichnis Für all jene, die viel riskiert haben, um die Welt transparenter und gerechter zu machen - für die Geheimnisverräter Vorbemerkung 7 Proloy 9 Die erste Begegnung Der Kampf gegen die Bären 24 Die Sekte und wir 41 Erste Erfahrungen mit den Medien 50 Julian zu Besuch 65 W i k i L e a k s und das Geld licon ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH Der Kampf gegen Internetzensur 97 Die Idee vom Medien frei baten 113 Die Zwangspause 125 Ein Gesetz für Island 137 Zurück in Berlin 149 ISBN 978-3-43O-20I21-6 Ullstein Buchverlage GmbH; Berlin 2011 © Daniel Domscheit-Berg 2011 Übersetzungen ans dem Englischen: Christoph Bausum Rcdakrionsschkiss: 1(1. Januar 10 11 Alle Rechte vorbehalten Gesetzt aus derSnbon und Compaeta Satz: LVD G m b H . Berlin Druck und Bindearbeiten: CI'I - Ebneres: Spiegel, Ulm Printed in Germany Das Collcfteml-Marder- Video 157 Die Verhaftung von Bradley M a n n t n g 167 Die neue Medienstrategie bei den 1X1 a l b a n i s c h e n Kriegstagebüchern Anklage in Schweden 205 Meine Suspendierung Der Streit 21 eskaliert Die irakischen Kriegstagebücher 7 231 Vorbemerkung 246 Die amerikanische« Depeschen und Julians Verhaftung 255 OpenLeaks 270 Nachwort 278 Danksagung 280 Anhang Übersetzungen 283 Chronologie von Wikileaks 299 Als ich 2 0 0 7 z u WikiLeaks stiel*!, fand ich mich in einem Pro- jekt wieder, das vor allem ein Ziel verfolgen wollte: die Macht zu kontrollieren, die hinter verschlossenen Türen ausgeübt w u r d e . Mir einer Plattform Transparenz zu schaffen, wo diese verweigert w u r d e , w a r eine ebenso einfache wie geniale Idee. Im Laufe meiner Zeit hei WikiLeaks erfuhr ich hautnah, dass Macht und C e h e i m h a l n m g schleichend korrumpieren. Über die Monate entwickelte sich WikiLeaks in eine Rich- tung, die große Teile des Teams sehr besorgt stimmte und dazu führte, dass wir uns im September 2 0 1 0 von dem Pro- jekt trennten. Ich war zuversichtlich, dass meine diploma- tisch, ja schon fast verhalten geäußerte öffentliche Kritik dazu führen würde, dass die Macht von WikiLeaks und so- mit die eines einzigen M . i n n o genauso hinterfragi W u r d e . wie dies bei anderen Organisationen der Hall wäre. Das Gegenteil trat ein. Während kleine Teile der Weltöf- fentlichkeit - jene, die sich schon länger mir dem Thema Wi- kiLeaks befassten-die Entwicklung von WikiLeaks kritisch hinierf ragten, gingen diese Fragen im Hype um die Enthül¬ lungsplattform und ihren Gründer unter. Julian und Wiki- Leaks, u n t r e n n b a r miteinander vereint, gerieten zum Pop- Phänomen. Dies liegt vor allem am Informationsvakuuni dieser verschwiegenen Organisation, die sich selbst Transpa- renz auf die Fahnen geschrieben hat. Wie so viele, denen wir eine Plattform für ihre Lnthüllun- gen gehören haben, habe ich mich enrschlossen, nun Inter- nes nach au Isen zu tragen. D i e s e Knrscheidung ist mir sehr schwergefallen, ich war lange zwischen Loyalitat und mei- nem eigenen moralischen Anspruch hin- und hergerissen. Wir bei WikiLcaks sagten oft, dass nur eine korrekte histori- sche Aufzeichnung das Verständnis der Welt ermögliche. Ich habe mich entschlossen, mit diesem Buch meinen Teil beizu- tragen. Daniel Domscheit-Berg Prolog Ich s t a r r t e auf den Monitor. Schwarzer Bildschirm, grüne Schrift. Ein paar Eintrage folgten noch auf meine Zeilen. Ich schaute schon nicht mehr hin. Meine letzten Worte waren getippt. Es gab nichts mehr zu sagen. Es war vorbei, für im- mer. Julian selbst war nichr mehr im Chat aufgetaucht, jeden- falls hatte er nicht mehr geantwortet. Vielleicht sals auch er stumm vor dem Rechner, teilnahmslos, erstarrt oder aufge- wühlt, irgendwo in Schweden oder wo auch immer ersieh zu diesem Z e i t p u n k t aufhielt. Ich wussre es nicht. Ich wusste nur, dass ich ihn nie wieder sprechen würde. Das »Zosch«, die Bar um die Ecke, hatte soeben seine letzten Gäste in die Nacht entlassen. Ich hörte sie angeheitert in Richtung Tram spazieren. Es war kurz vor zwei Uhr in der Nacht des 15. September 2010. Ich ließ den Rechner auf dem Schreibtisch stehen und warf mich in die Kisseneckc im Wohnzimmer. Ich n a h m einen Roman von Terry Pratchett und Neil Gaiman in die Hand und begann zu lesen. Was tut man in so einer Situation, was würden andere tun? Ich las, stundenlang. Dann schlief ich irgendwann ein, in Pulli und Hose, die dicken Wollsocken von meiner O m a noch an den Füßen, das Buch auf meinem Bauch. Ich erinnere mich an den Titel: »Good Omens« - Ein gutes Omen. Wie steigt man aus, wenn der O r t , an dem man gearbeitet hat, die ganze Welt war? Wenn es keine Kollegen gab, denen man zum Abschied die H a n d geben konnte? Wenn es nur 9 zwei schnell dahingctippte grüne Zeilen in englischer Spra- che waren, die mir die U m k e h r schließlich unmöglich ge- macht hatten? Wenn man noch nicht einmal einen KuIstritt bekam, um einen hinauszubefördern? »You're suspended« , hatte Julian mir schon vor Wochen geschrieben. Als wäre er es, der d a s allein zu entscheiden hatte. Nun war es endgültig vorbei. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah alles aus wie immer. Meine Frau, mein Sohn, unsere gemütliche Unord- nung, alles war geblieben, die Sonne fiel im gleichen Winkel durch die Wohnzimmerfenster herein. Aber es fühlte sich anders an. Ein Teil meines Lebens, der einst eine vielverspre¬ chende Zukunft ZU haben schien, war für immer Vergangen- heit, u nwiederbri ngl ich. 1 Ich hatte den Kontakt zu dein Menschen abgebrochen, mit dem ich die letzten drei Jahre meines Lebens geteilt halte, für den ich meinen Job aufgegeben, meine Freundin, die Fa- milie und Freunde vernachlässigt hatte. Der Chat war jahrelang mein wichtigster Kanal zur Außen- weltgewesen. Arbeitete ich an einer Veröffentlichung, war er oft ragelang der einzige. Ich w ü r d e mich nie wieder einlog- gen. Den Z u g a n g zu meinem M a i l k o n r o hatte mir Julian schon vor Wochen abgeklemmt. Er hatte mir sogar mit der Polizei gedroht. Statt die Verschwiegenheitserklärung zu un- terschreiben, wie andere aus der Gruppe mir nahelegten, schreibe ich jetzt dieses Buch. Wir waren einmal beste Freunde gewesen, Julian und ich, oder zumindest so etwas in der Art - ich bin heute nicht si- cher, ob es diese Kategorie in seinem Denken überhaupt gibt. Ich bin mir eigentlich über gar nichts mehr sicher, was ihn betrifft. M a n c h m a l hasse ich ihn, so sehr, dass ich Angst habe, ich könnte körperliche Gewalt ausüben, sollte er mir noch einmal über den Weg laufen. Dann denke ich wieder, dass er meine Flilfe brauchte. Das ist absurd, nach all dem. 10 was passiert ist. Ich habe noch nie so eine krasse Persönlich- keit erlebt w ie Julian As sänge. Si > i reigeistig. So energisch. So genial. So paranoid. So machtversessen. Größenwahnsinnig. Ich g l a u b e sagen zu k ö n n e n , dass w i r z u s a m m e n die beste Zeit unseres Lebens verbracht haben. Und ich weiß, das lässt sich nicht z u r ü c k h o l e n . N a c h d e m n u n ein p a a r Monate vergangen sind und sich die Gefühle beruhigt ha- ben, denke ich: Das ist auch gut so. Aber ich kann unum- w u n d e n zugeben, dass ich die vergangenen J a h r e gegen nichts in der Welt zurücktauschen würde. Gegen gar nichts. Ich fürchte sogar, dass ich alles noch einmal ganz genauso machen w ü r d e . Ich habe so verdammt viel erlebt! Ich habe in Abgründe geschaut und an den Hebeln der Macht gespielt. Ich habe verstanden, wie Korruption, Geldwäsche und politisches Strippenziehen funktionieren. Ich habe zum Telefonieren nur noch abhörsichere C r y p t o p h o n e benutzt, die Welt be- reist und wurde in Island von dankbaren Menschen auf of- fener Straße u m a r m t . Ich habe an einem Tag mit dem be- r ü h m t e n Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh Pizza gegessen, am nächsten von uns in den Abendnachrichten gehört und am dritten bei Ursula von der Leven auf dem Sofa gesessen- Ich harte meine Finger im Spiel, als Internetaktivis- ten ein schlechtes Zensur-Gesetz in Deutschland verhindert haben, ich war dabei, als Abgeordnete ein gutes Gesetz in Island auf den Weg gebracht haben. Julian Assange, der Gründer von WikiLeaks, war mein bester Freund. Er ist durch WL zum Popstar geworden, zu einer der spannendsten und verrücktesten Gestalten in der aktuellen Medienberichterstattung. Zusammengeschweißt hat Julian und mich einmal der Glaube an eine bessere Weltordnung, In der Welt, von der wir träumten, hätte es weder Chefs noch Hierarchien gege- ben, und niemand harre seine Macht darauf begründen kön- II rieft, dass er anderen Menschen Wissen vorenthielt, das die Grundlage für gleichberechtigtes Handeln gewesen wäre. Das war die Idee, für die wir gekämpft hatten, das Projekt, das wir zusammen aufgezogen und dem wir mir allergröß- tem Siol/ heim Wachsen zugeschen hatten. Aus WikiLeaks ist in den vergangenen Jahren das ganz große Ding geworden, viel größer noch, als ich es mir 2 0 0 7 hatte vorstellen können. Ich w a r fast zufällig und aus Neu- gier zu dem Projekt gestoßen. Es hatte aus uns blassen Com- puterjungs, deren Clevemess ansonsten von niemandem be- merkt worden w ä r e , Personen des öffenrlichen Lebens gemacht, die die Politiker, Eirmenlenker und Militärbosse der Welt das Fürchten lehrten. Vermutlich sind wir in ihren Alpträumen aufgetaucht. Vermutlich haben nicht wenige sich gewünscht, dass es uns nie gegeben hätte. Das war ein- mal ein gutes Gefühl gewesen. Es gab Zeiten, in denen ich k a u m geschlafen habe in un- geduldiger Erwartung der vielen tollen Dinge, die am nächs- ten Tag passieren würden. Es gab eine Zeit, in der sich jeden Morgen etwas ereignete, von dem ich überzeugt war, dass es die Welt ein Stückchen besser machte. Ich sage das ohne Iro- nie, ich glaubte wirklich d a r a n . Nein, richtiger: An die Idee glaube ich noch heute. Ich bin davon überzeugt, dass das Projekt genial war. Es war vielleicht nur zu genial, um beim ersten Anlauf bereits zu funktionieren. Auch w ä h r e n d meiner letzten M o n a t e bei W i k i L e a k s schlief ich schlecht. Nicht aus Vorfreude, sondern aus Angst vor der nächsten K a t a s t r o p h e , davor, dass uns die ganze S a c h e um die O h r e n fliegen w ü r d e , dass wieder etwas Ent- scheidendes schiefgegangen, dass eine Quelle in Gefahr ge- raren war, dass Julian in der Nackt eine neue Attacke auf mich oder aul einen der anderen gestartet hatte, die ehemals seine engsten Vertrauten gewesen waren. 12 Julian hat in seiner Einleitung zu dem jüngsten Leak, den diplomatischen Depeschen amerikanischer Botschafter, ge- schrieben, sie zeigten die Widersprüche zwischen dem öffent- lichen Auftreten und dem, was hinter geschlossenen Türen vor sich ging. Die Menschen hätten ein Recht darauf, zu er- fahren, was hinter den Kulissen passiere. Besser k a n n man es nicht sagen: N u n ist es an der Zeit, hinter die Kulissen von WikiLeaks zu schauen. Die erste Begegnung Im September 2 0 0 7 hörte ich das erste Mal von WikiLeaks. Ein guter Kumpel hatte mich darauf angesprochen. Wir lasen d a m a l s regelmäßig c r y p t o m e . o r g , die Websire von J o h n Young. Cryprome war unter anderem damit in die Schlagzei- len geraten, dass hier 1999 und 2 0 0 5 eine Liste mit Namen der Agenten des M I 6 , des britischen Auslandsgeheimdiens- tes, veröffentlicht worden war. Cryptomc.org veröffentlichte die Dokumente von Menschen, die Geheimnisse ans Tages- licht bringen wollten, ohne dabei Gefahr zu laufen, als Verrä- ter enttarnt und dafür belangt zu werden. Auf dieser Idee beruhtauch WL. Lustigerweise gingen viele zunächst davon aus, dass hin- ter WikiLeaks ein internationaler Geheimdienst steckte und es sich um einen sogenannten Honeypot h a n d e l t e - m a n bot also Leuten, die etwas ausplaudern wollten, eine Plattform, um sie dann als Verräter einzukassieren, sobald sie tatsäch- lich brisantes Material auf die Seite luden. So überwog auch bei mir das Misstrauen. Doch dann tauchten im November 2007aufwikileaks.org die Handbücher aus G u a n t a n a m o Bay auf, die sogenannten dvnp Delta Standard Operating Procedurcs. Sie offenbar- ten, dass die USA in den kubanischen Gefangenenlagern ge- gen Menschenrechte und die Genfer Konventionen verstie- ßen. Drei Dinge wurden mir sehr schnell klar. Erstens: Die Idee, WikiLeaks könnte von Geheimdiensten aufgesetzt worden sein, war absurd. 14 Zweitens: Das Projekt hatte das Potential, noch viel, viel größer zu werden als Cryptome. Drittens: WikiLeaks war eine gute Sache. Das Internet ist für Leute, die von Anfang an in entspre- chenden C o m m u n i t i e s mitgemischt h a b e n , kein unüber- schaubares Datenmeer, sondern ein Dorf. Benötigte ich eine Einschätzung zu einem bestimmten T h e m a , wusste ich, wo ich fragen musste. Das tat ich. Und ich bekam immer die Antwort: »WL? Ist voll die gute Sache!« Das bestätigte mich, den Gang der Dinge bei WI. weirerzuverfolgcn. Ich loggte mich in den Chat ein, den es auch heute noch auf der WL-Website gibt, und nahm Kontakt auf. Ich hatte sofort das Gefühl, dass die Leute dorr so ähnlich tickten wie ich. Sie interessierten sich für die gleichen Fragen. Sie arbei- teten offensichtlich zu genauso unmöglichen Tages- und Nachtzeiten wie ich. Sie diskutierten gesellschaftliche Prob- leme. Sie glaubten, dass das Internet Chancen böte, Prob- leme auf völlig neue Weise anzugehen. Nach einem Tag fragte ich das erste Mal, ob es etwas zu tun gäbe. Zunächst bekam ich keine Antwort. Ich war verunsichert,ein bisschen gekrankt. Trotzdem blieb ich weiter im Chat. »Noch interessiert an einem Job?", kam die Antwort zwei Tage später. Es war Julian Assange, der das fragte. »Klar! Sag an«, tippte ich zurück. Julian gab mir ein p a a r Handlanger-Aufgaben. Er ließ mich das Wiki aufräumen, Formatierungen anpassen, In- halte überarbeiten. Mit sensiblen Dokumenten hatte ich da noch lange nichts zu tun. Dafür kam mir sofort die Idee, WL noch mit in das Programm zum 24. Chaos ('omnttiiiication Congress (24C3) aufnehmen zu lassen. Das ist die alljährli- che Z u s a m m e n k u n f t der Hacker- und Computerszene, die jedes J a h r zwischen Weihnachten und Silvester im Berliner Congress Center (BCC) stattfindet und vom Chaos Compu- ter Club ausgerichtet wird. 15 Ich war damals kaum vertraut mit den internen Abläufen von WikiLeaks. Ich wusste nicht einmal, wie viele außer mir sich dort engagierten und welche technische Infrastrukrur dem Ganzen zugrunde lag. Wenn ich an WikiLeaks dachte, hatte ich eine mittelgroße Organisation vor Augen, mir ei- nem gut aufgestellten Team, einer robusten Technik, Servern auf der ganzen Welt. Damals hatte ich eine feste Stelle, ich kümmerte mich um Nerzwerkdesign und Netzwerksicherheit für Electronic Data Systems (EDS). Das ist ein großes amerikanisches Un- ternehmen, das für zivile, aber auch militärische Auftragge- ber IT-Aufgaben managt und in Rüsselsheim seinen größten deutschen Standorr hatte. Es g a b mit meinem Arbeitgeber ein stilles Abkommen, dass ich keine Rüstungsunternehmen betreuen würde, was dazu führte, dass ich vor allem für GM beziehungsweise Opel zuständig war sowie für zahlreiche Fluglinien. Wer heute weltweit einen Flug bucht, benutzt da- bei vielleicht Technik, die ich aufgebaut habe. Ich verdiente etwa 50 0 0 0 Euro im Jahr. Das war viel zu wenig für meine Arbeit, aber es war mir egal. Ich engagierte mich in der Open Source ContDimtity, arbeitete deutlich mehr als meine vertraglich vereinbarten vierzig Stunden in der Woche und bastelte p e r m a n e n t an neuen Lösungen. Meine Leistung wurde von allen geschätzt. M e i n e Kollegen und ich erlaubten uns die üblichen Scherze, mit denen Techniker sich in solchen Konzernen die gute Laune erhalten: Aus Protest gegen die miese Kaffeequa- lität manipulierten wir die Menüs der Automaten, so dass die angeblich so kostengünstigen Geräte ständig gewartet werden mussten. An einen cholerischen Mitarbeiter schickte ich regelmäßig Mails von der Adresse god@eds.de und beob- achtete heimlich, wie er darüber nur noch mehr in Wut ge- riet. Ich schickte gleich die nächste Mail hinterher: »Gott sagt, man soll sich aber nicht so aufregen.« 1 f % Ich lebte in Wiesbaden, meine damalige Freundin war eine sehr hübsche, junge Frau, ich war - kurz gesagt - zufrie- den, aber alles andere als euphorisch, was mein eigenes Le- hen betraf. Es war bunt und vollgepackt, jedoch war da noch ein wenig Platz für mehr. Als sich die S t i m m u n g zwischen Julian und mir schon deutlich getrübt harre, sagte er einmal, dass ich ohne Wiki- Leaks ein Nichts gewesen w ä r e . Und ich wäre nur d a r a n beteiligt gewesen, weil ich nichts Besseres mit meinem Leben anzufangen gewtisst hatte. Er hatte recht! \VL w a r das Beste, was mir bis dahin in meinem Leben passierr ist. Allerdings litt ich vor WL keinesfalls an Langeweile: Ich hatte in meiner Küche einen Serverschrank srehen mit 8500 Kilowattstunden Stromverbrauch im Jahr; ich tüftelte permanent an irgendwelchen Netzwerk-Aufbauten herum, ich traf mich mit Leuten von den lokalen Chaos-Clubs. Da- mit war mein Tag mehr als ausgefüllt. Doch ich war, wenn überhaupt, nur mit halbem Herzen dabei. All die Jahre über harte meinem Leben etwas Entschei- dendes gefehlt. Ein Sinn. Eine Aufgabe, für die ich wirklich brannte und für die ich alles andere stehen lassen wollte. Der Chaos Computer Club war schon damals ein wichti- ger Anlaul punkt für mich, und die Cluhräume in Berlin ge- hörten zu den ersten Adressen, wenn ich in die H a u p t s t a d t kam. Wie soll ich beschreiben, was m i r a n den Leuren dort so gut gefiel? Sie waren alle ausgeprägte Eigenbrötler. Sehr kre- ative, kluge, mitunter etwas raue Menschen, die ganz sicher keine Zeit mit falscher Freundlichkeit verschwendeten. Sie zahlten einem den vermeintlichen Mangel an Sozialkompe- tenz mit echter Loyalität zehnfach zurück, sobald sie einen als Mitglied akzeptiert hatten. Jeder von ihnen war 24 Stun- den am Tag mit irgendetwas beschäftigt. Alle Clubmitglieder waren ausgewiesene Experten in ihren jeweiligen Spezialbe- 17 reichen, sei es in freier Software, elektronischer Musik, Vi- sual Art oder Haeker-Sruff, IT-Sicherheit, Datenschutz oder L i g h t s h o w s - d a s Spektrum ihrer Interessen war groß. Z u d e m harte der Club einen entscheidenden Vorteil ge- genüber vielen anderen C o m m u n i t i e s : Er hatte einen O r t . Das ist für Menschen, die viel Zeit in digitalen Räumen ver- bringen, ein nicht zu u n t e r s c h ä t z e n d e r Vorteil. Im Club konnte man zusammensitzen, Probleme von Angesicht zu Angesicht diskutieren und, wie ich später feststellen durfte, in misslichen Situationen auch auf einer der zahlreichen Couches übernachten. Der Club sorgte dafür, dass die Szene regelmäßig z u s a m m e n k a m , wie eben auf dem alljährlichen Kongrcss im BCC am Alexanderplatz. Julian hatte sich Anfang Dezember 2 0 0 7 im Chat bei mir gemeldet mit der kurzen Ansage: »Wir sehen uns in Berlin. Ich freu mich auf den Vortrag.« Mein erster Gedanke war: Scheiße, hoffentlich klappt das auch. Bis kurz vor Beginn der Konferenz war gar nicht klar, ob er seine Rede halten konnte. Ich hatte zwar mein Bestes getan, um das zu arrangieren. Die Einreichungsfristen wa- ren schon im August abgelaufen. Umgekehrt war ich mir genauso wenig sicher, ob ich bei den Machern des Kongres- ses nicht nur die Pferde scheu machte und am Tag X gar niemand von WL aufschlüge. Wie es seine Art war, sollte Julian tatsächlich erst kurz vor knapp anreisen. Da stellte sich allerdings heraus, dass für ihn keine Rede vorgesehen war. Ich weiß bis heute nicht, ob Julian überhaupt das Papier eingereicht hatte, das man von ihm gefordert hatte. Gut möglich, dass die Leute vom Club damals das Thema WikiLeaks auch nicht so verstanden oder unwichtig fanden. Auch möglich, dass viele im Club Wl. eher kritisch sahen und Julian deshalb aus dem I l.uipiprogramm verbannt hatten. Anfangs schlugen uns in Deutschland vor allem die Bedenken der starken Datenschutz-Bewegung cut- is gegen. »Private Daten schützen - öffentliche Daten nutzen« war die Devise. Wir bewegten uns irgendwo dazwischen, und das gab viel Stoff für Diskussionen. Jedenfalls stand der Vortrag zu Wl. nicht im offiziellen Programm. Die Veranstalter hatten ihm lediglich die Mög- lichkeit eingeräumt, in einem der Workshopräume im Keller eine kleine Präsentation zu halten. Julian machte schon an der Kasse Ärger, weil ersieh weigerte, den Eintritt zu bezah- len. Er ging davon aus, dass er aufgrund seines Vortrags au- tomatisch freien Eintritt hätte - was die Helfer an der Kasse anders sahen. Er war nicht auf der Liste der Sprecher ver- zeichnet, deshalb verlangten sie 70 Euro von ihm. Julian legte seinen Rucksack im Prcssenuim ab - er reiste oft nur mit einem Rucksack - und beanspruchte den Raum von da an für sich. Der Presseraum war ein nicht sehr großes Z i m m e r mit d u n k l e m Fliesenboden und einer Tischreihe, die hinter Trennwänden aufgesielll war. I )er Raum befand sich im u i ten Winkel des ersten Stocks, ganz am Ende des Ganges. Die Jalousien vor den Fenstern waren auch tagsüber herunterge- lassen. Normalerweise saßen hier die Journalisten mit ihren Laptops, um in Ruhe an Texten zu arbeiten. Julian nahm den Raum sofort in Besitz und sein Tagewerk auf, was be- deutete: Et verharrte s t u n d e n l a n g vor dem Rechner und hackte dabei in die Tasten. Und zwar laut. Wollten andere den Raum auch nur eine Viertelstunde nutzen, um in Ruhe ein Radtointerview zu führen, weigerte Julian sich, den Raum zu verlassen oder zumindest seine Tastatur ein bisschen leiser zu bearbeiten. Obwohl die Veranstalter abends alles daransetzten, sich des beharrlichen Gasres wieder zu entledigen, war Julian der Meinung, es stünde ihm zu, hier zu übernachten. Was er auch tat, vermutlich in seine Jacke gewickelt und auf den Tischen, die Fliesen waren sicherlich zu kali. 19 Mein Gedanke, als ich ihn zum ersten Mal sah: cooler Typ. Er hatte eine olivgrüne Cargohose an und dazu ein schnee- weißes Hemd, mit einer grünen Anzugweste aus Wolle darü- ber. Julian stach heraus, sein weißes Hemd blitzte aus der Menge. Er bewegte sich sehr energisch, lässig, in großen Schritten. Wenn er die Treppen n a h m , bebten die Planken. Es gibt Menschen, die auftreten, als wäre jeder Schritt eine Belas- tungsprobe für ihren Untergrund. Manchmal n a h m er An- lauf, sprang und schlitterte ein Stück mit seinen ausgelatsch- ten Camelboots über den frisch gebohnerten Boden. Oder er rutschte das Treppengeländer herunter und überschlug sich fast bei der Landung. An so etwas hatte auch ich Spaß. Das erste Mal trafen wir uns an der Wendeltreppe des BCC im ersten Stock. Es w a r a n diesem Tag im fassbar voll. Unten bettelten verspätete Gäste um Einlass. Der Besucherrekord von 3 0 0 0 Menschen w a r soeben gehrochen worden, und diese Menge schob sich plappernd durch die Gänge des Kon- gresscenters. M a n c h m a l steckte m a n für zwanzig Meter Luftlinie eine Vierreisrunde im Besucherstau. Bei uns oben, am Treppenaufgang, war es ein wenig ruhiger. Links stand ein weißes Ledersofa mit Blick auf den Alex. Julian und ich machten es für die nächsten Tage zu unserem Treffpunkt, Wenn einer zur Toilette musste oder sich etwas zu essen holte, passte der andere auf die Sachen auf. Die lauernden Blicke müder Kongressbesucher erwiderte ich mit einem Zähnefletschen. Zuerst redeten wir stundenlang. Später saßen wir oft ru- hig nebeneinander, Julian arbeitete versunken an seinem Rechner, ich tat es ihm gleich. Ich weiß nicht, womit Julian gerechnet hatte, als er seine Reise nach Berlin antrat. M i r war der Kellerraum, den man uns für die Präsentation zugewiesen hatte, u n a n g e n e h m . 20 Z u m Glück war er klein. Denn zu dem Vortrag kamen nicht einmal zwanzig L e u t e - k e i n einziges bekanntes Gesichtaus dem Club war darunter, was mich besonders betrübte. Ich verstand nicht, w a r u m sich keiner von ihnen für die Idee von WikiLeaks interessierte. Ich saß ganz vorne auf der rechten Seite und beobachtete Julian, der in seinem freundlichen, australischen Akzent von WL erzählte. Julian trug jeden Tag die gleichen Klamotten. Das strahlend weiße H e m d , das mich bei unserem ersten Treffen so beeindruckt hatte, sah mittlerweile schon nicht mehr ganz so glanzvoll aus. Wenn Julian enttäuscht war, so wenig Zuhörer in den Kel- ler gelockt zu haben, so ließ er sich das zumindest nicht an- merken. Er sprach 45 Minuten lang, und als drei der Zuhörer im Anschluss noch etwas wissen wollten, beantwortete er geduldig ihre Fragen. Mir tat er ein bisschen leid. Immerhin hatte er seine An- reise selbst bezahlt. Wenn ich mich zu den Z u h ö r e r n um- drehte, blickte ich zuweilen in etwas rarlose Gesichter. Seine Vorträge würde er später deutlich anschaulicher ge- stalten und mit mehr Beispielen unrerfüttern, damals stellteer alles noch sehr theoretisch dar. Julian war wirklich unermüd- lich darin, bei anderen für seine Idee zu werben. In den darauf- folgenden Monaten - WI. war immer noch sehr unbekannt und man verwechselte uns häufig mit Wikipedia - haben wir so gut wie jedem von WL erzählt, der bereit war, uns auch nur ein paar Minuten zuzuhören. Und wenn es nur drei Leute wa- ren. Heute kennt uns die ganze Welt. Damals zählte jede Seele. Als auch diese drei Z u h ö r e r keine Fragen mehr hatten, packte Julian seine Sachen, ging zurück zum Sofa und ver- buddelte sich wieder in seine Arbeit. Erst im Nachhinein habe ich erfahren, wie viel Ärger es mit den Veranstaltern gab und dass Julian mit vielen meiner Bekannten aneinandergeraren war. Der Club, der für mich 21 d a m a l s schon so etwas wie meine soziale Heimat war, blieb nach unserem Auftritt lange skeptisch gegenüber Wiki- Leaks. Ich habe mich in den darauffolgenden Monaten im- mer wieder gefragt, woran das gelegen hat. Mich hatte Julians Auftreten beeindruckt. Dieser drahtige Australier ließ sich von niemandem etwas sagen und durch nichts davon abbringen, an seiner Sache zu arbeiten. Er war außerdem sehr belesen und hatte zu vielen Dingen eincexpli- zite Meinung. Seine Haltung zur Hacker Community zum Beispiel war eine ganz andere, als ich sie hatte. Er hielt diese Leute für Idioten, für »uscless«. Er beurteilte Leute oft da- nach, ob sie einen "Nutzen« brachten, wie auch immer er diesen Nutzen dann definierte. Selbst Hacker, die besondere Fähigkeiten hatten, waren in seinen Augen Idioten, wenn sie diese Fähigkeiten nicht für ein übergeordnetes Ziel einsetzten. Julians Urteile waren immer kompromisslos, seine Mei- nungen teilte er auch gerne ungefragt mir. Ich (.lachte mir schon d a m a l s , dass er sicherlich bei vielen Leuten aneckte damit. Wir harten vieles zu planen und zu bereden. Ich habe mich nicht gefragt, ob ich Julians Benehmen auffällig fände oder ihm vertrauen könnte. Die Frage, oh ich mit diesem Typen in ernsthafte Probleme hineinschlittern könnte, stellte sich überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Ich war geschmeichelt, dass er mit mir zusammenarbeiten wollte. Julian Assangc war nicht nur der Gründer von WL, er war auch »Mcndax-, Mitglied der International Subversives'. Er war einer der gro- ßen Hacker, Mitautor von »Underground", einem Buch, das von Kennern sehr geliebt wurde. Und wir verstanden uns auf An hieb. Er wollte wenig über mich wissen. Ich glaube, er hat mich respektiert als einen neuen Mitstreiter, der vom ersten Tag an gesagt hat, er will mithelfen, und der dabei geblieben ist. So 21 einfach war das, und es war vermutlich viel mehr, als er von anderen Leuten bis dahin bekommen hatte. Das konnte ich bald selbst beobachten: M i t jeder Veröffentlichung kamen ein paar Freiwillige dazu, die sagten: »Wir wollen WikiLeaks unterstützen." Doch wenn man ihnen konkrete Aufgaben übertrug, kam von etwa einhundert Freiwilligen vielleicht einer wieder, wenn überhaupt. Manche Aufgaben habe ich den Leuten über hundertmal gegeben und über hundertmal das Gleiche erklärt. Nie kam etwas dabei heraus. Ich d e n k e , Julian hatte diese Erfahrung schon oft ge- macht, und er war deshalb froh, in mir einen Verbündeten gefunden zu h a b e n . W i k i L e a k s verband uns schnell aufs Engste, denn wir hatten die gleichen Ideale. Wir standen da- mit auf Augenhöhe, das war jedenfalls mein Gefühl. Auch wenn er WikiLeaks gegründet hatte und mehr Erfahrung hatte als ich. Der Kampf gegen die Bären Im Januar 2008, ich war gerade erst hei WikiLeaks eingestie- gen, gab es die erste Publikation, an der ich direkt beteiligt war. Jemand hatte einen Wust von Zahlen und Berechnungen, Ür- ganigrammen, Workflows und Verträgen in unseren digitalen Postkasten huchgeladen. Wo/u sollte das gut sein? Julian und ich brauchten ein paar Tage, bis wirdas Material Überblickren. Aul" Hunderten von Seiten waren der interne Schriftverkehr, Memos und Kalkulationen des Bankhauses Julius Bär abge- b i l d e t - einer der größten Privatbanken der Schweiz. Menschen, die Geld auf Schweizer Banken hinterlegen, tun das, wie jeder weiß, nicht immer nur der guten Alpenluft zuliebe. Aus den Papieren ließ sich nachvollziehen, wie Mil¬ lionenvermögen vor der Steuerfahndung versteekr wurden. Das war a n h a n d konkreter balle erörtert. Es ging dabei um Vermögen zwischen fünf und einhundert Millionen Dollar - pro Kunde. Mit den entgangenen Steuern dieser mehreren Dutzend Großverdiener hätte man unzählige soziale Pro- jekte fördern können. Die Raffinesse der Bank war frappierend. Ein komplexes System aus Untergesellschaften und Finanztransaktionen stellte sicher, dass das Geld auf den Cayman Islands nicht nur vor Zugriffen gut versteckt war. Die Bank verschleierte die C ieldIltisse nicht nur im Interesse ihrer Kunden. Sie füllte sich dabei auch kräftig selbst die Taschen. Die Cleverness der Menschen, die sich das ganze System ausgedacht hatten, be- eindruckte mich. 24 Wir recherchierten weitere Hintergründe, schrieben eine Zusammenfassung und stellten all das eins zu eins ins Inter- ne:. Line l'ressemitreilung ging an die Medien. 1 Linn warte- ten Julian und ich gespannt auf eine Reaktion. Das war am Montag, dem 14. Januar 2 0 0 8 . Dienstag war bei mir in der Firma Sirzungstag. Staff Mee- ting. Das bedeutete, mit 15 bis 20 Leuten in einem viel zu engen Sitzungsraum verbrauchte Luft einzuatmen und auf Excel-Sheets zu starren. Der Uhrzeiger im Konferenzraum schien mit Pattex festgeklebt. Ich checkte alle fünf Minuten verstohlen auf meinem Handy, ob etwas über uns auf Google News auftauchte. Ich wussee, dass gewiss etwas passieren würde. Die Frage war nur, wann. Auch wenn Website-Betreiber normalerweise genau wis- sen wollen, wer auf ihren Seifen surft und aufweiche Buttons er k l i c k t - d a s war technisch hei uns nicht vorgesehen, weil es dem anonymen Ansatz von WikiLeaks widersprochen hätre. So wussten wir nie, ob sich schon jemand das Material ange- schaut hatte. Als mein Vorgesetzter die Sitzung endlich beendete, packte ich meine Sachen und rannte aus der Firma. Auf dem Weg nach Hause kaufte ich im Bioladen um die Ecke Fleisch, Kartoffeln und Blumenkohl. Zurück in meiner W o h n u n g im Wiesbadener Westend - Souterrain, zwei Zimmer, große Küche und Bad, alles ging von einem dunklen Flur ab - ließ ich die Einkäufe erst einmal auf der Arbeitsplatte in der Küche liegen und startete meine beiden Laptops. Da war sie bereits angekommen: die erste Reaktion im Fall Julius Bär. Die Initialzündntig unseres Kampfes gegen die Mächtigen. Die Feuerprobe! Die Mail erreichte uns am 15. Januar 2 0 0 8 , um 20.30 Uhr. Absender war der Anwalt einer Kanzlei mit Sitz in Kali- fornien, die normalerweise Holly woodsrars vertrat. Er for- 25 derte uns in herablassendem Ton auf, den Urheber der D o - kumente zu benennen und das Material von der Seite zu löschen. »Heilige Scheiße«, schrieb Julian. »Guck dir die an.« »Wir werden sie fertigmachen«, tippte ich zurück. Julian und ich chatteten immer, wir telefonierten nie. Die Sätze, die in der nächsten Stunde zwischen irgendwo auf der Welt und Wiesbaden, zwischen Julian und mir, hin- und her- flogen, waren voller Ausrufezeichen und Kraftausdrücke. Während ich Kartoffeln schälte, Blumenkohl kochte und Schnitzel briet, überlegten wir, wie weiter vorzugehen war. Sorgen, dass etwas Schlimmes passieren könnte, man uns verhaften oder das Material sicherstellen würde, machte ich mir nicht. Wir waren auf Arger eingestellt. Offizielle Schreiben von Gerichten oder Behörden klingen immer so, als wären sie einzig dazu verfasst, beim Adressaten größtmögliche O h n m a c h t s - und Wutgcfühle auszulösen. Diesmal blieb a b z u w a r t e n , wer den Kürzeren zog. Es war zugleich der erste Test, ob sich das System, das in derTheorie so großartig ausgetüftelt war, in der Praxis bewährte. Wir baten die Kanzlei um konkretere Angaben. Um wel- chen Klienten es sich denn handele, fragten wir nach. Wir würden gerne den für diesen Fall geeigneten Anwalt auswäh- len . In der Realität waren wir weit davon entfernt, über einen großen Pool an Rechtsanwälten zu verfügen. Genauer gesagt hatten wir Kontakt zu einer einzigen Juristin, die uns ehren- amtlich half. Julie Turner lebte in Texas, und es verstrichen ein paar bange Tage, bis wir sie erreicht hatten. Wir gaben uns nach außen trotzdem den Anschein, über eine riesige Rechtsabteilung zu verfügen. Für diesen Fall habe ich m i r auch den N a m e n Daniel »Schmitt« zugelegt. Das w a r nicht sonderlich phantasievoll, so hieß meine Katze. Der N a m e sollte Privatdetektive fern- 26 halten. Wir hatten von anderen gehört, dass große Bankhäu- ser nicht davor zurückschreckten, auf unbequeme Leute eine Privatdetektei anzusetzen. Ich hatte überhaupt keine Lust, mir hinterhcrschnüffeln zu lassen, Seitdem Fall Julius Bär bin ich den N a m e n nicht mehr losgeworden. Die Presse kannte mich nun als Daniel Schmitt, und es sollte dabei blei- ben. In den folgenden 'lägen versuchte ich, so oft es ging, von zu Hause aus zu arbeiten. Ich klem mte mir gegen Mittag irgend- ein altes Gerät unter den Arm, winkte meinem Vorgesetzten eilig und sagte was von »Versuchsaufbauten, Tschüüüß!« Wenn mein H a n d y während der Arbeitszeit klingelte, flüch- tete ich in das Lager im 8. Stock. Bald gingen weitere Mails ein. Zahlreiche amerikanische Medien- und Bürgerrechtsbewegungen schlugen sich auf un- sere Seite. Schließlich ging es um ihre ureigensten Interessen: Informantenschutz und Pressefreiheit. Das grundsätzliche Problem, dass Mitarbeiter, die über Unrecht in ihren eigenen Unternehmen berichten wollten, daran aber durch interne Knebelverträge und Verschwicgenheirsklauseln gehindert wurden, war ja weithin bekannt und debattiert worden. Die Whistleblower-Thematik war in den USA auch schon viel weiter gediehen als in Deutschland, wo Geheimnisverräte! eher als Denunzianten denn als Helden der Informationsfrei- heit betrachtet wurden. Doch zunächst sah es so aus, als würde uns die Gegenseite zu packen kriegen. Bei dem zuständigen kalifornischen Rich- ter erwirkten die gegnerischen Anwälte eine einstweilige Verfügung. Der kalifornische Klageort hatte einen einfachen Grund: Die wikileaks.org-Domain war dort registriert. Die Kanzlei hatte geltend gemacht, dass die »Betriebsgeheim- nisse« von einem »ehemaligen Mitarbeiter gestohlen« wor- den waren, der damit gegen eine »schriftliche Vcrtrauensver- cinbarung« verstoßen hätte. Der Richter gab dem Antrag - 27 statt. Die Seite wikileaks.org w u r d e daraufhin vom Netz ge- nommen. Sie hatten uns gelöscht. Das dachten sie zumindest. Sie hatten ja keine Ahnung von diesem Teil des Prinzips Wi- kiLeaks, das bedeutete: Sobald man eine Seite vom N e t z n a h m , ploppten an anderer Stelle gleich hundert weitere auf. Deshalb war es quasi unmöglich, uns mundtot zu machen. Ein weltweiter Sturm der Empörung brach los. Unsere Telefone klingelten ununterbrochen. Journalisten aus vielen Ländern wollten mit uns sprechen, wir brauchten Tage, um alle Mails zu beantworten. Wegen der Zeitverschiebung schlief ich kaum noch. Es entstanden zahlreiche Artikel und Sen- dungen, in denen die Medien über den Fall berichteten. Die Journalisten waren so klug, auf die etwa 200 weiteren Websites hinzuweisen, über die WL nach wie vor erreichbar blieb. Die New York Times w i d m e t e dem Fall mehrere Artikel und veröffentlichte unsere IP-Adresse. Das Ganze gipfelte in der Headline von CBS News: »Freedom of Speech hasa Nuinber«. Die Redefreiheit hat eine Nummer. Und diese N u m m e r war die lP-Adresse von WikiLeaks: 88.80.13.160. WIR waren die Nummer. Eine ganz schön große sogar. So wurden wir Anfang 2 0 0 8 innerhalb weniger Tage be- kannt. O h n e die Klage von Julius Bär hätten wir das niemals so schnell erreicht. Wir bekamen danach viel Z u s p r u c h , Hilfsangebote und neue Dokumente. Ich weiß nicht, wann sich mein Leben davor schon e i n m a l so r a s a n t angefühlt hatte. Die Krönung aber war, dass wir den arroganten Anwälten Paroli bieten konnten. N a c h k n a p p zehn Tagen revidierte der Richter sein vorschnelles Urteil, und die Seite wurde wie- der freigeschaltet. Dafür ist wohl nicht zuletzt der öffentli- che Druck verantwortlich gewesen. Eine Woche später ließ auch das Bankhaus Julius Bär die Klage fallen. Erst vor kur- zem habe ich gelesen, dass der Geldzufluss der Bank durch europaweite Ermittlungen zum Steuerbetrug im Jahr 2010 28 drastisch zurückgegangen ist. Es gab übrigens auch nie wie- der eine Klage gegen WikiLeaks. Wir publizierten den gesamten Schriftverkehr, der zwi- schen uns und den Anwälten hin- und herging. Hätte Julius Bär die Publikation stillschweigend akzeptiert, wäre der Schaden für die Bank deutlich geringer gewesen. An der Kommunikation waren - scheinbar - zahlreiche Menschen beteiligt. Wohingegen selbst in unseren besten Zeiten bei WL nie mehr als eine Handvoll Leute mit den wichtigsten Aufgaben betraut war. Ehrlich gesagt, waren es über weite Strecken nur Julian und ich, die einen Löwenanteil der Arbeit erledigten. Wenn ein »Thomas Bellmann« odercin »Leon aus dem Tech-Department« Mails beantwortete oder versprach, die Anfrage an die Rechrsabreilung weiterzuge- ben, dann w a r das niemand anderes als ich. Auch Julian arbeitere mir allen möglichen N a m e n . Ich werde immer noch gefragt, ob ich Kontakte zu Leuten aus dem Projekt vermitteln kann. Ich gebe die E-Mail-Adressen gerne weiter. Aber ich weiß bei einigen Namen bis heute nicht, ob es sich bei diesen Personen um reale Menschen han- delt oder nur um einen weiteren Julian Assange. »Jay Lim« kümmerte sich bei uns um Rechtsfragen. Jay Lim? Ein Chi- nese vielleicht? Ich habe ihn weder getroffen noch gespro- chen. Auch mit den chinesischen Dissidenten, die an der G r ü n d u n g von W i k i L e a k s beteiligt gewesen sein sollen, hatte ich nie Kontakt. Zu lange gab es auch nur einen einzigen Server, obwohl uns beiden klar war, dass wir das nach außen anders kom- munizieren mussteri. Unsere Infrastruktur sollte breit aufge- stellt wirken. Wenn dieser Rechner ausfiel, hielt man es drau- ßen im Zweifel für einen feindlichen Angriff oder Zensur, tatsächlich hieß das ganze Geheimnis schlicht: Tcchnik- schrotr. Vielleicht auch Unprofessionalität, zumindest Nach- lässigkeit, wenn man ehrlich war. Härte die gegnerische Seite 29 damals gewusst, dass wir nur zwei extrem großmäu lige jimge Männer nur einer einzigen Uralt-Masehine waren, hätte sie eine Clianee gehabt,dfifl Aufstieg von WikiLeaks zu stoppen. Oder uns zumindest deutlich mehr Ärger zu machen. 2009, auf unserem letzten gemeinsamen Chaos Communi- Cdtion Congress* saßen Julian und ich in einem Vortrag, bei dem es um ein neues Programm zur Literaturanalyseging, Die Referenten legten dar, wie einfach es sei, unterschiedli- che Texte auf ein und denselben Urheber zurückzuführen. Nicht nur die 1 Lindschrift eines Autors, auch wiederkeh- rende Stilelemente, Worte oder sei n Satzhau machten ihn als Urheber unterschiedlichster Texte unverwechselbar. Ich stupste Julian mit dem Fuß an. Wir guckten einander an und mussren beide laut loslachen. H ä t t e jemand unsere Dokumente mir einem solchen Programm analysiert, hätte er festgestellt, dass hinter der Vielzahl von Pressemeldungen, Dokumcntcn-Analysen und Korrespondenzen ott die glei- chen Leute standen, die sich mit einem bunten Strauß an Identitäten schmückten. Auch die Zahlen über unsere freiwilligen Helfer waren, vorsichtig ausgedrückt, stark übertrieben. Schon am Anfang sagten wir, es gebe mehrere tausend Freiwillige und hunderte aktive Helfer, die uns bei der Arbeit unterstützten. Wir haben dabei nicht direkt gelogen, d e n n wir zählten einfach alle Leute mit, die sich bei uns aut einer Mailing-Liste eingetra- gen harten. Diese Menschen hatten sich in der Tat irgend- w a n n einmal gemeldet und angekündigt, das Projekt unter- stützen zu wollen. Die allermeisten wurden nie aktiv, das waren nur Namen. In meinen ersten Monaren bei WL war mir das nicht gleich klar. Ich wunderte mich gelegentlich, außer Julian so selten jemanden zu treffen, kaum von jemandem zu hören, der au- ßer uns beiden eine Aufgabe erledigte. Die anderen Mail- 50 Schreiber bedienten sich zudem des gleichen WI.-Accounts wie Julian. Als ich merkte, wie wenig Leute tatsächlich be- teiligt waren, steigerte das nur mein Gefühl, unverzichtbar zu sein. Und der Eindruck, mit so wenigen Leuten so viel zu bewegen, war sehr motivierend. Unsere Bären-Veröffentlichung rief auch einen gewissen Ralf Schneider* auf den Plan. Schneider* war ein deurschcr Ar- chitekt und in den Zusatzinformationen des Whistleblowers als einer der Steuerhinterzieher benannt. Er schrieb uns eine Mail. Er hätte zwar gerne mehrere Millionen, um sie in der Schweiz in Sicherheit zu bringen, es müsse sich aber um eine Verwechslung handeln. Ich war erschrocken. Die Informationen zu den Personen kamen von unserer Quelle. Und wer auch immer es war, der uns die Dokumente zugespielt hatte, er hatte auch einige Informationen zu den Kunden recherchiert und sie den Dokumenten beigefügt - in der I loffnung, uns beim Verstehen der Papiere zu helfen. Aus- gerechnet bei diesem Namen war ihm ein Fehler unterlaufen. Er hatte den deutschen Architekten Ralf Schneider mir dem wahren Übeltäter ähnlichen N a m e n s verwechselt, nämlich mit einem Schweizer Berufskollegen namens Rolf Schneider'. Genauso wie wir bereits alle Hinweise der Quelle mitveröf- fentlicht hatten, trugen wir jetzt auch die Informationen zu dem Irrtum nach. So hieß es auf der Seite zunächst: »Dieses Dokument, die Beschreibung und einige Kommentare sind laut drei unabhängigen Quellen abgesehen von Julius Bär falsch oder verfälschend. WikiLeaks untersucht die Sache.« Drei unabhängige Quellen.' Das klang gut. War aber leider ausgedacht. Alle mit einem * versehene Namen sind Pseudonyme. Die wahre Identität ist dem Autor bekannt. 11 Warum hatten wir den Namen nSehr gleich gelöscht, wenn die Information doch einen Unschuldigen in Schwierigkeiten brachte? Wir entschieden uns dagegen, weil es keineswegs unüblich war, dass sich Menschen, die ihre Namen in nega- tiven Z u s a m m e n h ä n g e n publiziert sahen, mit der Bitte an uns wandten, den Eintrag umgehend von der Seite zu tilgen. Wir wollten die Informationen erst prüfen, bevor wir sie korrigierten. Schneider* w a r zu Recht aufgebracht. Wenn Kunden • Ralf Schneider, Architekt« mit Google suchten, stießen sie auf der ersten Seite auf den Treffer, der ihn in Zusammen- hang mit den Einauzbetrügereien brachte. Er konnte uns ge- genüber aber nachweisen, dass die anderen Informationen aus den Dokumenten nicht zu seinem Profil passten. »Ich habe und hatte zu der Bank Julius Bär zu keinem Zeitpunkt eine Bankverbindung«, schrieb er uns. »Ich habe kein Maus in Mallorca, keine Bankverbindung auf C a y m a n und lebe auch nicht im Ausland. Meinen Rechtsanwalt habe ich be- reits beauftragt, Strafanzeige wegen Verleumdung bei der Staatsanwaltschaft in |...] zu stellen.« Eigentlich wollten wir an den O r i g i n a l a u s s a g e n der Quelle nichts verändern und behalfen uns lieher mit weite- ren Erläuterungen. Aber als sich Schneider* nach einem Jahr noch einmal meldete, weil die Google-Suche nach seinem N a m e n immer noch zu uns führte, k ü m m e r t e ich mich d a r u m , dass die Seiten im Archiv der Suchmaschine aktua- lisiert wurden. Schneider* ist zu Unrecht verdächtigt worden. Soweit ich weiß, war er in der ganzen Geschichte von WL der Einzige. M i r tat er leid. Aber bei allen anderen Beschwerden, Dro- hungen und Bitten, die uns zu unseren Leaks davor und da- nach noch erreichen sollten, handelte es sich am Ende immer um den Versuch, die eigenen Missetaten zu verschleiern. Die Leute gaben sich selbst bei Google ein und entdeckten den 32 Link, der auf WL verwies. D a n n meldeten sie sich aufgeregt bei uns. Von Drohungen über Bitten bis hin zu Bestechungs¬ versuchen ließen sie nichts unversucht. Wir hatten unseren Spaß mit ihnen. Wir hatten beispielsweise eine Klageschrift von Rudolf El- mer veröffentlicht. Elmer war bis 2003 Vizechef für Julius Bär auf den Cayman Islands gewesen und hatte 200S eine Be- schwerde wegen verschiedener Verstöße gegen die Menschen- rechtskonvention beim Europäischen Gerichtshof für Men- schenrechte eingereicht. Viele glauben, dass Elmer auch die Quelle für die Julius-Bär-Daten war. Auf jeden Fall w a r er spätestens nach dem Verlust seines Jobs bei Julius Bär zu ei- nem engagierten Kämpfergegen das Schweizer Bankengesetz geworden. In einem Nebensatz steht in dieser Klage, dass sich ein John Reilley* von der Bank Julius Bär habe beraten lassen. Reilley* ist ein bekannter Investor, der sich auf seiner Home- p a g e selbst als Großfinancier von sozialen Projekten und als »Philanthrop« feiern lässt. Ein paar Tage nach der Veröffentlichung meldete sich ein gewisser Richard Cohen"" bei uns. Er begann sein Schreiben mit einer Lobeshymne auf WikiLeaks, formulierte rühmend weiter und endete mit dem Vorschlag, er w ü r d e ja gerne spenden, aber weil PayPal derzeit nicht funktioniere, möchte er noch lieber ein eigenes Fundraising in M a n h a t t a n für uns organisieren. Dann erwähnte er in einem Nebensatz, dass er -zufällig» bei Wi. einmal nach seinem Investor geguckt habe, und na, wie k ö n n e denn das angehen, da tauche ja John Reilley ' im Z u s a m m e n h a n g mir diesen Steuerbetrügereien auf. Reilley '' sei über jeden Zweifel erhaben. Ob es sich mög- licherweise um einen Übersetzungsfehler handele? Sein freundlicher Ton änderte sich, als wir in wenigen Sät- zen zurückschrieben, mit unserer Übersetzung sei alles in bester O r d n u n g . Uns wurde mit einer Reihe von Anwälten, Geriehrsverfah- 1 1 33 ren und M a ß n a h m e n gedroht, Tnuispiiicncy lnteriii.itio>ial und der liehe Gott sollten informiert werden. Auf mehr als einer Seite führte Cohen* aus, wieder Apparat uns alsbald in der Luft zerreißen, wie eine Fliege zerquetschen und von der Stiefelspitze wischen w ü r d e . Unsere nächste A n t w o r t war noch kürzer: »Stop wasring o u r time and yours vvith this idiocy.« 2 Ich gebe zu, dass es manchmal ein gutes Gefühl war, sich vorzustellen, wie die Gegenseire vor Wut in die Stuhllehne biss. Mich hatten in diesem Leben ja nun auch schon ein paar Leute geärgert. Wir entwickelten ein gutes Gefühl für Anfragen, die mit Lobeshymnea begannen. Sie endeten fast immer übel. Wir veröffentlichten auch die Antworten unserer Gegner, ihre Hymnen und Flüche auf unserer Seite. Sobald wir sie darauf hinwiesen, brach der Ansturm abrupt ab. Dass wir alles publizierten, was bei uns einging, entsprach unserem Verständnis von T r a n s p a r e n z . Wie hätte man es auch anders handhaben sollen? Man hätte uns sonst Partei- lichkeif vorgeworfen. Ob es die Rechten traf oder die Linken, sympathische Menschen oder doofe, wir veröffentlichten alles. Flöchstens Belangloses filterten wir heraus. Sicher gin- gen unsere P u b l i k a t i o n e n m i t u n t e r sehr weit, private E-Mails, die das Leben von unbeteiligten Dritten betrafen, waren nicht ausgenommen. Wir veröffentlichten zum Beispiel auch den Mailverkehr des Holocaust-Leugners David Irving. Damit vermasselten wir ihm indirekt seine Lesereise durch die Vereinigten Staa- ten. Nach dem Bekanntwerden seiner Auftrittsorte hatte kaum noch ein Veranstalter Lust, sich einen Aufmarsch pro- testierender Irving-Gegner einzuhandeln. Gleichzeitig ent- hüllten die Mails den rabiaten Umgang des umstrittenen Historikers mit seiner eigenen Assisrentin. Das war zweifcls- 34 ohne eine private Angelegenheit. Vermutlich war die Veröf- fentlichung für die Mitarbeiterin unangenehm. Wer wird schon gerne als Opfer bloßgestellt? Aber um unparteiisch zu bleiben, niussten wir unseren Willen zur Transparenz zum ehernen Prinzip erheben. Julian gingen Prinzipien über alles. Als eine unserer Quel- len eine Sicherheitslücke auf der Website des amerikanischen Senators Norm Coleman aus Minnesota entdeckte und uns k u r z e r h a n d die öffentlich einsehbaren Daten z u s a n d t e , wollte Julian nicht nur die Liste der dort verzeichneten Un- terstütze!" veröffentlichen, sondern auch ihre genauen Kre- ditkarten-Daten, inklusive der Prüfnummern. Z w a r infor- mierten wir alle Betroffenen per Mail über die bevorstehende Veröffentlichung, damitsie ihre Konren sperren lassen konn- ten. Die Daten waren zudem schon seit mehreren Wochen in Tauschbörsen zu finden. Dennoch schien mir das Risiko zu g r o ß - u n d vor allem imnürz. Die exakten Kreditkarten-Da- ten von den Coleman-Spendern hatten keinen weiteren Er- kenntniswert. Nach laiigem Gezeter einigten wir uns auf eine Veröffentlichung, in der die letzten Stellen der Kredit- karten-Nummern geschwärzt waren. Julian schien es zu genießen, so viel Arger wie möglich zu verbreiten. Er erklärte mir, Menschen ärgerten sich gerne. Spam zum Beispiel hieltet für ein willkommenes Übel, über das sich die Menschen gerne erbosten. M a n tat ihnen damit indirekt einen Gefallen, glaubte er. Zufällig war ihm kurz zuvor ein Fehler mir einem Mailverteiler unterlaufen, w o - durch 350 000 Menschen in einer wiederkehrenden Schleife Mails von WikiLeaks erhielten. Unsere Mailadresse landete daraufhin in einigen Filrerlisten für Spam, und es war nicht so leicht, uns da wieder herauszunehmen. Julian schaffte es dennoch, dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen, indem er behauptete, die Leute freuten sich, wenn sie sich aufregen dürften. 35 Ähnlich wichtig nahmen wir lange Zeit die Regel, Doku- mente in der Reihenfolge ihres Hingangs zu bearbeiten. Wir wollten alles publizieren, was uns erreichte, eine Mindest¬ Relevanz vorausgesetzt. Das haben wir bis Hude 2 0 0 9 auch so durchgehalten, bis vor allem Julian immer mehr darauf drängte, die medienwirksamen Themen unter hohem Zeit- druck zuerst nach draußen zu pusten - ein Vorgehen, das später für erheblichen Srreit zwischen uns sorgen sollte. Doch zu Bären-Zeiten wäre ernsthafter Streit zwischen Julian und mir undenkbar gewesen. Wir sahen uns selten, meistens chatteten wir. Wenn wir uns rrafen, war es herzlich. Er sagte immer »Hoi« als Begrüßung. Und »Howgoes?«, um zu fragen, wie es mir ginge.Julian war vielleicht kein sonder- lich verbindlicher Typ, aber er harre das Talent, ein warmes Gefühl gegenseitiger Anerkennung herzustellen. Schon damals konnten wir uns nicht an normalen Plätzen verabreden. Julian hatte Sorge, dass man uns beobachtete. Er fand es zu gefährlich, wenn man uns zusammen sah. Ich holte ihn auch nie vom Flughafen ab oder vom Bahnhof, er schlug meistens irgendwo auf, klopfte spät abends an der T ü r oder bat mich kurzfristig an einen Treffpunkt. Ich weiß noch, wie wir uns Ende 2008 nach langer Zeit das erste Mal wiedersahen und ich ihn in Berlin unten in der U-Bahn-Sta- tion »Rosa-Luxemburg-Platz« abholte. Er kam auf mich zu, wir umarmten uns fest. »Gut, dich zu sehen«, sagte er. »Finde ich auch«, antwortete ich. Ich hatte ihn gerne um mich. Ich wusste, er kämpfte für dieselbe Sache wie ich. Er machte sich genauso wenig dar- aus, dass er sich für viel Geld an die Industrie hätte verkau- fen können, Und es ging auch ihm d a r u m , etwas Nützliches für die Gesellschaft zu tun und den Bastards auf die Mütze zu hauen, wie er mal gesagt hat. 36 An einem Wochende im Sommer 2008 organisierten w i r u n s einen M i e t w a g e n , einen silbernen Mercedes C-Klassc- Kombi. Wir luden den Kofferraum voll mit Servern, die wir von den ersten Spenden gekauft hatten, und machten eine kleine Europa-Tournee. Das war dringend nötig. Unsere Inf- r a s t r u k t u r ächzte unter den zunehmenden Einsendungen und Seitenabrufen. Für den Anfang wares in Ordnung gewe- sen, sich ein bisschen größer zu machen, als wir tatsächlich waren. Aber eigentlich war unsere technische Infrastruktur eine Zumutung, Unverantwortlich. Hätte damals jemand herausgefunden, wo unsere Maschine stand, er hatte WL sehr einfach den Garaul machen können. Ich harte eine Route für unsere Standorte ausgetüftelt. Sie sollten im In- und Ausland sein, möglichst unauffällig, mög- lichst sicher. Die Orte mussten unbedingt geheim gehalten werden - auch um die Leute, die den Serverplatz für uns anmieteten, nicht in Gefahr zu bringen. Wir hatten an diesem Wochenende eine anstrengende Tour vor uns. Die Mitarbeiter der Mietwagenfirma sollten 24 Stunden später, als wir den Wagen zurückbrachten, ziem- lich erstaunt auf den Tacho gucken - wir hatten 2100 Kilo- meter zurückgelegt. Ich musste also aufs Gaspedal treten, im Rückspiegel im- mer die folgenden Wagen im Blick, aus Sorge, jemand könnte unsere geheime Mission beobachten; neben mir ein zetern- der Julian. Er war ein entsetzlicher Beifahrer. Er klagte die ganze Zeit, dass ich zu schnell führe. Als Australier kamen ihm die Straßen zu eng und zu dicht befahren vor. Außerdem wurde er wohl das Gefühl nicht los, ich würde auf der fal- schen Seite fahren. In einem der zahlreichen Rechenzentren, in denen wir un- sere Server in Gang setzten, holte sich Julian einfach ein Stromkabel aus dem Neben räum und schnitt es in der Mitte durch. Daraus bastelte ersieh einen neuen Anschluss für den 37 Laptop, weil sein eigenes Netzteil nicht bis zur nächsten Steckdose reichte. Dass in solchen Rechenzentren Überwa- chungskamei'as installiert sind und dass die Mitarbeiter es sicher nicht schätzten, wenn man ihre Kabel durchschneidet, störte ihn nicht. Ich erinnere mich auch gut, mich auf der Tour durch die Schweiz von meinen letzten Franken mit Ovomaltine einge- deckt zu haben. Ich liebe diese Schweizer Trinkschokolacle und freute mich schon die ganze Fahrt darauf, mir zu Hause ein riesiges Glas zu machen. Doch als wir in Wiesbaden an- kamen, war nichts mehr von dem Kakaopulver übrig. Julian hatte die Packungen einfach aufgerissen und sich in den Mund geschüttet. In der Schweiz dachten wir kurz darüber nach, uns in Zü- rich in Siegerpose vor dem Julius-Bär-Gebäude zu fotogra- fieren. Wenn die Zeit nicht so k n a p p gewesen wäre, hätten wir das sicherlich getan. Überdies hatte bei uns der Bärchen- Talk Einzug gehalten. So sprachen wir über unseren Sieg gegen das Bankhaus zum Beispiel nicht von »David gegen Goliath", sondern von »David gegen die Bären«. Danach hat es vielleicht bedeutendere Leaks gegeben, Ent- hüllungen von weltpolitischer Relevanz, glorreiche Minuten in den 2Q-Uhr-.\ach richten. Dennoch haben w i r u n s n i e w i e - der so direkt über einen Triumph freuen können wie über die erlegten Bären. Ein Bankhaus mir unendlichen Ressourcen, das eine Promi-Anwaltskanzlei mit seiner Vertretung betraut h a t t e - u n d die konnten nichts ausrichten gegen uns und un- ser cleveres Konstrukt. Diese Bärenbosse waren es vermut- lich gewohnt, andere mit einem einzigen Brief zum Schwei- gen zu bringen. An uns v e r b r a n n t e n sie sich die Tatzen. Z u m a l : Wenn d o r t , wo es um derart hohe Milliarden-Be- träge ging, nicht die mächtigsten und cleversten Leute über- haupt wirkten, wo sonst? Solche Leute fanden für jeden 38 schmutzigen Deal ein passendes Schlupfloch. Doch in diesem Fall haften unsere Gegner es nicht geschafft, eine Lücke zu finden, durch die sie uns hätten packen können. Und wir wa- ren damals nur zwei Leine mit einer schäbigen kleinen Ma- schine. Mir wurde das erste Mal bewusst, dass wir es mit der ganzen Welt hätten aufnehmen können. Es wäre übertrieben zu sagen, das hätte meinem Ego ent- scheidenden Aufwind gegeben. Ich litt schon damals nicht unter mangelndem Selbstwertgefiihl. Aber wenn m a n eine Horde Bären erlegt hafte, ging man doch ein bisschen breit- schultriger durchs Leben. Von meiner Wohnung aus war es nicht weit bis zu dein links¬ alternativen Hofladen »Flaselnuss«, in den ich jeden Tag zum Einkaufen ging. Der Laden war nur zwei Kreuzungen ent- fernt die Straße hinunter. Meine Berührungspunkte mit der normalen Welt waren schon damals nicht mehr sehr zahl- reich, der Hofladen gehörte zu den wenigen, die geblieben waren. Und nach der Julius-Bar-Geschichte ging ich dort mit dem Gefühl einkaufen: Wenn ihr wüssret, wen wir grnd plattgemacht haben - das fänder ihr auch gut, Es waren immer die gleichen drei Mitarbeiter da. Mit ihnen plauderte ich, während sie mir meinen Becher Schlagsahne oder Schwedenmilch einpackten. Irgendwann fragten sie mich, was ich eigentlich beruflich mache. Ich glaube, von mei- nen bemühten Erklärungen über das Internet und die Korrup- tionsbekämpfung blieb nur hängen, dass ich wohl so einer von diesen IT-Spinnern sein musste, Sie lächelten freundlich und packten mir noch ein Gläschen von der neuen Fair-Trade- Erdnussburter ein, »zum Probieren!« Wir sprachen dann wei- ter über Brotaufstriche, das interessierte sie mehr. Im Hofladen »Haselnuss« lagen auch Zeitungen aus. Und zwar weniger Publikationen, die das Weltgeschehen aus queer-marxistischer Perspektive beleuchteten, als seriöse 39 Bürgerblätter wie die M Z . Min paar waren darunter, in de- nen etwas über den ball Julius Bar gestanden hatte. Manch- mal schielte ich zu den Stapeln und freute mich heimlich, dass die -I laselniiss—Mitarbeiter nicht wussten, dass einer von diesen \VikiLeaks-Leuten der schlaksige Typ mit be- drucktem T-Shirt und schlechter Rasur war, der jeden Tag bei ihnen einen Becher Schlagsahne kaufte, um ihn zum brühstück zu verputzen. Die Sekte und wir Zeit, uns auf den Lorbeeren auszuruhen, blieb nicht, k u r z nach dem Julius-Bär-Leak trafen bei uns die ersten Doku- mente zu Scientology ein. Woher sie kamen, wussten wir selbst nicht. Dennoch war es wohl kein Zufall, dass fast gleichzeitig eine Reihe von A)ionymous-l.vv\xen in unserem Chat auftauchte. Diese internationale G r u p p e von Nerzaktivisten hatte Scientology den Krieg erklärt. Ihren Namen verdankt sie dem Umstand, dass Internetnutzer, die in Foren oder Image- boards keine Angaben zu ihrer eigenen Identität machen wollen, den Benutzernamen »Anonymous« bekommen. Zu erkennen sind sie an den Guy-Fawkes-Masken, die sie aus der Graphic Novel »V wie Vendetta- übernommen haben. Guy Fawkes war ein Putschist, der 1605 das englische Parla- ment in die Luft sprengen wollte. Sein Antlitz dient dem Pro- tagonisten in »V wie Vendetta« als Maske. Auch die Anotty- moits-Leute nutzen diese Maske, wenn sie in YouTube-Videos oder bei Protestaktionen auftauchten. Diese Männermaske mit dem Spitz- und Schnurrbart sowie Dauerlächeln sieht ein bisschen unheimlich aus. Auf ihrer Website erklären Anonymous ihre Maskerade mit der Angst vor Scientology: »Hs konnte so aussehen, als würden wir versuchen, furchrein flößend zu wirken, aber das sind wir nicht. Die Scientology-Organisation verfolgt zuwei- len normale Bürger, die gegen deren Machenschaften protes- tieren. Mir verfolgen meinen wir nachspüren und belästigen. -11 Sic spüren nur deswegen einer Persar) nach, weü diese oieht ihre Weltanschauung teilt. Wir schützen uns nur seihst vor Einschüchterung und Belästigung, wie einige unserer Leute sie schon erdulden mussten. Die Seientology-Organisation ist wahnsinnig wohlhabend, verlügt über ein unglaubliches Juristen-Team und ist berüchtigt für abwegige Rechtsstrei¬ tigkeiten. Daher die Masken.« Video-Beiträge oder Botschaften signieren A/iuiiymous zudem mir ihrem Motto: •Knowledge is free. We are Anony- mous. We are Legion. We do not forgive. We do not forget. Expect us!«-' Seientology w a r ein mächtiger Gegner. Die Sekte hat schon viele mundtotgemacht, die über sie berichten wollten. Vor allem Mitglieder, die mit Seientology gebrochen hatten und nun andere Menschen vor den M e t h o d e n der Sekte w a r n t e n , wurden mit Prozessen überzogen, belästigt und eingeschüchtert. Bei uns konnten Insider Informationen publizieren, ohne Gefahr zu laufen, von Seientology verklagt zu werden. Wir hatten mit dem Julius-ßär-Fall bewiesen, dass man gegen Lins nichts auszurichten vermochte. Zunächst veröffentlichten wir vor allem interne Handbü- cher der Sekte. In der Folge gingen immer mehr Dokumente bei uns ein. Nachdem wir das -System Bank« durchdrungen hatten, tauchten wir nun also ab in das »System Sekte«. Ich hatte mich vorher nie groß mit Seientology beschäftigt und w.i r lasziniert. Als Scientologe arbeitet man sich sozusagen eine Karri- ereleiter empor, von Level zu Level, mit dem Ziel, »clear« zu werden. Jenach Leistung erreicht man dabei einen bestimm- ten "Thetanen-Levcl«. Thetanen sind merkwürdige Geschöpfe. Angeblich litt vor Millionen von Jahren unser aus 76 Planeren bestehendes Universum an einer Überbevölkerung. Einer der intergalak- 42 tischen Kriegsherren namens Xenu reiste mit einem Ret- tungsauftrag durch die Galaxien. Wie ein Gegenpart zum alttestamentarischen N o a h sammelte Xenu den Abschaum der Bevölkerung des Universums zusammen, vor allem Ver- brecher und andere zwielichtige Gestalten. Hier auf Erden ließ er sie dann umbringen. Dazu sperrte er sie zum Beispiel in hawaiianische Vulkane und zündete darüber Wasserstoff- bomben. Alles klar! Seitdem gibt es auf der Erde Thetanen, die Geister der Er- mordeten. Auf der Suche nach einem Körper hängten sie sich an die primitiven Menschen an und nahmen in ihnen GeStall a n . Und w e n n der heutige Mensch nun ein Problem hat, liegt d.is i m m e r noch an dem Thetanen, der tief in seinem Inneren schlummert - besagt die Lehre von Seientology. Seientology bietet dem Menschen folglich hülfe dabei, den inneren Theta- nen abzuschütteln. Gründer L. Kon i-lubbard behauptet von s i c h - d a z u publizierten wir die frühen Audio-Aufnahmen mit seinen Auftritten aus den 50er Jahren -, er sei einige Hundert Millionen Jahre alt und reiseals Beobachter durch das Weltall. Diesen Unsinn kann man vermutlich selbst den dümmsten Neumitgliedern von Seientology nicht unmittelbar zumuten. I).iiier gibt es diese Infoi mat innen erst ab dem Erreichen ei- ner bestimmten Karrierestufe. Davor dürfen die Sektenmit- glieder keinesfalls einen blick in den Teil der Schriften wer- fen, auf den sie noch nicht vorbereitet sind. Z u m Beispiel erfahren Scientologen erst ab Level 3, dass ihre Welt von Au- ßerirdischen bevölkert wird. Die Handbücher sind nicht nur geheim, sie sind vor allein teuer. Um zum Beispiel über die Existenz der Außerirdischen informiert zu werden, hat man in der Regel schon den Ge- genwert eines Einfamilienhauses an Seientology vermacht. M a n kann sich also vorstellen, welchen Wert die E-Books hatten, die wir auf unserer Seite veröffentlichten. Auch des- halb musste Seientology sauer auf uns sein. Wer bei der Bekämpfung seines Thetanen niebr schnell genug vorankommt, mnss »rehabilitiert« werden. Das heißt, wenn er Pech hat, landet er in einem sogenannten Rehabili- tation Force Praject (RFV). Dort geht es zu wie in einer Bes- serungsanstalt. Scientology betreibr auch eine eigene Schiffsflotte, beste- hend aus Kreuzfahrtschiffeu. Diese sekteneigene M a r i n e heilst Seit Organisation, kurz Sea Org. Wer auf diesen Schif- fen schlechte Leistungen aufweist, kann in die entsprechende Seä-Org-RhP-Einheil kommen. Das kann eine Reihe absur- der Strafmaßnahmen nach sich ziehen. In den uns vorliegen- den Dokumenten lässt sich nachlesen, womit der Betroffene zu rechnen hat. Z u m Beispiel muss er zur Strafe einen schwarzen Ganz- k ö r p e r - G u m m i a n z u g tragen und wird vom Rest der Crew isoliert. Die Mahlzeiten darf er erst nach allen anderen ein- nehmen und nur das essen, was seine Kollegen übriggelassen haben. F.r darf sich nicht mehr :n normaler Geschwindigkeit bewegen, sondern muss immerzu laufen. Auf dem Schiff muss er die Jauche-Container leeren oder ähnlich degradie- rende Arbeiten erledigen, die ihm zudem andere Mitglieder aufzwingen können. Nur wenn er solche Strafarbeiten erle- digt hat, darf er sich wieder seinen eigentlichen Aufgaben widmen, seiner geistigen Weiterentwicklung, dem Studium der Schriften. Lisa McPherson war eine junge Frau, die 1995 in der Obhut von Scientology ums Leben gekommen ist. Das löste die erste größere Fmpörungswelle gegen Scientology in den Medien aus. Zuvor war die Sekte eher unbekannt gewesen. Die Todesumstände von McPherson sind bis heute nicht vollständig geklärt. Bekannt ist nur, dass die 36-Jährige nach einem leichten Autounfall mit einem Nervenzusam- menbruch ins Kraukenhaus eingeliefert worden war. Dorr 4-1 war sie von zwei Scientologen abgeholt worden, die behaup- teten, anhand von Dokumenten belegen zu können, für Mc- Phersons Gesundheit verantwortlich zu sein. In einer der Rehabilitations-Abteilungen unterzog man die Frau einem sogenannten Inlmspection Rtmdoit'it. Wir waren die Frs- ten, die dazu konkrete von Scientology festgelegte Verfahren veröffentlichen konnten. Niemand darf während einer solchen Prozedur mit den Betroffenen sprechen. Durch die Isolation sollen sie lernen, sich aus ihrer Situation selbst zu befreien. Für jemanden, der an einer psychischen Krise leider, ist eine solche Isolation fatal. Lisa McPherson hatte eine psychische Krise. Das Ge- richrsgutachten srellre später fest, dass sie viel zu wenig zu trinken bekommen hatte. Schwerer Wasserverlust und Bett- ruhe führten schließlich zu einer Thrombose, die nicht be- merkt oder nicht angemessen behandelt wurde, sie starb an einer Lungenembolie. Ihr Ritndowii endete also tödlich. Die Leiche, die sich in einem sehr schlechten Z u s t a n d befand, übergaben die Scientologen am .S.Dezember 1995 an ein Krankenhaus in Florida. Gegen Scientology-Verantwortliche w u r d e in der Folge wegen unterlassener Hilfeleistung und Ausübung des Arzt- berufes ohne Genehmigung ermittelt. Das Strafverfahren wurde im Sommer 2 0 0 0 aus Mangel an Beweisen eingestellt. In einem weiteren Verfahren einigten sich die Angehörigen im J a h r 2 0 0 4 mit Scientology auf einen Vergleich, dessen genauer Betrag nicht öffentlich kommuniziert wurde. Was unsere Veröffentlichungen unter anderem so wertvoll machte, war nicht nur, dass sie die genaueren Abläufe etwa zu Rimdoti'ns enthielten. Zusätzlich versammelten wir auch zahlreiche interne Video- und Audioaufnahmen. Wir pub- lizierten überdies umfassende Listen mit Firmen und Ge- sellschaften, die Verbindungen zum Scientology-Netzwerk 45 harten. Darunter auch Firmen, die als Dienstleister Einstel- lungstests für Unternehmen ü b e r n a h m e n , oder soziale Ein- richtungen, etwa eine Dienststelle der amerikanischen Dro- genhilfe. Die Leute von Ationyniuns halfen uns dabei, das Material für unsere Seite zu sortieren, und lieferten viele nützliche Informationen. Mit einigen von ihnen telefonierte ich damals spät in der Nacht. Ich musste sie immer aus irgendwelchen Call Shops bei mir um die Ecke auf ihren amerikanischen oder briti- schen N u m m e r n anrufen. Da stand ich dann an die Kabi¬ nenwand aus Pressspanholz gelehnt, umgeben von dem be- ruhigenden Gebrabbel arabischer, indischer oder afrikanischer Exil-Wiesbadener, um mir Gruselgeschichten aus dem Leben eines Ex-Scientologen anzuhören. Das ging manchmal bis in den frühen Morgen. Um wach zu bleiben, brachte ich mir eine Club Mate mit, die ich neben mir auf dem Telefonapparar abstellte, und ver- suchte, den unbekannten Menschen auf deranderen Seite der Telefonlcitungzu beruhigen. Der eine hatte nach seinem Aus- tritt bei dcrSea Orggroße Angst. Der nächste wollte wissen, wie er uns Video-Material z u k o m m e n lassen konnte. Und wieder ein anderer wollte einfach nur reden. Obwohl - das wollten eigentlich alle. Vor allem die Ex-Scientologen, deren Austritt noch nicht lange zurücklag, waren mit den Nerven völlig am Ende. Und dankbar für den jungen Deutschen, der i h ne n ge d u 1 d i g z u h ö r te. Die Angestellten im Call Shop waren wohl gewohnt, dass finstere Gestalten bei ihnen a n o n y m telefonieren wollten. Ich sprengte den Rahmen des Üblichen. Bei mir liegen noch heute bestimmt an die hundert SIM-Karten, ich bewahre sie in Filmdosen auf. Praktisch für meine Zwecke waren vor- registrierte SIM-Karten, die im Westend überall unter dem Ladentisch gehandelt wurden. M a n c h m a l kaufte ich auch 46 eine ganze Nummernfolge, suchte mir im Netz eine Grnßfa- inilie, die mal wieder eine ihrer Geburrsragspartys in einem Blog abfeierte, und benutzte deren Namen und Adresse, um dasganzc Nummernbiindel zu registrieren. Ich warein Profi in Sicherheitsfragen. Wer mit mir telefonierte, wurde garan- tiert von niemandem abgehört. Auch die Übermittlung der Dokumente war sicher. Wir sorgten da für, dass uns die brisanten Dokumente über so viele Umwege, Verschlüsselungen, Anonymisierungsvertahren und mit so viel Grundrauselun wie möglich erreichten, dass ihr Weg für niemanden mehr zu rück zu verfolgen war. Wir selbst konnten unsere Quellen übrigens genauso wenig kon- taktieren, wäre eine Rückfrage auch noch so dringend ge- wesen. Die Absender hinterlieisen keine Spuren im Netz, nicht den kleinsten Fingerabdruck, nicht einen Datenschnipsel. Sie hatten auch keine Gerichtsverfahren zu befül-chren. Im Gegenteil, wir hofften regelrecht, dass Seientology uns ver- klagen würde. Die Klage wäre für die Sekte sicher erfolglos gewesen, härte aber mehr Öffentlichkeit für die spektakulä- ren Dokumente gebracht. So wie bei Julius Bär. Fast monat- lich gab es in jeder größeren Stadt eine Protestaktion gegen Seientology. Anonymous hielten dabei einmal Transparente hoch, auf denen stand: -Sue Wl., von faggotv - Verklagt Wl., ihr Schwuchteln. Die Sektenvertreter sollten sich indes als klüger erweisen als unsere Gegner von der Haid;, Oder sie hatten den Vorteil, dass sie später kamen: An Julius Bär hatte alle Welt gesehen, dass man mit einer Klage gegen uns nur vertieren konnte. Persönlich faszinierte mich der Kult um den Scientology- Gri'mder L. Ron Hubbard. Alte Aufnahmen zeigten den ehe- maligen Science-Ficrion-Autor als Redner an Universitäten. Dort erklärte er den Z u h ö r e r n , er sei Millionen Jahre alt und er reise von Planet zu Planet durchs Universum, um überall 47 nach dem Rechren zu schauen. Am Anfang lachten die Leute. Gegen Hude der Aufnahme konnte man jedoch den Eindruck gewinnen, als hätte sich zwischen dem Publikum und H u b - bard ein geradezu freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Hubbard hatte ein besonderes Talent. Er war ein einnehmen- der Erzähler, er konnte über sich selbst lachen und tischte den Leuten dabei in vollem Ernst die aberwitzigsten Storys auf. Julian und ich haben zu dem Zeitpunkt vieleScherze darüber gemacht, wie sinnvoll es auch für uns gewesen w ä r e , eine Religion ins Leben zu rufen. Das hätte viele unserer Probleme gelöst. Wenn zum Beispiel zu wenig Leute die D o k u m e n t e lasen, die wir für wichtig hielten, hätten wir ein Team von Zeugen Jehovas losgeschickt. Sie hätten an den Türen geklin- gelt und aus unseren Leaks vorgelesen: »Hier, kennen Sie diesen Absatz, es gehr um Ihre lokale Wasserversorgung - Korruption in Millionenhöhe!« Bei dem Scientology-Leak hatten uns die Jungs von Alto- nymous geholfen. Sie bereiteten das Wiki so auf, dass die Leser mit der Flut von Dokumenten zurechtkamen. Das wa- ren alles freiwillige Helfer. Vergleichbares hätten wir für andere Materialsammlun- gen gut gebrauchen können. Es war schwierig. Außenste- hende zur Mitarbeit zu motivieren, und uns war klar, dass wir auf Dauer nicht alles allein stemmen könnten. Es schlu- gen auch immer wieder neue Leute im C h a t auf und boten Hilfe an. Aber wie sollten wir wissen, ob es sich dabei um Personen handelte, die für die gleichen Ideen standen wie wir? Lind dass sie relevante Sicherheitsfragen nicht ausplau- derten? mussten bei manchen sogar Häuser oder Versicherungen herhalten. Wer seinen Beitrag auf andere Weise leisten w o l l t e , konnte für Scientology Jobs übernehmen und bekam dafür lediglich ein regelmäßiges Taschengeld und nur we- nige Urlaubstage. Inzwischen frage ich mich, ob sich WikiLeaks in meinen letzten Monaten nicht auch zu einem religiösen Kult entwi- ckelt hatte. Zumindest zu einem System, in dem Kritik von innen kaum mehr möglich war. Was schietging, musste ex- terne Gründe haben, der G u r u war unantastbar und durfte m e i n in ir.ige gestellt werden. 1 höhte < icfahr von außen, srärkte das den i n n e r e n Zusammenhalt. Wer zu viel Kritik anbrachte, wurde abgestraft, mit Kommunikationsentzug oder mit dem Verweis auf mögliche Konsequenzen bedroht. Und jeder Mitstreiter sollte nur so viel wissen, wie es für seine aktuellen Aufgaben nötig war. So viel lässt sich zumindest sagen: Julian hatte das Phäno- men Kult, mit dem er sich bei der Lektüre der Scicntology- Dokumente auseinandersetzen musste, sehr genau begriffen. Ein religiöser Kult hätte vieles vereinfacht. Die Mirarbei- ter bei Scientology waren in der Regel hochmotiviert, und das trotz haarsträubender Arbeits- und Lebensbedingungen. Vielen nahm Scientology alles, und wenn das Geld alle war, 48 49 Erste Erfahrungen mit den Medien Kult und Geheimhaltung, juristische Tricksereien und M a r - k e t i n g - wir lernten einiges ausgerechnet von denen, die wir bekämpften. Später wollte Julian bei unseren eigenen Finan- zen auf ähnliche Verschleierungstaktiken zurückgreifen wie das Zürcher Bankhaus. Wir Uelsen uns bezüglich der eigenen Strukturen genauso wenig in die Karten gucken und machten ein gewaltiges Mysterium um unser Team - wie Seientology. In der Schweiz, dem Land, das wir für miese Bankgesetze und feige Politik an den Pranger gestellt hatten, würde Julian Ende 2010 um Asyl ersuchen, auf der Flucht vor den schwe- dischen Strafverfolgern. Auch die Sprache der Militärs hielt in Julians Reden Einzug. Er fragte mich nicht mehr, wo unser Techniker steckte, sondern ob er »AWOL« wäre, »away with- out leave«, desertiert sozusagen. Als es darum ging, die Na- men von Informanten des US-Militärs aus den Dokumenten zum Afghanistankrieg zu entfernen, nannten wir das Harm Mittimization, Schadensminimierung. Der nächste Bereich, in dem wir zu Experten w u r d e n , w a r die Presselandschaft. Von den Medien lernten wir, wie die öffentliche Meinung manipuliert werden konnte. Wir hatten zu diesem Z e i t p u n k t bereits erste Erfahrungen mit Zeitung und Rundfunk gemacht, nicht nur gute. Eine wichtige Erkenntnis war zum Beispiel, dass es im Krisenfall besser war abzulenken, als Energie darauf zu verwenden, die eigenen Schwächen oder Fehler zu dementieren und argu- 5C mentativ aus der Welt zu räumen. Viel zu aufwendig! Zuerst gab ich bei jedem kleinen Patzer noch leutselig Auskunft, Doch die öffentliche M e i n u n g vergaß schnell. Es war viel besser, ein Problem einfach aufzusitzen. Was zählte, war die nächste Geschichte. Wenn es etwas Neues gab, worüber ge- schrieben werden musste, fragte niemand mehr nach alten Patzern. So warf ein Journalist der taz die Frage auf, ob unsere Ser- ver- und Gesetzeskonstruktion in Schweden einer ernsthaf- ten Belastungsprobe tatsächlich standhielte, Immerhin be- ruhte darauf das Schutzversprechen, das wir unseren Quellen gaben. Tatsächlich gab es eine formale Lücke, die nicht ganz unproblematisch war. Z u m i n d e s t lieferte nicht nur dieser Journalist ernstzunehmende Hinweise, dass unser Konstrukt alles andere als unangreifbar sei. Als ich Julian auf die Problematik ansprach, wehrte er barsch ab. »Der Autor ist schlecht informiert«, schimpfte er. Wenig später schickte er einen Tweet raus: »The article cur- rently being spun abour WikiLeaks source protection legali¬ ties is false.« Damit war der Fall erst einmal erledigt. Die Strategie ging auf: M a n musste die Hintergründe nur so kompliziert und verwirrend wie möglich darstellen, um unangreifbar zu wirken. Technische Hintergründe versuchte ich Journalisten so kompliziert wie möglich zu erklären. Die wollten oft nicht zugeben, zu wenig A h n u n g zu haben, und gaben e r m a t t e t auf. Es w a r das Prinzip Terrorismus oder auch Bürokratie: Der Gegner konnte einen nicht angreifen, wenn er keinen Punkt mehr zu fassen bekam, andern er einen packen konnte. So ähnlich funktioniert auch modernes Kun- denmanagement: Wer sich beschweren will, aber keinen An- sprechpartner mehr findet, der für das Problem zuständig ist, muss seinen Ärger herunterschlucken. Für uns hieß das: Vielleicht ging es gar nicht so sehr da- rum, wie etwas wirklich war, sondern nur d a r u m , wie wir es 4 51 : verkauften. L in Problem anzupacken oder gar öffentlich dazu Stellung zu nehmen, härte das Problem erst als solches in den Stand der Wirklichkeit erhoben. Ini Nachhinein istes geradezu erstaunlich, wie lange Julian Probleme zu beseiti- gen vermochte, indem er sie abtat. Wir lernten mir der Zeit auch, mit welchen Journalisten wir zusammenarbeiten mussten, um einer Nachricht die größt- mögliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Im Zweifel zogen wir Zeirungen oder Sendungen, die uns einen größeren und bunteren Leserkreis garantierten, Medien vor, die zwar bes- ser informiert waren und die klügeren Fragen stellten, aber von Leuten gelesen wurden, die wir ohnehin nicht mehr zu überzeugen brauchten. Die Zusammenarbeit mit großen Publikumsmedien war allerdings auch nicht immer unproblematisch. Ende 2 0 0 9 veröffentlichten wir über 10 0 0 0 Seiten aus den geheimen Toll-Collect-Verträgen. In diesen Verträgen zwischen der Bundesregierung und Daimler, Deutscher Telekom und der französischen Autobahngesellsehaft Cofiroute hatte die Bundesregierung dem Betreiberkonsortium des LKW-Maut- systems eine Rendite von vollkommen illusorischen 19 Pro- zent versprochen. Es ging hier um über eine Milliarde Euro. Diese Summe war kaum zu erreichen, am Ende w ü r d e der Steuerzahler dafür aufkommen müssen. Die Beteiligten hat- ten sich anschließend verständigt, den Inhalt des Abkom- mens nicht nach außen zu kommunizieren. Wir entschieden uns d a m a l s , das Material zunächst an zwei Journalisten zu geben, d a m i t sie es exklusiv auswerten konnten. Wir hatten vorher die Erfahrung gemacht, dass allzu komplizierte Sachverhalte - und das Vertragsmaterial w a r enorm kompliziert - durch die Medien mundgerecht aufgearbeitet werden mussten. Sie konnten noch so viel Sprengstoff enthalten - wenn niemand die Dokumente in der Öffentlichkeit bekannt machte, blieben sie unbeachtet auf 52 unserer Website liegen. Wir suchten uns zwei Partner: zum einen den IT-Journalisten Detlef Borchers, der unter ande- rem für den auf Computerthemen spezialisierten Heise-Ver- lag schon häufig über das T h e m a geschrieben h a t t e , und zum anderen Flans-Martin Tillack, einen mehrfach preisge- krönten und versierten Reporter vom Stern, Vom Stern versprachen wir uns viel Aufmerksamkeit. Das Magazin hatte damals sieben Millionen Leser, das Heft wurde über den Lesezirkel verbreitet und erreichte durch das Auslie- gen bei Friseuren und in Arztpraxen ein breites Publikum. Ich traf Tillack in seinem Büro in Berlin am Hackeschen Markt. Von der 5. oder 6. Frage, in der sich sein Büro befand, hatte man einen guten Ausblick über diese quirlige Mitte Ber- lins. Tillack saß vor seiner Bücherwand, die Hände vor dem Körper verschränkt, ein ungeduldiger Mensch, ganz absor- biert von seiner Rolle, die lautete: erfahrener Starjournalist. Viele meiner Sätze kommentierte der 49-Jährige mit einem »Ja, ja«, noch bevor ich sie beendet hatte. Ich zog die Kopie des Toll-Collect-Vertragcs aus der Ta- sche. Obwohl er mich wie einen Schuljungen behandelte, las ich großes Interesse in seinen Augen. Tillack versprach, WL im Artikel prominent zu nennen. »Und ich bin mir sicher, dass wir für die gebührende Würdi- gung von WL eine Lösung finden, die Sie zufriedenstellen wird!«, schrieb er mir nach dem Treffen auch noch einmal per Mail. M i r w a r wichtig, dass er erklärte, wie die Plattform funk- tionierte und was es mir diesem Projekt auf sich hatte. Schon als ich ihn zwischendurch einmal anrief, um zu fra- gen, ob er noch Informationen von mir brauchte, reagierte er gereizt und abweisend. Was er am Ende aus der Story gemacht hat, w a r für uns sehr enttäuschend. Der Artikel suggerierte, dass die Ge- 53 schichte primär auf seinen eigenen Quellen basierte. Hinter- grundinforin.itionen zu WikiLeaks fehlten, und ich brauchte Kleinlich lange, um die prominente Stelle zu finden, die M uns versprochen hatte: »Die Vertragsunterlagen waren jetzt Betreihern der auf Geheimdokumente spezialisierten Web- site WikiLeaks übermittelt worden, die sie in diesen Tagen vollständig online stellen will.« Ich versuchte mich zu beruhigen. Was regte ich mich über Tillack so auf? Wir würden einfach nie wieder mit ihm zu- sammenarbeiten. Schon die M a i l , die er mir auf meine erste Rückfrage geschickt hatte, sagte eigentlich alles: • Es w a r das M a x i m u m , das ich herausholen k o n n t e . Meine Chefs fragten mich, w a r u m wir überhaupt WikiLeaks e r w ä h n e n . Und weil diese Dokumente eine andere Dimen- sion haben als ein deutscher Pharma konzern", werden Sie in diesem ball nicht in der Wiwo e r w ä h n t , sondern im Stern mit einer verkauften Auflage von einer Million und sieben Mil- lionen Lesern! beste Grüße, H a n s - M a r t i n Tillnck." Wir haben dennoch viele gute Erfahrungen mit Medien ge- macht. Die Wirtscbaftswoehe etwa hielt sich stets an alle Abmachungen, auch Zeit Online im Fall des Feldjägerbe- richts zur Bombardierung von zwei entführten Tanklastern im afghanischen Kundus. Dieser Bericht über die möglichen Verfehlungen und Ver- tuscht! ngsversuche von Bundeswehr-Oberst Georg Klein lag bereits einer I landvoll gut unterrichteter Medien vor. Doch anstatt die Informationen der Öffentlichkeit vollständig zu- gänglich zu machen, zitierten Bild, Spiegel und Süddeutsche Zeitung über eine Woche lang immer nur genüsslich und in kleinen Häppchen daraus. Zeit Online hingegen verwies auf das vollständige Dokument, d.is wir parallel bei Wikil eaks freigeschaltet hatten, damit sich die Leser selbst ein Bild ma- chen konnten. So sollte es in Z u k u n f t noch häufiger ablaufen: Wir mach- ten Quellen vollständig zugänglich, die von den Medien nur auszugsweise zitiert worden w a r e n , e t w a , weil ihnen die Plattform dazu fehlte, es selbst zu publizieren, weil sie juris- tische Konsequenzen fürchteten, oder noch häufiger, weil einzelne Journalisten ihr exklusives Material nicht mit den Kollegen teilen mochten. Wir mussten auch lernen, welche Themen in den Medien gut ankamen und welche weniger Aufmerksamkeit erregten. Auf die zwei Seiten Toll Collect folgte im Stern damals ein ausufernder Bericht über alternative Religionen, der vor al- lem durch seine Bebildernng entzückte: nackte Frauen, die Zigarre rauchten. Das mussten wir hinnehmen. Es waren nicht unbedingt die inhaltsreichen Leaks, die Aufmerksamkeit erregten, son- dern die, über die man am meisten und am einfachsten reden konnte. So interessierte sich die Öffentlichkeit immens für den gehackten E-Mail-Account von Sarah Palm. Die Brisanz dieses Leaks w ar nicht sonderlich groß, man konnte ledig- lich kritisieren, dass Palin einen privaten Account genutzt hatte, um berufliche Mails zu verschicken. In dem Account fanden sich private Fotos ihrer Kinder. Das wurde dann in den Medien lang und breit diskutiert. In diesem Punkt fand ich den Leak wirklich schwach, in seiner Relevanz sogar fragwürdig. Es entsprach allerdings zum einen unserem Vorgehen, alle Dokumente, die bei uns eingingen, ttnzensiertzu veröffentlichen. Z u m anderen hatte das auch Strategie: Wir versuchten, mit jedem Leak die r ( i r e n z e d e s Machbaren ein bisschen weitet aul n e u e s lerr.iin * Der Firmenname wurde aus rcditlichen Gründen gestrichen. 54 auszuweiten. So konnten wir beim nächsten Leak gleich noch einmal nachlegen. 55 Was ist öffentlich, was ist privat? Um diese Fragen wollten wir eine Kontroverse entfachen. Und es w a r allemal besser, die Debatte anband des Mailkontos von Sarah Patin zu füh- ren als anhand der I )aren privater Konsumenten. Außerdem waren wir davon überzeugt, das Projekt zu stärken, indem wir immer wieder die Grenze des Akzeptablen verschoben und dabei feststellten, dass w i r d a m i t d u r c h k a m e n . Wir wurden immer dreister. Niemand konnte uns hindern. D a s Interesse an den im N o v e m b e r 2 0 0 9 veröffentlichten Akten zu Vorgängen bei einem deutschen P h a r m a k o n z e r n war dagegen erstaunlich gering. Die Ermittlungsakten waren einer meiner l.ieblings-l.eaks 200*J. Sie lesen sich wie ein Pa- radefall der Bestechung und sind auch ohne lange Einarbei- tung für jedermann verständlich. Pharma Vertreter hatten Ärzte dafür bezahlt, dass sie ver- mehrt Medikamente dieses Elerstellers verschrieben. Wir veröffentlichten die 96-seirige Ermittlungsakte der zuständi- gen Landespolizeidirektion und Staatsanwaltschaft, Die Akten legten die Arbeitsweise einiger Pharmavertreter dar: Stellten die Arzte ihre Patienten auf ein Produkt dieses Her- stellers um, wurden sie am M e h r u m s a t z beteiligt. Es gab auch direkte Zahlungen. In internen Mails einer Regional¬ leiterin heißt es: »Wenn ein Arzt Geld möchte, ruft mich a n , wir finden einen Weg.« Eine andere M e t h o d e , den Arzt zu mehr Verordnungen dieses Herstellers zu bringen, waren Gutscheine für hochpreisige Fortbildungen. Die Verfahren w u r d e n s p ä t e r eingesrellt, weil beim Pharmaunternehmen kein Schaden entstanden ist und die niedergelassenen Ärzte im Sinne des Gesetzes nicht besto- chen worden waren - die formale Erklärung in diesem Fall lautete: Ärzte sind nicht bestechlich, weil sie weder Amtsträ- ger noch Angestellte sind. 56 Ich erinnere mich noch an eine interessante Begegnung im Anschluss an eine Sendung von Katrin Bauerfeind. Bauer- feind hatte ihre Karriere mit der Internetsendung Ehrensenf begonnen und moderiert heute eine eigene Sendung auf jlsat. Im Anschluss an unsere Aufnahmen sagte mir ihre Redak- teurin, dass sie es seltsam fände, wie optimistisch ich sei, und dass ich den Menschen so viel zutraute. Ich habe tatsächlich ein eher positives Menschenbild. Ich sagte ihr, dass die Menschen von sich aus ein Interesse an Informationen harten, aber von den Medien, der Politik und ihren Vorgesetzten dumm gehalten würden. Wenn man den Menschen erst einmal ausreichend Informationen über ent- sprechende Hintergründe an die bland gäbe, wären sie auch in der Lage, sich richtig zu verhalten und gute Entscheidun- gen zu treffen. Ihre Erfahrung sei eine ganz andere, sagte die Redakreu- rin. Sie glaube, dass die Menschen sich nicht für komplexe Z u s a m m e n h ä n g e interessierten. Als ich mir das Programm anguckte, stellte sich mir die Frage nach Ursache und Wir- k u n g : Ihre Sendung d a u e r t e insgesamt dreißig M i n u t e n . WikiLeaks bekam zehn Minuten Sendezeit, und die anderen beiden Beiträge waren so etwas wie: »Die M a u e r fiel - und ganz Berlin tanzt Techno« und »Miss Platnum - die echte Lady Gaga«. Ich will damit nicht sagen, dass man 30 Minu- ten über WL berichten müsste, um die Welt besser zu machen. Ich habe mich d a n a c h nur gefragt, was zuerst da war, d a s schlechte Programm oder das schlechte Publikum. Vielleicht musste man das Publikum auch einfach wieder in die Lage versetzen, ein besseres Programm einzufordern. Andere Publikationen zogen mittelfristig wenig öffentli- ches Interesse, dafür jedoch langfristige Analysen oder wis- senschaftliche Publikationen in Fachmagazinen nach sich. Etwa die VeröffentlichungallerTexrnachrichten, die um den 11. September 2001 herum von H a n d y s und Pagern ver- 57 schickt worden waren - also kurz vor, während und nach den Ansehlägen au! das World Trade Center. Forscher untersuch- ten die Textmassc auf die Verwendung von Schlüsselbegrif- fen wie Trauer, Angst oder Wut. Das Ergebnis: Begriffe, die Aggressionen ausdrückten, nahmen in den Tagen nach den Anschlägen immer stärker zu. Trauer oder Angst stagnierten. Das war ein Beleg für die These, Gewalt führe zu immer neuer Gewalt. Anthropologen wiederum interessierten sich für unsere Veröffentlichung zum Human Terrain System. Darin ist be- schrieben, wie manche ihrer Kollegen dem amerikanischen Militär im Kriegseinsatz helfen, die einheimische Bevölke- rung zu verstehen und ihre Propaganda auf Land und Kultur maßzuschneidern. Die CRS-Repttrts, die Cangressional Research Service Reports sorgten vorwiegend bei Akademikern für Begeiste- rung. Der amerikanische Kongress verfügt über einen eige- nen wissenschaftlichen Informationsdienst. Jeder Abgeord- nete k a n n diesen Service beauftragen und Informationen anfordern. Die Berichte werden mit hohem Aufwand und in ausgezeichneter Qualität zu den unterschiedlichsten Themen erstellt, ob nun über die Baumwollindustrie in Mexiko oder zu Massenvernichtungswaffen in China. Auf diese von Steuergeldern finanzierten Dossiers würden viele Wissenschaftler ebenfalls gerne zugreifen. Allerdings muss sich ein Abgeordneter finden, der einen Report publi- zieren möchte - und oft findet sich keiner. Dafür kann es mehrere Gründe geben: Z u m einen ließe sich im Nachhinein rekonstruieren, ab w a n n ein A b g e o r d n e t e r um eine be- stimmte Problematik wusste oder wofür er sich überhaupt interessierte. Fs kann auch passieren, dass die Ergebnisse den Auftraggebern nicht so recht ins Konzept passen - einen solchen Leak hatten wir in Deutschland etwa im Z u s a m - menhang mit einer Studie über private Krankenkassen. Die 58 mit der Untersuchung beauftragten Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, private Kassen brachten k e i n e s w e g s d e n propagierten gesellschaftlichen Nutzen. Der verantwort- liche Wirrschaftsminister Rainer Brüderle von der FDP ließ das Papier im Giftschrank verschwinden, bevor wir es er- hielten. Genauso k a n n ein veröffentlichter CR.S-Report Gesetze der Abgeordneten als Fehlentscheidung, Argumente als falsch und Verwaltungen als schlecht organisiert ausweisen. Auf der Wunschliste des Center for Dcniocracyand Technology, einer amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die sich für ein freies Internet einsetzt, standen diese Reports jedenfalls lange Zeit auf Platz eins. Und wir stellten gleich Tausende von ihnen auf unsere Seite. In Steuergeldern entsprach das vermutlich einem Gegenwert von über einer Milliarde Dol- lar. Die Nachfrage war groß. Wir prüften nach einer Weile, wo die Reports gelandet waren. Und fanden sie unter anderem auf Regierungsservem wieder. Das war schon ein ironischer Erfolg. Von der lang- sam wachsenden Opt'H-D^M-Bewegung gab es viel Zu- spruch. Der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain, der d a m a l s im Wahlkampf gegen O b a m a antrat, hatte übrigens schon lange gefordert, diese Reports allge- mein zugänglich zu machen. McCain war damals noch viel mehr als Barack O b a m a ein Befürworter offener Regierungs- daten, auch wenn O b a m a in der Folge mit seinen Initiativen zum Upen Government von sich reden machen sollte. Wir hätten überdies gerne verhindert, dass Journalisten un- ser Material benutzten, ohne auf WL zu verweisen. Wirdach- ten eine Zeitlang an Wasserzeichen, das war jedoch zu kom- pliziert umzusetzen. Es kam damals ziemlich oft vor, dass in zeitlicher N ä h e zu passenden Veröffentlichungen von uns plötzlich Geschichten in den Medien auftauchten, ohne dass 59 WI. dabei als Quelle genannt w u r d e . Und wenn ich nach- fragte, hatte man das D o k u m e n t immer »von anderen be- kommen« oder »schon länger in der Hinterhand«. Alles klar. Harren wir unsere Dokumente mit Wasserzeichen versehen, wären die Journalisten leicht zu überführen gewesen. Z u - mindest wenn wir sie nach dem Originaldokument gefragt hätten, wäre d a n n herausgekommen, dass sie sich doch auf unsere Quelle bezogen. Sicher hätte man uns umgekehrt vorwerfen können, da- mit eine Art Schutz des geistigen Eigentums einzufordern, den wir in anderen Bereichen kririsierten. Ich trage gerne T-Shirts mit »Pirate Bay«-Aufdruck und hin Befürworter eines fortschrittlichen Urheberrechts. Aber hinter unseren Überlegungen stand weit mehr als reines Copyright-Denken. E.s ging auch d a r u m , die Dokumente im Zweifelslall mit den nötigen Zusatzinformationen versehen zu können. Und zu verhindern, dass die Medien direkt auf Dokumente verlink- ten, die unkommentiert geeignet waren, in der Öffentlich- keit ein falsches Bild zu erzeugen. Aus diesem Grund schrie- ben wir ja die Zusammenfassungen und gaben gegebenenfalls Hinweise zur Güte des Materials. Ein gutes Beispiel, was mit direkt verlinkten Dokumenten passieren konnte, war etwa der Leak eines Memorandum of Understandittg, Das war ein A b k o m m e n , das der keniani- sche Politiker Raila O d i n g a mit dem dortigen National Muslim l.eadcrs forum geschlossen hatte. Darin war unter anderem zu lesen, dass Odinga Zugeständnisse an die mus- limische Minderheil m.u lue. Er versprach darin untei ande rem, die Interessen der muslimischen Kenianer zu verfolgen, die in G u a n t a n a m o inhaftiert waren. Barack O b a m a ist ein Unterstützer Odlingas. Es w a r bekannt, dass er von dem Memorandum gewusst hat. Zu diesem Memorandum of Uuderstandiitg gab es zwei Dokumente, ein echtes und ein gefälschtes. Durch das ge- 60 fälschte Dokument wurde praktisch suggeriert, Obama be- fürworte die Einführung der Scharia in Kenia - was natur- lich absurd war. Es war interessant zu sehen, welche Medien bei uns auf welches Dokument verlinkten: Das eine war ge- eignet, O b a m a als verkappten afrikanischen Moslem darzu- stellen und ihn damit als Präsidentschaftskandidaten zu dis- kreditieren. Diese Fassung tauchte unter anderem heim Xete Yorker, in der New York Sun und in weiteren Presseerzeug¬ nissen, vor allem der Konservativen, auf. In dem anderen Dokument war das Memorandum deutlich weniger brisant und keine Rede davon, die Scharia einzuführen. Hätte es die Dokumente nur im Komplertpaket mit Wasserzeichen und Erläuterung gegeben, hätten wir verhindern können, dass Medien unsere Dokumente zweckentfremdeten, um die öf- fentliche Meinung zu manipulieren. Ende Dezember 2 0 0 8 waren Julian und ich erneut beim Chaos Communication Cotigress zu Gast. Unser Vortrag stand im Gegensatz zum letzten Jahr in der offiziellen l'ro- g r a m m a n k ü n d i g u n g , und er war sehr gut besucht. Wir wa- ren von unserem kleinen Kellerraum aufgestiegen. Diesmal saßen Julian und ich zusammen auf der Bühne des Haupt¬ saals. Anstatt der zwanzig, die uns vor einem Jahr zugehört hatten, kamen diesmal fast neun hundert Zuhörer. Mehrmals ertönte aus den Saal-Lautsprechern eine knacksige Stimme, die verzweifelt d a r u m bat, die Fluchtwege doch bitte freizu- halten. Ein ziemlich vergebliches Lintertangen. Die Leute stapelten sich auf den Treppen und in den Gän- gen vor dem Konferenzraum. Wir sorgten für einige Lacher, als wir aus einer wenige läge alten Beschwerde-Mail des Bundesnachrichtendienstes vorlasen - Ernst Uhrl.ui, der da- malige BND-Chef, hatte sich persönlich bei uns gemeldet. Und zwar mit einer auf Deutsch verfassten Mail: 61 »An: wikileaks@jabber.se .»To: Sunshine Press Legal Office Datum: 12/16/2008 01:15PM Date: Thu, 19 Dec 2008 17:59:21 Thema: VS-eingestufter Bericht des Bundesnachrich- Subject: Antwort: Re: WG: Classified report of the tendienstes Bundesnachrichtendienst Sehr geehrte Damen und Herren, Dear Hr. Lim, auf Ihrer Homepage ermoeglichen Sie den Download As of up today you still provide the option of eines VS-eingestuften Berichts des Bundesnachrich- downloading a classified report of the BND under tendienstes. Ich fordere Sie hiermit auf, diese the following address: Moeglichkeit unverzueglich zu sperren. Ich habe http: //www.wikileaks.com/wiki/BND_Kosovo_intelli- bereits die Pruefung strafrechtlicher Konsequenzen gence-report,_22_Feb_2005. veranlasst. We kindly ask you again to remove the file Hit freundlichen Gruessen immediately and all other files or reports related Ernst Uhrlau to the BND as well. Otherwise we will press for Praesident des Bundesnachrichtendienstes« immediate criminal prosecution. Yours sincerely, Ernst Uhrlau »From: Sunshine Press Legal Office To: leitungsstab8bnd.bund.de Für uns war eine solche Rückmeldung immer die hesie Mög- Cc: wl-office@sunshinepress.org, wl-press@ lichkeit, die Echtheit eines Dokuments zu beweisen. Ging bei sunshinepress.org, wl-germany@sunshinepress.org u n s die D r o h u n g ein, m a n m ö g e d o c h ein D o k u m e n t Date: Thu, 18 Dec 2008 09:35:54 schnellstmöglich von den Seiten entfernen, fragten wir - Subject: Re: WG: Classified report of the selbstverständlich immer freundlich um Klärung b e m ü h t - , Bundesnachrichtendienst ob der Kläger uns belegen könne, dass er überhaupt das Copy- right an besagtem Papier besäße. Den Schriftverkehr veröf- Dear Mr. Uhrlau, fentlichten wir d a n n ebenfalls, insgeheim d a n k b a r , dass uns We have several BND-related reports. Could you be di( Cn genseite si i willig dit \ i heil abnahm. more precise? Thank you. Jay Lim.« 5 In dem Leak ging es um die Verwicklungen des UN l) in die Kriminalirätsbekämpfung im Kosovo. Jemand harre uns zu- dem ein internes Papier der Deutschen Telekom zugespielt, das zwei Dutzend geheime IP-Adressbereiche enthielt, die der UND zum Surfen im Netz benutzte. Wir erlaubten uns 62 63 damit eine kleine Spielerei: Mit dem Wiki-Scanner ließ sich nachverfolgen, auf welchen Seiren der Online-Enzyklopädie Wikipedia von einem dieser IP-Adressbereiche Änderungen an hinträgen vorgenommen worden waren. Unter anderem hatte man sich an Einträgen zu Militärflugzeugen und Kern- waffen zu schaffen gemacht, aber auch an dem Eintrag zum UND selbst. Noch viel lustiger waren die Korrekturen zum Stichwort Goethe-Institut. In dem Artikel fand sich früher ein Satz, dass viele dieser Institute weltweit inoffiziell auch als An- laufstellen des BND genutzt wurden. Dies hatte man in den exakt gegenteiligen Satz umgewandelt: »Auslandsniederlas- sungen des Goethe-Instituts dienen jedoch nicht als inoffizi- elle Residenturen des BND.- Inzwischen ist der Hinweis ganz von der Seite versehwunden. Außerdem gab es über die IP-Adressen Kontakt mit einem Berliner Escort-Service. Weil man immer noch mit den Me- thoden der Venusfalle arbeitete - wie zu Hochzeiten des Kal- ten Krieges? O d e r weil man sich dort selbst mit Frauen ver- sorgte? Z w a r kam es im Laufe des Vortrags beim CCC zu ein paar Pannen - sobaldJulian das Mikrofon in die Hand nahm, zog er mehrfach die Videoverbindung aus dem Computer, sodass das Bild ausfiel. Dafür bedachte das Publikum die beiden Sympathisch-verpeilten Retiner am Ende nur mit noch große rem Wohlwollen. Ich zog mich nach Vorträgen am liebsten auf ein Sofa in die Lounge zurück, entspannte mich und beobachtete die Menschen, die an mir vorbeiströmten. Julian streifte uner- müdlich weiter durch die R ä u m e , immer bereit, entdeckt und angesprochen zu werden. Julian zu Besuch Nach dem Kongress Ende 200!*> kam Julian mir nach Wiesba- den und wohnte zwei Monate lang bei mir. Er machte das immer so: Er hatte keinen festen, dauerhaften Wohnsitz, son- dern schlüpfte bei anderen Leuten unter. Sein Gepäck be- stand im Wesentlichen aus einem Rucksack, darin seine bei- den Notebooks und jede Menge Handykabel (wobei sich das passende selten fand, wenn er es mal brauchte). Am Körper trug er mehrere Schichten von Klamotten. Auch wenn ersieh in geschlossenen Räumen aufhielt - ich habe nie verstanden warum -, trug er zwei Hosen und sogar mehrere Paar Socken übereinander. In Berlin hatten wir uns die "Kongressseuche" eingefan- gen. So nennen die Club-Leute die Grippewelle, die sich tra- ditionell zu dieser Jahreszeit in Menschenansammlungen verbreitet, zumal wenn sie Tastaturen und Kongressluft mit- einander teilten, Grau im Gesicht, verschnupft und schwei- gend ließen w i r u n s am 1. Januar 2009 von einem überfüllten ICE zurück nach Wiesbaden rollen. Kaum in meiner Wohnung angekommen, zwang uns die Grippe auf die Matratzen - das heißt, weil ich noch ein bisschen besser beieinander war, gab ich Julian mein Bett und zog mich selbst aufs Matratzenlager daneben zurück. Julian zog sich alle Klamotten au, die er finden konnte, und fischte noch eine Skilatzhose aus seinem Rucksack. So legte ersieh in die Federn, umwickelte sich mit zwei weiteren Wolldecken und schwitzte schlafend das Fieber aus. Als er 65 nach zwei Tagen wieder aufstand, w a r er gesund. Das war effizient gelöst. Meine Wohnung lag im Wiesbadener Wesrend. Das ist ein Viertel, in dem man das Fahrrad im Hof besser mit einem ex¬ tra dicken Sehloss festmacht. Die Gegend hatte den Vorteil, dass es mehr Handyshops als Supermärkte gab und man sich leicht mir Billig-Flandys und SIM-Karten versorgen konnte. Die Wohnung lag nach vorne heraus im Souterrain, etwa einen halben Meter unter Bürgcrsreig-Niveau. Dass die Leute von dort in mein Wohnzimmer gucken konnten, machte Ju- lian anfangs ziemlich nervös. Wir zogen das Rollo herunter, es war ein durchscheinendes, gelbes Papierrollo, an das ich eine tibetische Flagge gepinnt hatte. Die einfallende Sonne sorgte für ein s c h u m m r i g - w a r m e s Licht, Sonnenlicht aus zweiter bland sozusagen. Ich mochte das. Aul die überstandenc Grippe folgten friedliche, arbeit- same Tage. Wir saßen in meinem Wohnzimmer und tippten au f unseren Laptops: Ich am Schreibtisch in der Ecke vor dem Fenster, Julian neben mir auf der C o u c h , den Rechner auf dem Schoß. Er trug meistens seine olivfarbene Daunenjacke und hatte sogar die Kapuze aufgezogen oder sich eine Decke um die Reine gewickelt. Ich sorgte mich ein wenig um mein Sofa. Er hatte die sclu'ine braune Rolf-Benz-Couch aus Velour, die ich bei mei- nen Eltern vor dem Sperrmüll gerettet h a t t e , zu seinem Stammplatz auserkoren. Julian aß fast alles mitden Händen, sogar Leberkäse. Die Fingerwischte ersieh gerne mal an der Hose ab. Die Couch hatte mehr als dreißig Jahre überlebt, sie war älter als ich selbst. Ich fürchtete, Julian würde sie inner- halb weniger Wochen ruinieren, Julian hatte den Anspruch an sich, seinen Rechner blind zu bedienen. Das war eine nahezu meditative Arbeit. Wenn er zum Beispiel Mails b e a n t w o r t e t e , tippte er sich rasend schnell durch die Textfelder, ohne dabei auf den Bildschirm zu gucken. Er füllte die einzelnen Felder vor seinem inneren Auge und hangelte sich mit Tastenkürzeln von Eingabe- maske zu Eingabemaske. Da auch unsere Kommunikation nach außen durch meh- rere Mechanismen anonymisiert und gesichert war und die Mails nicht von unseren eigenen Laptops, sondern von einer Remote-Maschine abgingen, waren die Verbindungen ner- veiiaufreibend langsam. Wenn man etwas tippte, erschienen die Worte erst mit großer Zeitverzögerung auf dem Bild- schirm. Julian hatte trotzdem den Willen, seine Aufgaben blitzschnell zu erledigen, eben im Blindflug. »Ohne opti- sches Feedback zu arbeiten ist eine Form von Perfektion, der Sieg über die Zeit«, erklärte er mir. Er war lange vor seinem Computer fertig mit dem, was er zu erledigen hatte. Wir bekamen bereits ein paar Spenden auf unser PayPal- Konto und hatten uns angewöhnt, in regelmäßigen Abstän- den Dankesmails zu verschicken. Darin zeigten wir uns er- kenntlich und schrieben unseren Unterstützern, wie wichtig ihre Spende sei und dass sie damit in die Freiheit der Informa- tionen investierten. Diese Aufgabe übernahmen wir abwech- selnd, und jetzt war es an Julian, die Sammelmail zu schreiben und die Adressen unsereraktuellen Spender einzufügen. So saß er also auf meinem Sofa, in gelbes Licht und zwei Wolldecken gehüllt, und schrieb seine Mails. Es klackre und rippte und klapperte rhythmisch neben mir, bis die Arie ab- rupt auf einem leisen »God damn!« endete. Julian hatte ei- nen Hehler gemacht. Da wir Mails an mehrere Empfänger verschickten, musste man das »to« in ein »bec« verwandeln, da mit der einzelne Empfänger nicht auch die Namen der an- deren Spender zu sehen bekam. Genau an dieser Stelle hatte Julian sich nun vertan. Allerdings hatte er die Mail bereits abgeschickt. Das Malheur bescherte uns im Februar 2009 unseren ers- 67 rcn und einzigen Leak in eigener Sache. Denn die Reaktion auf diese Dankesmail ließ nicht lange auf sich warten. »Bitte benutzen Sie Blind Carbon Copy {BCC), um Mails wie diese zu verschicken ...« oder: »Es sei denn, Sie wollten 106 Email-Adressen Ihrer Unterstürzer leaken, w ü r d e ich denken, BCC wäre besser.« Einer bot an: »Wenn Sie den Un- terschied nicht kennen, zögern Sie nicht, mich zu kontaktie¬ ren, ich geleite Sie gerne durch den Prozess.« Julian schrieb eine Entschuldigung. Julian? Nein, Jay Lim, unser Kechtsevperte aus der Abteilung WikiLeaks Do- nnr Relation*, dem Spenden-Reterat. Der Zufall treibt gerne seine Spielchen, so auch mit uns. 1 h i e r l i m Spendern, bei denen wir uns dieses Mal bedankl hatten, befand sich ein gewisser Adrian Lamo. Das war ein semiprominenter Ex-Hacker, der später für die Verhaftung unserer vermeintlichen Quelle Bradley M a n n i n g verant- wortlich sein sollte. »Guck dir das an, so ein Penner«, sagte Julian, als er die Einreichung entdeckte. Ich klickte mich in unseren Briefkasten. Da lag tatsächlich ein neues »Geheimdokument": Jemand hatte uns unsere ei- gene Spender-Liste als offiziellen Leak eingereicht, mit einer relativ unfreundlichen Notiz dazu. Normalerweise kennen wir unsere Quellen nicht. Aber Lamo sollte später bekennen, dass er es gewesen war, der unseren Patzer eingesandt hatte. Wohl oder übel mussten wir das jetzt exponieren. Das war interessant. Weil wir schon oft darüber philoso- phiert hatten, was passierte, wenn wir etwas über unsere eigene Organisation veröffentlichen mussten. Wir waren uns einig, dass wir auch negative Nachrichten preisgeben muss- ten. In der Presse sorgte dieser Leak dann für ein positives Echo, Wenigstens waren wir konsequent. Von den Spendern beschwerte sich niemand. Julian benahm sich oft wie ein Mensch, der nicht von ande- ren Menschen, sondern von Wölfen großgezogen worden war. Wenn ich gekocht hatte, dann wurde das Essen nicht etwa geteilt. Es ging schlicht d a r u m , wer schneller war. Gab es vier Scheiben Leberkäse, aß er drei und ließ mir n u r e i n e , wenn ich zu langsam war. So eine Einstellung kannte ich bis dahin nicht. Ich fragte mich, ob ich spießig war, wenn mir manchmal Sätze meiner M u t t e r in den Sinn kamen. »Man kann doch wenigstens mal fragen«, oder so ähnlich. Wir aßen beide am liebsten rotes Fleisch, gerne auch rohes Hack mit Zwiebeln. Dass ich für meinen Leberkäse länger brauchte, lag daran, dass ich ihn mit Vollkornbrot und Butter aß, während Julian Lebensmittel am liebsten pur und ohne alles verspeiste: Entweder er aß Fleisch oder Käse oder Scho- kolade oder Brot. Wenn er der Meinung war, dass er Zitrus- früchte brauchte, lutschte er reihenweise Zitronen aus. Und das fiel ihm mitunter mitten in der Nacht ein, nach einem Tag ohne einen einzigen Bissen. Es war umgekehrt nicht so, dass ihn in seinem Leben noch niemand über Höflicbkeitsregeln informiert hätte. Julian konnte sehr höflich sein, wenn er wollte. Er begleitete zum Beispiel meine Besucher, selbst wenn er sie gar nicht kannte, bis auf den Bürgersreig hinaus, Julian war zudem sehr paranoid. Er hielt es für ausge- macht, dass jemand das Haus beobachtete. Deshalb bestand er darauf, dass man uns nie zusammen aus dem Hausgehen oder gemeinsam heimkehren sehen dürfte. Ich habe mich immer gefragt, was das für einen Unterschied gemacht hatte. Wenn sich schon jemand die M ü h e gemacht hätte, meine Wohnung zu beobachten, hätte er wohl herausgefunden, dass wir zusammenwohnren. Wenn wir gemeinsam in der Stadt waren, mussten sich unsere Wege auf dem Heimweg trennen, darauf bestand Ju- lian. E r g i n g links herum und ich rechts, was dazu führte, 69 dass ich oft zu Hause auf ihn w a r t e n musste, weil er sich verlaufen hatte. Ich habe noch nie einen Menschen mit ei- nem derart schlechten Orientierungssinn getroffen. Julian konnte in eine Telefonzelle gehen und beim Heraustreten nicht mehr wissen, aus welcher Richtung er gekommen war. Er schaffte es regelmäßig, meine Haustür zu verfehlen. Auf- fälliger würde man sich kaum verhalten können als Julian, der nach rechts und links guckend die Straßen auf und ah lief, um meinen Hauseingang zu finden, bis ich irgendwann kam und ihn einsammelte. Immer auf der Suche nach einem neuen Look und der perfekten Tarnung hatte er sich von mir eine blaue DDR¬ Trainingsjacke und eine T'ormel-I-Sonnenbrille ausgeliehen und dazu eine braune Baseballcap aufgesetzt. Ich lächelte insgeheim über seinen kindlichen Spieltrieb. Unauffälliger sah er dadurch nicht aus, eher verkleidet. Als ich ihn das nächste Mal suchen ging, k a m er in diesem Style um die Ecke gebogen, eine hölzerne F.uro-Palette auf die rechte Schulter gestemmt. Mir erschien das nicht gerade wie eine besonders professionelle Verschleierungstaktik. Manchmal glaube ich, er hat sich zu sehr von irgendwelchen Huchem inspirieren lassen, die dann zusammengemengr mit seiner Phantasie ein eigenes Set an Julian-Assangc-Vcrhaltensre- gelfl ergab. Julian hatte auch ein sehr ungezwungenes Verhältnis zur Wahrheit. Ich habe manchmal den Eindruck gehabt, dass er testete, wie weit er gehen konnte. Er hat mir zum Beispiel eine Geschichte aufgetischt, wie er zu seinen weißen Haaren gekommen wäre. Mn II Jahren harte er zu I lause im Keller einen Reaktor zusammengebaut und falsch herum gepolt. Von diesem Tag an seien seine 1 laare durch die G a m m a - strahlung weiß nachgewachsen. Alles klar. Vielleicht wollte er gucken, was er behaupten und herbeiflunkern konnte, bis ich widersprach: »Stopp! Das glaube ich dir nicht!« Meistens 70 sagte ich gar nichts dazu. Ich fand, das war keine Art, mit anderen Menschen umzugehen. Julian verlief sich nicht nur ständig, er stieg auch gerne in den falschen Zug oder fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Und wenn er von A nach B flog, Boot oder Bahn fuhr, gingen dabei nicht gerade selten ein paar Quittungen oder Beschei- nigungen verloren. Ständig wartete er »total dringend* aul einen Brief, der ihn aus der nächsten Patsche befreien sollte: eine Unterschrift für ein Konto, eine neue Kreditkarte, eine Lizenz für eine Vertragskonstruktion, Es war klar, dass die- ser Brief »spätestens morgen« eintreffen musste. Ich habe ihn nie sagen hören: »Das habe ich nicht geschafft/vergessen/ verbaselt«, wenn er nach einer zugesagten Leistung gefragt wurde, sondern: »Ich warte nur noch auf eine Antwort von Meyermüllerschulz.« Die Redewendung: »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen«, war für Julian erfunden worden. Und jetzt kommt die große Überra- schung: Er war selten schuld, wenn etwas vergessen worden war. Sondern Banken, Flughafenpersonal, Stadtplaner und im Zweifel sogar das State Department, das amerikanische Außenministerium. Vermutlich schmiss das State Departe- ment sogar die Tassen runter, die während seines Besuchs in meiner Wiesbadener Küche zu Bruch gingen. Dafür konnte Julian eine Konzentration an den Tag legen, die ich bei niemandem sonst erlebt habe. Er konnte tagelang mir seinem Computerbitdschirm zu einer unbeweglichen Einheit verschmelzen. Wenn ich spät ins Bett ging, d a n n saß er noch wie ein schmaler Buddha auf der Couch. Wenn ich am nächsten Tag aufwachte: Julian in Kapuzenjacke vordem Rechner, in exakt der gleichen Pose. Wenn ich am nächsten Abend wieder schlafen g i n g - J u l i a n saß immer noch da. Er war bei der Arbeit kaum ansprechbar, meditativ ver- sunken programmierte er, schrieb, las, ich weiß nicht was. Er sprang höchstens einmal kurz auf, unvermittelt, um selt- 71 same Kung-Fu-Übungen zu machen. Einige Medien stellten das so dar, als wäre Julian mindestens im besitz eines Äqui- valents zum schwarzen Gürtel aller international bekannten kampt'sporrkünste. Tatsächlich dauerte sein improvisiertes Schattenboxen vielleicht zwanzig Sekunden und sollte wohl der Streckung seiner Sehnen und Gelenke dienen. Julian konnte ragelang am Stück konzentriert arbeiten und dann ganz plötzlich einschlafen. Er legte sich in voller Montur, mit Hosen, Strümpfen und Kapuze ins Bett, zog die Decke übersieh - und weg war er. Wenn er aufwachte, war er genauso schlagartig zurück in der Welt. Er sprang sofort auf, was in der Regel dazu führte, dass er in irgendetwas hinein- rannte. Ich hatte eine Hanfeibank in dem Zimmer stehen. Ich habe gar nicht mitgezählt, wie oft er von der Matratze, auf der er schlief, direkt in die Eisenstangen gesprungen ist. Das gab einen riesigen Krach, und ich wusste: Schön, Julian ist wieder wach! Er hatte noch eine sehr witzige Eigenart. Er wollte gerne die Kleidung tragen, die seinen jeweiligen Z u s t a n d wider- spiegelte. Oder umgekehrt: Er konnte sich nur durch die richtige Kleidung in die gewünschte Stimmung versetzen. »Daniel, ich brauche ein Jackett. Hast du eins?« "Willst du ausgehen?" »Ich muss heute ein sehr wichtiges Statement schreiben.« »Was?« Auch wenn er sonst in Trainingsjacke und Cappic bei mir am Küchentisch s a i s - ich musste ihm schnellstmöglich ein Jackett leihen, damit er sich darin an einen Text für eine Pres¬ semitteilung machen könnte. Das Jackett zog er d a n n den ganzen Tag nicht mehr aus, setzte ein ernstes Gesicht auf und formulierte. Danach ging er schlafen - mit Jackett. In den zwei Monaten, die er bei mir wohnte, lernte ich eine Person kennen, die ganz anders war als die Typen, mit denen ich sonst meine Zeit verbrachte. Und ich war starke Charak- tere gewöhnt. Ich fand Julian auf dereinen Seite unerträglich und auf der anderen Seite unglaublich liebenswert. Ich hatte das Gefühl, bei Julian musste im Leben irgend- etwas sehr Grundlegendes falsch gelaufen sein. Er hätte ein verdammt toller Mensch werden können, und ich war stolz, einen Freund zu haben, in dem dieses Feuer brannte, für den Ideen und Prinzipien und die Veränderung der Welt zum Besseren alles waren. Der einfach aufsprang und handelte und dabei wenig darauf gab, was andere sagten. In gewissen Punkten versuchte ich sogar, mir diese Haltung von ihm ab- zugucken. Aber er hatte eben auch diese andere Seite, und die g e w a n n in den folgenden M o n a t e n immer mehr die Oberhand. Manche Freunde haben mich gefragt, wie ich es so lange mit Julian ausgehalten habe. Ich denke, jeder Mensch hat seine Eigenarten, einfach ist es mit niemandem. Gerade in der Hacker-Szene sind ein paar extreme Persönlichkeiten un- terwegs, einige sogar mir leicht autistischen Zügen. Ich bin aus Gewohnheit wohl überdurchschnittlich tolerant, wasche Macken anderer Menschen betrifft. Deshalb habe ich es so lange mit Julian ausgehalten, wohl länger als die meisten. Am 17. Februar 20U9 war ich Gast in der Podcast-Sendnng Küchenradio, Julian schrieb dama Is folgende Mail an unsere Unterstützer: »Daniel Schmitt on Berlin's Keutchenradio: A two hour video and audio interview Session with our German correspondent, Daniel Schmitt, will be broadeast on Berlin's well-regarded Kuechenradio at 21:00 tonite«.' Wenn ich das heute lese, muss ich ein bisschen schlucken. Manchmal vergesse ich, wie gut die Zeit auch war, die wir zusammen hatten. »Well-regarded«, hatte er geschrieben - 73 das Küchcnradin ist nur ein Podeast für ein paar Technik- t'reaks, und Julian war trotzdem so stolz auf uns. Ganz klar gibt es auch heute immer wieder M o m e n t e , in denen ich mich frage, oh all das wirklich kaputtgehen musste. Und ob wir heute nicht noch immer Freunde wären, wenn WL nicht diesen erstaunlichen Frfolg gehabt hätte, wenn das Geld und die Aufmerksamkeit und der internationale Druck nicht ge- kommen wären. »Keurchenradio« - das war auch typisch Julian. Worte in ei ner anderen als der englischen Sprache konnteer sich einfach nicht gut merken. Fr nannte den Spiegel auch i m mer »Spcigel«, selbst in Zeiten, als das deutsche Nachrichtenmagazin schon seit Monaten einer unserer engsten Medienpartner war. Im Taxi auf dem Weg nach Berlin-Neukölln zu dem Jour- nalisten Philip Banse bekam ich einen Anruf von meiner Mut- ter, Meine O m a war gestorben, wir hatten jeden Tag damit gerechnet. Ich war nichtnoch einmal in den Rheingau gefah- ren, um sie noch einmal zu sehen. Ich weiß, dass meine Oma stolz auf mich und meinen Kampf für eine gerechtere Welt war. Ich schämte mich trotzdem, dass ich nicht bereit gewesen war, auf die Radiosendung zu verzichten, um mich anständig von ihr zu verabschieden. Außer mir hatte die ganze Familie die Woche über an ihrem Bert gesessen. Aber ich hatte ja die- sen Termin in Berlin, und der war wichtig. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir das Gefühl, wir mussten jede Gelegenheit nutzen, um WL prominenter zu macheu. Wir brauchten dringend Spenden, wir freuten u n s , wenn neue D o k u m e n t e bei uns hochgeladen w u r d e n . Der Rest kam erst weiter hinten auf unserer Prioritätenliste. Viel wei- ter hinten. Das erste M a l , dass mir ein Satz von Julian wirklich übel aufstieß, war Anfang 2 0 0 9 , als wir d a r ü b e r nachdachten, zum Weltsozialforum nach Brasilien zu fliegen. Ein Freund 74 hatte mich angesprochen: Er w ü r d e sehr gerne mitfliegen. Ich erzählte Julian davon, obwohl ich eigentlich dagegen war. Der Kumpel hatte mit dem Projekt nichts zu tun, und wir wollten keinen Urlaub dorr machen, sondern Kontakte knüpfen und arbeiten. Julian indes fand die Idee ganz ausge- zeichnet und meinte: -l.ass ihn doch mitkommen.« Er hätte gerne jemanden dabei, der für ihn das Gepäck schulterte. Da h a b e ich mich das erste Mal gel ragt, wer e ige in lieh im Mo menr gerade den Kofferrräger für ihn spielte. Und entdeckte da n i e m a n d e n - a u ß e r mir. Erst später habe ich verstanden, dass Julian mein Verhal- ten häufig als Linterordnung aufgefassr haben muss. Dabei wollte ich einfach nur freundlich und rücksichtsvoll sein. Er hielt mich offenbar für viel schwächer, als ich in Wirklich- keit war. Das lag vielleicht d a r a n , dass ich ein o p t i m i s t i s c h e r Mensch bin, der weniger Zeit auf Kritik und mehr Zeit für konkrete Taten verwendet. In dem M o m e n t , in dem Julian den Eindruck haben konnte, dass ich mich ihm nicht mehr unterordnete, begann unsere Freundschaft zu bröckeln. Als ich leonkttte Probleme ansprach - schlicht weil es diese Pro- bleme gab und nicht, weil ich unser Verhältnis anders bewer- tete -, fing er an, mich als jemanden zu bezeichnen, den man »conrainen« m u s s t e - a l s o in Schach halten, eindämmen. Anfang 2010 änderte sich sein Ton mir gegenüber deut- lich. Bis hin zu der Äußerung, er würde mich -jagen und tö- ten«, wenn mir ein Fehler unterliefe. So was hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Selbst wenn er noch so große Angst hatte, dass etwas schiefgehen könnte - so eine Drohung war durch nichts zu entschuldigen. Ich fragte nur, ob er noch ganz dicht sei, lachte und ließ es damit auf sich beruhen. Was sollte man dazu auch sagen? Mir fallen keine schlimmen Patzer von mir ein. N u r ein- mal vergaß ich, ein Backup von dem zentralen Server zu ma- 75 eben. Als dieser dann kaputtging, behauptete Julian: »WL ist nur noch am Leben, weil ich dir nicht getraut habe.- Kr hatte eine Sicherungskopie, von der wir alles problemlos neu starten konnten. Lr dürfte die Kopie nicht nur aus Sorg- falt, sondern auch aus Misstrauen, auch mir gegenüber, er- stellt haben. Es ging nämlich um den Server, auf dem auch unsere Mails deponiert waren. Das Absurde war, dass er eigentlich derjenige war, der ständig er was verlor oder vergaß. (lenau das warf Cr nun mir vor. Für Julians eigene Missgeschicke gab es meist eine aus- gefeilte Erklärung. Wenn möglich gar eine heroische. Als er im Juni 2 0 0 9 den Medienpreis von Amnesty International entgegennehmen sollte, kam er drei Stunden zu spät in Lon- don an. Es ging in dem prämierten Leak um heimliche Auf- rragsmorde durch die kenianische Polizei, von der über 1700 Menschen getötet und knapp 6 5 0 0 Menschen verschleppt worden waren. Zwei kenianische Menschenrechtler von der Oscar Foundation hatten das autgedeckt und e i n e n Bei k In darüber verfasst. Julian verpasste die Preisverleihung. Im Auditorium hät- ten ihm viele Menschen zugehört, die wir damals auf ande- rem Wege niemals erreicht hätten. Der Verweis auf diesen Preis sollte uns viele Türen öffnen, weil er bei vielen Kriti- kern wie eine Bürgschaft wirkte: Was Amnesty einen Preis wert gewesen war, konnte so unmoralisch nicht sein. Zwei M o n a t e vor der Preisübergabe waren Kamau Kin- gara, der Leiter der Oscar Voiuidation, und sein Programm- ierter John Paul G a l a in Nairobi in ihrem Auto aus nächster Nähe erschossen worden. Die beiden waren gerade auf dem Weg zur kenianischen Menschenrechtskommission, mit der zusammen sie diesen Bericht erstellt hatten. Wir hatten ihn lediglich auf unsere Website gestellt, und damit einer größe- ren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Eigentlich wären wir es Kingara und Oula schuldig gewesen, den Preis auch in 76 ihrem N a m e n persönlich entgegenzunehmen. Julian ver¬ fasste daraufhin eine sehr feierliche Presseerklärung, in der er ihr Engagement noch einmal ausdrücklich hervorhob. Die Ausrede von Julian, warum er zu der Preisübergabe zu spät gekommen war, hätte derweil mehrere Seiten in einem Agenten-Thriller füllen können: Ich erinnere mich nur noch an zwei Polizisten, die ihn angeblieh verfolgt härten. Einmal erklärte er mir, den Anschlussflug verpasst zu ha- ben, weil er eine extrem anspruchsvolle Matheaufgabe gelöst hätte. Obwohl ich so viel Zeit mit ihm verbracht habe, konnte ich nie sicher sagen, w a n n er flunkerte und w a n n er die Wahrheit sprach. Ich kenne auch mindestens drei verschiedene Geschichten zu seiner eigenen Vergangenheit und der Herkunft s e i n e s Nachnamens. Es gab Geschichten zu mindestens zehn Vor- fahren aus diversen Teilen der Erde, von irgendwelchen Iren bis zu Südseepiraten. Eine Zeitlang ließ er sich sogar als »Ju- lien d'Assnnge« Visitenkarten drucken. Er hat ein regelrech- tes Mysterium um seine eigene Person gestrickt, seine Ver- gangenheit mit immer neuen Details ausgekleidet und sich dann gefreut, wenn ein Journalist das so aufschrieb. Mein erster Gedanke, nachdem ich gehört habe, dass er seine Au- tobiographie schreibt: Diegehört im Buchladen in die Bellet- ristik-, nicht in die Sachbuchabteilung. Julian kreierte sich jeden Tag neu, wie eine Festplatte, die immer wieder neu formatiert wurde. Zurücksetzen, neust a r- teu. Vielleicht lag das daran, dass er selbst nicht wusste, wer er war und woher er kam. Vielleicht harte er gelernt, d a s s er sich immer wieder lossagen musste, von Frauen, von Freun- den. Da war es einfacher, wenn er eine Persönlichkeitsrevi¬ sion machen und die Reset-Taste drücken konnte. Julian befand sich in einem ständigen Kampf um Domi- n a n z , sogar mit meinem Kater Herr Schmitt. Dieses grau- weiße Pelztier war zeit seines Lebens ein liebes, träges We- 77 sen, ein bisschen übervorsichtig, aber gutmütig bis in die Schnurrbartspitzen. Seit Julian bei mir in Wiesbaden ge- wohnt hat, leidet er unter einer Psychose. Julian setzte dem Tier mit permanenten Angriffen zu. Er spreizte seine langer wie eine Gabel und stürzte sich so auf den Hals des Katers. Ks war ein Kampf. Es ging darum, wer schnel- ler war: Entweder gelang es Julian, den Kater mit den Fingern zu umschließen und in diesem Griff auf dem Boden fesrzuta- ckern. Oder der Kater war schneller, und er V e r t r i e b j u l i a n mit einem schnellen Tatzenhieb. Für den Kater muss das ein Alp- traum gewesen sein. Kaum wollte sich Herr Schmitt schnur- rend zur Ruhe kringeln, stürzte sich dieser verrückte Austra- lier auf ihn. Julian suchte sich für die Attacken mit Vorliebe Momente aus, in denen Flerr Schmitt sehr müde war. »Es geht d a r u m , seine Wachsamkeit zu trainieren«, er- klärte er mir. Der Karer müsse dominieren. »Der M a n n darf nie vergessen, dass er der Herr der Lage ist«, sagte Julian. Ich weiß nicht, wer in meiner Wohnung und auf dem Hinterhof die männliche Identität von Kater Schmitt in Frage stellte. Ohnehin war Schmitt kastriert. Aber ich konnte Julian nicht von seinem Spielchen abbringen. Als wir im April 2 0 0 9 auf dem Rückweg von der Internalio- nal Journalisnt Conference in Perugia in Italien waren, g a b es einen Streit mit einem Schaffner, der uns fast unser Flugti- cket zurück nach Deutschland gekostet hätte. Wir standen an diesem Tag sehr unter Zeitdruck, weil wir diesen Anschlussflugin Rom erreichen mussten. Ein Zug hatte Verspätung, eine O b e r l e i t u n g w a r ausgefallen. Wir mussten umbuchen und dafür ein neues Ticket und einen Zuschlag lö- sen. Ich harte mich um alles gekümmert, quälende Minuten am Schalter angestanden, während Julian sich auf eine Bank gesetzt u nd das (iepäck gehütet hatte. Wir hetzten schließlich über den Bahnsteig und erwischten unseren Ersatzzug nur 78 noch im Endspurt und weil ich dem Zugpersonal schon von der Treppe aus »Nicht abfahren, wait pleasel« entgegenbrüllte. Mit rasendem Puls und nassgeschwitzt landeten wir also in dem Zug, den man uns am Bahnhof als letzte Möglichkeit ans Herz gelegt hatte. Es war rarsächlich allerletzte Eisen- bahn. Wir steuerten zwei Fensterplätze a n , packten unsere Rucksäcke auf die freien Sitze daneben und streckten seuf- zend die Beine aus. Das Ungemach k a m in Form eines schlecht rasierten, leicht untersetzten M a n n e s , der sich langsam von Sitzreihe zu Sitzreihe bis zu unseren Plätzen vorarbeitete, und war ein italienischer Fahrkartenkontrolleur. Mit zusammengezoge- nen Augenbrauen begutachtete er unsere Tickers, und als er diese patzig zurückgab, platzte Julian der Kragen. In schlechtem Englisch sagte der Italiener, es tue ihm zwar sehr leid, dass wir offensichtlich die falschen Tickets gekauft hätten. A b e r - r a d a h ! - er böte uns an, gegen einen geringen weiteren Aufpreis eine Lösung für unser Problem bereitzu- halten. Ich hätte klein beigegeben, aber bei Julian brannte eine Sicherung durch. Er weigerte sich, die weiteren zehn oder fünfzehn Euro Aufschlag zu bezahlen, und guckte den Schaffner verächtlich an. Der Kontrolleur war ein übellauniger Mittfünfziger, alles andere als zuvorkommend, der möglichst schnell in sein Ab- teil zurückkehren wollte, zu einer Runde Skat mit den Kolle- gen oder was auch immer ihn erwartete. Wir hätten ewig mit dem Italiener darüber diskutieren können, warum wir gerade ohne eigenes Verschulden erneut zur Kasse gebeten wurden und was wir generell von seinem I leunatlaud und dessen ma- fiosen Strukturen hielten. Aber wir mussten schnellstmöglich nach Rom und diesen Billigflug bekommen, den ich bereits bezahlt hatte. Dafür hätte ich diesen lächerlichen Aufpreis gerne übernommen und mich entspannt. Julian jedoch brach einen derartigen Ärger vom Z a u n , dass der Schaffner an der 79 nächsten Station die Carabinieri hinzurief. Mir vvardas pein- lich, zumal neben uns jemand suis, der ebenfalls auf der Kon- ferenz in Perugia gewesen war. Julian störte sich überhaupt nicht an dem Publikum, er hatte eher Spaß daran. N u n waren wir also von dem Schaffner und zwei jungen Polizisten umringt. »Ihre Papiere bitte«, sagte die höchstens 20-jährige Polizistin, die mindestens genauso muffig guckte wie ihre Kollegen. Ich kramte in meinen Taschen. Julian protestierte scharf: »Wir zeigen hier niemandem unsere Papiere.« Ich reichte der Frau meinen Ausweis. Julian verschränkte die Arme und schnaufte verächtlich. Die drei Italiener schauten sich unentschlossen an. Sie hät- ten Julian gerne aus dem Z u g geworfen, aber keiner mochte den ersten Schritt tun. M a n h ä t t e den Australier, der sich immer noch lässig auf seinem Sitz ausgestreckt hielt, am Arm greifen und aus dem Sitz ziehen müssen. Dazu mochte sich keiner der drei durchringen. Julian w a r der M e i n u n g , m a n müsse diesem Schaffner u n b e d i n g t eine Lektion erteilen. Uniformierte Autorität müsse grundsätzlich in Frage gestellt werden. Und dass es nicht ginge, dass man ihn respektlos behandelte. Respekt, Respekt, Respekt, er redete ständig davon. In diesem Fall war es besonders sinnlos, weil die Italiener die Vokabeln der Lektion vermutlich nicht einmal richtig verstanden. Ich fand das lästig, ich wollte das Problem lösen, ich wollte keine 700 Furo für zwei neue Flugtickets bezahlen. Ich nutzte die Patt-Situation, die für einen M o m e n t zwischen uns fün¬ fen entstanden war. Ich gab dem Schaffner den offenen Be- trag und ertrug den Rest der Fahrt Julians schlechte Laune und seine Belehrungen. Mein Wille, WikiLeaks zum uner- schütterlichen Bestandteil meines Lebens zu machen, war größer als meine Sorge d a r u m , mir zu viel gefallen zu lassen. 80 Als ich 2 0 0 9 das Video-Interview mit Zeit Online machte, in dem es auch um die persönlichen Motive für mein Engage- ment bei WL ging, warf er mir vor, ich sei eine Medienhure. »Too much personal ity«, lautete der Vorwurf. Wir hätten so viel Arbeit, da wäre fürgroße Interviews keine Zeit. Ich habe nach diesem Porträt versucht, mich weiter zurückzu nehmen, aber das war nicht so einfach. Auf der Journalistenkonferenz in Perugia hatte ich eine Geschichte mit dem amerikanischen Technik-Magazin Wi- red gemacht, mir einer jungen, freien Journalistin, Annabel Symington, die an der Londoner City Univcrsity studierte. Sie sollte uns in Perugia auch mit Seymour Hersh bekannt- machen, dem amerikanischen Journalisten, der unter ande- rem die Vorfalle von My Lai in Vietnam aufgedeckt hatte. W i r gingen mit den beiden z u s a m m e n Pizza essen, und Hersh erzählte spannende Geschichten von seiner Zeit als Kriegsreporter. Hersh war im Gegensatz zu vielen vermeint- lichen Starjournalisten uneitel und ein sehr amüsanter Ge- sprächspartner. Während meines Interviews mit Annabel jedenfalls warf mir Julian die ganze Zeit über böse Blicke zu. Er meinte her- ausgehört zu haben, dass ich mich ihr gegenüber als einen der »Gründer« von WL. bezeichnet hatte. Es war ihm immens wichtig zu betonen, dass er der einzige Gründer ist. Ich ließ d a r a n nie den geringsten Zweifel. Julian sollte mir später vorwerfen, ich betriebe ein Macht- spiel. Er irrte, ich habe kein Interesse an M a c h t und kein Problem, Macht abzugeben, wenn es der Sache nützt. Ganz im Gegenteil. W a r u m sollte ich mir unermesslich viel Ver- anrwortung auf die Schultern laden, wenn es gemeinsam viel besser ging? Ich bin ein Teamplayer, kein einsamer Wolf wie Julian. Ich kann anerkennen, wenn andere Leute bestimmte Sachen besser können als ich. Davon gibt es nämlich ver- dam mt viele. 8I WikiLeaks und das Geld Erfolgreiche Leaks, über die ausgiebig in den Medien berich- tet worden war, machten sich direkt auf unseren Konten be- merkbar. Schon 2 0 0 8 gab es drei verschiedene PayPal-Kon- ten, über die uns Spender Geld zukommen lassen konnten. Auf das wichtigste gingen etwa nach dem Leak zu Julius Bär am I. M ä r z 2 0 0 8 1900 Euro ein, am 3. M ä r z waren es be- reits 3700 Euro und bis zum 11. M ä r z hatten sich 5 0 0 0 Euro angesammelt. Im Juni 2009 wurde das damals einzig aktive PayPal-Konroeingefroren; Es konnten z w a r n o c h Gelderein- gezahlt werden, wir konnten indes nichts mehr abheben. Wir hatten uns monatelang nicht mehr um dieses Konto g e k ü m m e r t . Erst die Nachricht von PayPal über die Sper- rung veranlasste uns, einen Blick auf die Eingänge zu wer- fen. »Halt dich fest-, schrieb ich Julian im August 2 0 0 9 . »Da liegen fast 35 000 Dollar drauf.« Ich wollte das Geld unbedingt loseisen. Für Julian hatte das keine Priorität. Er sah nicht ein, w a r u m wir uns jetzt damit herumärgern sollten. PayPal verlangte ein Dokument von uns. Wir hatten uns dort als Non-Profit-Unternehmen angemeldet, diesen Status aber offiziell nie beantragt. »5()Ie3« hieß das im amerikani- schen Behördenjargon. Als ich diesen Begriff bei Google eingab, stellte sich her- aus, dass wir nicht die erste gemeinnützige Einrichtung wa- ren, die dieses Problem hatte, PayPal hatte seinen Kunden S2 schon wiederholt Ärger deswegen gemacht. Wir ließen uns daraufhin als Unternehmen registrieren. Das kostete zwar Gebühren, ersparte uns aber den lästigen Verwaltungsauf¬ wand. Mir PayPal nur ein winziges Komma im Vertrag zu ändern kostete einfach zu viel Lebenszeit. Ich füh rte sicherlich an die dreißig Telefonate mit der Hot- line, schickte Mails hin und her und kam zu dem Ergebnis: PayPal w a r kein Unternehmen mit lebenden Mitarbeitern, sondern eine Maschine. Z w a r bekam ich, wenn ich nur lange genug in der Hotline wartete, auch irgendwann einen echten Menschen zu sprechen. Aber die indischen Subunternehmer oder wer auch immer diesen J o b für PayPal übernommen harte, konnten einem am Ende auch nicht viel mehr sagen, als dass man doch bitte das Online-Hilfssystem benutzen solle. Ich glaube, die Pay Pa l - Mitarbeiter waren ihrer eigenen Software genauso ausgeliefert wie ihre Kunden. Die Kunst, dabei die richtigen Felder des Systems auszufüllen, blieb für mich unzugängliches Geheimwissen. Nachdem wir das Konto auf ein Profit-Konto umgeschrie- ben und in die Zahlung der Gebühren eingewilligt hatten, belohnte uns das System kurzfristig mit einer Freischaltung. Sie währte ungefähr einen Tag. Dann ging der ganze Wahn- sinn von vorne los: Wieder fehlte eine Angabe, wieder war für mich nicht ZU erkennen, wo man diese naclizurcichen hatte, wieder kämpfte ich mit dem Online-Hilfssystem. Es gab noch ein weiteres Problem bei diesen Streitigkeiten, denn nicht nur wir waren von dem Ärger betroffen. Zu diesem Zeitpunkt wurden alle unsere Konten in unserem Auftrag von freiwilligen Unterstützen! unterhalten. Das gesperrte PayPal-Konto etwa hatte ein amerikanischer Journalist für uns angemeldet. Dieser K o n t a k t m a n n war ein Endfünfziger aus dem Mittleren Westen - ein bodenständiger Typ, der als Reporter bei einer Lokalzeitung angestellt war. Vor Monaten hatteer uns gefragt, ob er etwas für uns tun könne. Und weil 83 er nicht von sich aus angehören hatte, sich um das Geld zu kümmern, gaben wir ihm eben genau diesen Job. Unsere I n- gik war damals, wer sich nicht für Konten interessierte, war bestens geeignet, sie für uns zu verwalten. Wer sich nicht für seinen Kinfluss auf die öffentliche Meinung interessierte, ma- nagte bei uns den Chat - und so weiter. Unser Freiwilliger war völlig überfordert und hatte keine Ahnung, was er t u n sollte und wo das Problem genau lag. Im September 2 0 0 9 hat Julian d a n n die N a n n y einge- schaltet. Die Nanny kam immer dann ins Spiel, wenn es ei- nen Job zu erledigen galt, um den Julian sich nicht seihst k ü m m e r n wollte oder konnte. Sie reiste auch gelegentlich kurz vor Konferenzen an, um seine Reden zu schreiben. Sie sollte es auch sein, die später, nach dem Austritt von mir und anderen Wikil.eaks-l.euten, in aller Welt herumreiste, um zwischen uns und Julian zu vermitteln und zu bitten, das Projekt nicht durch öffentliche Kritik zu beschädigen. Die Nanny ist eine alte Bekanntes von Julian, eine freund- liche, sehr energische Person um die Vierzig, Sie hatte für Julian einen wichtigen Vorreil: Sie w ü r d e öffentlich nie über ihren Kontakt zu Wl. reden wollen. Die N a n n y jedenfalls hat die Nerven unseres amerikani- schen Untersrützers dann vollständig ruiniert, zumal die Zeitzonen dieser beiden auf eine Weise inkompatibel zuein- ander waren, dass Gespräche für den einen jeweils nur in der Tiefschlafphase des anderen möglich waren. Außerdem war der arme Mann nicht willens, die ganze Problematik noch einmal von vorne zu erläutern. Letztlich geholten hat uns dann eine Journalistin, die ich von der New York Times kannte. 1 n der vorletzten September¬ woche fragte sie auf dem direkten Dienstweg bei PayPal nach, wieso denn ein von der Note York Times unterstütztes Projekt gesperrt sei. Simsalabim! Kurz darauf war das Konto frei. Jetzt ging der Streit erst richtig los. Mit einem Schlag war 84 viel Geld da. Julian und ich hatten sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was wir damit anfangen sollten. Ich wollte vor allem Flardware anschaffen, nicht nur, weil das mein Spezialgebiet war, sondern weil unsere Infrastruk- tur das dringend nötig hatte. Wir riskierten Ausfälle und Si- cherheitsrisiken und machten es unseren Gegnern eigentlich viel zu leicht. Solange alles auf einem einzigen Server lief, hätte m a n sehr leicht in das Wiki einbrechen können. Das war vielleicht nicht weiter schlimm, doch auf dem gleichen Server lagen auch die Dokumente. Julian hatte andere Pläne. Er sprach davon, eigens Firmen zu gründen, um damit unsere Spendengelder hesser gegen Zugriffe von außen abzusichern. Er behauptete, auf uns kä- men allein für die Registrierung in den USA Anwaltskosten von 15 0 0 0 Dollar zu. Julian harte auch Kontakt zu einigen Organisationen, die als fiscal Sponsors auftreten wollten. Das waren gemeinnüt- zige Organisationen, an die amerikanische Spender Geld hätten überweisen können, um Steuern zu sparen. Ich weiß nicht, mit welchen Leuten Julian sich damals austauschte, welche Filme er guckte - oder noch wahrscheinlicher: wel- che D o k u m e n t e er auf unseren Seiten zu intensiv gelesen h a t t e - , jedenfalls war von front eontpanies, international law und offshore die Rede. Ich sah ihn schon vor mir, am abhörsicheren Cryprophone, die blande lässig in die Hüfte gestützt, den damals noch langen weißen Pony mit Gel nach hinten gekämmt. ••llallo, Tokio, New York, Honolulu? Ja, transferieren Sie bitte drei Millionen auf die Virgin Islands. Ja, d a n k e , sehr freundlich. Und bitte nicht vergessen, die Verträge nach Ah- schluss der Transaktion zu vernichten. Verbrennen bitte. Und die Asche fegen Sie zusammen und schlucken Sie herun- ter, ja? Sie wissen ja, ich kann Krümel nicht ausstehen ...« 85 In welchen Phantasien Julian womöglich unterwegs w a r - Geld w e g g e n o m m e n . Es gibt eine E-Mail vom 13. August das entsprach eben seinem T r a u m von der unangreifbaren 2010 von Moneybookers an WikiLeaks, die vom (iitjnitiiii Organisation, von einem internationalen Geflecht aus Fir- zitiert wurde. Nach einer Überprüfung durch dieSichcrheits- men und dem Nimbus des Unantastbaren, der weltweit mit ahteilung von Moneybookers sei das Konto geschlossen wor- Finanzen und Firmen jonglierte und von niemandem mehr den, »um sich weitereu Ermittlungen durch Regierungsbe- zu stoppen war. Doch so unsexy das auch klang, wir hatten hörden zu fügen«. Das Konto ist tatsächlich gesperrt worden. erst einmal ein paar ganz einfache, praktische Dinge ge- Aber es wurde vorher leer geräumt. braucht. Meine damalige Freundin hat für uns Cryptophone be- Dabei war Julian Geld an sich gleichgültig. Er hatte auch nie sorgt. Sie hat uns damals au feinen Seh lag sehr viel (iekl vor- welches, ließ meist a ndere bezahlen. Das begründete er da n n gestreckt, und ich habe noch heute ein schlechtes Gewissen, beispielsweise damit, dass er nicht wolle, dass jemand an- wenn ich daran denke, wie ich sie in unserer Beziehung da- hand seiner Besuche am G e l d a u t o m a t e n nachvollziehen mals so langsam habe aushungern lassen. könne, wo er s i c h gerade aufhielt. Seine Helfer hätten diese Als wir Monate später in Island waren, habe ich ganz zu- Erklärungen womöglich seihst d a n n akzeptiert, wenn er fällig mitbekommen, dass Julian versuchte, eines dieser sehr zuvor eine Pressekonferenz gegeben hätte, die von seinem teuren Telefone an eine unserer Bekannten zu verkaufen-für Standort aus in die ganze Welt ausgestrahlt wurde. Vor a Nein J200 Furo. Z u m einen gehörten ihm die Telefone gar nicht, Frauen halfen Julian gerne aus. Ich weiß nicht, was sie alles und dann wollte er sie auch noch für einen viel zu hohen Preis für ihn gekauft haben: Klamotten, Ladegeräte, Handys, Kaf- an jemanden weiterverkaufen, der dafür überhaupt kein fee, Flüge, Schokolade, neue Reisetaschen, Wollsocken. Geld hatte. Daraufhin hat Julian das Telefon an einen 17-Jäh- Julian legte keinen Wert auf Statussymbole. Vielleicht ist rigen verschenkt, den er damals immer mehr bei Wl. einbin- das heute anders, aber als wir zusammen herumreisten, be- den wollte. Julian konnte in einem Augenblick großzügig sein sah ei keine Uhr, kein Auto, keine M a r k e n k l e i d u n g - a l l das und in der nächsten Sekunde wieder sehr geizig. war ihm egal. Sogar sein Rechner war ein Uralt-Mac, noch Bereits im April 2008 hatten wir ein Konto bei Moneyboo- eines von diesen weißen iBonks, fast schon ein Museums- kers eröffnet, über das vor allem Spender aus den USA ihr stück. Flöchstens kaufte er sich mal einen neuen USli-Stiek. (ield online an uns überweisen konnten. Wie viel Geld bei Wir dachten dennoch häufig darüber nach, wie wir für Moneybookers einging und was damit passierte, hat nie je- W l . a n Geld kommen könnreu. Eine Idee war, uns direkt für mand erfahren. Julian hat mir und anderen den Einblick ver- die I )okuinentc bezahlen zu lassen, i n d e m wir J e n exklusi- weigert. ven Zugang zu dem Material versteigerten. Ebay für Wiki- Julian eröffnete zusätzlich ein Konto auf seinen Namen bei Leaks sozusagen. Im September 2 0 0 8 starteten wir einen Moneybookers. Zu diesem Konto führte ein direkter Link Testballon. Wir kündigten auf unserer Website und in Pres- von unserer Spendenseire. Wofür eres verwendete, wollte er semitteilungen an, die E-Mails von Freddy Balzan meistbie- mir nicht sagen. Das Konto w u r d e im Herbst 2010 gesperrt. tend zu versteigern. Balzan w a r der Redenschreiber des Später beklagte sich Julian, man habe WikiLeaks nun das venezolanischen Präsidenten Flugo Chävez. 86 1 87 Die A n k ü n d i g u n g löste in Südamerika ein breites M e - dienecho ans. Nicht aber, weil sich jetzt tatsächlich viele Medien mit ihren Geboten übertraten, vielmehr entbrannte sofort die kritische Debatte. M a n warf uns vor, die Arbeit unserer Quellen zu Geld machen zu wollen und beklagte, dass dadurch zuerst die Medien, die es sich leisten konnten, das Material bekämen. D a m a l s hätten wir allerdings so- wieso nicht die technischen Möglichkeiten gehabt, so eine Auktion in die Tat umzusetzen. Ich versuchte uns mit einem Antrag bei der Ktiigbt Founda- tion Geld zu besorgen. Die John S. and James L. Knigbt Foundation fördert herausragende journalistische Projekte, allein im Jahr 2 0 0 5 verteilte die Stiftung über 105 Millionen Dollar an verschiedene Medienorganisationen. Ich reichte Ende 2 0 0 8 das erste Mal einen Förde ran trag für zwei Mil- lionen Dollar ein, der allerdings schon nach der dritten oder vierten R u n d e des mehrstufigen Bewerbungsverfahrens scheiterte. Schon nach der Einladung zur zweiten Kunde hatte Julian den Adressaten unserer Mailingliste verkündet, wir hätten die Förderung von 2 Millionen Dollar praktisch in der Tasche. 2 0 0 9 versuchte ich es erneut, diesmal beantragte ich eine halbe Million Dollar. So ein Antrag bedeutete viel Arbeit, und Julian half mir nicht dabei. Eine Unterstützerin und ich saßen zwei Wochen lang an dem Papier. Es galt, acht Fragen zur Motivation und zur inneren Struktur des Projekts zu be- antworten. Einen Tag vor Abgabe meldete sich Julian doch, im Schlepptau die Nanny. Am Vorrag des Einsendedatums sollte sie nun also das Papier für die Knigbt Foundation schreiben - wir waren zu dem Zeitpunkt damit schon lange fertig. Julian beschloss, wir sollten einfach zwei Anträge ab- schicken, Mit einem kämen wir d a n n garantiert durch. Da- bei erklärten mir Julian und die N a n n y noch, w a r u m ihr Pa- pier das Rennen machen w ü r d e . Mein Antrag kam weiter, erst eine Kunde, dann zwei, dann standen wir auf einmal in der letzten Runde. Der Antrag von Julian und der N a n n y scheiterte schon in der ersten Runde. Später warf Julian mir vor, ich hätte versucht, meinen Na- men in den Antrag zu schmuggeln. Eigentlich war das Prob- lem ein anderes: Ich hatte schon 2 0 0 8 am letzten Tag mit den ausgefüllten Anträgen an meinem Schreibtisch gesessen und nicht gewusst, ob ich den Antrag selbst unterschreiben und meine Adresse inklusive des richtigen Namens angeben sollte. Wir hatten kein Büro, dessen Adresse ich hätte angeben kön- nen. Und Julian hatte sowieso keinen festen Wohnsitz. Weil die Zeit drängte, dachte ich mir, vergiss die USA, ist doch egal, wenn da jetzt dein wahrer N a m e steht. Ich unter- schrieb den Antrag und sandte ihn ab. Ich t r ä u m t e in den folgenden Tagen in der Tat von der halben Million Dollar für WL und was wir damit alles hät- ten anschaffen können. Vorm Einschlafen dachte ich darü- ber nach, wie wir uns die ausgefeilteste Sicherheitstechnik aufstellen könnten, alles nur vom Feinsten, ein halbes Rack in einem ordentlich gekühlten Rechenzentrum, mit redun- dantem Strom und Netz sowie einem Terminalserver für den Zugriff auf die anderen Server, wenn es mal ein Problem gäbe. Und es wären Server der letzten Generation, nicht der vorvorletzten. Wenn ich schon einmal dabei w a r , träumte ich gleich wei- ter: Dass wir uns ein Büro mieten und Leute mit konkreten Aufgaben betrauen würden. Dass w i r uns Gehälter zahlen könnten. Ich wollte am liebsten nie wieder in die Firma zu- rück, zu den Excel Sheets und Dienstagsmeetings und mei- nen heimlichen Telefonkonferenzen im L a g e r r a u m des 8. Stockwerks. Das Bewerbungsverfahren zog sich über Wochen hin. Die Knigbt Foundation forderte weitere Unterlagen und wollte 89 uns d a n n ratsächlich zur letzten Runde nach Boston ans MIT laden. Die Foundation wollte uns persönlich kennen- lernen und auch die Leute von unserem Board befragen. Das Adi'isory Iloardwat noch so eine phantastische Kon- struktion, vor meiner Zeit eingerichtet. Von den acht Leu- ten, die wir als unseren Beirat bezeichneten, bekannte sich eine einzige Person öffentlich zu uns, und das war Cd Hinke, ein Netzaktivist ausThailand. Journalisten trieben im Laufe der Zeit jedes Einzelne der vermeintlichen Board-Mitglieder auf. Die Chinesen stritten sofort ab, dazuzugehören, was Julian mit den Worten abtat: »Ist ja klar, dass die sich nicht öffenrlich dazu bekennen dürfen.« Ben Laurie hat mehrfach abgestritten, uns je beraten zu haben. Philip Adams sagte immerhin, dass er irgendwann zugestimmt hätte, aber aus gesundheitlichen Gründen nichts hätte beitragen können. Die Foundation hätte es sicherlich nützlich gefunden, we- nigstens die Kerntruppe von WikiLeaks ein einziges Mal sprechen zu dürfen. Aber es w a r unmöglich, einen Termin für eine gemeinsame Telefonkonferenz zu finden. Die Mails gingen ewig hin und her, die Foundation muss uns entweder für total arrogant oder extrem unorganisiert gehalten ha- ben - was ja beides stimmte. Ich versicherte ihnen: Welchen Termin auch immer sie vorschlügen, ich wenigstens wäre auf jeden Fall für sie da. Ich wollte unseren Ansprechpartnern das Gefühl geben, dass wir uns kümmerten. Julian schrieb mir daraufbin eine böse Mail, dass ich nicht der Antragstel- ler sei: »You're not the applicant.« Später hat er den anderen gesagt, ich hätte versucht, mich in den Antrag hineinzudrängen. Mein Gott! Wir hatten un- sere Energien besser darauf verwendet, gemeinsam eine überzeugende Präsentation vorzulegen. Wir sollten d a n n in der letzten Runde scheitern. Mir war klar, dass wir uns eines Tages von WL ein Gehalt auszahlen wollten. Das Ziel sollte sein, dass keiner mehr an- schaffen gehen müsste. Denn das war ja immer das Problem: Wir brauchten eigentlich viel mehr Leute. Und wir brauchten viel mehr Zeit. Beides war nicht vorhanden, weil wir fast alle neben WL noch Geld verdienen mussten. In meinen Augen war es eine Art von Prostitution, nicht die Arbeit machen zu können, von der man wusste, dass sie sehr viel sinnvoller wäre. Wobei ich natürlich auch weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der nicht tun kann, was er am liebsten tun möchte. Es gab nur eine Person, die für ihre Dienste bei WL damals Geld bekommen hat, das war der eine Techniker, der noch immer bei WL ist. Vielleicht ist er sogar deshalb bis heute ge- bliehen, aus dem Gefühl heraus, Wl. dadurch verpflichtet zu sein. Einmalgaben wirauch einer Journalistin rund 600 Euro dafür, dass sie uns eine aufwendige Analyse zu den Banken- Leaks schrieb. Wir dachten damals, wir mussten jemanden gezielt darauf ansetzen, tiefergehende Recherchen anzustel- len. 2009 waren 600 Euro noch viel Geld für uns. Mir ging meine Arbeit jedenfalls zunehmend auf die Ner- ven. Meine Energien für die Kunden aufzuwenden führte ja zu nichts-welchen Sinn sollte es haben, wenn bei Opel noch mehr Wagen vom Band rollten oder irgendein anderer mei- ner Kunden seine Absatzzahlen in die H o h e schraubte? Da- durch wurde die Welt nicht besser. Ich hatte immer das Ge- fühl, dass jemand mit bestimmten Qualifikationen auch die Verantwortung hatte, sie im Sinne der Gesellschaft einzuset- zen. Jede Minute im Büro kam mir verschwendet vor. Ich konzentrierte mich einzig darauf, die Arbeit so effizient wie möglich zu gestalten. Das ist in einem großen Unrernehmen, in dem die Projekrphasen ohnehin sehr großzügig bemessen waren, problemlos möglich - zumal ich ohnehin schneller arbeitere als die meisten anderen. Ich beschäftigte mich nachts mit WikiLeaks uiui tagsüber mit den Anliegen meiner Kunden, und das immer häufiger von zu I lause aus. Manchmal weckte mich um elf Uhr das Telefon, ein wichtiger Kunde w a r in der Leitung - Telefon- konferenz, total vergessen. In Unterhose strauchelte ich, aus dem Tiefschlaf gerissen, über einen Packen geheimer Mili- rärdokumenre, der auf dem Roden ausgebreitet lag, und ließ mich in meinen Sitzsack nieder. Und dann erläuterte ich den T o p m a n a g e r n von Weltkonzernen, w ä h r e n d ich auf das Loch in meiner rechten Socke guckte, wie großartig wir ihre Rechenzentren optimieren w ü r d e n . Danach widmete ich mich wieder den Dokumenten, den Geheimdienstpapieren und Korruptionsfällen, die als Nächstes auf die Seite sollten. Die Qualität meiner Arbeit blieb einwandfrei. Meine Eltern hatten mich zu einem pfliebtbewussten Menschen erzogen - tmd das vergisst sich nicht so schnell. Mitte 2008 war ich fürmeinen Arbeitgeber vier Wochen lang in Moskau. Ich sollte dort den Aufbau eines Rechenzentrums in einem Bürogebäude durchführen. Vor O r t stellte sich d a n n heraus, dass das ganze Linterfangen aus dem Ruder gelauten war. Ich wohnte ein bisschen außerhalb in einem Holiday Inn am Sokolniki-Park im Nordosten von Moskau und musste jeden Tag 45 Minuten mit der U-Bahn bis zu meinem Ein¬ satzort fahren. Weil ich der einzige Nicht-Russe vor O r t war, also n u r m i r vertraut wurde, war ich bald Mädchen für alles. Der Kunde rief täglich bei mir a n . Ich schuftete rund um die Uhr. Außerdem galt es Hardware im Wert von einer knappen Million Dollar gegen Dreck und Staub zu schützen. Entwe- der ein Arbeiter schmirgelte die Wände vor dem Serverraum o d e r die Klimaanlage leckte aus der Decke. Die Baustelle war ein Alptraum: Schutt und Müll versteck- ten die schlecht bezahlten Arbeiter einfach im Zwischen- 91 hoden. Noch bevor sie ferrig waren, gab es schon die ersten Lecks in den Heizungsrohren, weil alle achtlos darauf her- umliefen. Weil ich von früh bis spät auf den Beinen war, hat- ten sich an meinen Füßen sogar Blutblasen gebildet. Ein Paar Doc Marrens war nach Moskau komplett durchgelaufen. Die Stadt zerrte an meinen Nerven. Einmal gönnte ich mir ein Kontrastprogramm und be- suchte meinen Austauschpartner, bei dem ich gewohnt hatte, als ich in der zwölften Klasse schon einmal in Russland gewesen bin. Wladimir* hatte Jura studiert. Wenn ich ihn fragte, was genau heute seine Aufgabe sei, sagte er: »Gefal- len tun.« Er hatte vier Freundinnen, jeder hatte er ein Auto und eine Eigentumswohnung geschenkt. Und was mich am meisten beeindruckte: In seinem Auto lag ein Schreiben vom Polizeichef, in dem sinngemäß stand: »Diesen Mann bitte in Ruhe lassen.« Ich bin wirklich kein ängstlicher Beifahrer, aber wenn Wladimir" mit hundert Sachen auf eine Rechtsabbiegerspur zurasre oder gleich eine neue Spur für sich aufmachte, in der festen Überzeugung, dass alle anderen ihm Platz machen mÜSSten und er vorm Verkehrsgericht ohnehin Recht be- käme, hielt ich mich doch an diesem Griff fest, der über dem Fenster angebracht ist. Aus meinem Bürofenster sah ich derweil auf mehrere Rie- senbaustellen. Dort bauten moldawische Arbeiter gerade an neuen Rekorden. Links am höchsten Gebäude Europas und rechts am zweithöchsten Turm der Welt, wenn ich mich rich- tigerinnere. Die Arbeiter wohnten in kleinen Conrainerstäd- ten, so etwas wie russische Townships, um die Stacheldraht gezogen war. Mehr als fünfzig Arbeiter waren seit Beginn der Bauarbeiten durch Unfälle g e s t o r b e n . Es ist wirklich eine Schande, dass wir uns den Zuständen in diesem Land mit keinem Dokument zugewandt hatten, all die Jahre. Es traf einfach wenig Material aus Russland bei 93 uns ein. Und wir konnten ja die Sprache nicht. M a n konnte über unseren Lieblingsfeind USA sagen, was man wollte, aber hier in Moskau brannte es auch an jeder Ecke. Ich hätte in diesen Wochen auch gerne wieder mehr Zeit für Wiki- Leaks gehabt. Immerhin schaffte ich es, mich in Moskau mit Transpareney International zu treffen und ein Interview im Auslandsstudio der ARD zu geben. Zu diesem Z e i t p u n k t gab es eine erste Kündigungswelle bei uns am Standort, und der Betriebsrat schickte eine Mail herum mir dem Angebot an alle Mitarbeiter, sich diesbezüg- lich beraten zu lassen. Wenig später k a m eine Mail von der Geschäftsführung: Man dürfe die Viertelstunde, die ein Mit- arbeiter beim Betriebsrat zubrächte, nicht als reguläre Ar- beitszeit anrechnen. Blockwartallüren und pädagogischer Bullshit dieser An kamen s t ä n d i g - sei es nun die M a h n u n g , nicht /.Li vergessen, dass d e r 2 4 . Dezember ein halber Arbeits- tag sei, oder der Hinweis, dass Kugelschreiber und Radier- gummis Eirmeneigentum seien. Ich arbeitete 16, IS Stunden am Tag, und dann wurde ei- nem unterstellt, man wolle seine Firma um eine Viertelstunde bezahlte Arbeitszeit bescheißen. Also verfasste ich eine Ant- wortmail, die ich an alle deutschen Mitarbeiter des Konzerns verschickte. Ich gab als Absender die Adresse der Geschäfts- führungan, mit der gesamten Chefriege in Kopie. In der Mail bat ich den Geschäftsführer, er solle doch mal bitte von sei- ner eigenen Arbeitsmoral nicht auf die von allen anderen schließen. Und dass es auch schön sei, wenn der Betriebsrat mal ein bisschen mehr Rückgrat zeige. Die Mail ließ ich über einen Netzwerk-Drucker abgehen. Ich kannte die IP- Adresse, weil es sich um den Drucker auf dem Flur meines Rüsselshei- mer Büros handelte. Es dauerte nicht lange, und ein Chatfenster auf meinem Rechner ging a u f - e i n e Kollegin, die zum engeren Kreis der Geschäfrsleitunggehörte. Man hätte da ein Problem, und ich 94 kenne mich doch gut aus mit Sicherheit und so, ob ich ihnen helfen könne. Ich tat erstaunt: »Na so was!« Ich prüfte den Fall gewissenhaft und erinnerte d a r a n , dass ich schon mehrfach auf das Sicherheitsproblem bei Netzwerkdruckern hingewiesen hatte. »Kann man den Absender der Mail nicht ermitteln?« »Leider nein«, bedauerte ich. »Ich habe hier auch sehr viel zu tun, sorry, ©.« Ich verabschiedete mich freundlich und widmete mich wieder meiner russischen Baustelle. Einige meiner Kollegen daheim entwickelten bald einen regelrechten Hass auf denjenigen, der die Mail verschickt hatte. Sie fürchteten, dass sie als Verfasser der Mail verdäch- tigt werden könnten und jetzt erst recht ihren Job verlieren. Vor allem diejenigen, die sonst nie eine Gelegenheit auslie- ßen, auf die Geschäftsleitung zu schimpfen, hatten plötzlich die Hosen voll. Ich beobachtete amüsiert, dass die Geschäftsleitung sogar die Polizei einschaltete und wie stümperhaft diese vorging. Sie versiegelten den Raum mit großem Aufwand und nah- men Fingerabdrücke an allen Druck- und Kopiergeräten. Sie bauten auch die Speicher der Geräte aus und brachten sie in die Forensik. Natürlich kam nie etwas dabei heraus. Anfang 2009 war klar, dass ich meinen Job kündigen würde. Normalerweise wäre ich niemals entlassen worden. Weil ich mich aber freiwillig meldete, jung und alleinstehend war, k o n n t e die Firma mein Angebot nicht ausschlagen. Ich habe dann ein Jahresgehalt als Abfindung ausgehandelt und bin zum 31. Januar 2 0 0 9 ausgeschieden. Als Erstes kaufte ich von dem Geld für Wl, sechs neue Laptops und ein paar Telefone. Meine Eltern verstanden anfangs nicht, warum ich gekün- digt hatte: Ein sicherer Job, die R e n t e - d a r a u f zu verzichten, 95 klang in ihren Ohren gefährlich. Grundsätzlich haben sie mich jetloch immer unterstützt. Vor allem meine Mutrer hatte längst verstanden, dass ich etwas tun wollte, was ich auch gesellschaftlich für sinnvoll hielt, und ihr war klar, dass alle Versuche, mich u m z u s t i m m e n , nur ins Gegenteil umschlagen konnten. Ich ging damals davon aus, dass wir es innerhalb von ei- nem J a h r schaffen würden, das Projekt so aufzustellen, dass wir uns auch ein kleines Gehalt zahlen könnten. M i r k a m mein Schritt also gar nicht so abenteuerlich vor. Es fühlte sich alles gut und richtig an. Der Kampf gegen Internetzensur Im Jahr 2 0 0 8 fingen wir an, die Filterlisten von unterschied- lichen Systemen zu veröffentlichen, die in der ganzen Welt zum Einsatz kommen, um den Zugang zu bestimmten Web- sites zu blockieren. Die erste Liste kam aus Thailand. Der politische Miss- brauch war in diesem Fall offensichtlich: Das Regime nutzte die Filter zentral, um Kritik am Königshaus zu unterbinden. Auch Seiten mit pornographischem Inhalt wurden herausge- fischt. bald kamen auch Filterlisten aus demokratischen Staaten bei uns a n , aus Norwegen, Finnland, Dänemark, aus Italien und Australien. In diesen Ländern sollten sie vorgeblich dazu dienen, die Verbreitung von Kinderpornographie einzudäm- men. Fimge dieser Systeme sind nur für den freiwilligen Ein- satz gedacht, das heißt, Eltern können die Filter etwa auf ih- ren eigenen Rechnern und au! denen ihrer Kinder installieren. Das ist sicherlich ein guter Ansatz. Zu einer bedenklichen Zensurma Isnahme wird das, wenn der (lesel/.gcber versucht, diese Filter verpflichtend füralle Internetnutzer einzuführen. Das Argument der Befürworrer ist, man könne nur auf diese Weise wirkungsvoll gegen Kinderpornographie im Netz vorgehen. Das ist ein Scheinargument. Fs wurde in der Folge auf vielfache Weise widerlegt. So stellte sich a n h a n d unserer Leaks heraus, dass selbst die beste Filterliste noch nicht einmal mit jeder dritten als gefährlich identifizierten Seite richtig lag. Einige Listen hat- 97 tcn sogar Fehlerquoten von bis zu 90 Prozent. Besonders schlecht war die finnische Liste: N u r ein paar Prozent der identifizierten Seiten waren tatsächlich kinderpornographi- schen Inhalts. Diese Informationen lösten eine breite politi- sche Protestbewegung a n s . Die Systeme waren nicht nur schlecht, sie Helsen sich auch leicht politisch missbrauchen, und zwar nicht nur in Diktatu- ren und Un rechtsstaateil wie China oder Thailand. In Finn- land etwa traf die Zensur Matti Nikki, einen bekannten Blog- ger. Nachdem er die finnische Sperrliste veröffentlicht hatte, landete seine eigene lP-Adresseebenfalls darauf. In den australischen Listen fanden sich Seiten eines Z a h n - arztes, von Abtreibungsgegnern sowie Netzauftrirte von Homosexuellen und religiösen Minderheiten. Unser Leak zu der australischen Liste fiel in die Zeit des dortigen Wahlkampfes. In Australien ging es der Regierimg genau wie in Deutschland d a r u m , die Netzfilter für alle Nut- zer verbindlich einzuführen. Die Regierung bestritt, dass es sich bei der geleakten Liste um das D o k u m e n t handeln könnte, das auch ihren Gesetzesplänen zugrunde lag. Ironi- scherweise bekamen wir bald eine neue Liste zugespielt, die der alten sehr ähnlich sah. Jedoch hatten die Verantwortli- chen sie an den öffentlich besonders kritisierten Punkten nachge bessert. Ende April 2009 hat in Deutschland die damalige Familien- ministerin Ursula von der Leyen ihren ersten Entwurf für das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz vorgelegt. Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages meldete damals verfassungsrechtliche Bedenken an. Ich glaube, dass man den Entwurf einfach trorzdem durchgewinkt härte, wenn es uns flicht gelungen wäre, das Thema in den öffentlichen Fokuszu bringen. Aber wie so oft zu diesem Zeitpunkt war es nicht primär der N a m e WikiLeaks, der in die öffentliche Aufmerksam- keit v o r d r a n g . Es brauchte eine weitere Person, die das Thema aufnahm und zu ihrer Sache erklärte. In diesem Fall, und zu unserem großen Glück, war das Franziska Heine. Die junge Berlinerin entdeckte das Thema in einem Blog und setzte kurzentschlossen eine Online-Petition auf, die zur erfolgreichsten Online-Petition der Bundesrepublik werden sollte. Dadurch w u r d e Franziska innerhalb weniger Tage prominent, zumindest in den Kreisen, die sich politisch und journalistisch mit der Zensurfrage auseinandersetzten. Wich- tige Zeitungen und Fernsehsendungen wollten ein Interview mit ihr. Wenn ich mit ihr unterwegs war, klingelte ständig ihr Telefon, jede Mittagspause wurde von ihr für Presse- termine genutzt. Kennengelernt habe ich Franziska per Mail. Nachdem sie die Petition in die Welt gesetzt hatte, habe ich sie angeschrie- ben und gefragt, ob wir uns nicht z u s a m m e n t u n wollten. Ihre Antwort klang begeistert. Am Faule schrieb sie: »Wir sollten uns mal treffen.« Ein p a a r Tage später saß ich schon im Zug nach Berlin. Franziska ist ein sehr offener Mensch. Gleich hei unserem ersten Treffen sind wir gemeinsam stundenlang an der Spree entlanggeschlendert und haben geredet. Sie hat diesen sehr freundlichen, leicht schelmisch-verschlafenen Blick und es machte Spaß, mit ihr zu plaudern. Ich hätte mir höchstens gewünscht, nicht diese schwere Schultertasche dabeigehabt zu haben. Aus Sicherheitsgründen harte ich mir angewöhnt, meine beiden Laptops und die Handys nie unbewacht allein zu Hause zu lassen. Danach begleitete ich sie in den »Club der Visionäre«. Wir setzten uns auf den Steg am Flutgraben, hörten elektronische Musik und guckten aufs Wasser. Später kamen noch andere Blogger und Netzaktivisten dazu. Franziska brannte wirk- lich für das Thema, mindestens so sehr wie ich. Ich weiß nicht, ob ihr der Rummel um ihre Person gefallen hat. Sie absolvierte all das neben ihrem normalen Vollzeitjob als Projektmanagerin bei einem Telekommuni kationsunter¬ nehmen, das war sicher anstrengend. Aus meiner Sicht war sie die richtige Besetzung für diese Rolle, weil sie vorher noch nicht mit Netzaktivitäten von sich reden gemacht hatte und keine eigene politische Agenda verfolgte oder Ambitionen hegte, das Thema für die eigene Karriere zu missbrauchen. Und da sie sich selbst in vielen technischen Fragen nicht bis ins Letzte auskannte, bat sie mich, sie zu Pressegesprächen zu begleiten. Ich half gerne, nicht n u r als Stichwortgeber und wandelndes technisches Nachschlagewerk, sondern auch, weil ich dadurch Kontakt bekam zu den politischen Entschci- dern. 2 0 0 9 klebten Franziska und ich auch gemeinsam Plakate für die große A n t i - Ü b e r w a c h u n g s - D e m o »Freiheit statt Angst« in Berlin und trafen uns auf der HAR, der großen Hackerkonferenz in den Niederlanden, wieder. Mittlerweile ist der Kontakt ein wenig eingeschlafen. Sie war, glaube ich, ganz froh, sich irgendwann wieder intensiver ihrem Beruf und vor allem ihrem Privatleben widmen zu können. Ks gab damals schon viele Leute, die sich mit Zensurfragen beschäl- tigren. Und es war erstaunlich schwierig, sie zur Zusammen- arbeit zu bewegen. Da sie das T h e m a schon viel früher ent- deckt hatten, führten sie sich mitunter auf, als hätten sie es gepachtet. Ks ging in den Gesprächen dann häufig nicht mehr um die Sache, sondern nur d a r u m , wessen N a m e aufweichen Papieren stünde. Franziska war damals eingeladen zu einem Streitgespräch mit der damaligen Familienministerin Ursula von der Leven. Moderiert werden sollte es von dem Ze/r-O^/mf-Journalis- ten Kai Biermann und dem Zc;7-Redakteur Fleinrich Wefing. Franziska bat mich, sie zu begleiten. Obwohl die Journalis- 1 Ou- ten einverstanden w a r e n , dass ich m i t k a m , bestanden sie darauf, dass alle meine Antworten Franziska zugeschlagen würden. Ich schien den beiden Interviewern ein wenig lästig zu sein. Mir hatte man zwar auch einen Stuhl und Kaffee ange- boten, aber wenn Franziska etwas sagte, nickten ihr die bei- den Männer freundlich zu. Sie wollten wissen, wie Franziska denn daraufgekommen sei, eine solche Petition aufzulegen. Sobald ich ein technisches Detail erklären wollte, hieß es meist: »Zu viel Detail, zu viel Technik.« Ich fragte mich, wie man die ganze Sache überhaupt ver- stehen konnte, wenn man nicht bereit war, sich mit den tech- nischen Details zu befassen. Aber den Journalisten ging es mehr um die persönliche Geschichte von Franziska. Normalerweise interessiert mich das Autorisieren von Zi- taten nicht. Wefing gegenüber erwähnte ich, dass ich das für ein Krebsgeschwür des deutschen Journalismus hielte, eine Aussage, für die mich andere Journalisten am liebsten spon- tan geherzt hätten. Wefing allerdings erklärte mir, dass es sich im Gegenteil um eine deutsche Tugend handele und nie- mand den Journalisten Interviews gäbe, wenn man es nicht so handhabte. Im Nachhinein haben wir mit unserer anstandslosen Frei- gabe des Interviews bei der Zeit tatsächlich einen Fehler ge- macht. Denn während wir einen ausgewogenen Eindruck von der uns vorgelegten Abschrift hatten, schickte man den gleichen Text erst danach an die Gegenseite. Und der Presse- sprecher von Ursula von der Leven hielt sich mit Nachbesse- rungen weniger zurück. Das Endergebnis, das wir d a n n in der Zeitung abgedruckt fanden, verzerrte die Debatte zu un- seren Ungunsten, was uns sehr geärgert hat. Es gab dann noch einen zweiten Termin mit der Ministe- rin. Das Büro von Ursula von der Leven ist in einem grauen Betonklotz am AlexandcrpLuz. Das Besprechungszimmer [01 im obersten Stock war etwa halb so groß wie ein Klassenzim- mer, in der Mitte stand eine Tischgruppe mit Stühlen rund- herum. D o r t warteten außer der Ministerin noch ein paar weirere Personen auf uns: Annette Niederfranke, die Minis- terialdirektorin und Leiterin der "Abteilung (S: Kinder und Jugendhilfe« mit einer ihrer Mitarbeiterinnen sowie dem Pressesprecher Jens Flosdorff, den wir schon vom Ze/r-lnter- view kannten. Und dann war da noch eine weirere Person. Mit ihrem Auftauchen hatten wir nichr gerechnet: Lisa*. Ei- nen Meter zwanzig groß. Ein ungefähr acht Jahre altes Kind. Wir sollten an einem Ende des Tischkreises Platz nehmen, während das braungelockte Mädchen uns gegenübersaß. Sie kritzelte mit einem Wachsmalstift auf weißen Blättern he- rum, halbwegs vertieft in ihre Aufgabe. M a n erklärte uns, das sei die Lisa*, die Tochter der Mitar- beiterin von Annette Niederfranke, und der Papa von der Lisa*, der sei heute auf Geschäftsreise und deshalb hätte die Lisa* nach der Schule zu ihrer M a m a ins Büro gehen müssen. Und weil keiner sonst im Ministerium sich um die Lisa* küm- mern könne, müsse sie bei diesem Gespräch über Kinder¬ pornographie mit am Tisch sitzen. »Das sollte doch kein Problem sein, oder?«, sagte von der Leven und lächelte. Die Lisa*, als hätten wir diesbezüglich Sorgen geäußert, sei ja ganz friedlich und male nur lustige, bunte Bilder. Und, weil sie ja nun einmal dabeisitze, sollten wir bloß ja nicht das »K-Wort« verwenden. Man muss dieses »schreckliche Wort« ja nichr verwenden, sagte die Minis- terin und wiederholte gleich noch einmal: »dieses schreck- liche, schreckliche Wort«. Dabei guckte sie sehr betrübt. »Wir wissen ja alle, worum es hier geht.« Sie nickte noch einmal bedeutungsvoll in die Runde und das Gespräch konnte be- ginnen. Wir blieben etwa zwei Stunden. Und die ganze Zeit über redete Ursula von der Leven konsequent vom »K-Wort«, wäh- 102 rend die junge Mitarbeiterin der Abteilungslciterin ganz unverblümt das Wort »Kinderpornographie« in den Mund nahm. War ja auch nur Lisas* Mutter. Das Ganze hätte Lo- riot kaum besser in Szene setzen können. Schließlich hieß es, es sei ja nun schon spät und die Lisa* müsse ins Bert. Deshalb sei der Termin jetzt beendet. ••Danke, hat uns gefreut, finden Sie alleine raus?« Der Ton war während des ganzen Gesprächs sehr ruhig und gefasst. Von der Leven demonstrierte mit jedem Wort und jeder Geste, wie gut gelaunt und nett sie war. Und wir hatten ja »die Lisa*« nicht verschrecken wollen. Es konnte niemand mal auf den Tisch hauen und sagen: »Sorry, aber gegen diese ganzen Pädophilen bringt doch dieser Bullshit, den ihr da vorhabt, überhaupt nichts!« Welche kluge Pressestraregie das auch immer gewesen sein sollte - wir fühlten uns moralisch erpresst und ärger- ten uns im Nachhinein, dass wir das Gespräch nicht sofort abgebrochen hatten. Zumindest verstanden wir danach ein bisschen besser, was Ursula von der Leyen antrieb. Sie er- klärte uns, wie schlimm es für sie sei, wenn sie auf internati- onalen Konferenzen danach gefragt werde, warum Deutsch- land d e n n nicht ausreichend gegen K i n d e r p o r n o g r a p h i e vorginge. Das war ihr Punkt. Okay. M i r kam es so vor, als wolle sie etwas machen, um zu demonstrieren, dass sie etwas machte. Was genau das war, schien dabei zweitrangig. Nichtsdestotrotz war der Widerstand gegen das Netzsper- ren-Gesetz eine der politisch erfolgreichsten Aktionen mei- ner WL-Zeit. Es zeigte sich, wie schnell politischer Druck aufgebaut werden konnte. Wir hatten die Fakten, Franziska war die Aktivistin, vier Wochen später saßen wir mit der zuständigen Ministerin Ursula von der Leyen am Tisch. Von den zwei möglichen Arten des politischen Engage- ments war mir dieser Weg der liebste: M a n kann im Nach- 103 hinein kritisieren, wie bei Toll Collect oder dem deutschen Pharmaunternehmen, dass etwas schiefgelaufen war. (Vier man kann den laufenden Prozess beeinflussen. Wir haben dabei gelernt, dass man eine gewisse Wahrnehmungsschwelle in den Medien überwinden musste, um etwas zu bewegen. Und das funktionierte leider am besten, wenn man ein Pro- blem personalisierte, ihm ein Gesicht und eine individuelle Note gab. Auf der HAR 2 0 0 9 versuchten wir d a n n , den politischen Schwung, den wir in Deutschland verspürt hatten, auf ein größeres Forum zu übertragen. Unser Ziel war, eine politi- sche Bewegung ins Leben zu rufen, die sich gemeinsam gegen I n t e m e t - Z e n s u r m a ß n a h m e n in der ganzen Welt zur Wehr setzt. HAR ist die Abkürzung für hhnking at kaiiiluin und so etwas wie das Woodsrock für H a c k e r - e i n riesiges C a m p , das alle vier Jahre an unterschiedlichen Orten in den Nieder- landen stattfindet. Die HAR ist ein guter O r t , um mit Leuten in Kontakt zu kommen und neue Themen anzustoßen. Für Julian und mich waren hier drei Vorträge eingeplant, unter anderem ein Panel zum Thema Zensur. Meine F r e u n d i n , einer unserer beiden Techniker und ich fuhren schon eine knappe Woche, bevor das C a m p am 13. August losgehen sollte, in einem großen, weißen Merce- des-Sprinter nach Vierhouten. Wir hatten ein riesiges Zeltla- ger im Gepäck. Mein größter Stolz war die hellblaue Flagge mit dem Wl.-Logo,die ich bei einem Tcxrilservice im Interner bestellt hatte: An einem sechs Meter hohen Mast wehte eine fast zwei Meter lange Fahne. W i r hatten außerdem zwei Partyzelte, meine mobile Solaranlage, einen Haufen Lichter und eine Discokugel dabei. Dazu kamen ein Kühlschrank, Hängematten, ein aufblasbarer Sessel und eine Matratze. Das ( a m p wurde auf einem riesigen Gelände mit Wiesen 104 und Wäldchen aufgebaut, das zu normalen Zeiten ein Cam- pingplatz fürFamilienurlauber ist. Wir halfen Strom verteilet zu errichten, das Datennetz und Vortragszelte aufzubauen, kiforneterweise Kabel und Glasfaser zu verlegen und die l . e i l H i l g e n oben durch die Bäume zu spannen, damil keiner d a r ü b e r stolperte. Für die fünf Konferenz tage w u r d e eine komplette Zeltstadt aufgebaut, mit allem, was man brauchte - inklusive einer 10-Gigabir-Anbindung ans Internet, die große Teile des europäischen Netztraffic für die folgenden "läge Richtung Vierhouten verlagern sollte. Die Vorbereitungen machen mir bei solchen C a m p s fast am meisten Spaß. Ich fand es großartig, mich mal wieder an der frischen Luft zu bewegen und mit echten Menschen zu tun zu haben. Das Wetter war der Hammer. N u r in einer Nacht gab es ein kleines Unwetter, und das Regenwasser lief in die Batte- rien, an der die Solaranlage hing. Es gab einen Kurzseh luss, und der Aufbau wäre um ein H a a r abgebrannt. Das haben wir allerdings erst am nächsten Morgen bemerkt. Julian kam zwei Tage vor dem Vortrag an. Er baute sein Zeh in der hintersten Ecke auf, dann stromerte er über das Gelände. Uns zu helfen lag ihm nicht so. Auf der MAR lief alle Welt mit DLCT-Telefonen herum, die über ein eigenes Nerz miteinander verbunden waren. So konnte jeder mit jedem auf dem Gelände Kontakt aufneh- men oder freunde anklingeln, wenn man sich im Gedrängel mal wieder verloren hatte. Und natürlich ließ sich damit auch in alle Welr telefonieren. Für die DECT-Telefone konnte man sich einen vierstelligen Code reservieren. Ich suchte mir den Code »LEAK« aus. Für Julian hatte ich »6(i39«, also »MNDX« für »Mendax« be- sorgt, seinen alten Hacker-Namen. Ich glaube, er war wirk- lich happy damit. Ich erinnerte mich an einen Vortrag, den wir 2 0 0 8 in Berlin gehalten haben. Jemand aus dem Puhli- kum harre Julian auf der Bühne erkannt und laut »Hey Men- dax!« gerufen. Iis war an Julians Gesicht abzulesen, wie sehr ihn das gefreut hat. Auf dem Congress im Dezember 2007, als wir uns das erste Mal in Berlin sahen, war er wahrschein- lich mit Abstand der größte Hacker von allen dort, und so stolzierte er auch herum. Ich glaube, er war ein bisschen ent- täuscht, dass ihn kaum jemand erkannte. Ich hörte sein Telefon auf der HAR auch kein einziges Mal klingeln. Aber er lud es auch nie auf und k ü m m e r t e sich nicht d a r u m . Neben den vielen Veranstaltungen w u r d e auf der HAR immer irgendwo gefeiert. Bei uns im Zelt gab es eine Dis- cokugcl und Musik, und abends wurde zusammen gekocht. An die zwanzig Leute saßen hier zusammen, allein schon deshalb, weil wir so gut ausgestattet waren. Meine Freundin entspannte sich auf der HAR, sie war froh, mich mal mehrere Tage in ihrer N ä h e zu haben. Sie schaukelte in der Hänge- matte oder lackierte ihre Fußnägel in Regenbogenfarben. Außerdem sammelte sie Geld für die Einkäufe ein und half beim Kochen. Alle mochten sie. Noch glücklicher habe ich unseren Techniker mit diesem Ausflug gemacht. Er fühlte sich in der freien N a t u r sehr wohl, schloss neue Freundschaften und ließ Gott einen guten M a n n sein. Ich habe damals gedacht, dass wir alle viel öfter etwas gemeinsam unternehmen sollten. Und wie gut es war, den Blick mal auf ein paar Bäume und nichr immer nur auf Bildschirme zu richten. Marvin Minsky, ein Experte für Künstliche Intelligenz, der als einer der Ersten die These vertrat, dass wir die Com- puter eines Tages per Kabel direkt mit unseren Gehirnen verbinden werden, wurde von einem Journalisten einmal gefragt, wann wir uns denn endgültig in die virtuelle Welt verabschieden werden. Er soll sinngemäß gesagt haben: So- lange wir nach zwei Stunden mit den tollsten 3-D-Darstel- 106 hingen am Computer immer noch nach draußen gucken, ei- nen Baum sehen und uns e r s t a u n t fragen, was für ein detailreiches, w u n d e r b a r e s Ding das doch ist - so lange würde das ganz sicher nicht passieren. Julian hatte dann die Idee, dass er eine neue Rede halten wollte. Er mochte sie aber nicht mir mir abstimmen, obwohl wir unsere Vorträge immer gemeinsam hielten. Stattdessen fuhr er in ein Hotel. Er könne sich dort besser vorbereiten und wolle mit einer Bekannten die Rede noch einmal minu- tiös durchgehen, sagte er mir. Auf der einen Seite war ich froh, dass er immerhin schon zwei Tage und nicht erst zwei Minuten vor Beginn des Vor- trags angereist war, wie so oft. Ich hätte mich dennoch gerne mit ihm abgesprochen. Diese Harakiri-Spontan-Improvisa- t i o n s n u m m e r n auf der Bühne zerrten an meinen Nerven. Heute gehe ich ganz oft unvorbereitet zu Terminen. Die The- men kenne ich mittlerweile ohnehin im Schlaf. Ich bin viel spontaner geworden. Danach sagen mir die Leute oft, wie gut sie mir zuhören konnten, weil ich so frei und frisch vorgetra- gen hätte. Das verdanke ich wohl Julian. Seit der Zeit unserer gemeinsamen Vorträge machte ich mir keine Sorgen, dass etwas schiefgehen könnte, dass der Beamer Feuer fangen oder die Bühne einstürzen könnte. Manchmal kaperten wir auch einfach die Bühne. Wenn die Veranstalter für uns keinen eigenen Auftritt vorgesehen hat- ten, wir aber der Meinung waren, dass wir unbedingt ins Pro- gramm gehörten, sprangen wir einfach ungefragt aufs Po- dium. So zum Beispiel im Juni 2 0 0 8 , als Julian und ich auf dem Global Voices Siiinmit in Budapest waren. Global Voices ist ein weltumspannendes Nerzwerk von Bloggern, die Bür¬ gerjournalismus und Blogs in alle Sprachen übersetzen, wei- terverbreiten und gegen Zensur verteidigen. Wir versprachen uns von der Konferenz neue Kontakte, die uns dabei hätten 107 unterstützen können, unsere Leaks weiter in tue Welt zu tra- gen. Wir schufen uns dafür einfach unseren eigenen Pro- grammpunkt, verteilten im Vorfeld Flyer und hüpften dann im AnschlusS an einen offiziellen Vortrag auf die Bühne. Nach clor Konferenz sprach Julian ein Mitarbeiter des Upen Society Institute (OS!) von George Soros an. Er fragte ihn, woher wir eigentlich das Geld für WL nahmen. Er deu- tete an, dass das OS1 Projekte wie unseres gerne unterstützen würde. Julian zufolge hätte er nach unserer Wunsch liste ge- fragt, und wir hätten dabei »nicht kleckern« sollen. Soweit ich weiß, wurde aber nie etwas daraus. Wir haben auf der HAR drei Vorträge gehalten. Beim Thema Internetzensur wollten wir die neue internationale Bewe- gungausrufen. Ich moderierte eine Podiumsdiskussion dazu. Mit mir auf der Bühne saßen Julian und Rop Gonggrijp, ein niederländischer Nerzaktivist, der uns später auch bei der Veröffentlichung von Colhiteml Munter unterstützte, außer- dem Franziska und padeluun vom Bielefelder Datenschutz- verein Foebud sowie eine Ex-M 16-Whistleblower in aus (iroßbrirannien. Alle waren sich in der Theorie einig: Überall auf der Welt bastelte die Politik an Zensur-Gesetzen, überall auf der Welt versuchten Menschen, dagegen vorzugehen. Es wäre s i n n - voll gewesen, sich international aufzustellen und den Wider- stand zentral zu steuern. Nach der Veranstaltung kamen viele Zuhörer zu uns und wollten sich engagieren. Wir riefen eine Mailingliste ins Leben, sie sollte den Grundstein legen für eine globale Bewegung. Und dabei blieb es dann. Was der Bewegung womöglich ge- fehlt hat, war ein Leitwolf, eine Persönlichkeit, die sich das Ganze auf die Fahnen schreiben und die Leute mitreißen würde. Dass es immer erst eines Idealisten bedurfte, der sich an die Spitze setzte - wer härte das besser wissen können als ich. I0H Neben der G r ü n d u n g einer globalen Anti-Zensur-Bewc- gung hatte ich mir auf der HAR noch einen weiteren, den vielleicht härtesten Job meines Lebens ausgesucht. Ich hatte T-Shirts mit dem WL-Logo bedrucken lassen. Ich bestellte weiße T-Shirts, weil ich dachte, dass unser Logo darauf am besten zur Geltung käme und weil wir ein paar Cent pro Exemplar sparten. Das war idiotisch. Wer kaufte schon weiße T-Shirts. Vor allem in einer Szene, in der das schwarze T-Shirt fast so etwas wie ein Dresscode ist. Ich selbst hätte nie im Leben ein weißes Shirt angezogen. Ich hatte 250 Stück davon drucken lassen, das waren fast vier Umzugskisten voll, ausgepackt und gestapelt erreichten sie eine Höhe von drei Metern. Diesen Monsrerstapel ver- suchte ich nun abzutragen. Heute würden sie als Fan-Artikel bestimmt für das Zehnfache weggehen, aber damals wollte sie niemand haben. Ich musste die Leute regelrecht festhalten, wenn sie an unserem Stand vorbeikamen, um ihnen fünf Euro für ein T-Shirt aus dem Portemonnaie zu quatschen. Meine Mit- streiter stellten sich leider auch nicht besser an. Hätten wir auf Einzelhandel umsteigen müssen, wir wären verhungert. Meine Freundin war viel zu ehrlich, um jemandem so ein hässliches T-Shirt mir gutem Gewissen aufs Auge zu drü- cken. Und Julian begann mit den Kaufinteresseuten lieber tiefschürfende Gespräche über den Z u s t a n d der Welt. So stand er dann da und quatschte und quatschte oder brach einen Streit vom Z a u n . An die T-Shirts dachte niemand mehr. Ich e n t g i n g nur k n a p p einem Verlustgeschäft. D a s WL-Merchandising würde uns ganz sicher nicht aus der Fi- nanznot retten. Wenig später bekamen wir dann noch einen Preis verliehen, einen Kunstpreis. Stifter war die Ars F.lectronica, die jedes 109 Jahr in Linz stattfindet. Aus meiner Sicht war das der kom- plette Schwachsinn. Es fing auch schon sehr lustig an. Eigentlich muss man sich um eine Auszeichnung bei die- sem Medien festival bewerben. Das tun jedes Jahr wohl meh- rere Tausend Künstler. Wir hatten da ganz sicher noch nie drüber nachgedacht. Wir b e k a m e n Post von den O r g a n i s a t o r e n . Z u n ä c h s t mailten sie nur ein paar Infos zu dem Preis. Wir löschten die Nachrichten. Kunst interessierte uns nicht die Bohne. Was wollten diese Leute? Die Mails jedoch häuften sich. Wir wur- den schließlich gefragt, ob wir uns nicht auch bewerben woll- ten. Wollten die uns etwa einen Preis verleihen? Das Proce- dere kam uns doch etwas seltsam vor. Auf der anderen Seite trauten wir dieser intellektuellen Hightech-Kunstszene alles zu. Wir hatten uns die Beschreibungen zu den prämierten Arbeiten des vergangenen Jahres durchgelesen. Und wunder- ten uns noch mehr. Das hörte sich eher nach Helge-Schnei- der-Zitaten oder T/Mwc-Artikeln an, war aber offensichtlich ernst gemeint. Gesellschaftlich relevant war wenig davon. Wie passte Wl. da hinein? Doch weil die Kuratoren der Ars Electronica uns so be- harrlich umworben hatten, schickte ich ein paar Blätter mit allgemeinen Informationen über WL nach Linz. Und - Über- raschung! - wir bekamen eine Einladung nach Österreich zur Preisverleihung am 4. September 2009. Weil sie uns nur ein Hotelzimmer bezahlten, mussten Ju- lian und ich in einem Doppelbett schlafen. Verglichen mir den Kaschemmen, in denen w i r s o n s t s o nächtigten, kam uns das »Hotel Wolfinger« vor wie das »Ritz«. Österreich isch¬ c h a r m a n t und schick dazu. Ich wollte spontan meine Schuhe ausziehen, sobald ich das edle Holzparketrdes Zimmers be- trar. Oder, noch schlimmer, verspürte sogar den Drang, ein bisschen aufzuräumen, bevor ich es wieder verließ. Immer- hin sah es überall, wo Julian und ich uns länger als fünf Mi- HO nuten aufhielten, bald aus, als wäre ein Koffer voller Klamor- ren explodiert und jemand hätte d a n n noch Kabel und Telefone dazwischen dekoriert. Aber dann tröstete ich mich mir dem G e d a n k e n , dass die anderen Künstler vermutlich auch nicht viel ordentlicher waren als wir. Wir waren in der Hoffnung angereist, ein p a a r reiche Kunstfuzzis zu treffen, mit denen wir netzwerken wollten, um bei ihnen Geld einzutreiben. Wir lebten ziemlich spar- sam. Den Akku meines Laptops hatte ich mir dickem Tape umwickelt, weil er sich bereits aus der Halterung löste. Aus Julian hätten schon ein paar neue Schuhe einen neuen Men- schen gemacht. Dennoch hatten wir unser Bestes gegeben, uns für die Kunstszene etwas aufzupolieren. Ich hatte ordent- liche schwarze Lederschuhe an. Julian trug einen taillierten Mantel aus schwarzem Tuch, der höchstens eine Spur zu klein und vermutlich für Frauen geschnitten war. Er sah da- rin zwar aus wie Phantomias kurz vorm Abheben, aber ir- gendwie auch recht mondän. Julian verlor ich dann schon vor der eigentlichen Preisver- leihung, die im Brucknerhaus stattfand, aus den Augen. Vielleicht war er draußen am Fluss spazieren oder ins Hotel zurückgekehrt, weil ihm die Szene nicht gefiel. Er verpasste nichts. In meinen Augen wurden komplett sinnlose Projekte ausgezeichnet, und am Ende nannte uns der Moderator als Zweitplatzierte schon nicht mal mehr mit Na- men. Z w a r war der riesige Saal, in dem die Gala startfand, voller hoher Herren in Anzügen und Damen in Abendklei- dern, und in einer der vorderen Stuhlreihen saßen auch an die zwanzig Sponsoren aufgereiht, dazwischen die Künstler in ihren zwanghaft expressiven Garderoben. Nur war der ganze Auftritt für uns nutzlos, weil niemand erfahren sollte, wer wir eigentlich waren. Also gab es keine dicken Scheine, zugesteckt von den reichen Kunstfuzzis. Auch die Ausstellung kam mir komplett überdreht vor. Immerhin habe ich mir eine Uhr ge- 111 kauft, die sich mit der Bioenergie einer Pflanze betreihen ließ. Das war das einzige Projekt, das mir gefiel. Ansonsten sah und hörte ich nur selbstverliebte Menschen, die von ihren ba- nalen Projekten redeten und sich selbst beweihräucherten. Unten im Keller gab es eine Präsentation mit ein paar Fo- tos und Aufstellern von uns. Ich konfigurierte heimlich die herumstehenden Internetterminals so um, dass der Browser nur noch den Zugriff auf die WikiLeaks-Seite erlaubte. Selbst das bemerkte niemand. Am nächsten Tag flog ich frühzeitig ab, weil mir die ganze Show so auf die Nerven ging. Julian blieb bis M o n t a g . Da sollten die Zweitplatzierten noch einmal die Gelegenheit be- kommen, ihre Projekte zu präsentieren und mit den anderen ins Gespräch zu kommen. Gegen Mittag gab es eine Pressekonferenz, im gleichen Saal, diesmal aber mit deutlich dünnerer Besetzung. Für je- den der Ausgezeichneren war eine Redezeit von fünf Minuten eingeplant. Die Veranstalter begingen den Fehler, Julian den Anfang machen zu lassen. »Sind denn auch Vertreter von den Medien im Raum?«, fragte er. Etwa die Hälfte der Anwesenden meldete sich. »Na ein Glück«, sagte Julian. »Ich habe schon befürchtet, ich wäre hier wieder nur mit so Kunst wichsern eingesperrt.« Die Hälfte des Publikums lachte, zufällig ziemlich genau die gleiche Flälfte, die sich zuvor gemeldet hatte. Julian legte los, erklärte den erheiterten Journalisten und den beleidigten Künstlern, wie WikiLeaks und die Welt funktionierten und hörte erst 45 Minuten später auf zu reden. 112 Die Idee vom Medienfreihafen Im Sommer 2 0 0 9 w a r die weltweite Bankenkrise noch im- mer in vollem Gange. F.s harte uns jemand Material zur Kaupthing Bank zugespielt, das war damals die größre Bank Islands. Wir veröffentlichten das Dokument, und zwar am I.August 2009. Es zeigte, wie Geschäftspartner und dem Bankhaus Na- hestehende Kredite zu extrem günstigen Konditionen be- kommen hatten, und zwar kurz bevor die Bank in die Insol- venz gegangen war. Die M e d i e n s p r a c h e n von einer »Plünderung der Bank durch die Eigner«. Die Begünstigten hatten keine oder kaum Sicherheiten hinterlegt und dafür im Einzelfall Beträge im hohen Millionenbereich erhalten. Das hatte die isländische Bevölkerung zu massenhaften Protes- ten auf die Straße getrieben. Auch in England und in den Niederlanden, wo viele der Schuldner saßen, war die Empö- rung groß. Die Isländer begriffen, dass ihre Ausbeutung System gehabt hatte: Sie mussten den Bankrott ihres Staats und der Sozialkassen über Generationen abbezahlen, wäh- rend sich Banker die Taschen gefüllt hatten. Wenig später nahm eine Gruppe von Isländern Konrakt mit uns auf. Einer von ihnen war Herbert Snorasson, ein is- ländischer Student. Er plante mit seiner Uni-Gruppe iciag um stafreeni freist ä Island! (FSFI), die sich für ein offenes Internet einsetzt, eine Konferenz zum Thema »Digitale Frei- heiten« und fragte an, ob wir d a z u k ä m e n . Ich sagte sofort zu. Julian zögerte. 11.5 Er sagte oft erst in letzter Sekunde zu. kh hatte dann be- reits alles ausgemacht und organisiert. Vielleicht überzeugte ihn diesmal meine Bemerkung, auf Island gebe es statistisch betrachtet die schönsten Frauen der Welt. Harte ich ir- gendwo gelesen. Ich freute mich, mit ihm auf diese Konferenz zu fahren. Wann immer wir uns trafen, harten wir Spaß z u s a m m e n . Was mich langsam ein bisschen nervte, war sein Auftreten. Er musste sich immer als Chef aufspielen. Z u m Beispiel gab er Leuten, die wir zusammen trafen, immer als Erster die bland. »Ich bin Julian Assange, und das ist mein Kollege.« Ich hatte es umgekehrt nie so gesagt, mir wäre nicht in den Sinn gekommen, Julian als »und das ist mein Kollege« vorzustellen. Im November flogen wir nach Island. Ich nahm das Flugzeug von Berlin aus, Julian reiste von irgendwo nach. Ich harte uns eine Pension besorgt. Das »Baldursbra« war ein gemütliches, ganz und gar unstylisches Gästehaus in der Innenstadt, das von einer Französin betrieben w u r d e . Julian und ich teilten uns ein Eckzimmer im zweiten Stock. Nach meiner Ankunfr ging ich gleich in die Stadt und suchte mir ein Restaurant. Dort traf ich mich mit Herbert, der seinen Kommilitonen Smari mitbrachre. An den Namen des Restaurants erinnere ich mich nicht mehr, aber ich als dort eine ausgezeichnete Fischsuppe. Außerdem gab es in Island überall Malzbier, und z w a r ausgesprochen gures Malzbier. Das Land war mir sofort sympathisch. Ich kannte Flerbert bereits aus dem Chat. Dorr war er kurz nach dem Kaupthing-Leak aufgetaucht und hatte bald den Job ü b e r n o m m e n , Fragen von N e u a n k ö m m l i n g e n zu beantworten. Herbert ist ein sehr bedachter, angenehmer Typ mit einem ganz feinen Humor. Fr isr Mitte 20, trägt ei- 1 I 14 nen Backenbart, der eine leichte Tendenz zum Wuchern auf- weist, und studiert Geschichte und Russisch an der Univer- sität in Reykjavik. Eines seiner Lieblingszitate ist »Property is theft!« - Eigentum ist Diebstahl - von Pierre-Joseph Proudhon, einem französischen Ökonomen und Anarchis- ten aus dem 19. J a h r h u n d e r t . Außerdem sagt er über sich, den deutschen Anarchosyndikalisten Rudolf Rocker zitie- rend: »I am an Anarchist not because I believe Anarchism is ehe final goal, but because there is no such thing as a final goal,« H Er kannte die anarchistischen Klassiker, die auch auf mei- ner inoffiziellen Lieblingsliste der Weltliteratur standen, und ich war begeistert, so weit weg von zu Hause auf einen Gleich- gesinnten zu treffen. »Was ist das Eigentum« von Pierre- Joseph Proudhon halte ich für das bedeutendste Buch, das je geschrieben w u r d e . Ich hatte mir eine neue Proudhon-Aus- gabe nach Island mitgebracht, in der auch bis dahin noch unbekannte Briefe veröffentlicht worden waren. Seit Weih- nachten stapelten sich bei mir außerdem noch »Blackwater« von Jeremy Scahill, »Corporate Warriors« von P.W. Singer und »Die Revolution« von Gustav Landauer. In Island wollte ich den Stapel ein wenig abarbeiten. Mit Herbert konnte ich stundenlang philosophieren. Als Historiker wussre er vieles, von dem ich als Informatiker keine Ahnung hatte, und im Gegenzug war er begeistert, als ich ihm die neuen Proudhon- Briefe zeigte. Smari lernte ich erst vor Ort kennen. Er gehörte zu dem In formatikstudiengang der Universität und organisierte mit Herbert die Konferenz. Er ist leider ein bisschen fahrig und unzuverlässig, dafür aber sehr gebildet und engagiert sich in vielen sozialen Projekten. Der Halb-Ire mit seinen blonden Strubbethaaren harte einen außergewöhnlich klangvollen Namen: Smari McCarthy. Smari heißt Kleeblatt auf Islän- disch - seine Eltern harten sich wohl einen kleinen Scherz 115 mit ihm erlaubt. Kr trug es mit H u m o r , wie eigentlich alles andere auch. Wir redeten, bis die Besitzer des Restaurants an unseren Tisch traten und sagten, sie würden jetzt gerne schließen. Julian kam mit dem letzten Flieger und stieß in der Pension zu uns. An diesem Abend diskutierten wir auch über die Idee, Island zu einem Medienfreihafen zu machen. Eigentlich waren wir wegen der Konferenz da, aber unsere Ankunft hatte sich in dem kleinen Land herumgesprochen. Wir waren dort fast so etwas wie Volkshelden, nachdem w i r die Machenschaften der Kaupthing Bank geleakt hatten. Der isländische Fernsehsender RUV hatte am 1. August in den 20-Uhr-Nach richten d a r ü b e r berichten wollen - doch fünf Minuten vor der Sendung traf eine einstweilige Verfü- gung ein und der Beitrag durfte nicht ausgestrahlt werden. Die Redaktion ließ sich nicht den Mund verbieten und blen- dete stattdessen unsere Webadresse ein. Viele schauten sich daraufhin die Original-Dokumente auf unserer Website an. Am nächsten Tag erreichte uns die Einladung des wohl be- rühmtesten T a l k m a s t e r s von Island, Egill Helgason. Er wollte, dass wir in seine sonntägliche Nachmittagstalkshow kämen. Tags darauf traf er sich mit uns zu einem Vorgespräch in der Stadt. Wir erzählten i h m von unserer Idee, Island zu einem Staat mit der fortschrittlichsten Mediengesetzge- bung der Welt zu machen und dies in seiner Sendung zu lan- cieren. Ehrlich gesagt ist die Idee weder neu noch stammt sie von u n s , sondern eher aus der Science-Fiction-Literatur. Eine weitere Quelle für die Idee, die auch wir intensiv studiert hat- ten, war das Buch »Cryptonomicon«, von Neal Stephenson. In diesem historischen Roman aus dem J a h r 1999 geht es unter anderem um das geknackte Verschlüsselungssystem der Wehrmacht, Nazi-Gold und geheime Militäroperatio- 116 neu. Überdies spielt der Bau eines Datenhafens eine zentrale Rolle: Die fiktive asiatische Insel Kinakuta soll in einen Ort verwandelt werden, an dem die Kommunikationswege von keiner Instanz der Welt mehr kontrolliert werden können. Das Buch gehörte neben denen Solschenizyns zu Julians Schlüssel-Lektüre. Er hat sogar Formulierungen daraus über- nommen, wie zum Beispiel das »Honen«, ein aus der Ingeni- eurwissenschaft entlehnter Begriff. Damit wird ein Prozess bezeichnet, in dem eine vermeintlich objektive Feststellung immer weiter bearbeitet und fein abgestimmt wird, bis sie dem gewünschten Ergebnis näherkommt. Wenn Julian eine Formulierung noch nachbessern wollte, dann sprach er da- von, sie müssenoch »gehont« werden,alsozurechtgeschmir- gelf wie ein Stück Metall. Außerdem tauschte er seinen alten H a c k e r - N i c k n a m e »Meiulax" gegen »Proff« aus, vielleicht in Anleliuuugau den »Prof« aus diesem Buch. Der Prof in »Cryptonomicon« ist einer realen Gestalt nachempfunden, nämlich dein britischen Mathematiker Alan Turing. In Computerkreisen gilt Tu ring als einer der großen Denker des 20. Jahrhunderts. Er hat die Software für eine der ersten Rechenmaschinen geschrieben und den Code der Nazis geknackt. Unsere Idee des Medienfreihafens sah vor, analog zu den Offshore-Inseln, auf denen für Banken besonders geschäfts- fördernde Finanzgesetze galten, Island in eineOffshore-Inscl für freie Informationen zu verwandeln - mit Gesetzen, die für Medienunternchmen und Informationsdienstleister be- sonders günstig wären. In vielen Ländern der Welt gibt es keine wirkliche Pressefreiheit. Selbst in demokratischen Län- dern werden immer wieder Redaktionen abgemahnt, straf- rechtlich verfolgt oder gar gezwungen, ihre Quellen offenzu¬ legen. Medien und Provider würden ihren Firmen sitz nach Island verlagern können, im Zweifel sogar einfach nur virtu- 117 eil, und fortan den Schutz einer besonders fortschrittlichen Mediengeserzgcbung genießen. Island war ohnehin gerade dabei, seine Rechenzentren im großen Stil auszubauen und seine Datenfühler mit Hilfe di- cker Seekabel in alle Welt auszustrecken. Grüne Energie aus den vielen Thermalkraftvverken gab es auch. Weil in unserer Vergangenheit so vieles w a h r geworden war, was man im Vorfeld vielleicht für Romanstoff hätte halten können, dach- ten wir uns: Warum sollten wir mit unserem Plan vom Medien- freihafen nicht genauso durchkommen? Egill Helgason jedenfalls stoppte die Tasse Kaffee auf hal- bem Wege zum M u n d , als Julian ihm die Idee präsentierte. Ich sah es in seinen Augen blitzen. Damit war klar, dass wir den Vorschlag am Sonntag in seiner Talkshow lancieren würden. Auf dem Rückweg in unser kleines Erkerzimmer mit der Blümchengardine, dem beigefarbenen Plastikmülleimer und dem Klo auf dem Gang wechselten wir noch ein paar Worte über unseren Scoop. Wir waren voller Selbstgewissheit: Nun würden wir u n s ein bisschen in die isländische Politik einmi- schen. W ä r e doch gelacht, w e n n wir dieses sympathische Inselchen nicht mal eben aus der Krise führten. Das nächste Abenteuer konnte beginnen, die Mannschaft stand schon bereit. An jenem Sonntag wurden wir morgens von einem Fahrer in der Pension abgeholt und zum Sender gebrachr. Er liegt au- ßerhalb der Stadt auf einer A n h ö h e , wir kurvten langsam darauf zu. Ich blickte aus dem Fenster. Die Landschaft lag unter Schnee, es ging ein scharfer Wind. Durch die weißen Flocken, die von vorne auf die Auroscheibe zurasten, sah es so aus, als kämen w i r gar nicht von der Stelle. Reykjavik war ein eigenartiger O r t , märchenhaft und unwirtlich zugleich, Ich hatte ewig in dem Auto sitzen bleiben mögen. Es war i IS vermutlich nicht kälter als in Deutschland, aber die Welt vor dem Autofenster kam mir vor wie die Antarktis. Die Sonne schleppte sich nur einmal kurz über den Horizont, strahlte ein paar klägliche Stunden und sackte d a n n erschöpft wieder aus dem Sichtfeld. Ich war seltsam matt, schon morgens nach dem Aufstehen wieder müde, und w u r d e den ganzen Tag über nicht richtig wach. So schnell ich Island auch ins Herz geschlossen habe, ich hätte damals ahnen können, dass mir das Land nicht ausschließlich Gutes bringen w ü r d e . Viel- leicht hatte ich sogar voraussehen können, dass es Ärger mit Julian geben würde, sollten wir noch einmal länger hierher zurückkehren. Ich hatte eine Veränderung zwischen uns bemerkt, über die ich initiier häufiger nachdachte. Julian reagierte übertrie- ben gereizt auf das meiste, was ich sagte. Manchmal antwor- tete e r g a r nicht mehr auf meine Fragen, behandelte mich wie Luft. Oder er korrigierte meine Formulierung mit einer päd- agogischen Pedanterie, die mich hose machte - geschenkt! Er war englischer Muttersprachler, natürlich drückte ersieh gekonnter aus als ich. Immerhin musste ich die ganze Zeit in einer fremden Sprache sprechen und sogar Interviews geben. Das war aber auch gar nichr das Problem, wir stritten um Vordergründiges, um den eigentlichen Konflikt nicht aus- sprechen zu müssen. Auch mit meinen Augen stimmte etwas nicht. Die Lider waren viel zu schwer. Ich versuchte an den blicken der ande- ren abzulesen, ob irgendwas an mir nicht richtig war. So stapfte ich fast jeden Tag durch die Schneewehen zum Su- p e r m a r k t , um mir frischen Orangensaft zu kaufen. Das sollte gegen den Sonnenmangel helfen. Auf der Orangen- saftflasche war eine freundliche, orange strahlende Kugel abgebildet. Und die sah der vermissten Sonne ein wenig ähn- lich. Wenn ich sie schon nicht sehen konnte, dann trank ich sie eben. 119 Die T a l k s h o w w u r d e t r o t z d e m ein voller Erfolg. Der blondgelockte Helgason stellte genau die richtigen Fragen, und im Anschluss an d a s G e s p r a c h über WL und die Kaupthing Bank platzierten wir unseren Vorschlag mit dem Pressefreihafen. Nach diesem Auftritt kannte uns die ganze Insel. Wir wurden auf der Straße begrüßt, im Supermarkt um- armt und in der Kneipe zum Schnaps eingeladen. Es war ver- rückt, wir waren Stars. Das w a r mir so angenehm, dass ich mich fast schämte. Einmal ein bisschen Heid sein - das tat ehrlich gut, es wä re gelogen, wenn ich abstritt, das so empfun- den zu haben. In den Anfangszeiten hatten wir so lange ver- zweifelt versucht, WL bekannt zu machen. Journalisten hat- ten mich oft wochenlang nicht zurückgerufen. Wir hielten Vorträge, zu denen nur eine Handvoll Leute erschien. Wir waren oft genug als Denunzianten, Spinner oder Verbrecher bezeichnet worden. Das erste M a l wurden wir für unsere Ar- beit anerkannt, und ich mochte das. An Julian bemerkte ich keine Veränderung. Erschien es für selbstverständlich zu hal- ten, hofiert zu werden, und achtete höchstens peinlich genau darauf, dass er derjenige war, auf den bei Lobgesängen ein paar Hymnen mehr abfielen. So ein WL-Trip ließ sich nicht mit einem normalen »Ich fahr mal mit ein paar Freunden in den Urlaub" vergleichen. Wir kochten eigentlich nie z u s a m m e n , guckten nicht mal abends gemeinsam einen Film zusammen. Wenn wii das Frühstück nicht gleich ganz, ausließen, dann saßen wir schon morgens mir den Laptops am Tisch, bissen in unsere Bröt- chen, tippten und keiner sagte ein Wort. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte Julian über den Chatgefragt, ob er mir mal die Kaffeekanne rüberreichen könnte. Einmal immerhin gingen wir abends zusammen aus in Reykjavik, in einen Club in der Innenstadt. Auch da wollte uns jeder Getränke ausge- ben, mit uns feiern oder tanzen. 120 Julian und ich waren eigentlich überhaupt keine großen Clubgänger. In unserer gemeinsamen Zeit waren wir insge- samt vielleicht ein Dutzend Mal zusammen weggewesen. Ich erinnere mich an einen Abend in Wiesbaden, im »Schlacht- hof«. Die anderen Gäste hatten Julian einen Spitznamen ge- geben für seinen auffälligen Tanzstil: »Disco-King«. Julian tanzte sehr raumgreifend. Es sah fast aus wie ein ritueller Tanz, er streckte dabei die Arme auseinander und machte weite Schrirte durch den R a u m . Es wirkte zwar nicht wirk- lich rhythmisch und gekonnt, oderals hätte er ein irrsinniges Musikgefühl. Aber es hatte Coolness. Ihm war egal, was an- dere über ihn dachten. Er hat mir mal erklärt, es brauche Raum, wenn das Ego fließen solle. Diese Erklärung passte sehr gut zu seinem Tanzstil. Tagsüberhingen wir meistens im »Cafe* Rot« auf den Sofas herum. Das war ein selbstorganisiertes Mini-Restaurant in einem alten Abrisshaus, supergemütlich. Sonntags wurde dort Swing getanzt, und man konnte sich für einen Euro ei- nen Katfee kaufen und den ganzen Tag nachfüllen und arbei- ten. Drei Tage später war d a n n die Konferenz, auf der wir auch Birgitta kennenlernten. Sie kam als Parlamentarierin, um sich über unsere Idee vom Datenhafen zu informieren. Birgitta war Teil des Movement, einer neuen Partei, die im Zuge der Finanzkrise und der Bürgerproteste ins Parlament gewählt worden war. Birgitta kam aus der Bürgerrechtsbe- wegung, war überdies Tibet-Fan und hatte die ganze Welt bereist. Sie war auch Lyrikerin und überhaupt keine typische Politikerin. Nach dem Vortrag kam sie zu uns, und wir gingen zusam- men essen. Als Parlamentarierin weckte sie sofort Julians Interesse. Wenn er der Meinung war, eine wichtige Person vor sich zu haben, konnte sich Julian sehr höflich geben. Da- bei folgte die Begrüßung stets dem gleichen Muster: Er gab III der Person die H a n d , verstand auch in Birgittas Fall den Na- men nichr richtig, beugte sich noch einmal vor, um nachzu- fragen, und probierte dann, das Verstandene richtig auszu- sprechen. Die isländischen Namen waren für jemanden wie Julian, der sich mit ausländischen Begriffen ohnehin schwer- tat, ein Problem. So w u r d e aus Birgitta Brigitta. Und das blieb auch s o - o b w o h l sie uns die nächsten Monate über be- gleiten und bald zu einer engen Vertrauten werden sollte. Ich ha he mich in Island auch tätowieren lassen. Ich finde Tä- towierungen toll, allerdings suche ich dabei immer nach M o - tiven mit einem besonderen, persönlichen Bezug. Ich nehme neue Tätowierungen gerne als Frinnerungan besondere Orte mit nach Hause. Island war so ein besonderer O r t . Ich überlegte lange hin und her. Die Idee, mir die Sanduhr von WL auf den Rücken tätowieren zu lassen, kam mir spon- tan, ich hatte vor längerer Zeit schon einmal daran gedacht, den Gedanken aber wieder verworfen. Ich weiß noch, dass ich Julian davon erzählte und er die Idee gut fand. Später hat ersieh immer wieder darüber lustig gemacht, wie armseliger das gefunden hätte. Leute aus dem »Karamba«, einem Cafe, in dem ich nach- mittags oft Americanos trank und an meinem Rechner ar- beitete, empfahlen mir die »Icelandic Tattoo Corp« in der Hjallabrekku I. Das Tätowierstudio lag hintereiner Milchglasschcihe an der Hauptstraße, und als ich die bimmelnde T ü r aufschubste, begrüßte mich im Laden ein junger M a n n , der sogar Deutsch sprach. Er schüttelte den Kopf, als ich nach Terminen fragte. Keine C h a n c e , nicht mal in den nächsten M o n a t e n . Er lachte, als hätte ich gefragt, ob er an den Weihnachtsmann glaube. Ich wollte mich schon zum Gehen wenden, als ein zweiter Tätowierer aus einem der hinteren R ä u m e guckte und mich erkannte. 122 »Hey! Fve seen you on TV and I like what you do!« Er kam lächelnd auf mich zu, gab mir die bland und sagte, sein N a m e sei Fjölnir. Ich zeigte ihm das Motiv. Er gab mir sofort einen Termin. Leider ist die Tätowierung nur zur Hälfte fertig gewor- den, weil der Tätowierer und ich nach mehr als vier Stunden erschöpft aufgaben. Ich musste zwei Paracetamol mit viel Wasser herunterspülen und fragte Fjölnir ständig, auf wel- chem Kontinent des Logos er denn gerade sei. »Now doing iceland.« Ich seufzte. »Morocco.« Oh, mein Gort! Bei Cape of Good Hope war meine Hoffnung am Ende. Wir beschlossen, uns zu vertagen. Und so laufe ich noch heute mit einem halben WL-Logo durch die Welt. Und das wird wohl auch so bleiben. Ich finde, es passt gut. An einem der letzten Tage in Reykjavik, wir saßen wieder einmal im »Cafe Rot«, schnappte ich mir Julian und wir gin- gen ein bisschen spazieren. Ich wollte mit ihm reden. Wir marschierten zusammen Richtung Hafen und ließen uns da- bei den Schnee auf die Mütze rieseln. Ich hätte gerne herausgefunden, was eigentlich gerade mit uns los war. Ich konnte nur vermuten, was ihn störte. Z u m Beispiel war Julian in letzter Zeit peinlich darauf bedacht, dass er mindestens 52 Prozent der Aufmerksamkeit bekäme und ich nur 48. Vielleicht sah er in mir jemanden, mir dem er etwas teilen musste. J e m a n d e n , der sich mit seinen Federn schmückte, der auch gelobt werden wollte für das tolle Pro- jekt und der eigenständige Gedanken entwickelte, wie es mit WL am besten weiterginge. Den Misserfolg zu teilen war ein- fach gewesen. Aber jetzt auch den Erfolg uns beiden zuzu- 123 schreiben, war nicht ganz so einfach. Ich versuchte, seine negativen Gefühle zu verstehen und sie so gut wie möglich zu zerstreuen, für mich war klar, dass e r d e r Gründer von WL war und ihm niemand seine Schöpfung streitig machen wollte. Ich hatte indes auch meinen Anteil am Erfolg. Ich leistete gute Arbeit, und es gab keinen G r u n d , w a r u m ich das nicht sagen sollte. Ich kehrte damals in die Pension zurück mit dem Gefühl, dass uns das Gespräch gut getan hatte. Während ich im Ein- gang meine verschneiten Klamotten abklopfte, dachte ich, dass wir in den vergangenen Wochen vielleicht ein bisschen unter Stress gestanden harten. Jetzt wäre alles wieder beim Alten. Die Zwangspause Auch wenn WL nach außen ausschließlich von Julian und mir repräsentiert w u r d e - u n s e r e M ä r von dem starken Team im Hintergrund war nicht komplett gelogen. Neben vielen Gelegenheits-Unterstützern gab es bereits zwei besonders ausdauernde, aber stille Helfer. Wir nannten sie den »Techni- ker« und den »Architekten«. Dass wir die beiden nicht öffentlich b e k a n n t machten, hatte vor allem zwei Gründe: Sie waren nicht sonderlich er- picht darauf, als Mitstreiter von WL ins Kampenlicht zu tre- ten, sie waren eher zurückhaltende Charaktere. Und zwei- tens war es fast noch wichtiger, die beiden zu schützen als Julian und mich. Nach und nach wanderte die gesamte Ver- antwortung für die Technik in ihre Hände. Um WL nachhal- tig zu schaden, hätten Gegner einen der beiden aufgreifen müssen und nichteinen von uns. Ihr auffälligstes Merkmal war, dass sie so unauffällig wa- ren. Sie so gut zu beschreiben, dass sie in einer Gruppe von zwanzig Leuten einwandfrei zu identifizieren gewesen wä- ren - keine leichte Aufgabe. Techie N u m m e r eins kam schon 2 0 0 S zu uns. Weil er der Erste war, nannten wir ihn einfach den »Techniker«. Wann genau er bei WL anfing, ist schwer zu sagen. Weil wir neue Mitstreiter so kritisch beobachteten - Julian war regelrecht paranoid -, vollzog sich der Einstieg eher Schritt für Schritt. Das hatte nichts damir zu t u n , dass der Techniker noch re- lativ jung war. Wir merkten bald, dass er verlässlich arbei- 125 tete. Kr lernte schnell, und was m a n ihm zu tun gab, erledigte er ordentlich. Aus internen Angelegenheiten hielt er sich her- a u s , es war ihm geradezu unangenehm, Zeuge eines Streits zu werden. DerTechniker kleidet sich eher in Outdoorjacken und fes- tes Schuhwerk als in bunte Szeneklamotten. Kr ist recht ha- ger, oft ein bisschen blässlich und spricht eher leise. Über sein Privatleben weiß ich nicht sehr viel. Ob er eine Freundin hat? Ich habe keine Ahnung. Auf der HAR klingelre hin und wieder sein Telefon. Kr ist nie rangegangen. Kr schaute aufs Display und legte es weg. Die Hackerkonferenz in Vierhouten war großes Kino für ihn, auch wenn er eine Weile brauchte, um mit anderen Men- schen warm zu werden. Nachdem er das Treiben zwei Tage lang von einem Sessel aus beobachtet hatte, fing er a n , Leute kennenzulernen, und betrieb bald einen regen Tauschhandel mir Actionfilmen. Skurrilerweise ernährt der Techniker sich ausschließlich von Joghurt. Sonst isst er nichts. Ich hatte mich während der HAR einmal im Supermarkt durchs gesamte Milchspeisen- sortiment gekauft, um ihm mit einer Auswahl eine Freude zu bereiten. Aber er ließ die Mehrzahl der Joghurts s t e h e n - e r wollte nur die von Danone. Ich hoffe für ihn, dass ihm ein langes I eben besi hei t ist. Der »Architekt«, wie wir den zweiten Techniker nannten, kam Anfang 2 0 0 9 über einen entfernten Kontakt von mir zu WL. Auch er hatte sich schon länger angeboten, bis wir ihm die erste k o n k r e t e Aufgabe gaben. Fr schrieb uns in wenigen Stunden eine dringend n ö t i g e Modifikation und lieferte eine perfekte, elegante Lösung. Ich hin selbst kein besonders be- gnadeter Programmierer, aber ich erkenne, wenn einer sei- nen J o b gut macht. Und der Architekt war ein Genie. Extrem schnell, s m a r t , i m m e r aut der Suche nach der perfekten Lö- 11h sung, vorher gab er sich nicht zufrieden. In meinen Augen isr er einer der besten Programmierer der Welt und außerdem ein guter Designer. Doch Julian sollte den Architekten noch weitere Wochen vor der T ü r stehen lassen und seine ferrige Lösung ignorie- r e n - w a s wirklich eine harte Prüfung darstellt für einen der- a r t g u t e n Programmierer. Jeder Firmenboss hätte ihm sofort einen festen Job mit Spitzengehalt zugesagt. Dass der Archi- tekt trotzdem blieb, war ein Wunder und lag nicht zuletzt an meinem Zureden. Julian wand sich regelrecht bei der Vorstel- lung, einer weiteren Person Zugriff auf den Server zu geben. Auch unserem anderen Techniker hatte er den Zugriff nie wirklich ermöglicht, was die Arbeit für ihn unnötig er- schwert hatte. Als der Architekt dann endlich einen blick auf das System werfen durfte, schlug er die Hände über dem Kopf zusam- men. Bei allen Drohungen und Skandälchen, die sich später um WL rankten - in den Augen des Architekten lag der ei- gentliche Skandal hier: in den wild wuchernden Programm- zeilen und der schwach aufgestellten, schrottreifen Infrastruk- tur. Kurz gesagt, was er sah, war Chaos, zu wenig Ressourcen, viel zu angreifbar, stümperhaft zusammengebasteltes Zeug, von definierten Prozessen und anständigen Workflows keine Rede. Der Arch itekt machte sich ans Werk. In den folgenden M o - naten etablierte er eine saubere Rollenteilung. Die Techniker standardisierten die Formate und leiteten das Material auf- bereitet an uns weiter. Sie kümmerten sich also um die Tech- nik, Julian und ich um die Inhalte. Als alles aufgeräumt war, verschickten wir Server in die ganze Welt, und zwar per Post. Freiwillige Helfer nahmen sie dortciitgcgcn und kümmerten sich auch um das Hosting. Das war ihre Spende an uns. Wir verteilten unsere Ressourcen also endlich tatsächlich auf ver- schiedene Jurisdiktionen. Und wir versteckten das Netz- 127 werk, das die unterschiedlichen Server weltweit miteinander verband. In einem Unternehmen hatte man für diesen Umbau wohl ein ganzes Team ein halbes J a h r lang beschäftigen können, und zwar Vollzeit. Der Architekt übertraf uns an Arbeitsei- fer noch um ein Vielfaches. Aber worum ging es ihm, was trieb ihn an, w a r u m zog es ihn zu WL? Ich glaube, ihn reizte die Aufgabean sich. Woran wir da bauten, das war schließlich weltweit einzigartig, auch aus technischer Sicht. Das war echte Pionierarbeit, Neuland, ihm bot sich die Chance, so etwas wie der Kolumbas der Whistleblower-Plattformen zu werden, oder zumindest der Daniel Düsenrrieb der Subtnissit>n-i\iclnteki i n . Das Projekt w a r aus einem ganzen Bündel an G r ü n d e n anspruchsvoll, sowohl was die Architektur an sich als auch wasche strukturellen Überlegungen dahinter betraf. Llinzn k a m e n der Sicherheitsaspekt u n d die ganzen juristischen Konstruktionen. Der Architekt hatte zwar genauso wenig Ambitionen, sich persönlich zu profilieren, wie der junge Techniker. Aber im Gegensatz zu ihm harte er eine klare Meinung, und die sagte er auch. Sein Ton war für Leute, die ihn nicht kannten, manch- mal etwas gewöhnungsbedürftig. Er legte keinen Werr auf hofliche Nebensätze oder Floskeln der Freundlichkeit. Das machte seine Sätze immer recht kurz. Er ließ sich auch nie mit Halbwahrheiten abspeisen oder mit gut gemeinten Beteuerun- gen. Eine Antwort wie »Vertrau mir mal« ließ ihn böse werden. »Das heißt entweder, jemand hat keine Ahnung, oder er will mich bescheiden«, sagte er. Er bestand auf gute Argumente und nicht auf gute Rhetorik. Als es später zu größeren Streitigkeiten im Team kam, als die Emotionen hochkochten und die gegenseitigen Beschuldi- gungen ins Irrationale abglitten, blieb der Architekt immer sachlich. Ich glaube, er fühlte sich keiner Person gegenüber zu 128 Loyalität verpflichtet, weder Julian noch mir gegenüber, höchs- tens der Idee. Er war völlig unabhä ngig, treu ergeben einzig der Qualität seiner Arbeit. Da er aber an seine eigene Haltung hohe Maßstäbe anlegte, war man bei ihm immer auf der siche- ren Seite. Auch wenn ich mich oft mit ihm gestritten h a b e - man konnte sich darauf verlassen, dass er nie hysterisch rea- gierte, nie mit gezinkten Karten spielte, keine geheime Agenda verfolgte und dass er frei war von Neid, Missgunst und Feig- heit. Ich weiß nicht, über wie viele Leute man so etwas sagen kann. Die beiden Techniker, Julian und ich hatten in den zurücklie- genden Monaten unser Möglichstes geleistet. Abcreif M o - nate nach meiner Kündigung bei LOS, Ende 2009, sah es in unserer Kasse so mau aus wie nie zuvor. Die Veröffentlichung der Pager-Nachrichten rund um den I I. September 2001 hatte unsere Mittel erschöpft. Wir hatten mit den 500 0 0 0 SMS- und Funkbotschaften einen ersten kleinen Medienhype ausgelöst. Unsere Website brach unter dem A n s t u r m der Abfragen fast zusammen. Es hatte viel Arbeit gekostet, die Textnachrichten so aufzubereiten, dass sie sich gut lesen Ue- lsen. Wir hatten entschieden, die Meldungen nicht alle auf einen Schlag freizugeben, sondern versuchten die zeitlichen Abläufe der Terroranschläge nachzuempfinden. Dadurch wollten wir den realistischen Verlauf abbilden und vermei- den, die Leser mit der Masse an Informationen zu erschla- gen. Außerdem versprachen wir uns davon, die Abrufe auf unserer Seite ein wenig besser steuern zu können. Wtkileaks.org lag immer noch auf einer einzigen M a - schine. Für die Pager-Meldungen hatten wir indes eine ei- gene Website geschaffen, die auf mehrere Server verteilt war. Dass wir das so handhaben konnten, verdankten wir vor allem Freiwilligen, die uns Kapazitäten und Server zur Vcr- 129 fügunggestellt hatten. Dennoch ächzte unsere Infrastruktur aus jeder Platine. Seit einem J a h r waren wir ununterbrochen als Reparaturdienst in eigener Sache unterwegs. Sobald wir eine Stelle fixten, brach eine andere. Die Platte lief perma- nent voll mit neuen Dokumenten, Hardware musste ausge- tauscht werden, wir hatten Probleme mit dem Betriebssys- tem, das eigentlich dringend ein Update benötigte, ohne dass wir gewusst hätten, an welcher Stelle wir hätten anfangen sollen. Der Architekt steckte mitten in einer Grundüberho- lung und arbeitete von früh b i s s p a r . Das System war über die Jahre gewachsen, der P r o g r a m m c o d e war zu dadaisti- schen Formationen gewuchert, und niemand blickte mehr durch. Am wenigsten Julian, der sich schon lange nicht mehr wirklich um die Technik kümmerte. Die Entscheidung, offline zu gehen, fiel einhellig. Wir woll- ten der Welt damit signalisieren: Wenn ihr wollt, dass wir wei- termachen, dann müsst ihr uns jetzt ein wenig unterstützen. So eine Art Streik. Es gab gar keine Diskussion darüber. Am 2.3. Dezember 2009 stellten wir die Seite ab. Und wir hatten alle nach langer Zeit das erste Mal Ruhe. Es tat gut, sich endlich einmal einzugestehen, dass es so nicht weiterge- h e n konnte. Die ganzen M o n a t e über hatte mich eine unsichtbare Kraft an den Rechner gezogen, in den Chat, ins Internet. Jeden Tag war ein neues Problem aufgetaucht, und es hatte überhaupt gar keine Zeit gegeben, wenigstens mal einen Tag lang seinen Blick abzuwenden. Und als mich WL kurz vor Weihnachten das erste Mal seit z w e i Jahren aus s e i n e n längen ließ, w a r d a s ein unfassbares Gefühl. Ich konnte wieder auf andere Dinge blicken. Es war sehr entspannend. Aber auch etwas unge- wohnt . I s fehlte et w a s , definitiv. Ich fuhr über die Feiertage zu meiner Familie. Ich legte die Füße hoch und tat gar nichts außer zu essen und Geschenke 130 auszupacken. Ich verbrachte mal wieder Zeit mit meiner Freundin. Wenn wir uns in den Monaten zuvor gesehen hatten, was nicht mehr allzu häufig vorgekommen war, hatte das gehei- ßen, dass ich zwar den Raum mit ihr teilte, viel mehr aber auch nicht. Wenn ich arbeitete, saß sie hinter mir auf dem Bett, die Reine gekreuzt, und guckte nachdenklich auf mei- nen Rücken. Irgendwann sagte sie: »Ich gehe bald schlafen.« Ich sagte: »Mach!« und arbeitete weiter. Sie wartete eine weitere halbe .Stunde. Dann erhob sie sich zögernd, kam zu mir an den Schreibtisch, drückte mir von hinten einen Kuss auf die Wange und legte sich ins Bett. Ich reagierte k a u m , ließ auch das Schreibtischlicht brennen, drehte nur die Lampe ein wenig mehr Richtung Hoden. Ich legte mich spät in der Nacht dazu und war Sekunden später schon im Tiefschlaf. Ich hatte nicht das Bedürfnis, mit ihr z u s a m m e n einzuschlafen. M i r fehlte eigentlich auch nichts. Mich plagte nur ein schlechtes Gewissen, und das wurde langsam schlimmer. Es war ein schleichender Prozess, aber sie muss sich irgendwann kaltgestellt gefühlt haben. Wenn ich sage, dass ich heute wohl alles noch einmal ganz genauso machen w ü r d e , mit allen Fehlern, dann würde ich unsere Beziehung davon unbedingt ausnehmen, Sie hat wirk- lich einen hohen Preis für mein WL-Engagement gezahlt. Ich weiß, dass es ihr nicht gut ging, nachdem ich mich wenig später von ihrgetrennt habe. Auch sie wollte ihre Zeit immer sin tivolier einsetzen als in einem Büro, und ihr lag ebenso viel an einer besseren Welt wie mir. Ich habe ihr in meiner Begeisterung damals suggeriert, dass sie spater einmal Teil des Projekts werden würde. Wir sprachen oft darüber, dass, sobald wir auf sicheren Füßen stünden, Gehälter zahlen und Büroräume mieten könnten, sie in unseren Augen diejenige wäre, die das Ganze perfekt organisieren könnte. Ich glaubte in dem Moment alles, was 131 ich sagte, ich hoffte darauf - doch für sie muss es wie ein Versprechen geklungen haben. Sie war ein zurückhaltender Mensch, der sich sehr auf un- sere Beziehung konzentrierte und wenig Zeit mit anderen Freunden verbrachte. Sie ließ mir viele Freiheiten. M a n ist verpflichtet, die Erwartungen, die man in anderen Menschen weckt, auch zu erfüllen. Bei ihr habe ich in diesem F u n k t versagt. Es tut mir noch heute tinendlich leid. D a n n kam der »26C3«, also der 26. Congress des Chaos Computer Clubs, Das war für mich das Highlight des Jah- res, und diesmal mehr als je zuvor. So musste es sich anfüh- len, wenn einem jemand eine Ladung Endorphine direkr mit der Spritze ins Gehirn jagt. Wir hatten sozusagen die Keynote, den größten Vortrag, den Flauptevent zur besten Uhr/.eit am Tag. Um alle Zuhörer unterzubringen, hätte man einen zweiten Boden in den Vor- tragssaal einziehen müssen. Wir hatten vorher au das Publikum Zettel mit N u m m e r n ausgeteilt. Ich erzählte dann, dass wir in Island angesprochen worden wären von der »Weihnachtsgang«, die uns einen Leak übermittelt hätte: eine Liste mit allen Leuten, die nächstes Jahr vermurlich keine Weihnachtsgeschenke bekämen, weil sie ih- ren Pflichten der Gesellschaft gegenüber nicht genügend nach- gekommen seien. Jeder mit einer Nummer hätte jetzt ein Jahr lang Zeit, seine Schuld abzuarbeiten. Wir würden dann für alle ein gures Wort beim Weihnachtsmann einlegen. Im Laufe des Jahres gingen dann ratsachlich immer wie- der Spenden oder Hilfsangebote bei uns ein, die mit einer dieser N u m m e r n verbunden w a r e n . Auch in den Verwen- dungszweck der Überweist!ngsträger an die Wau Holland Stiftung (WHS), die für uns ein deutsches Konto führte, tru- gen einige ihre N u m m e r n ein. Als Nächstes berichteten wir unseren Zuhörern von Island und von der Idee, dort einen Freihafen für die Presse einzu- 132 richten, und wie wir diesen Vorschlag in der isländischen Talkshow gemacht h a t t e n . Und d a n n fragten wir in die Runde, ob das Publikum hier im Berliner Congress Center nicht vielleicht in der Lage wäre, ganz gut zu verstehen, wa- rum die Frei heil des Internets so wichtig sei. Das war der großartigste Moment in meinem Leben. Wir hatten kein Popkonzert gegeben und versprachen auch keine Ereigetränke. Wir hatten lediglich einen Vortrag über inter- nationale Mediengesctzgebung gehalten. Die Leute applau- dierten wie verrückt. Erst erhob sich einer, dann zwei, drei, irgendwann waren alle aufgesprungen. Sie klatschten uns zu. Sie machten richtig Krach dabei. Ich spürte eine dicke Wolke der Begeisterung, die uns von der Menge da unten entgegenflog. Das fühlte sich verdammt geil an. Und dann kam langsam das Geld. Wir hatten nach außen k o m m u n i z i e r t , wir brauchten 2Ü0 000 Dollar für die Betriebskosten, und idealerweise wei- tere 4 0 0 0 0 0 Dollar für Gehälter. Die ersten 200 0 0 0 Dollar hatten wir schon im Februar oder M ä r z 2010 zusammen, und dabei ist allein das Konto der WHS gemeint, das wir im Oktober 2009 eingerichtet hatten. Auf die Stiftung kam ich durch den Chaos Computer Club. Wau Holland war einer der Gründungsvärer des Hacker- Clubs gewesen, und die Stiftung k ü m m e r t e sich um seinen Nachlass und die Förderung von Projekten zur Informations- freiheit. Das Gute an dieserStiftungwar,dasssiedafürsorgre, dass die Geldeingänge in offizielle Bahnen gelenkt wurden. Wer uns in Deutschland eine Spende überwies, konnte den Betrag von der Steuer absetzen. Ich hatte den Kontakt zur Stiftung organisiert und ü b e r n a h m den Papierkram. Der größte Anreil unserer Spenden kam auch aus Deurschland. Das Colhiterdl-Mtiuler-V\(.\t!o, mit d e n wir im April 2010 unsere Zwangspause beendeten, lockte innerhalb von nur zwei Wochen noch einmal 100 0 0 0 Dollar an Spenden an. Im 133 Sommer2010 lagen auf'dem Konto dann schon 600 0 0 0 Dol- lar, und mein letzter Stand ist, dass sich hei der Stiftung zu besten Zeiten mehr als eine Million Dollar angesammelt hatte. Bis September, also dem Zeitpunkt, als ich Wl. verließ, hatten wir 75 0 0 0 davon ausgegeben, investiert in Hardware und Reisekosten. In den folgenden zwei Monaten wurde ein Mehrfaches davon abgerechnet - vermutlich auch, weil end- lich ein Weg gefunden worden war, Gehälter zu zahlen. Mit dem S///^n/ss/nH-Systeni gingen wir d a n n im J a n u a r schon wieder online, so dass neue Dokumente bei uns hoch- geladen werden konnten. Das System dahinter war zu diesem Zeitpunkt technisch bereits deutlich weiterentwickelt als vor unserer Pause. Das Wiki, also die Benutzerobert lache mit der Startseite, den Erläuterungen zu den Leaks und den Links zu den Dokumenten, blieb ganze sechs Monate offline. Ein hal- bes Jahr lang konnten wir also nur neues Material entgegen- nehmen und waren ansonsten im Internet nicht mehr zu er- reichen. Die Reparaturmaßnahnien waren komplizierter, als wir uns das anfangs vorgestellt hatten. Plötzlich war jedoch Geld da, und im Gegensatz zu Julian war ich dafür, es auch auszugeben. Von M ä r z bis Mai nah- men wir etwa 17 neue Server in betrieb. Ende August rüste- ten wir noch einmal auf. Wenig später sollte das Team ausei- nanderbrechen. Als ich Wl. im September 2010 verließ, war das Projekt technisch in einem Zustand, von dem ich immer geträumt h a t t e . Wir hatten C r y p t o p h o n e , Satellitenpager und haufenweise neue Server. Wir waren breit aufgestellt, und unser System hatte eine Bilderbucharchitektur, Meiner Meinung nach hätten wir auch ein Büro und fest- angestellte Mitarbeiter gebraucht. Davon war lange die Rede gewesen. Unser Eleadquarter sollte in Berlin oder in den Al- pen sein - Julian mochte die N a t u r und die Berge genauso gerne wie ich. Kurz hatten wir sogar mit der Idee gespielt, I >4 einen Bunker zu kaufen. Ich hatte mich schon bei der Liegen¬ schaftsverwaltung d e r bundesweit!' erkundigt. Pur einige zehntausend Euro hätte es vielleicht einen schönen Beton- klotz für uns gegeben, mit genug Platz für ein Rechenzent- rum. Vielleicht hätten wir auch befreundete Projekte dorr untergebracht und eine große WL-Elagge gehisst, um unse- ren Ruf als uneinnehmbare Trutzburg zu demonstrieren. Bis zu diesem Zeitpunkt war unsere erklarte Losung: Wir wollten »die aggressivste Presseorganisation der Welt« wer- den. Doch plötzlich, als das viele Geld da war, änderte Julian seine Meinung. Er meinte, wir sollten eine »Insurgent Opera- tion« sein - a l s o eine Organisation! von Aufständischen. Auf- ständische haben keine Büros, sie agieren im Untergrund. Damit stellte er in meinen Augen die G r u n d l a g e dessen in Frage, worauf wir all die Jahre hingearbeitet hatten. Er sprach auch immer häufiger davon, dass man uns ver- folgte und wir »untouchable« werden mussten, unantastbar. Er war überzeugt, dass wir .tut offener Straße nicht mehr si- cher wären, dass unsere Post und Koffer durchleuchtet wür- den, dass wir abtauchen und im Untergrund leben mussten. Er fing an, von internationalen Geheimdiensten zu reden, die uns auf den Fersen wären, und von schusssicheren Westen, die uns schützen sollten. Ich habe zwar au unserem deutschen Staat auch jede Menge auszusetzen, aber er ist immerhin ein Rechtsstaat. Auch auf unseren Reisen nach I s l a n d , Italien oder Ungarn mussten wir meines Erachtens nicht befürchten, verschleppt oder auf offener Straße erschossen zu werden. Und bevor wir uns beschweren wollten, dass jemand unser Büro durch- suchte, wäre es doch gut gewesen, wenigstens mal eines zu besitzen. Das Geld war leider auch das erste T h e m a , über das wir uns offen stritten. Ich habe Julian erklärt, dass er nicht als Einziger über das Geld der Wau Holland Stiftung verfügen 135 könne. Es ging mir überhaupt nicht d a r u m , irgendetwas da- von an mich selbst auszahlen zu wollen. Ich wollte Entschei- dungen treffen können und an das Geld herankommen, wenn wir es dringend brauchten und Julian mal wieder tagelang nicht erreichbar war. Auch die beiden Techniker waren die- ser M e i n u n g . Sie haben sogar vorgeschlagen, das Geld zu halbieren, damit nicht ein Einzelner alles vermasseln könnte. Seihst wenn einer von uns eine falsche Entscheidung getrof- fen härte, wäre nicht das ganze Budget weg gewesen. Die Abrechnungen mit der WHS waren relativ einfach: Die Stiftung streckte mir Geld vor, und dann kaufte ich da- von Sachen und reichte die Quittungen ein. Ich bekam einmal 10 0 0 0 und später noch einmal 20 000 Euro, die draufgingen für den Kauf von Hardware, den Transport und Reisekosten. Wir arbeiteten alle Vollzeit für WL. Schon länger hatten wir über Gehälter nachgedacht. M i r wären 2 5 0 0 Euro im M o n a t genug gewesen. Brurto. Ich brauchte ja nicht viel. Mit der Wau Holland Stiftung hatten wir bereits gesprochen. Die Stiftung hätte uns sehr gerne Gehälter gezahlt, und sie dran- gen sogar darauf, dass sie nicht zu niedrig ausfallen dürften, weil es sonst Probleme wegen des Verdachts auf Scheinselb- ständigkeitgeben könnte. Das wäre mir auch recht gewesen. Wir haben damals überlegt, uns einfach an anderen gemein- nützigen Organisationen wie Creenpeacso^st World Walch zu orientieren. Es w a r Julian, der alles blockierte. Dabei war so viel Geld da wie nie zuvor. Und ausgerechnet jetzt kämpften wir um jeden Cent. Diese Geldstreitigkeiten waren unwürdig. Die Frage dahinter war eine viel größere. Mir wurde langsam klar, dass wir auf ein Problem zusteuerten. Ein ziemlich grässli¬ ches Problem. Wir stritten uns um die zukünftige Ausrich- tung von WikiLeaks. 136 Ein Gesetz für Island Nach unserem grandiosen Auftritt beim 2 6 C 3 Ende 2 0 0 9 flogen Julian und ich Anfang Januar 2010 zurück nach Rey- kjavik, um uns um IMM1 zu kümmern. Die Icelaudic Mo- dem Media Initiative sollte die Insel zu dem Land mit den stärksten Schutzrechten fü r Med ien auf der ganzen Welt ma- chen. Verkündet hatten wir die Idee bereks, jetzt wollten wir helfen, sie umzusetzen. Wir hatten für diese Aufgabe gut zwei Wochen eingeplant, drei vielleicht. In Deutschland hatten wir gerade dazu beigetragen, das »Ztigangscrschwerungsgesetz« aus dem Familicnministc- rium zu verhindern; der damalige Bundespräsident Horst Köhler hatte Ende November seine Unterschrift unter das Gesetz verweigert. Jetzt galt es, in Island ein eigenes Gesetz ins Parlament zu hieven. Wir rechneten mit Schwierigkeiten, aber keinen, die wir nichr bewältigen könnten. Tatsächlich sollte es noch sechs Monate dauern, bis die Parlamentarier überhaupt über einen ersten Beschlussantrag im Parlament abstimmten. Wir mieteten uns ein A p a r t m e n t im Fosshotel, keine schlechte Hotelkette und eigentlich viel zu teuer für u n s , aber über verschlungene Kanäle schloss Julian einen guten Deal für uns ab. Letztlich zahlten wir eine eher symbolische Summe für einen ganzen Monat, Julian übernahm die ge- samre Rechnung - und konnte sich damit als Gastgeber prä- sentieren. Julian weihte den unscheinbaren Typen, der fasr jede 137 Nacht hinter dem Tresen an der Rezeption saß, in unser Trei- ben ein und eröffnete ihm, mit welch exklusivem Club er es gerade zu tun hätte. Und wie immens gefährlich das alles sei. Der war dann gleich drin i n d e m Film. Wenn w i r spät abends von unseren Gesprächen und Arbeitstreffen nach Hause ka- men, warf er uns einen verschwörerischen Blick zu. Vermut- lich hielt er die ganze Nacht den Hotelparkplatz vor der Glas- tür im Bück und wartete auf die schwarze Limousine des amerikanischen Geheimdienstes. Wir bezogen ein etwas karg eingerichtetes Apartment für vier Personen im zweiten Stock des Hotels, mit Küchenzeile, lila Stoffgardinen und Holzbodenimitat. Das Hotel, von au- ßen ein hässlicher grauer Klotz, lag in einer ruhigen Seiteu- straße fast direkt an der Uferpromenade. In dem Zimmer, das ich mit Julian teilte, gab es nur ein sehr kleines, auf Bauchnabclhöhe angebrachtes Fenster. Dafür war der Blick über die Faxaflöi-Bucht umso großartiger. Ich lag oft da und schaute auf die klaren Linien des gegenüberliegenden Berg- p a n o r a m a s , wenn mir Enge und Unordnung unserer Behau- sung mal wieder zu viel wurden. Im Bad gab es kein Fenster, und wenn morgens drei Jungs h i n t e r e i n a n d e r geduscht h a t t e n , biss die Luft von dem schwefeligen Wasserdampf in der Lunge. Außer Julian und m i r wohnten in dem Z i m m e r noch weitere Flacker Lind Netzaktivisten, die alle nach Island gekommen waren, um LVLV11 auf den Weg zu bringen. Darunter Rop aus den Nie- derlanden, Jake Appelbaum aus den USA sowie Folkert, ein guter Freund von mir aus Flongkong, Sie alle brachten Er- fahrungen und Spezialwissen mir, das uns half, die Details der Idee auszuarbeiten. Birgitta, die isländische Abgeordnete, die wir schon bei unserem letzten Besuch kennengelernt hatten, sowie Herbert und Smari trafen wir fast täglich. Die drei wohnten ja in Reykjavik, Außerdem kam noch Flarald S c h u m a n n , ein 138 Journalist vom Berliner Tagesspiegel, der eine Geschichte über uns schreiben wollte. Birgitta war bald viel mehr als unser guter Draht ins islän- dische Parlament. Wir merkten schnell, dass sie wenig von einer typischen Politikerin hafte - wenn ich an Ursula von der Leven dachte, hätte der Kontrast größer kaum sein kön- nen. Sie war immer sehr leger gekleidet. Sie trug zum Beispiel einen langen, schwarzen Mantel, Stahlkappenstiefel und dazu sehr mädchenhafte Details wie Silberkette, Bluse oder eine blumenverzierte Haarspange. Birgitta wurde zur treibenden Kraft bei IMME Sie hatte einen anderen Blick auf die Dinge und konnte uns bei WL mit einer Einschätzung von außen oft sehr weiterhelfen. Und eine coole, liebenswerte Person ist sie obendrein. Birgitta besorgte Anwälte, und die waren von der Idee des Medienfreihafens ebenfalls begeistert. Damit hätte ich gar nicht gerechnet. Die Juristen haben dann angefangen, an der rechtlichen Konstruktion von 1MMI zu feilen. Wir mieteten uns einen Platz im Mitiistry ofhicas, einem Komplex von alten Lagerräumen in Reykjavik, in dem viele soziale Projekte und politische Gruppen untergebracht sind. Man konnte dort für wenig Geld Räume zum Arbeiten mie- ten, Das Miuistry w a r g r o ß und ballig, der Boden aus grauem Beton. Die Einrichtung, Tische und Stühle, erinnerte an Klassenzimmer. Hinten gab es eine kleine Kaffeebar, und wir besetzten eine Couch daneben, Dort hielten wir Rat und versuchten, IMMI voranzubringen. Wenn ich nicht am Rechner saß, traf ich potentielle Busi- ncsspartner. Es ging d a r u m , den Service-Providern und der Regulierungsbehörde, den Rechenzentren und den Firmen, denen die Überseeleitungen gehörren, die Unterstützung un- serer Initiative schmackhaft zu machen. Island konnte bereits mit grüner Energie und einem küh- len Klima punkten. Das war gut für einen Serverstandort, 139 keine Frage. Das Ziel, den Datenverkehr künftig um ganze 30 0 0 0 Prozent zu steigern, konnte man damit allein jedoch noch nicht erreichen. Denn so viele Kapazitäten lagen noch ungenutzt in den frisch verlegten Übcrscekabcln. Noch viel, viel wichtiger für Provider und ihre Kunden ist die Frage nach der Rechtssicherheit. Zu wissen, dass sie keine Ahmah- nungen mehr zu erwarten hätten, dass keine unkalkulier- baren Prozesskosten mehr auf sie z u k ä m e n , das war ein Standortvorteil, der mit h u n d e r t großartigen Ö k o s r r o m - Zertifikaten nicht aufzuwiegen gewesen w ä r e , und das würde ein paar Arbeitsplätze schaffen und Geld in das ban- krotte Land bringen, Die isländische Regulierungsbehörde hatte Einwände, man könne sich dadurch wettbewerbsrechtlichen und ande- ren juristischen Arger mit dem Ausland einhandeln. Wo- möglich zöge ein solches I n t e r n e t - E l d o r a d o vor allem Tauschhörsen und die Pornoindusrrie an. Die Sorge war al- lerdings unbegründet. IMMI richtete sich vor allem an die Medien. Und IMMI bestand zudem aus nichts anderem als einer Sammlung von existierenden Gesetzen, aus allen Tei- len der Welt, nur eben jeweils den besten Regelungen von allen. Als Nächstes galt es, einen Termin zu finden, an dem wir das Vorhaben dem Parlament präsentieren könnten. Im Vorfeld sollte es eine Anhörung geben. Wir hatten mit viel Mühe ei- nen Vor trag da für ausgearbeitet. Dazu muss man sagen, dass ich, auch aus dem Tiefschlaf gerissen, jederzeit spontan einen akzeptablen Vortrag über WL gehalten hätte. IMMI jedoch war auch für uns neu. Die rechtlichen und politischen Impli- kationen mussten wir uns genauso erarbeiten wie alle ande- ren,davon abgesehen, dass wir mit dem politischen System in Island wenig vertraut waren. Es gab dann einen ziemlich unglücklichen Auftritt im Par- 140 lamentin Reykjavik. Unser Vortrag war für einen Dienstag- nachmittag vorgesehen. Wir malten uns aus, mindestens die Hälfte aller Abgeordneten durch unsere Performance so mit- zureißen, dass sie danach zu flammenden Unterstützern von IMMI würden. Bislang waren ja nur Birgitta und zwei, drei andere Politiker im Boot. Birgitta hatte die Idee schon lange atioptiert und im Parlament ordentlich die Werbetrommel gerührt. Sie arbeitete bereits daran, parteiübergreifend Ab- geordnete für die Initiative zu begeistern. Doch wie viele das tatsächlich waren - wir wussten es nicht. Schon auf dem Weg in den Sitzungsraum w u n d e r t e ich mich über die Ruhe auf den Pariamcntsflurcn. Ich war aus dem Deutschen Bundestag deutlich mehr Geschäftigkeit ge- wohnt. Es war ein Schlag ins Gesicht, als wir in den Präsen- tationsraum kamen. In den zehn Stuhlreihen saßen lediglich zwei Abgeordnete. Sonst nur leere Stühle und ein Wind- hauch, der durchs geöffnete Fenster zog und ein paar Papiere zum Rascheln brachte. Die meisten Politiker, sollten wir spä- ter erfahren, waren in den Lirtaub oder in ihre lokalen Wahl- kreise abgereist. Wir begannen mit dem Vortrag. Allein die Planung, wer wann was sagen durfte, hatte uns Stunden, wenn nicht sogar Tage gekostet. Julian und die anderen ließen sich davon nicht irritieren. Ich fasste mich kurz.-die Situation war zu absurd. Dass mehr Vortragende als Z u h ö r e r versammelt w a r e n , machte die ganze Vortragsform irgendwie sinnlos. Da konnte man genauso zum guten alten Gespräch zurückkeh- ren. Zumal die beiden anwesenden Abgeordneten ohnehin nicht mehr überzeugt werden mussten, Julian ließ sich wie immer nichts anmerken. Er zischte kurz nach dem Termin ab ins Miiüsfry oder wohin auch im- mer. Ich war ein bisschen niedergeschlagen. Wie sollten wir IMMI ins isländische Gesetzbuch hieven, wenn zu einer An- hörung nur zwei Leute kamen? Zwei Abgeordnete plus Bir- 141 gitta. Uns fehlten noch sechzig weitere zu unserem Glück. Und wir waren jetzt schon über drei Wochen in Island. Ich hatte rast vergessen, wie ein schlecht besuchter Vor¬ tragssaal aussah und wie es sich anfühlte, ins Leere zu spre- chen. Wir waren Rückschläge gar nicht mehr gewöhnt, fiel mir da auf. Ich weiß aber auch nicht, wie wir damals darauf kamen,dass uns ein schneller Durchmarsch gelingen könnte. Neben den vielen Terminen setzte uns IM MI auch formal gewaltig zu. Wir mussten die Llomepage zu der Initiative fertigstellen, ein Logo entwerfen und das Layout abstim- men. Ks mussten Texte geschrieben und nicht zuletzt Positi- onen besprochen werden. Wir hatten uns ein bisschen ver- rannt und die Arbeit ziemlich unterschätzt. Das nächste Ungemach, das über uns kam, keimte in unseren eigenen Reihen, In unserem Apartmentgedieh zwischen Kla- motten bergen und Pizzakartons der Lagerkoller. Wir alle, die wir uns im Chat extrem gut verstanden und effizient mitei- nander gearbeitet hatten, konnten die körperliche Anwesen- heit der anderen über so viele Tage immer schwerer ertragen. Ich fand den Gedanken zuerst noch ganz amüsant: Überall auf der Welt wird der IT-Branche zur Last gelegt, sie be- schwöre zwischenmenschliche Probleme herauf, weil sie die Menschen immer weiter voneinander entfernte; Videokonfe- renzen und E-Mail-Besprechungen lösten Gespräche von An- gesicht zu Angesicht ab, und die Menschen kämpften mit Distanzgefühlen und Missverständnissen, die sie Face-to- Face ganz einfach auflösen könnten. Bei uns war genau das Gegenreil der Fall. Dieser erste, wirklich folgenschwere Clash wäre wahrscheinlich nicht passiert, wenn wir uns nicht ge- meinsam in dieses isländische Hotel eingemietet hätten, oder wenn zumindest jeder ein eigenes Zimmer gehabt hätte, An einem Mittwochabend in der dritten Woche eskalierte die Stimmung zum ersten Mal. Der Grund w a r - e i n geöffne- 142 tes Fenster. Ich war unterwegs gewesen und kam zurück in das Apartment, in dem alle anderen eifrig tippend über ihren Rechnern hockten: Rop und Julian sowie Herbert und Smari, Ein Sarg - nach zehn Jahren das erste Mal geöffnet - hätte vermutlich frischer gerochen als dieses Zimmer. Ich hielt mir die Nase zu, ging zu dem französischen Bal- kon auf der anderen Seite des Raumes, öffnete die T ü r und ließ ein wenig Sauerstoff hercinsrrömen. Herbert blickte mich dankbar a n , er war zwischendurch sogar schon einmal auf den Flur geflüchtet, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte. Julian jedoch erstarrte über seinem Rechner, hob den Kopf und fragte, was mir einfiele, einfach das Fenster aufzu- machen. Seine Augen warfen Blitze in meine Richtung. »Rop wird doch kalt, du Spinner!«, sagte er in schneidendem Ton. Keine Ahnimg, w a r u m er jetzt Rops Papi spielen musste, vermutlich war ihm selbst kalt. Alle guckten mich und Julian erschrocken an. Rop hatte tatsächlich gesagt, dass es etwas frisch sei. Aber ich wollte das Fenster ja auch nicht die ganze N a c h t offen lassen. Das sagte ich auch. Julian erwiderte nichts, sondern guckte mich nur an. Er ließ keinen Zweifel d a r a n , dass er darauf wartete, d a s s ich etwas rat. Ich ging zurück, zog die Balkontür wieder zu, vielleicht ein ganz we- nig lauter als nötig, und verließ den R a u m . An dem Abend w a r deutlich geworden, wie leicht die Stimmung kippen konnte. Ich kaufte mir Badehose und Taucherbrille und ließ mir im Schwimmbad das warme Wasser in die Ohren laufen. Es war ein angenehmes Gefühl, die Außenwelt gedämpft wahr- zunehmen, die Rufe der Kinder, das Glucksen des nachlau- fenden Wassers, das schmatzende Geräusch von Badelat¬ schen, die am Beckenrand n ä h e r kamen und sich wieder entfernten. In Island ging man selbst bei Minusgraden ins Freibad. Über die Heizkosten für den Pool musste sich nie- mand Gedanken machen. Auf der Vulkatlinsel sprudelten 143 die Quellen ganz von allein in angenehmer Badetemperatur: Ich hatte unsere Aufgabe darin gesehen, das Gesetz mir aus der Erde. Wenn das dunkle Wasser in der D ä m m e r u n g auf den Weg zu bringen, von nun an hätte es alleine weiter- über dem Becken dampfte und man rundherum auf schnee- laufen sollen. Es gab schließlich auch die Isländer, die sich bedeckte Hügel blickte - das hatte eine fast mystische Atmos- darum kümmerten. »Weshalb ist jetzt nicht mal gut damit?«, phäre. fragte ich. Um den Pool, in den Umkleidekabinen, den Duschen und Aber Julian konnte und wollte nicht loslassen. Er betrach- selbst auf den Toiletten waren Warnschilder angebracht mit tete I M M I als seine Angelegenheit. Später sollte er das ganze allen erdenklichen Hinweisen: »NichtVom Beckenrand sprin- Projekt durch undiplomatische Äußerungen sogar politisch gen« - »Nicht mit vollem M a g e n schwimmen« - »Vorsicht, beschädigen. glatt« - »Bitte sauber halten« - »Vorher nackt duschen«. Wir waren alte keine einfachen Menschen. Und wenn der M a n c h m a l kamen die anderen mit, Rop und Folkert zum Druck wuchs, bekamen die persönlichen Bindungen an den Beispiel, und dann fingen wir an herumzuspinnen. Rop hatte Sollbruchstellen erste Risse. Das betraf hauptsächlich Julian die Idee, eine Kampagne zu starten, die Sicherheit für alles und mich. Die anderen waren dabei eher Statisten, die den forderte. M a n solle doch die ganze Welt mit Schildern zu- Streitereien hilflos zusahen. Z u m Ende hin hat Julian mir pflastern, auf jedes Detail einen Warnhinweis kleben, um die vorgeworfen, dass ich die Perspektive verloren hätte. Ich Politik mit dieser Aufgabe komplett zu überlasten und letzt- würde nicht mehr das große Ganze sehen, sondern mich auf lich aus den Angeln zu hebeln. Das war eine besonders freund- den K lein kram einschließen. An ein einschneidendes Ereignis liche Form, die Anarchie einzuführen. kann ich mich gar nicht erinnern. Ich weiß auch nicht mehr, woran sich unsere ersten richtigen Streits entzündeten, ver- mutlich an Banalitäten wie geöffneten Fenstern. Ich hatte zudem angefangen, mich zu Julians Auftreten kritisch zu äußern. Ich habe ihm zum Beispiel gesagt, er solle mehr auf sein Äußeres achten. Er reagierte darauf schwer getroffen. Aber sollte man wie ein Penner zu einer Jusriz- ministerin gehen? Z u d e m kam in Island diese leidige Diskussion auf, wer »Senior« und wer »Junior« sei. Julian stellte eine ausgefeilte Flackordnung auf, die festsetzte, wer wen kritisieren durfte und wer nicht - mit ihm an der Spitze der Pyramide. Das rechtfertigte er mit seiner Intelligenz und seiner Erfahrung. Und da er damals auch noch einen guten Draht zu Birgirra hatte, legte er fest, dass ich nicht nur ihn, sondern auch sie nicht zu kritisieren hatte. Denn das wäre zugleich cineKritik an ihm. Wir hatten noch mehr tolle Ideen, zum Beispiel ein Schiff zu kaufen, am besten eines, das gleichzeitig Kabel auf dem Meeresgrund verlegte, um dann mit einem schwimmenden Büro die Welt zu bereisen. Oder Gelder für einen Reisebus zu besorgen, damit durch Europa zu ringeln und den ersten Bücherei-Bus für Geheimdokumente zu betreiben. O h n e dass wir es bemerkt hatten, waren vier Wochen ver- gangen. Wir kamen mir IMMI nicht weiter, und es stand die Frage im R a u m , w a s wir eigcnrlich gerade hier taten. Tch stellte diese Frage. Und machte mich damit unbeliebt. »Was ist eigentlich mit WL?«, wollte ich wissen. Unsere Ar- beit hatte bereits einen M o n a t lang brachgelegen. Unsere .S';//;/;;/s>7o;;-Plattform lief mehr und mehr mit neuen Doku- menten voll, die alle gesichtet und für die Publikation vorberei- tet werden mussten. »Wann machen wir weiter?«, fragre ich. 144 145 Julian meinte auch, et müsse mal ein ernstes Wörtchen mii inn reden, weil Birgitta von m i r genervt s e i . Ich Ii.die sie später darauf angesprochen. Sie lachte mich aus, weil das frei erfunden war. »Alle finden dich hier unerträglich«, sagte er. »Wer, alle?«, fragte ich. »Alle eben«, sagte er. »Jeder, der mit dir zu tun hat.« Es störte ihn offenbar, dass wir uns untereinander aus- tauschten. Er meinte, wenn wir anfangen würden, miteinan- der zu sprechen, w ü r d e »die Wahrheit asymmetrisch«. In Island konnte er die Gruppe nicht mehr kontrollieren, wie im Chat. Es bestand plötzlich die Gefahr, dass andere zusammen einen Kaffee trinken gingen und sich über WL unterhielten. In dem Apartment sah es innerhalb kürzester Zeit aus wie in einem Irrenhaus für Messies. Zuerst hatten sich die Putz- frauen mit ihren großen, schwarzen Trommel-Staubsaugern noch den Weg durch unsere Sachen gebahnt. Bald kamen sie mit ihren Geräten nicht mehr durch die Tür. Ein paar Tage lang kämpften die freundlichen isländischen Damen sehr beherzt um das Apartment N u m m e r 2.3. Aber nach spätes- tens fünf Tagen gaben sie das Terrain verloren. Wir schlössen daraufhin einen Waffenstillstand und tauschten von da an regelmäßig Einkaufstüten voller Müll gegen frische Hand- tücher und Klopapier. Keiner von uns kochte oder kaufte wenigstens ein paar vernünftige Sachen zu essen. Zwischen unseren schmutzigen Klamotten sammelten sich halb geleerte Chipstüten. Ein Berg übel riechenden Trockentischs, den mal jemand einge- kauft, aber niemand für essbar befunden harte, moderte vor sich hin. Es w u r d e stündlich ungemütlicher, und diese Ge- ruchsmischung aus Käsesocken, Pizza testen, Trockenfisch und Schwefe] hätte man sich eigentlich als Folter patentieren lassen müssen. 146 Ich brauche wenigstens ein bisschen Ordnung zum Über- leben, eine klitzekleine C ihance auf Überblick. Ich kann mich nicht k o n z e n t r i e r e n , wenn um mich h e r u m nur C h a o s herrscht. Da konnte ich noch so viel O-Saft mit der Grinse¬ orange auf der Verpackung trinken, mir schwirrte irgend- wann der Kopf. Das ließ sich auch mit zwanzig Bahnen im Freibad nicht mehr reparieren. An einem Abend wollte ich mich wirklich dringend von meiner Müdigkeit kurieren und bat Julian, mich einfach ein- mal pennen zu lassen. Kurz danach horte ich, wie er mit ei- ner Bekannten telefonierte. Er lachte amüsiert in den I lorer. Offensichtlich hatte sie vorgeschlagen, man könne sich doch auch bei ihr treffen. Ich seufzte innerlich. Julian bestand dar- auf, dass sie zu uns ins Apartment käme. Das Problem war: Wir teilten uns nicht nur ein Zimmer, sondern auch ein gro- ßes Doppelbett. Ich drehte mich zur Seite und zog mir das Kissen über den Kopf. Es gab auch Streit, weil fast immer er es war, auf den man warten musste. Es ist ohnehin schon schwer, eine größere Gruppe v o n - z u m a l anarchistisch veranlagten - Menschen zu koordinieren, dafür braucht es echten Organisationswillen. Ob wir nun einen Termin hatten oder einfach nur zum Essen gehen wollten, in schöner Regelmäßigkeit standen allcausgeh- hereit in d e r T ü r , nur Julian ließ sich noch einmal bitten. Ich war der Einzige, der das ernsthaft ansprach, der böse wurde, wenn Julian einfach weiter an seinem Laptop tippte. Die ande- ren warteten lieber stoisch, bis er sich aufraffte. Mir ging es nicht mehr gut. Ich hatte mich in Stress und Sorgen und Gereiztheiten verheddert und kam keine Minute mehr zur Ruhe. Island war ein schönes Land - später reiste ich mit meiner Familie dorthin, um Urlaub zu m a c h e n - , aber irgendwas in dem Apartment, in der Luft, in dem schwefeli- gen Wasser, der Sonnenlosigkeit, dem Chaos und an Julians Chefattitüde hatte mich mürbe gemacht. Bevor ich durchdre- 147 hen w ü r d e , buchte ich mir für den 5. Februar einen Flug nach Hause. »Übermorgen bin ich weg hier, ich kann nicht mehr«,sagte ich ihm. Der Abschied war nicht mehr herzlich. Es sollte das letzte M a l sein, dass wir uns persönlich sa- hen. Danach verlagerte sich unsere Kommunikation wieder vollständig in den Chat. Zurück in Berlin Vom Flughafen Schönefeld aus fuhr ich mit der S-Bahn di- rekt nach Mitte, zu dem roten Gästesofa im Keller des Chaos Computer Clubs. Dort übernachtete ich oft, wenn ich in Ber- lin zu Besuch war. Ich ließ die Ohren hängen. Hätte ich in dem Moment ge¬ wusst, dass ich in wenigen Stunden die Frau kennenlernen w ü r d e , die ich ein p a a r M o n a t e später heiraten sollte, ich wäre vielleicht nicht so am Boden zerstört gewesen. Es war auf jeden Fall immer wieder sehr nett von meinem Le- ben, dass es Glück und Unglück so dicht aufeinander folgen ließ. Aber noch schlurfte ich traurig durch die Clubräume, Viel sonniger als in Island war es in Deutschland auch nicht. Auf die erwartungsvollen Fragen der anderen, wie es mir in Is- land und mit IMMI ergangen sei, winkte ich ab. »Ich bin müde.« Die anderen ließen mich in Ruhe. Die Gefahr, von jemandem genervt oder mit neugierigen Fragen gelöchert zu werden, war zum Glück gering. Ich ging Richtung Friedrichstraße, um etwas zu essen zu kaufen. Obwohl ich das sehr selten tue, drehte ich mir einen Joint und versuchte mich zu entspannen. Zufällig landete ich wenig später im »Dada Falafel«, dem szenigen orientalischen Schnellrestaurant am Oranienburger Tor. Noch zufälliger traf ich dort Sven, einen Bekannten, der in Begleitung einer Frau da war. Sven stellte uns etwas gestelzt vor: »Das ist Daniel, Mr. 149 WikiLeaks in Deutschland.« Dabei zeigte er auf mich. »Das ist Anke, die arbeitet für Microsoft.« Er deutete auf meine zukünftige Frau und fügte hinzu: »Die ist aber trotzdem ganz nett.« Ich biss in meinen Falafel und musterte Anke über den Matsch aus K r a u t s a l a t und I l u m m u s hinweg. Coole Frau. Chic gekleidet, viel Wille zum eigenen Stil. Sehr selbsrbewusstes Auftreten. Guter Humor. Wir sollten den ganzen Abend lang reden. Unsere Umge- bung verschwand immer weiter in den Hintergrund, das Es- sen wurde erst kalt und erstarrte dann zu festen Kleheforma- tionen auf den Tellern. Irgendwann n a h m uns jemand das Gedeck weg. Sie hätten um uns auch die komplette Innenein- richtung auswechseln, neben unseren Füßen Feuerwerkskör¬ per zünden oder lOÜ-Dollar-Noten verschenken können, wir blieben versunken in das Gespräch. Anke hatte damals kaum von Wl. gehört, wusste so gut wie nichts über Julian und mich. Sie befasste sich bei M i - crosoft mit Open-Govcrnmenr-Strategien. Also im Prinzip mit Transparenz von oben, während wir von unten kamen. Ich glaube, sie machte ziemlich gute Arbeit da. A n k e t w i t t e r t e über alles, was ihr passierte. Und sie schrieb noch am selben Abend einen Tweet, dass sie »einen der WI.-Founder im Dada Falafel kennengelernt« hätte und wie spannend wir uns unterhalten hätten. Gegen halb zwei kehrte ich zurück in den Club. Mein Kopf war voller Gedanken, viele drehten sich um die Vergangen- heit, einige aber auch um die Zukunft. Ich blieb lange wach. Immerhin w a r e s e i n gutes Gefühl,als ich dann in den Schlaf- sack kroch: Ich war nachts endlich mal wieder allein. Und ich dachte seit langem mal wieder an eine Frau. Ich fragte mich, ob ich Anke wohl auch gefiele. Seltsam. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Wo war die ganze schlechte Laune hin? Ich kuschelte mich in mein Kissen und schlief ein. Ich glaube, ich lächelte im Schlaf. 150 Ich traf mich von da an fast jeden Tag mit Anke und er- holte mich sehr schnell von dem Lagerkollei* in Reykjavik. Ich war ziemlich guter Laune, als ich mich das erste Mal nach vier Tagen wieder bei Julian meldete. Ich erzählte ihm sofort von diesem Glücksfund namens Anke. Seine erste Reaktion war: »Besorge dir Schmutz über sie.« Den würde ich später gebrauchen können, wenn es mit uns nicht mehr so gut liefe. Dann hätte ich was gegen sie in der H a n d . Ich war fassungs- los. Aber Anke lachte nur, als ich ihr den Chatausschnitt zeigte. »Hey, rut mir leid, dass es so schwierig war mit mir die letzten Tage«, schrieb ich zurück. Ich habe nie Probleme da- mit, mich zu entschuldigen. Diesmal fiel es mir sogar beson- ders leicht. Z u r ü c k in Berlin konnte ich auf einmal sehen, dass ich in Island tatsächlich ein wenig aus der Spur gerutscht war. Wenn ich mich jetzt daran erinnere, wie ich da im Flur des Fosshotels stand, nervös mit den Füßen tippte und innerlich fast explodierte, nur weil Julian uns mal wieder fünf Minu- ten warten ließ - jetzt, hier in Berlin, kam mir dieser islän- dische Daniel wie ein schlechter Zwilling von mir vor. Wie ein unausstehliches Nervenbündel. Diese Erkenntnis war ja im G r u n d e beruhigend. Viel schlimmer wäre es gewesen, wenn Julians Vorwürfe alle falsch gewesen wären. Ich wollte unbedingt, dass alles wieder gut w ü r d e . Da- mals dachte ich nicht, dass Julians Urteil über mich für im- mer gültig sein sollte. Ich kann sehr hartnäckig sein. Wenn ich Menschen einmal ins Herz geschlossen habe, dann lasse ich mich nicht so schnell verschrecken. »Wir können das jetzt nicht klären«, antwortete er, »Später?« »Vielleichr.« 151 Die sicherste M e t h o d e , Julian wütend zu machen, war die, dass in einem Artikel über W i k i L e a k s s t a n d , »Daniel Schmitt« sei ein Gründer. Founder - er hatte große Angst, dass ich ihm diesen Titel streitig machen wollte. Seit WL ab- hob und es Geld, Ruhm und Prominenz gab, war es für ihn, der all das aufgebaut, erdacht und verteidigt hatte, anschei- nend unzumutbar, diese Aufmerksamkeit mireinem daherge- laufenen Strolch aus Wiesbaden teilen zu müssen. Ich kannte das Gefühl, dass meine Leistung und meine Ideen nicht a n e r k a n n t w u r d e n , seihst gut genug. Ich ver- suchte auch, Julians Sorgen zu verstehen. Aber sobald ich länger darüber nachdachte, gelang es mir auch schon nicht mehr. Tatsächlich war ich bereits darauf gepolt, in jedem Ge- spräch mit Journalisten von allcine darauf zu sprechen zu k o m m e n , dass ich einer der frühen Mitstreiter, aber kein Gründer war. Selbst wenn mich gar keiner danach gefragt harte. Manchmal schon bevor man mir einen Stuhl angebo- ten hatte. Ich frage heute noch, Monate später, bei Journalis- ten nach, ob ich ihnen gegenüber jemals behauptet hatte, ein Gründer von WL gewesen zu sein. Ich habe immer gesagt »gor in early and stuck around« - ich sei früh dazugekom- men und dabeigeblieben. Als ich Julian von Anke erzählte, fragte er mich gleich, ob das nicht die wäre, die den »WL-Founder« getroffen hätte. Die Vorstellung, dass ich mich vor einer Frau mit seinem WL gebrüstet hatte, muss ihn fast um den Schlaf gebracht haben. Vermutlich sah er mich großsprecherisch am Imbiss stehen, umringt von zehn Supermodcls, wie ich eine WL-Angeber- Story nach der anderen zum Besten gab, und im Anschluss lagen mir die Frauen zu Füßen. Ich glaube jedenfalls, niemand machte sich über den Be- griff »Founder« so viele Gedanken wie der Founder selbst. Den meisten Journalisten war das völlig schnuppe. Ich hätte 152 denen auch sagen können, dass ich der »Vize-Pressesprecher für besondere Fragen, Region Deutschland und Mittel- europa« sei - die mussten ja irgendwas in ihren Artikel schreiben. Julian erzählte sogar, meine Bekannten im Club würden schlecht über mich reden. Das ging so weit, dass ich darauf- hin einige von ihnen nicht zu meiner Hochzeit einlud. An- geblich würden sie ihm raten, mich loszuwerden, weil ich in Deutschland so schlechte Pressearbeit mache, sagte er mir. Und dass ich Leute davon abhielte, sich bei WL zu engagie- ren, weil sie sich nicht mit mir und meiner anarchistischen Weltsicht identifizierten. Ich reagierte ziemlich empfindlich auf diese Lästercien. Julian warf mir vor, meine grüßte Sorge sei, mir könnte einer vom Club den Job wegnehmen. Das war nun überhaupt nicht mein Problem. Das Gefühl, dass hinter meinem Rücken jemand Intrigen schmiedete, machte mir zu schaffen. Aber nicht, weil ich unbedingt der Sprecher von WL sein wollte und Angst vor Konkurrenz hatte, sondern weil ich nicht damit klargekommen wäre, wenn die Solidarität im Club auseinan- derbräche. Plötzlich musste ich mich fragen, wie gut ich die anderen wirklich kannte. Ich war lange kein Clubmitglied gewesen, ich zahlte auch keinen Vereinsbeitrag, sondern versuchte, mich auf andere Weise erkenntlich zu zeigen. Ich besorgte Hardware und half hei Veranstaltungen. Zum Club gehörte viel Vereinsmeierei, das war nichts für mich. Dennoch hatte ich ein schlechtes Gewissen dem Club gegenüber, zumal ich so oft auf dem ro- ten Sofa übernachtete. Ich fragte nach, wie die anderen das sähen. LJnd die haben dann gesagt: »Du gehörst doch schon lange zum Club.« Das war für mich eine große Ehre, fast ein kleiner Ritterschlag. Dieser Club hat schon viele Reibereien durchgemacht, ich war ja nicht der Erste, der für seine Arbeit ein bisschen Auf- 153 merksamkeit bekam. Viele Clubmirglieder vor mir haben schon weitaus Größeres geleistet. Und der Erfolg der einen konnte zu Missstimmungen bei den anderen führen, so was kommt in den besten Gruppen vor. Der Club harte es jedoch geschafft, genau an diesen Konflikten nicht kaputtzugehen. Ein wichtiger Punkt dabei war, dass es hier nicht üblich war, auf den anderen neidisch zu sein oder anderen den Erfolg zu missgönnen. Die einzige R e a k t i o n , mit der man rechnen durfte, war Neugier. Man fragte vielleicht auch einmal nach, ob man was helfen könne. Und d a n n k ü m m e r t e sich jeder wieder um seine eigenen Interessen. Es hat mich mitunter Monate gekoster, die Leute, von de- nen Julian behauptet hatte, sie würden schlecht von mir den- ken, darauf anzusprechen und nachzufragen, ob wir die Probleme nicht aus der Welt schaffen konnten. Eine weitere Spinnerei dieser Art war, dass ich kurz davor stünde, von ei- nem Geheimdienst abgeworben zu werden. Weil Menschen wie ich, die gerade extrem unter Stress s t ü n d e n , für die Dienste leichte Opfer seien. Ich frage mich wirklich, welcher Geheimdienst ein Interesse an m i r gehabt haben sollte und welchen Megajob man mir unterbreitet hätte. Kantinenchef? Archivar für G e h e i m d o k u m e n t e ? Solche Verschwörungs¬ theorien waren wie aus einem schlechten Agententhriller abgekupfert. Schon kurz nachdem ich abgeflogen war, fing Julian an, die isländische Politik zu attackieren, nicht zuletzt das Justizmi- nisterium, mit dem wir eigentlich zusammenarbeiten woll- ten, um IMMl auf den Wegzu bringen. Unser Twitter-Account war einmal ein neutraler Weg ge- wesen, um unsere Eollower über Neuigkeiten und Artikel zu WL zu informieren. Wir wiesen auch auf kritische Texte hin, das entsprach unserem Selbstversrandnis. Doch der Account verwandelte sich immer mehr zu einem »Wasjulian Assange 154 so denkt«-Kanal. Julian sprach bald von »seinen« Followern und »seinem« Account, Keinesfalls durfte man die Tweets kritisieren. Mal verunglimpfteer irgendwelche Journalisten als Vollidioten, bei späterer Gelegenheit schrieb er unange- fragi. e r h a l t e grad k e i n e / . e i ! f ü r l n t e i ' \ lewantragen - und zwar an einen Verteiler von 350 0 0 0 Empfängern. Einmal hat er über einen Artikel des amerikanischen Ent¬ hüllungsmagazins MotberJones via Tweet geschimpft. Spä- ter saß der Autor in der WL-Pressekonferenz zum Afghanis- tan L e a k und n u t z t e die G e l c g e i i h e i l . e m m . i l nachzutragen, was denn an besagtem Artikel nun so schlecht gewesen sei. Julian antwortete sinngemäß: »Ich habe gerade keine Zeit, das Stück Scheiße auch noch auseinanderzureißeii.« Damals ärgerte es ihn vor allem, dass Journalisten unwissenschaft- lich arbeiteten und nicht auf der Grundlage von Primärquel¬ len, wie es eigentlich zu einer seriösen Arbeitsweise gehört. Aber auch er hatte nicht immer Belege für seine Geschichten. Etwa wenn es d a r u m ging, dass er mal wieder verfolgt wor- den war. Ich habe nie verstanden, woher bei Julian diese Obsession für das Verfolgt werden k a m . Es w a r fast so, als könnte er sich der Bedeutsamkeit seines eigenen Widersrandeserst dadurch versichern, dass man ihn zum Staatsfeind N u m m e r eins deklariert hatte. In Island hat er sich das Solschenizyn-Buch »Firsr Circle« gekauft. Als er den band in einem Antiquariat entdeckte, entlockte ihm der Fund ein glückliches Lächeln. Solschenizyn ist klassische L e k t ü r e der anarchistischen Szene, war aber für Julian ganz besonders bedeutsam, Er identifizierte sich mit dem russischen Schriftsteller, der lange Zeit in einem Gulag verbracht und später in der Verbannung der kasachischen Einöde gelebt hatte. Julian sah viele Gemeinsamkeiten zwischen seinem Leben und dein des studierten Mathematikers und Philosophen. 155 Der spätere Literatumohelpreisträger war verhärtet worden, weil er in Briefen an einen Freund Kritik an Stalin geäußert harte. Fs gab einen alten Blogeintrag von Julian dazu. Darin schrieb er, »der Moment der Wahrheit» trete erst d a n n wirk- lich ein, »wenn sie dich verschleppen«. Der 2 0 0 6 geschrie- bene Eintrag mit dem Titel -Jackboots« ist voll heroischer Romantik. Julian schreibt d a r i n von Wissenschaftlern in stalinistischen Arbeitslagern und wie nah die darin beschrie- benen Erfahrungen seinem eigenen Leben kämen. Die wahre Überzeugung sei erst dann erreicht, »wenn sie mit ihren Kampfstiefeln deine Tür eintreten und dich holen kommen«. Immer wieder warf er der isländischen Polizei vor, ihn zu überwachen. Auf einem Flug zu einer Konferenz in Oslo sei er außerdem von zwei M i t a r b e i t e r n des amerikanischen State Departments verfolgt worden. Er hätte eindeutige be- weise, dass sie mit ihm im Flugzeug gesessen hätten. Das erzählte er unseren - n e i n , sorry, seinen -Twitter-Followern. Auch das Fintel werde überwacht, glaubte Julian. Fs tat der Spannung vor unseren Leaks sicherlich keinen Abbruch, dass er diese Aura ständiger Bedrohung zu erzeu- gen vermochte. Wir brauchten definitiv keine Marketiugab- teilung. 156 Das Üollateral-Murüer-Mw Noch in Island begannen Julian und die anderen am ColLi- tenil-Murder-Video zu arbeiten. Vor Ort daran beteiligt wa- ren Birgitta, Rop und zwei, drei Isländer, die uns vor allem technisch zuarbeiteten. DicTechies und ich saßen zu Hause an unseren Rechnern. Die anderen mieteten ein altes Haus am Stadtrand von Reykjavik, schlössen sich ein, zogen die Vorhänge zu und präparierten das Video. In dieser Zeit kamen zwei neue Mitstreiter zu WikiLeaks: die isländischen Journalisten Kristinn Hrafnsson und Ingi Ragnar Ingason. Kristinn und Ingi hatten sicherlich auch Einfluss darauf, dass unser nächster Release so journalis- tisch ausfiel. Beide kamen aus der Fernseh brauche, Ingi war Filmemacher. Sie begeisterten Julian dafür, das Videomate¬ rial wie einen eigenen Fjlmbeitrag aufzuziehen. Kristinn hat schnell erfassr, was WL für ihn als Journalisten bedeuten könnte. Heute ist er der neue Sprecher von WL. Ich glaube, er war es, der Ingi mitbrachte. Und wenig später auch den 17-jährigen Jungen, der diesen seltsamen Julian-Hilfs- arbeiter-Status erlangen sollte, den ich nie so ganz durch- schaut habe. Julian berief sich später bei vielen Vorwürfen, die er mir machte, auf Kristinn: »Krisrinn kann bestätigen, dass du die anderen aufgehetzt hast, Kristinn dies, Kristinn das.« Dass ich nicht nach Island zurückfahren wollte und sollte, war eine unausgesprochene Sache. Ich spürte, dass Julian mich nicht dabeihaben wollte, und fragte auch nicht danach. Ich konnte problemlos von Berlin aus für WL arbeiten. Lind 157 nun hatte ich auch einen guten G r u n d , in Berlin bleiben zu wollen: Anke. Wir harten schnell gemerkt, dass wir fürein¬ andergeschaffen waren. Wir teilten dieselben Werte, wollten beide dieWelt verbessern und begegneten uns auf Augenhöhe. Derweil blieb weiter ungeklärt, wiees zwischen Julian und mir weitergehen würde. Ich bemühte mich um ein Gespräch, er blockte ab. Wir trafen uns seitdem nur noch im Chat, ob- wohl viele sagten, wir hätten uns einfach mal wieder sehen müssen, um unser Verhältnis geradezurücken. Unsere Ge- spräche wurden immer verrückter. Anfang Mai unternahm ich einen meiner vielen Anläufe, zu verstehen, was er mir vor- warf. Hier der Auszug aus dem Original-Chat. ' D: i on such a fundamental level d o n t get why you would think i am a liar D: boy, thats so way beyond what i even imagined J: you have fucked up in so many ways and you want me to enumerate them. but what is the point if you can't see things things for yourself? J: I want you to work it o u t yourself. D: because i challenge that list D: i cant work it o u t myself, because at least half of it is not even true D: 3 its stuff t h a t has never happened and you think it did D: so how would i be able to work it o u t ? D: i need to understand what we can do to get back J: These are direct observations. Not 3rd hand to a level of mutual trust j Di whenever you have a minute to talk about this, let me know D: just need a construetive conversation J: i don't know where to start. and if I had to ex- plain it, what would be the point? D: the point would be that we want to keep going? information. D: then i get it even less J: I already gave you a giant list of why I was pissed off at you six weeks ago. D: that list that included that my suit is well pressed most of the time? D: i really dont get it' D: and i still think i am one of the few persons you can trust, like really trust D: and there are not too many of these around D: for what the last 3 years have been worth, it should be worth it J: pathological liars always have great faith in their own honnesty, that is what helps them lie D: why do you think i am a liar? D: i cant recall i ever lied to you, ever D: i feel like you are listening to lies others teil D: and dont even bother to ask me about it • 158 Tipp- und sonstige Fehler stammen aus doli Original. Die Liste, mein Gott, es war so verrückt. Julian hatte mir eine Liste mit all meinen vermeintlichen Verfehlungen zusam- mengestellt. Auf ihr fand sich zum Beispiel der Vorwurf, dass meine Anzughosen i m m e r e i n e perfekte Bügelfalte gehabt hätten. Dabei zogen wir vielleicht einmal alle drei M o n a t e ordentliche Sachen an. Ich war der Überzeugung, dass wir bei manchen Terminen in konservativer Kleidung mehr er- reichten als in unserer Schluffi-Montur. Seriös im Auftreten, subversiv in der Sache - das war meine Haltung. Julian tragt seit einiger Zeit bei seinen Auftritten selbst A n z ü g e - Anzüge mit perfekter Bügelfalte. Ich fand das rich- tig. Es gibtzu dem Thema ein schönes Zitat von Daniel EIls- 159 b c r g - e i n c m berühmten Whisrlcblowcr, der 197] geheime 2 0 0 9 meine W o h n u n g in Wiesbaden aufgegeben und war Pentagon-Papiere über den V i e t n a m k r i e g an die Medien daraufhin sieben Monare lang ohne festen Wohnsitz gewe- weitergab: »Wenn man verhaftet wird, sollte man einen An- sen, eigentlich bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich Anke ken- zug tragen.« Und damit war nicht nur gemeint, dass man auf nenlernte. Vielleicht hatte ich zuerst sogar angenommen, es den Verhaftungsfotos stilvoll aussehen sollte. Sondern vor könnte reizvoll sein, Julians Lifestyle zu teilen. Und anfangs allem wegen des Effekts, w e n n andere Leute sahen: Gute war es tatsächlich ein interessantes Gefühl, so ganz ohne Bal- Kleidung schützt vor Strafe nicht. last. Mit ^anfangs« meine ich ungefähr den ersten Monat. Ein anderer Vorwurf w a r der, dass mein N a m e auf dem Ich fing schnell a n , es zu hassen. Am meisten fehlte mir Klingclschild stand, seit ich zu Anke gezogen war. Das war meine Küche, in der ich meine Vorräte und Gewürze u n d für Julian ein echter Aufregen Ich habe mich gefragt, was es Lebensmittel hatte, in der meine Ordnung herrschte und wo damit auf sich hatte. Er warf mir vor, meine eigene Sicherheit ich kochen konnte, wann immer ich Hunger hatte. zu gefährden. Aber ich hatte auch schon vor meinem Einzug Meine Möbel - immerhin zwei Kleinbus-Ladungen voll, in Ankes Wohnung ein Klingelschild an der Tür gehabt. Üb- ein halber davon allein für meine gut ausgerüstete Küche und rigens auch in Wiesbaden, Julian hatte dort zwei Monate einer für meine H a r d w a r e - lagerten bei meinen Eltern. Ich lang mit mir gewohnt. wollte mir in Berlin etwas suchen. Aber ich kam nichr dazu, mir Wohnungen anzusehen. Ich war immer mit einem riesi- gen Rucksack unterwegs, auf Konferenzen in billigen Pensi- onen untergebracht oder übernachtete bei Freunden. Als ich Anke in Berlin kennenlernte, war uns schon nach einer Woche klar, dass ich bei ihr einziehen w ü r d e , Ich glaube, als sie später das rote Sofa im Keller des Clubs gese- hen hat, auf dem ich die längste Zeit gehaust hatte, war sie sehr erleichtert, mir das angeboten zu haben. Ankes Woh- nung war groß, gemütlich, es gab diese Kissenecke im Wohn- zimmer, und die Küche war ein Geschenk für meine ausge- hungerte Nomadenseele. Gut möglich, dass Julian viel mehr N o m a d e war als ich und dass ihm das alles gar nichts aus- machte. Ich hätte nach mei ner Zeit auf dem roten Sofa im Club aber gut verstanden, wenn dem nicht so gewesen wäre. Ich w u r d e dann übrigens auch Vater. Mein neuer Sohn hieß Jacob und war zehn Jahre alt. M a n mag es mir glauben oder nicht, wir verstanden uns von Sekunde null an. Von meiner glücklichen neuen Flome-Base aus arbeitete ich mit frischer Kraft weiter am Projekt. Und außerdem habe ich schon immer, egal wo ich wohnte, alle alten Schlössergegen neue, bessere ausgetauscht. Meine Haustür könnte man sicher nicht so einfach aufbrechen. Und ich würde immerhin sofort bemerken, wenn sich jemand Zu- gang zu meiner Wohnung verschafft hätte. Ich hatte neuer- dings auch eine Bahncard 100, also ein Ticket, mit dem ich ein Jahr laug so viel Zug fahren konnte, wie ich wollte. Die 3800 F-uro dafür kamen aus dem ständig wachsenden Ver- mögen bei der Wau Holland Stiftung. Ich setzte mich einfach in den Zug, ohne Kreditkarten-Daten zu hinterlassen, die meine Reiseroute nachvollziehbar gemaehr hätten. Ich lebte insgesamr also viel sicherer als je zuvor. Julian hatte ja lange keinen festen Wohnsitz, lebte hier und dort und schlüpfte immer irgendwo unter. Schon als Kind ist er wohl ständig umgezogen. Seine Mutter befand sich lange auf der Flucht vor seinem Vater, der Mitglied einer australischen New-Age-Sekte war. Wie es sich anfühlte, ohne festes Zuhause zu sein, hatte ich selbst im vergangenen Jahrerfahren können. Ich hatte im Juli 160 161 Im Cluir ging es damals zunächst sehr ruhig zu. Die anderen harren mit der Vorbereitung des Vi Jens offensichtlich viel zu tun, so dass sich keiner mehr im Chat verausgabte. Doch we- nig später brachen die ersten Debatten aus, dabei ging es vor allem um die Mcdicnstratcgic und um Spcndengeldeif, Julian behauptete kurz nach dem Leak, dass die Arbeit an Collateral Marder 50 0 0 0 Dollar gekostet hätte. Diesen Be trag wol Ite er du rch Spenden wieder hereinbekommen. Er be- hauptete auch, dass er viel Arbeit damit hatte, das Videomate- rial zu entschlüsseln. Ich weiß, dass das nicht so ganz stimmte. Hin und wieder bekamen wir verschlüsselte Filme, aber bei diesem Video hatte das Passwort beigelegen. Die Datei musste nur ein bisschen hochgerechner werden, um JieBilJqualität zu verbessern, und selbst das haben zum großen Teil freiwillige Helfer für uns erledigt. 1 m Gründe musste Julian zu dem Zeit- punkt nicht viel mehr als die Miete für das Haus und seinen eigenen Flug bezahlen. Die Rechenkapazirät für die Server wurde uns auch von Freiwilligen zur Verfügung gestellt. Ingi und Krisrinn, die Julian in den Irak geschickt hatte, um dorr mit Augenzeugen zu sprechen und Hintergründe zu recherchieren, meldeten sich spater bei mir und baten mich um die 1 rstattung ihrer Flugkosten nach Bagdad. Sie hatten das Geld dafür ausgelegt, und Julian hätte ihnen eigentlich versprochen, die Kosten zu erstatten. So könnten wir in Island zum Beispiel eine eigene Stiftung gründen, um das Geld dafür im Nachhinein zusammenzu¬ bekommen. Julian hatte offenkundig entdeckt, dass Spen- den für WL ein Businessmodell waren, über das sich jederzeit erhebliche Summen organisieren ließen. Ich bat dann bei der Wau Holland Stiftung um eine Aus- lage für die beiden Isländer und gab ihnen das Geld zurück. Im Zusammenhang mit dem Colhueral-Murder-Midso tauchte auch zum ersten Mal die Frage nach den Rechten an unseren 162 Publikationen auf. Fernsehsender riefen bei uns an und frag- ten, ob sie das Video übernehmen k ö n n t e n , ob es auch in höherer Auflösung zur Verfügung stünde und wie teuer es wäre. Wir einigten uns darauf, dass sie dafür Geld spendeten oder, wenn etwa wie beim / / ) / • die Statuten das nicht zulie- ßen, uns stattdessen für unsere Interviews Honorare zahlten. Insgesamt hatten die ganzen Geldgeschichten um das Video einen unangenehmen Beigeschmack, das empfand nicht nur ich so. Doch Diskussionen mit mir und den anderen bügelte Julian immer ab und sagte, wir sollten seine Position in die- sen schwierigen Zeiten nicht anzweifeln: »Do not cballenge leadership in times of erisis.« Julian flog nach Washington in den National Press Club, um eine Pressekonferenz für das Colin iend-Murder-Video zu gehen, in Begleitung von Rop. Er verließ den gemeinsa- men C h a t kurz vor seinem Abflug mir den Worten: »Jetzt beende ich mal einen Krieg.« Vermutlich hätte man darauf antworten müssen: »Ja, bis später d a n n . Soll ich dir noch ein paar Butterstullen ein- packen?« Ich bin ja Optimist und halte nichts von falscher Bescheidenheit. Aber d i e s e Ansage war ein bisschen über dem Limit. Später war auch mal die Rede davon, dass wir den Frie- densnobelpreis bekommen könnten. Der Architekt hatte das mir gegenüber e r w ä h n t , Julian hätte es ihm so gesagt. Ich war erstaunt. »Es besteht eine Chance, dass wir den Friedensnobelpreis kriegen«, sagte mir auch Julian. Später entdeckte ich in unse- rem Mail-Eingang eine Nachricht von einem schwedischen Unterstützet, der uns schrieb, er kenne zwei Universitätspro- fessoren, die Kandidaten für den Nobelpreis nominieren könnten. Er würde die fragen, ob sie nicht WL für die Nomi- nierungslistc vorschlagen wollten. Das war ungefähr so eine Qualität von Geschichte wie die vom H u n d der Tante des 163 Bekannten v o m Nachbarn des- Binders. Natürlich standen wir nicht wirklich kurz davor, in die Fußstapfen von Martin Luther King, Mutter Teresa und Barack Oharaa zu treten. Ich habe mich von Berlin aus um die Einladungen, den Kaum und den Live-Strcam für die Pressekonferenz zum Collateral-Murder-Vidco in Washington gekümmert. Wenn es darauf a n k a m , funktionierten wir als Team immer noch gut. Oder umgekehrt gesagt: Drei Tage vor dem Termin war in Washington so g u t wie nichts vernünftig organisiert. Hätte ich das nicht gemacht, Julian hätte mit den Journalis- ten im Plur des National Press Club reden können, oder vor der Haustür. Wenn überhaupt jemand von dem Termin er- fahren hätte. Anke und ich beschlossen zu heiraten, und Julian war der Erste, der davon erfuhr. Das war im März 2010. Julian und ich mochten zwar gerade in einer schwierigen Phase sein, aber er war noch immer einer der wichtigsten Menschen für mich. Als wir uns für einen Termin entschieden hatten, sagte ich ihm, wie sehr ich mich freuen würde, wenn er käme. Er antwortete nicht darauf. Wir hatten damals über die Gcld- streitigkeiten und die frage nach der künftigen Ausrichtung von WL bereits ziemlich große Konflikte, es waren ein paar harre Worte im Chat gefallen. Ich habe das Thema danach nie wieder angesprochen. Ich wollte mir nicht die Blöße ge- ben, mir von ihm eine Absage einzuhandeln, Tatsächlich hätte ich mir nichts mehr gewünscht, als Julian dabeizuha- ben. Kurz vor der Hochzeit veranstaltete er ein riesiges Thea- ter, w a r u m ich ihn nicht eingeladen hätte. Ich hatte ihn als Allerersten eingeladen! -Ich habe nie eine schriftliche Einladung b e k o m m e n " , beklagte er sich. »Wo zur Hölle hätte ich die hinschicken sollen«, fragte ich 164 zurück. Abgesehen davon harten wir überhaupt keine Einla- dungskarten drucken lassen. Am 5. April ging das Collateral- Mnrder-V\dea online. Es wurde allein auf YouTube über zehn Millionen Mal abgeru- fen. Es zeigte aus dem Blickwinkel der Bordkanone eines M i l i t ä r - H u b s c h r a u b e r s , wie amerikanische Soldaten auf irakische Zivilisten schössen. Dabei wurden auch zwei Re- porter von Reuters getötet. Dieses Video war unser endgül- tiger D u r c h b r u c h . Danach k a n n t e so gut wie jeder unsere Website. Die Nachrichtenagentur Reuters harre jahrelang vergeb- lich versucht, das Video von den Amerikanern zu bekom- men. Die Soldaten schössen auch auf die Zivilisten, die den beiden Journalisten und anderen Opfern von einem vorbei- fahrenden Kleinbus aus zu Hilfe geeilt waren. Ihre zynischen Kommentare dabei sorgten weltweit für E m p ö r u n g - und für ein realistischeres Bild von einem vermeintlich sauberen Krieg. Der Titel »Collateral Minder« mag aus literarischer Sicht eine gute Schöpfung gewesen sein. Allerdings mussten wir uns im Nachhinein viel Kritik anhören. Wir hätten unsere neutrale Position verlassen. Weil wir ein eigenes Video aus dem Rohmaterial geschnitten und mit Untertiteln zum Wort- laut und zum Funkverkehr unterlegt hätten, seien wir seihst zu Manipulatoren der öffentlichen Meinung geworden. Vor allem der Titel des Videos und das Orwell-Zitat daneben - »Political language is designed to make lies sound truthful and minder rcspectable, and to give the appearance of soli- dity to pure w i n d « ' - w a r e n Stein des Anstoßes. Tatsächlich waren das genau die Fragen, über die wir immerzu diskutiert haben: Wie weit mussten wir in der Bearbeitung des Materi- als gehen, um seine Wirkung zu gewähHeisren? Waren diese Vorwürfe ein akzeptabler Preis dafür, mit einem Leak so viel 11 IM Aufmerksamkeit zu erzielen? Was war die Aufgabe von Jonr- nalisten, und welche Rolle spielten wir? Wir hatten die Website mit dem bearbeiteten Video ganz bewusst ein bisschen von WL weggerückt, um zu verdeut- lichen, dass es kein Originalmaterial war. Wir schufen mir collateralmurder.com eine eigene Domain. Als Rohmaterial hatten die Filmsequenzen weitaus weniger Wirksamkeit ent- wickelt, so viel steht fest. Aus meiner Sicht war das dennoch der falsche Weg. Wir e x p e r i m e n t i e r t e n p e r m a n e n t mit unserer Rolle, machten dabei auch Fehler und lernten daraus. Solauge man offen mit Fehlern umgeht, ist das in Ordnung, denke ich. Die Verhaftung von Bradley Flanning Die nächste Lektion, die wir zu lernen hatten, war sehr, sehr unerfreulich: Im Mai 2010 wurde der amerikanische Intelli- gence Analyst Bradley M a n n i n g verhaftet. In einem Chat hatte eine Person, die von den amerikanischen Behörden für Bradley M a n n i n g gehalten w u r d e , dem ehemaligen Flacker Adrian Lamo gegenüber behauptet, geheime Militardoku- mente an uns weitergegeben zu haben. Lamo harte daran fhin die Behörden informiert. Zu dem Material, das diese Person angeblich von Servern des US-Militärs gezogen hatte, sollen Videoaufnahmen gehört haben, die wir für das Callatem!- Murder-Vh\eo verwendet hatten, und die Depeschen der amerikanischen Botschafter, die Cables. Wir erfuhren aus den Nachrichten von der Verhaftung Mannings. Ich saß gerade an meinem Rechner, als die ersten Meldungen dazu in Online-Medien auftauchten. Es war der schlimmste Moment in der Geschichte von WikiLeaks. Der ehemals im Irak stationierte M a n n i n g sitzt in den USA im Gefängnis. In dem amerikanischen Online-Magazin sa- lon.com berichtete Glenn Greenwald im Dezember 2010, dass er dort sehr schlecht behandelt wird, nicht einmal Kis- sen und Bettzeug bekommt. Er wird 24 Stunden am Tag be- wacht, 23 Stunden davon in Isolationshaft. Er darf nicht einmal Liegestütze machen. Ein eigens für ihn abgestellter Wachmann passt auf, dass er sich daran hält. Unter anderem plädierte der republikanische Kongressab- 167 geordnete Mike Rogers dafür, M a n n i n g zum Tode zu verur- teilen. Der Staatsanwalt hat mindestens 52 Jahre Haft gefor- dert. Uns war sofort klar, dass die USA die C h a n c e , an Manningein Excmpel zu statuieren, kaum vorbeiziehen las- sen würden. Wer auch immer uns als Nächstes Material an- bieten wollte, er würde dabei an M a n n i n g und an die Kon- sequenzen denken, die ihn erwarteten. Als wir von M a n n i n g s Verhaftung erfuhren, kommuni- zierten wir, dass wir ihm in seiner Situation jede erdenkliche Unterstützung zukommen lassen wollten, sei es mit Geld, sei es mit Anwälten oder indem wir die Öffentlichkeit zu seinen Gunsten mobilisierten. Wir konnten und wollten ja selbst nicht wissen, wer unsere Quellen waren. Das war Teil des Sicherheitskonzepts. Wir baten die Whistleblower lediglich um eine Begründung, wes- halb das Material ihrer Meinung nach einer Veröffentlichung wert sei. Wir wollten damit unter anderem ausschließen, dass unsere Plattform zu persönlichen Rachefeldzügen miss- braucht wurde. Diese Begründungen fielen stets sehr individuell aus: Un- sere Quellen konnten zum Beispiel frustrierte Angestellte, verprellre Wettbewerber oder auch moralisch motivierte Menschen sein - d a s Spektrum wargrnls. Wir sorgten ein für, dass sich die Informanten mit ihren Beschreibt! ngstexten nicht selbst in C lefahr brachten. I hr Schutz hatte oberste Prio- rität, Jedenfalls sollte das so sein - ob wir später in dieser Hinsicht alles richtiggemacht haben, stehtauf einem anderen Blatt, Vor sich selber konnten wir die Informanten indes nicht schützen. Das erste M a l begriffen wir die sozialen Defizite unseres Projekts. So gut wir auf unterschiedliche Krisenszenarien vorbereitet waren und wie viel wir auch immer darüber spra- chen, dass wir uns selbst mir C r y p t o p h o n e n oder stabilen Haustürschlössern absichern mussten - diesen Punkt hatten wir nicht ausreichend bedacht. WikiLeaks verteilte Anerken- nung und Risiko höchst ungleich: Während wir uns halb- wegs gel ahrlos im Blitzlichtgewitter des öffentlichen Interes ses sonnten, gingen unsere Quellen leer aus, was den Ruhm betraf. Dafür trugen sie das weitaus größere Risiko. O h n e ihre Zivilcourage und ohne die brisanten Dokumente, die sie heimlich kopierten und auf unserer Plattform ablegten, hät- ten w i r ja der Öffentlichkeit niemals derartig spannende Ein- blicke ermöglichen können. Es hatte in der Geschichte von WL schon einen ball gegeben, lange vor M a n n i n g , lange nicht so brisant, in dem eine an- gebliche Quelle beinahe als solche identifiziert worden war. Da ging es um Studentenverbindungen in den USA. Diese Bruderschaften waren so etwas wie ein Running Gag bei WL, ihre geheimen Ritualhandhücher gingen regel- mäßig bei uns ein. Am Ende hätten wir mit Kappa Sigma, Alpha Chi Sigma, Alpha Phi Alpha, Alpha Kappa Alpha, Pi Kappa Alpha, Sigma Chi, Sigma Alpha, Epsilon, Sigma Phi Epsilon und wie diese Vereinigungen alle hießen, ein ganzes Bücherregal füllen können. Diese Bücher enthielten unter anderem die Initiations- riruale, mit denen neue Mitglieder schikaniert w u r d e n - w a s sogar schon einmal mir Verletzungen oder gar dem Tod eines Neumitglieds endete -, genauso wie die geheimen Codes, Zei- chen und Lieder dieser Gruppchen. Das reichte von Altären, au \ denen ein Totenschädel, eine Bibel und zwei Knochen ge- kreuzt werden mussten, über bestimmte Plaggen, die rechts und links an den Fenstern aufzuhängen waren, bis hin zu der Lisre einer Chemiker-Bruderschaft, die vorschrieb, was der Neuling zu seinem Initiationsritual mitzubringen hätte. Dar- aufstanden etliche Substanzen, die der neue Bruder vermut- lich aus dem Chemielahor seiner Universität entwenden musste, u m damit einen gefährlichen Z a u b e r zu ein r ä c h e n . 169 Ganz unten auf der Liste stand dann noch: »und ein Feuerlö- scher". Sicherheitsbewusst waren die Brüder ja. Wir fragten uns natürlich, oh diese Bruderschatten über- haupt relevant genug wären, um ihre Handbücher zu veröf- fentlk heu, und befanden seilließ!ich, dass jedes Neumitglied ein Recht hätte, zu erfahren, worauf es sich einließ, und des- halb publizierten wir sie. Und weil wir einmal damit ange- fangen hatten, mussten wir alle Bücher, die später noch ein- gingen, natürlich auch veröffentlichen. Das trug uns viel Hassein. Die Mitglieder von Alphagain- ma-Irgend was tauchten regelmäßig bei uns im Chat auf. Wir entwickelten bald ein Gefühl dafür, sie schon an ihrem ersten Satz zu identifizieren. Das Gespräch verlief dann in etwa so: »Echt tolle Sache hier.- Pause. »Wirklich, finde ich total gut, was ihr macht.•< Und dann folgte ein Satz wie: »Ich habe da mal eine Frage bezüglich einer Veröffentlichung..." Wir antworteten manchmal direkt: »Sag mal, kommst du auch von so einer Bruderschaft?« Einer von ihnen hatte uns ein Handbuch übermittelt, das war Seite für Seite mit einer Digitalkamera abfotografiert, Auf der ersten Seite eines jeden I Lind buch s stand eine Num- mer, a n h a n d derer man die Universität zuordnen konnte, in der dieses Buch hinterlegt war. Und es gab jeweils eine Per- son, die dafür zu sorgen h a t t e , dass dieses Buch geheim bliebe. Diese N u m m e r hatte die Quelle g e s c h w ä r z t , um sich nicht selbst zu verraten. Die hochaufgelösten Fotos hat- ten w i r in PDFs u m g e w a n d e l t und publiziert. Irgendwer natu- die (Jriginaltotos auch in einem Forum hochgeladen, wo die Verbindungsbrüder sie leider entdeckten. Auf den Fotos fiel es nicht schwer, die geschwärzte N u m m e r von der Rückseite der abfotografierten Seite herauszulesen. Damit 170 war klar, von welcher Universität der Geheimnisverräte!' stammte. Die aufgebrachten Brüder fingen an, Bilder zu suchen, die auf Uni-Servern oder in Communities derselben Hochschule lagen, und die Bilder mit den Metadaten der Fotos des Ritu- albuches zu vergleichen. So konnten sie den Kamerabesitzer und wenig später auch den vermeintlichen Übeltäter ermit- teln. Das hätte für diese Person ziemlich böse Konsequenzen haben können, solche Bruderschaften lassen sich normaler- weise alles urheberrechtlich schützen: jedes Lied und jedes kleinste Abzeichen. N u r die geheimen Rituale nicht, und das war das Glück für den Beschuldigten: Weil die Verbindungen anscheinend derart besorgt waren, dass ihnen jemand ihr Geheimnis rauben könnte, zeigten sie das H a n d b u c h nicht einmal dem Copyright-Büro. Dass wir ihre Geheimnisse lüfteten, stürzte unsere treuen Chat-Gäste in tiefes Unglück. Als ihnen klar wurde, dass wir überhaupt nicht daran dachten, die Bücher wieder von der Seite zu nehmen, reagierten sie teilweise mit Wut, viel öfter aber mit Gejammer. Ich habe mich gelegentlich im Chat mit ihnen unterhalten. Sie erzählten mir, dass ihnen nichts im Le- ben so viel bedeutet wie ihre Bruderschaft. Da halfen auch meine väterlichen Ratschläge wie »Warte doch mal zehn Jahre, dann wirst du vielleicht anders darüber denken" nichts. Nach- dem ihre geheimen Rituale und Zeichen im Netz bekannt wa- ren, konnten sie nicht mehr sicher sein, dass es kein falscher Bruder war, der sich bei ihrem nächsten Treffen einschlich. Die Lust der Menschen, Geheimnisse zu haben und sie nur mit einem exklusiven Kreis von Menschen zu teilen, das Be- dürfnis, andere dadurch auszuschließen, ist kein unerhebli- cher Grund für die Existenz von Geheimnissen überhaupt. 1 )as war an diesen Bruderschafren sehr plastisch nachzuvoll- ziehen. 171 Wenn es stimmt, dass es ein Mensch in der Situation eines Bradley M a n n i n g gewesen ist, der das filmische Rohmaterial zum späteren ColUiteyal-Muräer-Video bei uns hochlud. dann härte ich sein Verhalten sogar gut verstanden. M a n n i n g war ein junger M a n n in den Zwanzigern, ein Mensch, der isoliert von den üblichen sozialen Bezügen im Irak festsaß, vermutlich umgeben von Soldaten, die eine komplett andere Einstellung zum Kriegseinsatz hatten als er. Er hätte das Bedürfnis gehaht, mit jemandem d a r ü b e r zu reden, hätte er sich diese Dokumente verschafft. Ich härte es fast unmenschlich gefunden, zu erwarten, dass jemand ein solches Wissen für sich behielte. Wahrscheinlich meldeten sich die meisten unserer Quellen nur deshalb bei uns, weil sie ihr Wissen mit einem anderen Menschen teilen mussten. Ich habe durch meine Arbeit bei WL gelernt, dass es echte Geheimnisse so gut wie gar nichr gibt. Wenn ein Satz schon anfängt mit den Worren: »Ich erzähle dir das nur, wenn du mir versprichst, es niemandem weiterzuerzählen, wirklich niemandem, hörsr du?«, dann w a r bereits klar, dass dieses Versprechen mitden gleichen Worten wieder gebrochen wer- den würde und dass eine solche Einleitung höchstens verhin- derte, dass sich eine Sache sehr schnell verbreitete, aber nichr, dass sie überhaupt die Runde machte. Und selbst wenn der beste Freund oder der Ehepartner die Einzigen waren, die von einem Geheimnis erfuhren - spätestens wenn es zu Strei- tereien kam, drohte dem Geheimnis auch hier Verrat. Wer auch immer diese Unterlagen kopiert hatte, war ein großes Risiko eingegangen. Möglicherweise war dem Whist- leblower zu dem Zeitpunkt das ganze Ausmaß nichr einmal bewnsst gewesen. Vielleicht hatte er geahnt, dass er etwas Verbotenes tat, aber nicht, was ihm dafür drohte, und ver- mutlich wurde er von dem Gefühl angetrieben, das moralisch Richtige zu run. Wem auch i mmer wir das Material verdau k- 172 ten: Es hätte eines Menschen bedurft, der diese Person ein- dringlich und immer wieder daran erinnert hätte, dass er mit NIE. MAN DEM darüber sprechen durfre. Wir haben über technische Lösungen dafür nachgedacht. Wir überlegten, ob man eine Art Token generieren könnte, einen Code, den mir derjenige kennt, derein konkretes Ma- terial übermittelt hatte. Und dieses "buken könnte verknüpft sein mit einer Prämie, sobald der Fall verjährt wäre, Die Quelle könnte dann vielleicht zwanzig Jahre später ein T-Shirt be- kommen, oder wer weiß, vielleicht sogarein paar Unterhosen, die sie als Auszeichnung unter der normalen Kleidung tragen könnte, mit einem Aufdruck von WikiLeaks. Nicht nur einmal hätten wir uns ein Feedback-System ge- wünscht, klar. Wir haben sogar über einen echten Rückka¬ nal nachgedacht. Eigentlich besteht ja nun die Konstruktion und auch ein beträchtliches Mals der Sicherheit bei WL darin, dass es absolut keine Möglichkeit gibt, die Quelle ausfindig zu machen. Auf der anderen Seite wäre das auch für Journa- listen sehr hilfreich gewesen. Aber das war schon viel zu weit gedacht, denn w ü r d e m a n erst die Journalisten auf eine Quelle loslassen, könnte man sie wohl überhaupt nicht mehr vor sich selbst beschützen. Aus meiner Erfahrung würde ich keinem Whistleblowcr raten, sich mit seinem digitalen Geheimdokument an die tra- ditionelle Presse zu wenden. Auch wenn es dort einen per- sönlichen Ansprechpartner und vielleicht sogar eine eigene kleine Kasse für solches Material gibt. Die garantierte Anonymität der Quelle war ja der große Vorteil von WikiLeaks gegenüber allen klassischen Formen des Enthüllungsjournalismus. Wahrend in den meisten Län- dern der Welt kein Journalist seiner Quelle ernsthaft c^r sichern kann, dass sein Name vor den ErmittlungsbehÖrdeu mit ihren Erzwingungsmethoden und Rechtsmitteln sicher wäre, sicherte WikiLeaks durch die technische und jurifiti- 173 sehe Konstruktion, dass Whistleblower tatsächlich anonym Hieben mul nicht zu einer Atissage gezwungen werden konn- ten. Aber die rechtliche Sicherheit ist nur ein Teil des Prob- lems. Im Paule unserer Arbeit stellten wir immer wieder fest, wie naiv die meisten Journalisten mit Kommunikationsmit- teln umgingen. Sensible Dokumente sind auf den Computern der meisten Journalisten alles andere als sicher. Wann wäre ein Dokument so gefährlich, dass w i r e s nicht mehr publizieren könnten? Darüber haben wir nicht zuletzt im Z u s a m m e n h a n g mit den diplomatischen Depeschen viel diskutiert. Nachdem Manning verhaftet worden war, stellte sich die Frage noch einmal anders. Wann wäre ein Dokument so gefährlich für die Quelle, dass wir es nicht mehr publizie- ren dürften? Theoretisch tritt diese Frage allerdings bei jeder Veröf- fentlichung auf. Was zum Beispiel sollten wir machen, wenn eine Quelle uns drei Tage später kontaktiertc und uns bar, die Dokumente doch wieder zu löschen? Sollte nicht immer die Quelle das letzte Wort haben? Wir hatten über diesen Fall schon einmal diskutiert im Z u s a m m e n h a n g miteinem Peak, der Italien betraf- und für den sich übrigens kaum jemand interessieren sollte. Es ging um eine unsaubere Auftrags vergäbe, unserer Quelle zufolge ein Fall von Korruption. Sie meldete sich d a n n jedoch ein paar Tage nach der Publikation, um uns zu bitten, den Kor¬ ruptionsvorwurf wieder zurückzuziehen. Ich habe dann in der Beschreibung der Dokumente das Wort »Korruption« durch einemildere Formulierung ersetzt. Aber die Veröffent- lichung habe ich nicht zurückgezogen. Das wäre auch tech- nisch gar nicht so einfach möglich gewesen. Daraus ergaben sich eine ganze Reihe von Fragen: Wie konnten wir sicherstellen, dass eine Quelle, die uns nachträg- lich bat,ein Dokument wieder zu löschen, nicht von anderen tinter Druck gesetzt worden war? Wie konnten wirsicherstel- 174 len, dass deshalb nicht in Zukunft noch mehr Quellen unter Druck gerieten, wenn wir dem einmal nachgaben? Und wie konnten wir sicher wissen, dass es überhaupt die Quelle war, die uns d a r u m bar? Wir kamen zu dem Schluss, dass es für alle Beteiligten am Ende das Beste wäre, wenn wir »Publika- tion nach Einreichung« als unantastbares Prinzip beibehiel- ten. Wer sich dazu entschlossen hatte, das Dokumente bei uns hochzuladen, der hatte damit entschieden, dass es veröf- fentlicht werden sollte. Irgendeinen Zeitpunkt mussten wir ja festsetzen. Im Gegenzug galt es stets, Ideen zu entwickeln, wie wir negative Konsequenzen für Unschuldig beteiligte verhindern konnten. Wir mussten alle Aspekte bedenken, die für die Per- sonen, die in den Dokumenten auftauchten, oder eben für die Quelle, zum Problem werden konnten. Mal löschten wir Na- men oder schnitten ganze Kontexte, sowie Telefonnummern und Adressen heraus. Dass auch das nichr immer st) gelang, wie es hätte sein müssen, sollte das größte Problem unserer nächsten Leaks werden. Dennoch war es wichtig zu signalisieren, dass es keinen Sinn hatte, Druck anleine Quelle auszuüben. Denn wir wür- den publizieren, egal was passierte. Ich glaube, das war im Großen und Ganzen eine schlüssige Entscheidung. Wir hatten - von wem auch immer - diese amerikanischen Dokumente bekommen und das Video am 5. April 2010 be- reits publiziert. Im Mai w u r d e dann M a n n i n g verhaftet. In dieser undurchsichtigen Lage hätte sich jede weitere Veröf- fentlichung amerikanischer D o k u m e n t e für uns verbieten müssen. Mit jedem weiteren Release liefen wir Gefahr, An- satzpunkte für Ermittlungen zu liefern, gegen wen auch im- mer. Ich war von Anfang an dagegen gewesen. Um eine Frage ranken sich viele Mythen. Es ist die, was letztlich zur Verhaftung von M a n n i n g g e f ü h n haben 175 könnte. Vordergründig war es ganz einfach: Er harte mit Lamo gechattet und dadurch die Ermittlungen in ( l a n g ge- setzt. Doch r u n d h e r u m ranken sich zahlreiche Geschicht- chen und Verschwörungstheorien. Aus den USA gab es einige Hinweise, die diese Entdeckung nicht ganz so zufällig aussehen ließen, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Aul der Defcon, einer Sicherheits- konferenz für Computertechnik im August 2010 in Las Ve- gas, gab es einen Vortrag über das Regierungsprojekt »Vigi- lanz. Darin hieß es, Security-Mitarbeiter auf der ganzen Welt würden »Vigüant« zuarbeiten und im großen M a ß s t a b das Interner nach verdächtigen Beziehungen und Datentrans- fers abseanneu, um Verbindungen zwischen Leuten aufzude- cken und zu bemerken, wenn diese sehr viel Material von A nach B weitergaben. Gut möglich, dass häufiger Mitarbeiter der US Army auf den eigenen Servern herumschnüffelten. So weit w a r das un- problematisch. Schließlich haften ja mehr als zwei Millionen Menschen in den USA auf Dokumente mit der gleichen Ge- heimhalrungssrufe wie die der Cables Zugriff. Wirklich ak- tiv wurden die Geheimdienste erst, wenn das Material offen- kundig weitergegeben wurde. Und in diesem Z u s a m m e n h a n g wäre nun Manning aufgefallen, hieß es in dem Vortrag. Spä- ter w u r d e diese obskure »VigUant«-Gcschich.ee allerdings wieder dementiert. Andere noch obskurere Theorien ranken sich um angebli- che private Motive. Lamo selbst begründet seinen Verrar damit, dass er den weltpolitischen Sprengstoff dieser Doku- mente erkannt hätte und sich daher zum Handeln verpflich- tet fühlte. Schließlich stellt sich die Frage, wie beweiskräftig ein Chat überhaupt sein kann. Identitätsnachweise sind im Chat nicht leicht zu führen. Möglicherweise waren die H i n t e r g r ü n d e viel banaler. Falls die USA nur im Nachhinein versucht haben sollten, die- 176 sen Zufallsfund durch Adrian L a m o als eigene Ermittlung darzustellen - so zu tun, als wäre man vor Entdeckung nir- gends mehr sicher, war ein kluger Sehachzug. Vielleicht wird man die Wahrheit nie erfahren. Die Ver- handlungen vor Militärgerichren sind nicht öffentlich. Die Beteiligten werden einige Mühe investieren, um sicherzustel- len, dass niemand Informationen über das Verfahren heraus¬ schmuggelt. Wenn Leute im Chat auftauchten, die offensichtlich Material anzubieten hatten,gerieten sie witzigerweiseoftzunächstan mich. Es war wichtig, sie dazu anzuhalten, auf keinen Fall schon im Chat zu viel von sich preiszugeben. Das w a r ein Standardspruch, die Warnung, die wir bei jeder Gelegenheit wiederholten: keine N a m e n , keine Infos, die zur Identifizie- rung beitragen könnten. Wir mussten unter allen Umständen v e r h i n d e r n , dass die Leute e t w a s schrieben, was Rück- schlüsse auf ihre Person ermöglichte. Unsere internen Stan- dards waren sehr hoch, wir mussten uns selbst entsprechende Z u r ü c k h a l t u n g auferlegen. Julian hatte ein gutes Gespür für besonders interessantes Material und auch dafür, womit man politischen Einfluss ausüben könnte. Das hatten wir in der Zwischenzeit ge- l e r n t - auch anhand vieler Negarivbeispiele, Dokumente, die wir fälschlicherweise für interessant gehalten harten. Wir hatten zum Beispiel eine ganze Reihe sogenannter Field Ma/nuils, darunter die Handbücher der US-Armee zur unkonventionellen Kriegsführung. Darin wurden die Me- thoden beschrieben, mit denen man andere Länder von in- nen heraus schwächte und stürzte, um ein Militärregime zu errichten. Ich habe damals gedacht, für diese Unterlagen mussten uns die Journalisten eigentlich die Türen einrennen. Doch sie blieben völlig unbeachtet, weil das Thema viel zu komplex war. 177 Gurr/, .indcrs lag der Fall bei dem Videomarerial. Auch wenn es nur einen einzelnen Vorfall abbildete, w a r schnell klar, d a s s es gerade deshalb große Wirkung einfallen würde. Vor allem Julian hatte für so etwas einen exzellenten Blick. Wenn er mir später vorwarf, ich wäre typisches Middle Ma- nagement, gab das womöglich einen guten Einblick in sein eigenes Denken. Er konnte noch so oft die Telefonnummern wechseln und die Vorhänge zuziehen und harmlose Flug- zeuginsassen vor seinem inneren Auge in Spione des Statt Department verwandeln - im Grunde waren wir alle Ver- walter, Manager, Pressesprecher, aber keine Kombattanten des Untergrunds. Wir waren diejenigen, die Server mieteten. Wir warteten auf Dokumente. Weder bestellten wir welche, noch hackten wir sie, und wir erteilten auch keinerlei Auf- träge. Das jedenfalls hätte nicht unserem Selbstverständnis entsprochen, und ob es Julian nun sexy genug erschien oder nicht, es war absolut notwendig, dass wir das so sahen. Im Cirunde war schon unsere »Most Wanted«-Listc, die wir in Anlehnung an eine ähnliche Eiste des Center for De- moeraeyand Technology auf die Seite gestellt hatten, um den sportlichen Ehrgeiz potentieller Zuträger zu erhöhen, ein Eingriff an der Grenze zur Einmischung. Allerdings hatten nicht wir persönlich die Liste ersrellr, sondern lediglich die Leser dazu aufgerufen, eine vorbereitere Liste mit Inhalt zu füllen. besorgte den Server, auf dem wir eine Unterstützt! ngskam- pagne laufen lassen wollten, um den Inhalt sollte sich jemand anders k ü m m e r n . In diesem frühen Stadium geriet die Hilfsaktion bereits ins Stocken. Fragte ich Julian nach Kontakten zu Mannings Anwälten, erfuhr ich nichts Konkretes. Dabei riefen bei mir deswegen ständig Journalisten an und ließen nicht locker. Und die Ver- einigung Deutscher Wissenschaftler harte sich bei mir ge- meldet mit der Idee, M a n n i n g für ihren Whistleblower- Preis zu nominieren. Julian antwortete auf meine Nachfrage. J: i have no time to explain that and given you don't need to know it; next .. . J: i know why you were asking which makes it all the more infuriating D: so why am i asking? J: some moronic disinformation campaign D: no. i am asking because i am putting my ass out there on the line for an official position that you have claimed, and that i get asked about J: lawyers names can't be given. they're not our lawyers names to give. They're bradley's lawyers, bläh lbah J: you don't need to know because you can't teil people, bah bläh, hence waste of time" Nach außen kommunizierten wir d a n n , dass wir M a n n i n g nach Kräften unterstützen wollten, ohne dass wir damit un- terstellten, dass er etwas mit den Leaks zu tun gehabt hätte. Julian verkündete, er würde ihm die besten Anwälte organi- sieren und in den Medien eine riesige Welle lostreten. Er bat öffentlich um Spenden, die Rede war von 100 0 0 0 Dollar, um M a n n i n g die beste Betreuung zukommen zu lassen. Ich 178 Ich muss sagen, dass wir in diesem lall schmählich versagt haben - und nehme mich dabei selbst nicht aus. Ich habe mich leider, wie viel zu oft, damit abgefunden, was Julian mir sagte. Oft genug habe ich mich beschwert, dass Julian ein Diktator war, dass er immer alles entschied, dass er mir In- formationen vorenthielt. Die Kritik war berechtigt. Das ent- hob mich jedoch nicht der V e r a n t w o r t u n g . Ich hatte mich auch von dem Stress nicht unterkriegen lassen dürfen, ich hätte nachfragen und im Zweifel selbst die Initiative ergrei- fen müssen. Es gab keinen G r u n d , w a r u m nur Julian sich um die Unterstützung von M a n n i n g kümmern sollte. Am Ende hängten wir uns einfach an die Kampagne des ßradley Manning Support Network an, die auf der Website www.bradleymanning.org lauft und von Familie und Freun- den organisiert war. Wir stritten uns dann sogar noch dar- über, wie hoch die Unterstützung denn tatsächlich sein sollte. Julian befand, die bei den Spendern veranschlagten 10Ü ODO Dollar seien wohl doch ein wenig hoch, und korrigierte den Betrag auf 50 0 0 0 Dollar nach unten. Wie auch immer. Von den Spendengeldern, die explizit für i hn gesammelt wurden, harte M a nni ng bis Ende 2010 kei nen Gent erhalten. Anfang J a n u a r 201 1 sind - wie ich kurz vor Redaktionsschluss von der Wau Flolland Stiftung e r f u h r - immerhin 15 100 Dollar auf das Untersrützerkonto M a n - nings überwiesen worden. 180 Die neue Medienstrategie bei den afghanischen Kriegstagebüchern Nachdem wir schon ziemlich viele Varianten durchprobierr hatten - wir hatten Dokumente einfach stillschweigend auf unsere Website geladen, wir haben einzelne Journalisten mit an Bord geholt und waren schließlich selbst als Medien-Or- ganisation aufgetreten -, wollten wir dieses Mal alles richtig machen. Wir saßen auf einem riesigen Dokumenten-Stapel zum Afghanistan-Einsatz. Wir wollten bei diesen »Kriegs- tagebüchern", den Afghan WMfDiat'ies, die Medien rechtzei- tig einbinden. Und wir wollten dabei die Chefs bleiben und uns gute Partner aussuchen. Schnell fiel die Entscheidung auf die New York Times. Aus straregischen Gründen wollten wir ein amerikanisches Me- dium dabei wissen, w a r u m d a n n nicht gleich das größte, dachten wir. Der zweite große Partner war der britische Guardian, zu dem Julian gute Kontakte unterhielt. Jedenfalls erzählteer das. In Deutschland entschieden wir uns für eine Kooperation mit dem Spiegel. Um die sollte ich mich küm- mern. Marcel Rosenbach, Floiger Stark und John Goetz sind sehr erfahrene Journalisten und arbeiten in der Berliner Re- daktion des Spiegel. Erst mit der Veröffentlichung des Col- lateral-Mttrder-Vidcos hatten wir wohl auch ihre Aufmerk¬ samkeitsschwelle ü b e r s c h r i t t e n , und auf der Re:publica 2 0 1 0 , einer Berliner Konferenz zum Web 2 . 0 , harren die 5/w.gW-Journalisren das erste Mal mit uns Kontakt aufge- nommen. Ich versorgte sie mit einem vollverschlüsseltet) Lap- 181 top, damit sie die Dokumente sicher verwahren könnten. Unsere M e d i e n p a r t n e r besorgten sich außerdem C r y p t o - phone. Wir sollten allerdings nie damit telefonieren. Wir trafen uns von da an mindestens einmal in der Woche, um uns gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen und sicherzustellen, dass alles gut lief. Wir hatten uns mit den Journalisten auf einen Termin für die Veröffentlichung geei- nigt. Bis zu diesem D a t u m , dem 26. Juli 2010, waren noch mehrere Wochen Zeit. Insgesamt bestand d.i-* Material a n s v(f 1)00 Dokumenten aus der zentralen Kommandostelle des US-Militärs, darun- ter Lageberichte, Informationen zu Feuergefechten und Luft- angriffen, Angaben zu verdächtigen Vorfallen und soge- nannte Tbreai Reports, So konkrete Informationen über den Afghanistan-Krieg, noch dazu aus erster H a n d , harre bislang keine Zeitung, kein Buch, kein Dokumentarfilm geben kön- nen. Die Journalisten sichteten das Material und recherchierten. Wir kümmerten uns d a r u m , dass die Dokumente technisch aufbereitet wären, sobald die ganze Geschichte online ginge. Da gab es allerdings auch gleich das erste Problem. Wir wollten gerne mit mehreren M e d i e n z u s a m m e n a r b e i t e n , nicht nur mit den drei bereits informierten. Doch Journalis- ten werden zu Hunden, die zähnefletschend ihren Knochen verteidigen, wenn sie um eine gute Geschichte fürchten. Die Medien, die wir bis dahin ins Boot geholt hatten, wollten ihre Storys natürlich exklusiv. M a r c Thorner zum Betspiel hatte schon viel und gut über Afghanistan geschrieben. Fr war lange als Reporter im Land gewesen, und die Presse hatte sein Buch »Afghanistan Code» sehr gelobt. Ihn wollten wir gerne in die Recherchen einbin- den und ihm ebenfalls ermöglichen, einen Blick auf die Do- kumente zu werfen. Doch die anderen Medien rümpften die Nase. So ein dahergelaufener freier Journalist sollte beteiligt IS2 werden? Das konnten die großen Zeitungen niemals zulas- sen. Man bewege sich in einer ganz anderen Liga, hieß es. Auf Druck der anderen Medien musste M a r c Thörner, der später forden Tilgesspiegelden fundiertesten Bericht zu dem Thema schreiben sollte, einen Tag später veröffentlichen als die großen drei. O b w o h l wir gesagt hatten, dass wir uns niemals die Hoheit darüber abnehmen lassen wollten, mit wem wir zusammenarbeiteten und wie, gaben wir schon an dieser frühen Stelle klein bei. Für mich persönlich wäre das nie verhandelbar gewesen, und dem Spiegel gegenüber habe ich das auch so vertreten. Guardian und New York Times übten wesentlich mehr Druck aus. So konfrontativ Julian auch mit vielen von uns umsprang, bei den Journalisten dieser Zeitungen gab er sich zunächst ganz zahm. Ich weiß natürlich, dass es nicht immer schön ist, sich bei den Medien unbeliebt zu machen, Es b e - stand auch gar kein Zweifel, dass die Kollegen schon ein biss- chen länger im Geschäft waren als wir. Was hatten wir ge- glaubt? Fs war ihre K e r n k o m p e t e n z , exklusive News zu ergattern. Wir brauchten uns gar nicht einzubilden, dass sie iik In versuchen w u r d e n , u n s ihre K e g e l n aufzudt ikkrii. Unser Plan hatte ursprünglich vorgesehen, dass wir uns alle- in London zusammensetzen sollten. Es war anfangs sogar die Rede davon gewesen, dass wir uns in einen Kellerraum ein- sperren und gemeinsam über das Material beraren wollten. Niemand sollte den Raum verlassen - ä h n l i c h einer Klausur, wie es sie schon beim Collateral-Mitrder-Vidco gegeben hatte. Über eines waren wir uns außerdem einig: Den Journalis- ten gegenüber durfte kein Wort d a r ü b e r verloren werden, dass es darüber hinaus noch weiteres Material gäbe. Von den Dokumenten, die zusätzlich zum Alghanisrankrieg bei uns eingetroffen waren, hatten wir uns zwar bis dahin nur einen ersten Überblick verschafft. Wir ahnten aber, auf was für einem Sprengstoff wir da saßen. L3 & Es lief alles ganz anders. Julian fuhr allein nach London, unsere U n t e r s t ü t z u n g hatte er abgelehnt. Wie ich später hörte, machte der Kollege von der New York Times gleich klar, dass er lieber in der heimischen Redaktion arbeiten wollte. Und zwar, nachdem er sich nicht nur die Afghanistan- Dokumente auf seinen Laptop gezogen hatte. Auch die D o - kumente zum Irak-Krieg, die niemals zur Disposition gestan- den hatten, waren da bereits auf seine Festplatte gewandert. D a n n stieg er in den Flieger und verschwand. Das verstieß gegen alle unsere Absprachen. David Leigh vom Guardian übernahm die Koordination. Julian habe bei den Gesprächen oft vollkommen übermüdet gewirkt oder sei komplett versunken in die Arbeit an seinem Computer gewesen, berichteten mi r die Spiegel-joumal isten. Es konnte schon bald keine Rede mehr davon sein, dass wir Herren des Verfahrens waren. Z u m a l wir mit der tech- nischen Aufbereitung der Dokumente voll und ganz ausge- lastet waren. Unsere Techniker arbeiteten rund um die Uhr d a r a n , die D o k u m e n t e in ein lesbares Format zu verwan- deln. Als Verüffentlichungsrermin war ein M o n t a g vorgesehen, damit der Spiegel als W o c h e n m a g a z i n seinen normalen T u r n u s einhalten konnte. Dafür stellte das Heft eigens den Produktionsprozess um: Am Sonntag gab es keine Vorab- Fxemplarc lür die Berliner Abgeordneren, und auch die el'aper-Version sollte später verschickt werden. Am Mittwoch vorder geplanten Veröffentlichung traf ich mich mit Marcel Rosenbach und John Goetz bei einem Itali- ener in der Behrenstraße zum Mittagessen. Ich hatte über- haupt gar keinen Hunger, aus Höflichkeit bestellte ich ir- gendein Hauptgericht mit N u d e l n . W ä h r e n d die beiden erzählten, wickelte ich die Teigspeisen gemächlich auf meine Gabel. Die Journalisten berichteten, wie gut alles bei ihnen 184 lief. Ich guckte interessiert zu, wie meine Spaghetti sich in immer breiteren Ringen um die Gabel schlangen. »Und bei euch alles gut so weit?«, fragte mich Goetz. Ich nahm einen Flapps und nickte. Die beiden Spiegel-Jour¬ nalisten sahen sehr zufrieden aus. Ich harte irgendwie ein schlechtes Gefühl. Der Hunger verging mir vollständig, als die beiden fragten, wie weit wir denn mit dem »Harm-Minimiza- tion-Prozess« seien. »Ist denn die Redigatur schon fertig?« Ich guckte etwas d u m m . Versuchte dann meine Miene zu kontrollieren. Ja, es wäre doch mit Julian abgesprochen, dass wir die Namen aus den Dokumenten entfernten, erin- nerte mich Rosenbach. Das wäre auch die Bedingung, von allen drei Medien gefordert und unbedingt nötig, bevor man mit dem Material online gehen könnte. Ich wusste davon nichts. Die Namen von unschuldig Be- troffenen sollten herausgelöscht werden, das klang logisch, ich war sofort ihrer Meinung. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt immer mal wieder das Problem, dassjulian mich in relevante Informationen nicht gescheit einweihte, oder zu spät. Das brachte mich manchmal vor Journalisten in eine schwierige Lage. Gut möglich, dass hier auch diesmal schon die ganze Erklärung lag. Ich raste nach Flause und meldete mich sofort bei unseren Technikern und deren Unterstürzern. Die erstickten zwar gerade in Arbeit, aber dass die D o k u m e n t e noch redigierr werden mussten, hörten sie das erste Mal. Jetzt steckten wir in der Zwickmühle. Die Beiträge waren so gut wie fertig geschrieben, die Druckerpressen liefen sich bereits w a r m : Es war zu spät, die Produktionsprozesse noch aufzuhalten. Vor allem den Spiegel hätte es Zigtausende Euro gekostet, den von langer Hand geplanten Erseheirumgs- termin zu kippen. Ich ging in den Char, Julian war da, ich fragre ihn: »Hey, was hat es auf sich mit der Schadensbegrenzung?« 185 Schwupps, war Julian verschwunden. Und sollte den gan- zen Tag iiher nicht mehr auftauchen. Bei allen anderen liefen derweil die Drähte heiß. Wir ver- suchten zu stemmen, was immer möglich war. Ich glaube, ich habe in diesen fünf Tagen, von Mittwoch bis Montag, nur zehn oder zwölf Stunden geschlafen, wenn überhaupt. Anke lebte mit einem Gespenst zusammen. Ein Blick auf die Dokumente zeigte: Selbst wenn man alle N a m e n herausstrich, blieben immer noch die Z u s a m m e n - hänge: Auch Kontexte machten die Menschen identifizierbar. Wenn in einem Report etwa stand, dass von den drei Afgha- nen, die am 25. März 2009 im Dorf XY gefangengenommen w u r d e n , einer Informationen an die Amerikaner gegeben hatte, so machte das den regionalen Taliban die Sache immer noch zu einfach, diese Person zu finden und zu bestrafen. 90 0 0 0 Dokumente! Es waren schlicht zu viele. Ich starrte auf meinen Rechner und wusste nicht weiter. Als Rnhtext w ä r e d a s niemals zu schaffen. Wir brauchten eine Weh- Oberfläche, die das Redigieren erleichterte. Unsere Techni- ker entwickelten später ein P r o g r a m m , mit dessen Hilfe freiwillige Unterstützer über eine sichere Verbindung auf Dokumente zugreifen konnten, um sie zu bearbeiten oder Namen unkenntlich zu machen. Eür die aktuelle Publikation war es jedoch zu spät. Die Medien gaben uns dann den entscheidenden Hinweis: Wir sollten 14 0 0 0 der 90 0 0 0 Dokumente heraussorrieren und bis auf Weiteres zurück halten. Dabei bandelte es sich um die sogenannten Tbreat Reports. In diesen Reports waren die Berichte von Einheimischen festgehalten, die als Infor- manten des US-Militärs gedient und die A m e r i k a n e r bei- spielsweise vor einem geplanten Anschlag oder einem neuen Waffenlager gewarnt hatten. Die Informanten waren darin namentlich benannrund wären womöglich eine leichte Beute gewesen für Racheaktionen der Taliban. 186 In den restlichen 76 0 0 0 Einträgen tauchten viel weniger Namen auf. Verschiedene Medien haben das später über- prüft und nur noch an die einhundert Namen gefunden. Wir arbeiteten auf H o c h t o u r e n , als Julian am nächsten Nachmittagauf einmal wieder im Chat auftauchte. Er hätte uns das -heute noch sagen wollen mit den Namen», meinte er. Außerdem präsentierte er uns eine umfassende To-do- Liste: J: 1. the urls need to be standardized tomorrow. the naming has been standardized. »kabul war dairies« and »baghdad war dairies« Js 2. afg needs to be checked for innocent informer Identification. These are mostly in the threat reports. its quite a bit of work to go through them J: 3. high level overview and press release need to be done J: 3.5. our own internal coms must be standardized. sat pagers deployed if available and silc/irc fallbacks J: 4. distribution infrastrueture needs to be tested again J: 5. versions of the afg database that we supply need to have the Classification field stripped out J: 6. i have made a füll sql version of the database that also needs to be put up as one of the downloadable archives J: 7. torrents seeded/archives pre-deployed J: 8. email machines need to be made robust. J: 9. press team/contacts standardized J: that's it for the things that MUST be done or we fail 187 J: now for those things that need to be done if vre are to do justice J: 10. i have the perl based searchable/explorable front end i and the guardian developed. that also needs to be deployed as a downloadable archive (more on that later) J: 11. a short 3 minute video intro needs to be made. 1 have people here ready for the film/ editing part, but the graphics part (e.g google earth/ground images} needs to be done J; 12. the people [journalists] who worked on the d a t a all need to be interviewed about their approach and the qua ities/limitations of the data. 10 to 20 mins each- no prep is needed. i have this assigned at the london end, but we also need to do berlin and new york. this is a fast way of producing a »guidebook« for the material, and also elevates WL into a clear working-in-partnership with these three major Players J: 13. the press team needs to be robustified and we need a list of talking heads to can speak sensibily about the issues (not just us) J: 14. donation Systems need to be checked/and made slightly clearer/the australian po box needs to be put up for cheques etc and possibly the.au bank account should also be e x p o e d u Ich antwortete, was alle dachten: »Es sind noch vier Tage bis zum Release.« Bereits ohne Julians Liste standen wir unter Zcitdruck. Natürlich waren wir in der Nacht vor Erscheinen noch nicht fertig. Der Guardian ging daraufhin einlach ohne uns online. Die New York Times traute sich noch nicht, die I RR wollte wohl nicht so ganz allein auf dem US-Markr daste- hen. Die Leute vom Spiegel riefen mich stündlich an, wann wir endlich online wären. Es herrschte Chaos. Als die Medienmaschine erst warmgelaufen war, interes- sierre es niemanden mehr, dass wir die konzertierte Aktion ein bisschen verbaselt hatten und den Medienpartnern mit unserer Veröffentlichung h i n t e r h e r h i n k t e n . Die Welt da draußen hat von unseren internen Problemen, soweit ich weiß, ü b e r h a u p t nichts m i t b e k o m m e n . Keiner ahnte das Chaos, das es im Vorfeld gegeben hatte. Ein Pentagon-Sprecher sollte auf einer Pressekonferenz nach der Veröffentlichung behaupten, "WL hätte nun »Blut an seinen bingern«. Es hat sich aber herausgestellt, dass bis heute nicht ein einziger Informant durch die veröffentlichten berichte zu Schaden gekommen ist. Wie erst später bekannt wurde, hatte auch das amerikanische Verteidigungsministe¬ rium die Informationen in einem internen Papier schnell als ungefährlich eingestuft. Den Hinweis, die Threat Reports herauszulassen, hatten wir ja von den Medien bekommen. Wir hatten uns inhaltlich gar nicht mit den Dokumenten auseinandergesetzt, das war der Job der Journalisten gewesen. Julian sollte sich trotzdem später vor die Kamera stellen und seinen Schadensbegren- zungsprozess loben. Auch unsere Techniker haben H u n d e r t e Arbeirsstunden geleistet. Sie haben zum Beispiel alles in das KML-Eormat umgewandelt, so dass man sich jeden Zwischenfall auf ei- nem Zeitstrahl bei Google Earth anzeigen lassen konnte. Sie mussten sich mit einem Dank von uns im Chat begnügen. Es folgte weltweit eine riesige Debatte darüber, ob diese Veröffentlichung jemandem geschadet hatte. Über die In- halte w u r d e viel weniger geredet - abgesehen von der ersten Medienwel le, die sich konkret mit den Dokumenten beschäf- tigt hatte, und der zweiten, in der andere Zeitungen mit ihren 189 Analysen nachgezogen waren, sobald sie das Material eben- gutes Material aufmerksam zu machen. Als sie mich weder falls gesichtet hatten. zurückriefen noch meine Mails beantworteten. Die Mehr- Einen Krieg zu beenden, hatte sich Julian auf' die Fahnen zahl der Journalisten beurteilte uns gerade in Deutschland geschrieben. Davon sind wir leider noch weit entfernt. Wir anfangs sehr kritisch und schrieb kluge Analysen darüber, hatten erwartet, dass die Dokumente das Denken über den welche Probleme mit unserer Plattform einhergingen. Das Kriegseinsatz grundsätzlich verändern würden. Wenn erst w a r okay. Bei einigen ä n d e r t e sich das allerdings, als sie einmal für alle einsichtig wäre, wie viel Unrecht in Afghanis- merkten, wie viel Aufmerksamkeit sie mit unserem Material tan geschähe, mussten die Menschen protestieren und von generieren konnten, Sie fingen an, uns zu hofieren. Das fand ihren Regierungen fordern, die Kampfeinsätze abzubrechen ich merkwürdig. und die Soldaten zurückzuholen. Dass konkrete Folgen ausblieben und wir nicht in dem Immer häufiger tauchte in den Debatten über die Leaks die- Maße über Nacht eine neue gesellschaftliche Diskussion da- ser Zeit auch die Kritik auf, WL habe sich auf die USA als rüber anstießen, welchen Sinn (.lieser Krieg hatte, lag vermut- Flauptfeind eingeschossen. Dabei gäbe es doch viele Winkel lich auch an der unglaublichen Datemnenge, die in dem Ma- der Erde, die es ebenso verdienten, beleuchtetzu werden. Und terial enthalten war: Die S a m m l u n g war zu groß und zu tatsächlich bezogen sich alle großen Veröffentlichungen des komplex, als dass jedermann in die Debatte einfach hatte Jahres 2010 auf die Weltmacht USA. einsteigen k ö n n e n . Z u d e m s t a n d e n ausgerechnet in den Das hatte mehrere Gründe, Julians Antiamerikanismus 14 00Ü Dokumenten, die wir nicht veröffentlicht hatten, die speiste sich zum einen aus der schlichten Tatsache, dass die wesentlich brisanteren Dinge. Die meisten Geschichten, die USA in die meisten weltpolitischen Konflikte federführend Spiegel, Guardian und New York Times aus dem Material verwickelt waren. Zumal bei vielen Einsätzen der Verdacht machen sollten, bezogen sich auf diese Papiere, Für die drei nahelag, dass die USA auch aus wirtschaftlichen Gründen Medienpartner war es am Ende also sehr lohnenswert, dass Krieg führten. Dabei wog besonders schwer, dass man sich sie die Dokumente weiter exklusiv ausschlachten konnten, in die Politik fremder Länder einmischte, Dennoch muss während die Konkurrenz nur auf den Rest zugreifen würde. man natürlich Regierungen genauso kritisieren, die Verbre- Natürlich konnte man den einzelnen Journalisten nicht chen an ihrer eigenen Bevölkerung verüben. vorwerfen, dass sie nach guten Geschichten suchten und die Das war der eine Grund. Ein weitererganz banaler kommt auch gerne exklusiv harten. Zu den meisten Journalisten hinzu: die Sprachproblematik. Keiner von uns sprach Hebrä- habe ich ein gutes Verhältnis. Aber die Funktionsweise der isch oder Koreanisch. Es war oft schwierig genug, die Bedeu- Medien, diese Sucht nach der exklusiven Information, der tung einesenglischsprachigcn Dokuments zu ermessen. Julian ständige Versuch, so viel wie möglich aus uns herauszuholen, kann zudem keine einzige Fremdsprache. Während er seine diese Mischung aus permanenter Neugier und freundlicher Überlegenheit als Muttersprachler in internen Diskussionen Überheblichkeit, die bat mich gelegentlich auch genervt. gerne ausspielte und bei für ihn unangenehmen Debatten Ich erinnere mich noch an die Zeit, als wir nicht bekannt geschickt mit haarspalterischen Belehrungen über die Bedeu- waren, als ich bei den Medien anrufen musste, um sie auf tung bestimmter Wörter ablenkte, konnte er sich selbst oft 190 191 weder Namen von ausländischen Medien noch von unseren Mitstreitern merken. In einem Fernsehinterview, das er nach meinem Austritt aus VCL gab, verknotete er sich sogar an mei- nem Nachnamen. Wir hätten noch mehr freiwillige Helfer finden müssen, die uns hei den Übersetztingen geholfen hät- ren, und scheiterten ja la nge Zeit schon bei dem Versuch, Mit- streiter für viel grundlegendere Arbeiten zu integrieren. Viel wichtiger war aber der dritte, letzte Grund: Wir hat- ten uns mit den LISA den größtmöglichen Gegner ausgesucht, [ulian Assangc vergriff steh nicht an Schwächeren, sondern wählte sich die mächtigste Nation der Welt zum Feind. Die eigene Größe ließ sich an der G r ö ß e des Feindes messen. Wieso sollte er sich in Afrika oder in der Mongolei verkampfen oder sich mit dem thailändischen Königshaus herumstreireni} In Afrika oder Thailand in einem Knast zu landen oder mit Bctonfülsen in einem russischen Fluss zu verschwinden wäre weitaus weniger attrakriv, als die Weltöffentlichkeit unter aufgeregter Dauerbegleitung durch die Medien darüber zu informieren, dass die Vereinigten Staaten einem den Geheim- dienst auf den Hals gehetzt hätten. Und in die Hauptnach¬ richten schaffte man es mit dieser Strategie garantiert. Das größte Problem im Z u s a m m e n h a n g mit der Veröffent- lichung der Afghan War Diaries war nun, dass Julian seinen Bauchladen aufgemacht hatte und den Medien das weitere Material gezeigt hatte. Das band uns an die vorhandenen Partner. Unser Plan, Herr des Verfahrens zu bleiben, geriet darüber zur Farce. Die New York Times zum Beispiel hatte ihren Beitrag nicht zu uns verlinkt, vermutlich ans Sorge, sich durch diesen Link in einen Konflikt mit dem Gesetz zu bringen. Sie hatte sich aber bereits das Irak-Material kopiert. Es wäre schwer möglich gewesen, bei der nächsten Geschichte ohne sie zu publizieren. Nun hatte die Washington Post in den Wochen daran feine 192 sehr große Geschichte gemacht - »Das geheime Amerika« -, worin die Hintergründe der Waffen- und Rüstungsindustrie ol tengelegt wurden. Die Berichte führten den Lesern sehr gut vor Augen, welches gewaltige Wachstum dieser Branche in der Folge des Kampfes gegen den Terror beschert gewesen ist. Ihre Information war ausgezeichnet, ich weiß nicht, woher die Washington Post sie hatte, aber die ganze Berichterstar- tung zusammen mit den Online-Dokumenten und Karten war eine beeindruckende Leistving, und zwar gestemmt aus der eigenen Redaktion heraus. Als die Washington Port mich damals fragte, ob sie nicht Zugriff bekommen könnte auf die fehlenden 14 0 0 0 D o k u m e n t e , hätte ich das für eine sehr sinnvolle Zusammenarbeit gehalten. Ich hätte ihre gute Ar- beit gerne mit der Weitergabe der Dokumente honoriert. Aber Julian unterband den Deal: »Wir haben mit den ande- ren drei schon Verabredungen getroffen, die kann man nicht mehr unterlaufen«, erklärte er mir. Heute ärgere ich mich, nicht einfach gehandelt zu haben, um meinerseits Tatsachen zu schaffen. Für Julian galten doch diese Kategorien wie Verabredungen und Verträge oh- nehin wenig. Wie oft hat er mir gesagt, dass es darum ginge, sich nicht von den Vorstellungen anderer irritieren zu lassen, sondern selbst aktiv an der Wirklichkeit mitzukonstruieren. Und er sollte vermeintliche Exklusiv-Versprechen mit den Medien ja später selbst neu definieren, unter anderem gab er die Afghanistan-Dokumente entgegen allen Abmachungen auch an Channet 4. Auf der anderen Seite wollte ich das Ansehen von Wiki- Leaks nicht beschädigen, indem ich uns als Vertragspartner unzuverlässig aussehen ließe. Ich steckte in dem doppelten Dilemma desjenigen fest, der sich selbstan Regeln hält, wäh- rend er mit jemandem um zu gehen hat, der Regeln vor allem dann als Argument verwendet, wenn sie ihm in den eigenen Kram passen. Unsere eigenen Ansprüche, vorhandenes Material sofort zu veröffentlichen und unabhängig in den Entscheidungen zu bleiben, waren nur noch ein Witz. Und die Medien hatten uns genau da, wo sie uns haben wollten: bei Fuß. Sie konnten ihre Storys exklusiv verweilen, während uns die I lande ge- bunden waren. Unsere Techniker entwickelten innerhalb kürzester Zeit eine ausgeklügelte Software, mit deren Hilfe wir einen großen Kreis von Helfern nach dem -Freunde von Freunden«-Prinzip in den Prozess des Redigierens einbanden. Jeder konnte über ein Web-Frontend bloß auf ein kleines Arbeitspaket zugreifen und bekam jeweils nur einen Ausschnitt des kompletten Da- tensatzes zu sehen. So konnten »leichzeitig hunderte Freiwil- lige die Dokumente sichten und bearbeiten. Pro Dokument gab es mindestens zwei Bearbeiter, und jede Änderung wurde protokolliert. Alles klappte einwandfrei, und schnell waren die verbleibenden 14 0 0 0 Dokumente gesäubert. D: yes, right, hahaha. weil, this is clarified with everyone eise, and we all agree on this being BS B: yes, good D: the only one that doesnt get it is J, will be sorted out sometime. i know why he thinks that way B: i hope so. why D: few remarks that i made for example. re money for example we had a discussion once about me spending some of that money B: he thinks you keep taking huge amounts of money D: and i s a i d t h a t if he doesnt t a l k to me, i will spend money for necessary expenses, in part because the money here in.de is in large parte a conseguence of my work D: LOL [Laugh out Loud]. i t o o k like 15-20k o u t of this aecount or s o , maximum and all was spent Der Konflikt zwischen Julian und mir setzte sich fort, auch wenn unsere tägliche Z u s a m m e n a r b e i t parallel weiterlief. Ich fing an, mich im Chat mit Birgitta d a r ü b e r auszutau- schen, weil ich völlig im Dunkeln tappte, was genau in Julian vorging. Sobald Julian und ich wieder an einem Strang zö- gen, dachte ich, wäre es auch wieder möglich, WL auf den richtigen Weg zu bringen. Ende Juni berichtete mir Birgitta im Chat von einem Ge- spräch mit Julian. Er habe sie aufgefordert, mir nicht mehr zu vertrauen, und mich als seinen »Gegner« bezeichnet. D: makes no sense B: no he thinks it is deeper. that you want to take over D: deeper in what way? thats BS [bullshit] b: money and credit [94 for Servers we needed, and s t u f f like this all 100 % aecounted for B: and i kept asking him to just meet you and go over all of these things 15 Gleichzeitig mussten wir uns gegen den wachsenden Druck von außen zur Wehr setzen. Am 30. Juli 2010 veröffentlich- ten wir auf der Domain der Afghanistan-Dokumente sowie auf verschiedenen Tauschbörsen-Seiten eine 1.4 Gigabyte- große Datei. Sie trug den Titel »insuranee.aes256« und w ar verschlüsselt. Besonders h e i k l e s Material zu verschlüsseln und d a n n zu streuen, war mehr als sinnvoll gewesen. Wir härten das vorher schon tun sollen. Auch ich wusste nicht genau, was in der Datei gespeichert wurde. Sie ist mit dem symmetrischen Kryptosystem AFS256 gesichert - was sie vor Entschlüsselungsversuchen relativ ge- r 195 feit erscheinen ließ. Doch ich fand die Idee gar nicht so gut, sie einfach ins Netz zu stellen. Ursprünglich wollten wir mit dieser Sicherheitsdatei ver- hindern, dass jemand \VI. zerschlug oder versuchte, einen von uns aufzugreifen und aus dem Verkehr zu ziehen, um damit zu verhindern, dass weitere Dokumente veröffentlicht würden. So wie andere ihr Wissen beim N o t a r hinterlegen, hinterlegten wir es im Netz. Ich hatte die Datei mit viel M ü h e auf USB-Sticks kopiert und durzendfach an Menschen meines Vertrauens in der ganzen Welt verschickt. D a r u n t e r waren auch Politiker von den Grünen, Journalisten und andere Persönlichkeiten, von denen ich a n n a h m , dass ich mich auf sie vetlassen konnte. Ich habe dafür unterschiedliche USB-Sticks gekauft und viele Briefumschläge, braune, weiße, große, kleine, und bin mit jeweils einer Handvoll Sendungen zur Post gefahren, um sicherzustellen, dass nichr die gesamte Charge abgefangen werden könnte. Einige Sticks habe ich auch persönlich über- geben. Dem USB-Stick legte ich einen Brief bei, datiert auf den 2 0 . Juli 2 0 1 0 : Entrusting you with data Dear friend, we are contacting you toda.y in a matter of trust. Enclosed with this letter you can find a USB stick containing Information in an encrypted archive. This information is being distributed to you and other trusted entities around the world in the light of challenges our project might face in the upco- ming next weeks. Distribution wiil make sure that no matter what happens, this information will be disclosed to the media and consequently the general 196 public. It will also serve as an insurance for the well being of our project and us. If anything goes wrong, a second mechanism will make sure that the keys for this material will be distributed publicly, enabling you to decrypt the archive and help make sure it wasn't all for nothing. We are entrusting you to not disclose the fact of reeeiving this letter and the data to anyone. A lot might depend on it. With the best regards and thank you, WikiLeaks 1,1 Die Techniker entwickelten unterdessen eine Lösung dafür, dass die Passwörter automatisch publiziert werden würden, sollte uns etwas passieren - man nennt diese Methode Dead mau switch. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass es zeitgleich den Plan gab, die Datei ohnehin im Netz zu publi- zieren und auf irgendwelchen D o w n l o a d - P l a t t f o r m e n zu streuen. Ich wäre sicherlich dagegen gewesen. Selbst wenn es sehr, sehr lange dauern würde, die Datei zu entschlüsseln, ganz ausgeschlossen ist es doch nicht, Wir wollten mit der Hinterlegung dieser Datei einen poli¬ rischen Hebel schaffen, Ich denke, zumindest haben wir den Leuten vom State Department damit ein p a a r schlaflose Nächte bereitet. Eine verschlüsselte Insiirance-Datei für alle zugänglich im Web, in einer Torrt/tf-Tauschbörse? Das war zumindest kein Problem, das als Standardfall in ihren Lehr- büchern auftauchte. Und es ließ sich auch nicht lösen, indem man einfach einen Flugzeugträger schickte. Ob dieser Sieherheitsmechanismus am Ende wirklich je- manden interessierte und davon abgehalten bar, ein Mitglied von WL zu verhaften? Ich kann das nichr beurteilen. Wir alle glaubten jedenfalls fest daran. Als Julian später in London wegen der Ermittlungen zu den Vorwürfen in Schweden in 197 U-Haft saß, sollte et seinen Anwalt verkünden lassen, man würde die »thermonukleare O p t i o n « e r w ä g e n , also den Schlüssel zur liisuranc'e-Datei publik machen, sollte Julian an Schweden ausgeliefert werden. So war das definitiv nicht gedacht. Die /ws/mwce-Datei sollte bedrohte Mitarbeiter und unsere Dokumente schützen und nicht dazu dienen, dass sich Julian Ermittlungen in ei- nem demokratischen Land entzog. Z u m a l es sich um einen rein privaten Vorfall handelte. Dass wir grundsätzlich so einen Sicherheitsmechanismus gut gebrauchen konnten, bestätigte sich spätestens, als Jake Appelbaum bei seiner Einreise in die USA festgesetzt und ver- hört wurde. Alles, was er sich zuschulden hatte kommen las- sen, war, dass er stellvertretend für Julian auf einer Konfe- renz über WikiLeaks gesprochen harte - vermutlich, weil er es wichtig fand, dass Wl.dort präsentiert wurde. Das reichte, um bei seiner Einreise in die USA seinen Laptop zu konfiszie- ren, ihn zu durchsuchen und mehrere Stunden festzuhalten. Wir machten danach böse Witze, dass alle Kontakte, die in seinem Mobiltelefon gespeichert w a r e n , jetzt Probleme bei der Einreise in die USA bekämen. I >er Z u isi.heiil.tll u ar sehr ärgerlich für Jake. I m V e r g l e i c h dazu erschienen Julians Verfolglingsgeschichten eher harm- los. Als die Beamten bei seiner Einreise nach Australien im Mai 2010 seinen Pass einbehielten, lief dieser vermeintliche Skandal weltweit über die Agenturen. Julian gab danach mehrere Interviews im australischen Fernsehen, in denen er darauf hinwies, dass er nirgends mehr sicher sein könne. Ich habe diesen Reiscpass selbst gesehen. Er war total zerfleddert. Vermutlich hatte sich einfach mal jemand kurz, davon über- zeugen wollen, dass es sich überhaupt um ein echtes Ausweis- papier handelte und nicht um Altpapier. Die Beamten gaben Julian den Pass schon nach einigen Minuten wieder zurück. Als Nächstes behauptete Julian, er könne nicht mehr si- 1 eher aus Australien ausreisen, das sei zu gefährlich. Ich sollte damals einen Vortrag vor dem Europäischen Parlament hal- ten, es ging um eine Informatioiisveranstaltuiig zum Thema Internetzensur. Julian bat d a r u m , dass ich aus- und er statt meiner eingeladen wurde. Sein Argument war, dass ihn die Geheimdienste nur in Ruhe ließen, wenn er unter dem Schutz des Europäischen Parlaments ausreiste. Weil die im Parla- ment auf ihn warteten, könne man nicht wagen, ihn zu kid- nappen oder umzubringen. "Ich brauche politisches Cover«, hieß das in seiner Sprache. Ich habe immer gedacht, uns würden höchstens mal ein paar frustrierte Burschenschaft- ler oder NPD-Ier auflauern, um uns zu verprügeln. Niemand w ü r d e ein australisches Passagierflugzeug kidnappen, um Julian As sänge aus dem Weg zu räumen. Julian begann in dieser Zeitattßerdem, den 17-jährigen Islän- der stärker bei WL einzubinden, und diese Geschichte kommt mir bis heute merkwürdig vor. Uns warnte er immer vor dem Jungen. Er sei ein Lügnerund nicht vertrauenswürdig. Julian wollte auf jeden Fall verhindern, dass wir mit ihm sprachen. Umso erstaunter war ich, dass er sogar eine eigene E-Mail- Adresse bei WL bekam. Das hatten in der ganzen Zeit nur sehr wenige Personen, vielleicht zehn biszwanzig, keinesfalls mehr. Julian kaufte ihm zwei Laptops und hatte ihm ja sogar eines der Cryptophone gegeben. Zusätzlich w u r d e Julian sehr nachlässig, was unsere Si- cherheitsvorkehrungen anging. Die M a i l s a n den 17-Jährigen sowie an den späteren Sprecher Krisrinn wurden automa- tisch an deren gmail-Adresse weitergeleitet, und zwar einzig aus Gründen des Komforts. Ich fragte mich, ob man es den Amerikanern wirklich so einfach machen musste, unsere in- terne Kommunikation mitzulesen, Und ob man dann nicht auch auf die teuren Cryptophone verzichten könnte. Julian w u r d e auch immer unvorsichtiger, was die Ge- 199 heimhaltung der D o k u m e n t e betraf. Einem Isländer, dem man besser keine sensiblen Aufgaben übertrug, gab er die CdbleS, damit er sieb einmal Gedanken maebe könne, »wie man die grafisch aufbereiten- könne. Der Isländer gab dieses Material an die Presse weiter, un- ter anderem an die Journalistin Hcather Brooke vom Guar- dian, Er sollte spater zu seiner Rechtfertigung sagen, dass er sich gefragt habe, wie man den politischen Einfluss des M a - terials optimieren könne, und dass er d a h e r »mit ein paar Leuten darüber sprechen musste«. Dieser menschliche Faktor, der Wunsch, sein geheimes Wissen zu teilen und sich selbst dadurch ein wenig aufzuwer- ten, im Zweifel auch mit Hilfe der Presse, war uns nun alles andere als unbekannt. M a n musste deshalb sehr vorsichtig sein mit der Weitergabe von Informationen, blatten wir das nicht gelernt? Julian, der vor allem in Bezug auf seine eigene Sicherheit sehr paranoid war, lielS die Zügel auf einmal erstaunlich lo- cker. Als er von der Panne erfuhr, schickte er Ingi und Kris- tinn zu ihm. Aber was half es, die Informationen waren in der Welt. Die Isländer Uelsen ihn eine Erklärung unterschreiben, dass man ihm die D o k u m e n t e u n r e c h t m ä ß i g entwendet harte. Überhaupt seinen Namen mit diesen Dokumenten zu verknüpfen, war hochgefährlich. Auch der I7-Jä Ii rige stellte ein zunehmendes Sieherheirsri- sikn dar. Julian twitterte, dass der Junge mehrfach in Island von der Polizei aufgegriffen w u r d e . Uns gegenüber sagte er, dass ihn die Polizei zu WL befragt habe. Dass man ihm Über- wachungsfotos vorgelegt habe, um ihn nach einzelnen Perso- nen auszufragen, Julian twitterte das auch. Die Fakten ließen sich allerdings nicht überprüfen. Die isländische Polizei stritt ab, dass es sich so zugetragen hätte, Das Mysterium WL w u r d e mit Erzählungen über Festnahmen und Verfolgung jeden f a 11 s t ü eh t i g a u gc Ii ei z t. 200 Im Verlauf des Jahres 2010 reiste Julian immer häufiger mit Bodyguards. Was für eine Aufwertung seiner Person. Irgendwann habe ich gedacht, dass für ihn der größtmögli- che Supergau gewesen w ä r e , wenn ich vor ihm verhafter worden wäre. Vielleicht hat er sich deshalb so über das Klin- gelschild mit meinem richtigen Namen aufgeregt. Unser Verhältnis w u r d e nicht besser, nachdem er mir im April gesagt hatte, wenn ich was verzockte und unsere Quel- len in Gefahr brächte, w ü r d e er mich jagen und töten: »If you fuck up, i will bunt you down and kill you.« Er hat das in ei- ner großen Stresssiruatioii gesagt. Und iuaiichin.il sagte cr Dinge zu mir, die klangen, als wären sie auf ihn selbst ge- münzt. Bei anderer Gelegenheit hat er davon geredet, ich wäre ein Sicherheitsrisiko, weil ich »einem Verhör nicht standhalten« könne. Da fragte ich mich, in welchen Film Ju- lian eigentlich mittlerweile abgedriftet war, Sah er vor sei- nem inneren Auge einen Polizisten, der mir die Daumen- schrauben enger drehte, während ich ein seitenlanges Ge- ständnis schrieb, das für Julian das Todesurteil bedeutete? Julian hat mir einmal erzählt, dass er in regelmäßigen Ab- standen in die Wälder rühre. In d e r totalen Einöde könne er ganz für sich sein und seine Akkus wieder aufladen. »Reka¬ librierung« nannteer das. Dort spräche er mit niemandem und lebe einfach in den Tag hinein. Er hatte das seinen Schilderun- gen zufolge eigentlich alle p a a r M o n a t e gebraucht, min- destens. Wenn ich an die vergangenen zwei Jahre denke, harre er kaum einen einzigen Tag gehabt, um wenigstens einmal kurz in die Natur zu fahren oder durch einen Park zu spazie- ren. Viele Leute, die ihn auf Konferenzen oder bei einem seiner Besuche getroffen haften, sprachen mich an, wie schlecht Ju- lian im Moment aussehe, was für einen kaputten Eindruck er gemacht habe. Ich verstand nicht, warum ein derartiger Zeit- 201 druck nötig war. Etwas trieb ihn, ich konnte nicht genau sa- sänge, Chefenthüller und schärfster Militärkritiker auf glo- gen, was. 20 10 würden wir einen fetten Release nach dem baler Friedensmission, hatte sich auch sprachlich an die anderen veröffentlichen, als ob uns der Leibhaftige auf den Mächtigen angenähert, die er zu bekämpfen vorgab. Er fand Fersen wäre. Oer Druck rührte vielleichtauch von dem neuen immer mehr Gefallen an dieser extrem zackigen, seelenlosen Material her, das in der Zwischenzeit bei uns eingegangen Fachsprache unserer Dokumente mit ihren absurden Akro- war. nymen und Codes. Er hatte nur schon vorher angekündigt, dass jetzt nicht Seit längerem schon bezeichnete er alle möglichen Leute m e h r s o viel Zeit sei wie früher, um über jedes Detail zu spre- als »Assets«. In der Betriebswirtschaft ist damit das Inventar chen. Dass wir jetzt zu groß geworden wären, dass die Sache und beim MilitärTeile d e r T r u p p e gemeint. Der Begriff war zu ernst geworden sei, um es noch gemütlich angehen zu las- von Julian auch nicht nett gemeint. Es zeigte, dass unsere sen. Vielleicht gefiel ihm auch, dass alles so krass, zerstöre- Leute für ihn bloß Kanonenfutter waren. risch und bedeutsam wie möglich war. Als er mich später hinausschmeißen wollte, nannte er als Begründung: »Disloyaliry, Insubordination and Destahiliza- tion«: Das waren Begriffe aus dem lispionage Act von 1917. Diese Klauseln waren dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg gefolgt, es war Militärsprache für Verräter. Kodierte Sprache ist nicht nur beim Militär üblich. Sic ist der Kern der meisten spezialisierten Umgehungen. Auch überarbeitete Gesetzestexte enthalten m i r noch sogenanntes Gesetzesgestammel, genauso in der Betriebswirtschaft oder bei den Banken, Noch viel stärker kodiert als beim Militär war zum Beispiel der Ton bei Seientology, deren I Lindbücher voller Akronyme stecken. Eine solche Sprache ist nicht nur perfekt geeignet, um Au- ßenseitern Einblick zu verwehren oder zu erschweren, es gibt ganze Berufsgruppen, die beziehen ihre Existenzberechti- gung d a r a u s , sich in ihrem selbstreferentiellen System zu- rechtzufinden. Worum es eigentlich ging, konnte im Grunde banal sein, es klang nur wie h o h e Wissenschaft. Kein Wun- der, dass Julian dasgefiel. Fachsprache gaukelte Bedeutsam- keit vor und suggerierte, dass der Sprecher schon wüsste, was er tat - aber bitte nicht danach gelragt werden wollte. Das war übrigens noch so eine Erkenntnis, die ich meiner Arbeit bei WikiLeaks verdanke: Ganz gleich ob Militär, Ge- Ich sah die Sache genau umgekehrt. Gerade weil wir im- mer bekannter wurden und die Dokumente immer brisanter, mussten wir mit Bedacht vorgehen. Wir hätten die uns selbst verordnete Pause von Ende 2 0 0 9 nutzen können, die inter- nen Strukturen weiterzuentwickeln. Und uns eher mit klei- neren Leaks befassen müssen, bis die Infrastruktur richtig solide gestanden härte. Ich fragte mich auch, ob Julian tatsächlich vor etwas Angst hatte. Ob ihn eine mir unbekannte Sorge trieb, ob ihm das neue Material tatsächlich zu heiß geworden war. Er sagte oft, wir mussten das Material loswerden. Er äußerte die S o r g e , dass man uns dafür »plarrmachen« werde. Auf der anderen Seite habe ich nie bemerkt, dass Julian überhaupt vor irgend- etwas Angst gehabt hätte. Angst war eine Kategorie, die bei ihm schlicht nicht ausgeprägt war. Also gab es für ihn auch nicht viel zu überwinden. Der Druck führte dazu, dass uns tatsächlich immer mehr Fehler passierten und dass wir der immensen Verantwor- tung, die wir auf uns geladen h a t t e n , nicht mehr gerecht w u r d e n . Julian sagte dazu nur seinen neuen Lieblingssarz: »Do not challenge leadership in times of crisis.« Das harte eigentlich fast komisches Potenzial. Julian As- 202 203 heimdietistc oder Stratcgiekommissiunen - sie kochten alle nur mit Wasser. Einige Papiere erschienen mir hei genauerer Durchsicht haarsträubend naiv. Wir veröffentlichten zum Beispiel ein C M - D o k u m e n r d e r rved-Ce//-Gruppe, das ist ein T h i n k t a n k des Geheimdienstes, der nach 9/1 i gegriiiulet worden war. Das Papier der Red-Cell (iruppe gab Auskunft darüber, mit welchen PR-Straregien die Amerikaner versu- chen sollten, der sinkenden Z u s t i m m u n g der Deutschen und Franzosen zum Afghanistan-Krieg entgegenzuwirken. Hans-Jüigen Kleinsteuber, Polirikprofessor der Universi- tät t Limburg, bezeichnete das Dokument in einem Radioin- terview als •Pennäler-Papier«. Denn so bösartig die Strate- gie auch war, den Deutschen erzählen zu wollen, dass man in Afghanistan Wirrschaftsinteressen wahren wollte, und den Franzosen, dass man sich dort für die Rechte der Frauen einsetzte, so einfach gedacht war ein solcher Plan zugleich. Das hatten nun wirklich keine besonders gewieften Strate- gen ausgetüftelt, es klang in dem Tonfall der CM höchst bedeutsam, hätte aber auch aus der Feder eines Obersrufen- scInders stammen können. Natürlich waren auch wir nicht frei von Selbsrreferenzia- lität. WikiLeaks hieß WL und Julian J, im Chat war ich S für ••Schmitt-, und andere aus dem Team bestanden auch nur noch aus einzelnen Buchstaben. Dabei etablierte sich eine eigentümliche Logik: Je wichtiger eine Person bei WL war, desto kürzer wurde ihr Nickname. Wenn man im W L - C h a t auf eine Ein-Buchstaben-Fxisteiiz stieß, k o n n t e man fast sicher sein, einen offiziellen Vertreter des Projekts vor sich zu haben. 204 Anklage in Schweden Am 2Ü. August 2010 erhob die schwedische Staatsanwalt- schaft Anklage gegen Julian Assange wegen versuchter Ver- gewaltigung in zwei Fällen. Ich war gerade mir meiner Frau und unserem Sohn im Urlaub. Zwei Wochen lang reisten wir durch Island, dieses Land, das aussieht wie ein verkehrt herum belichtetes Foto, weil die Frde an manchen Stellen schwarz und die zugefrore- nen Fjorde schneeweiß sind. Wir tuckerten in unserem alten Leihwagen von einem O r t zum nächsten. St) etwas Schönes harte ich seit Jahren nicht mehr gemacht. F.s gab tatsächlich 'Lage, an denen ich es schaffte, stundenlang weder an Julian noch an WL zu denken. Doch ganz ohne WL ging es nicht. Mich zog es immer wieder an den Laptop. Im Auto lag ein WLAN-Router mir UMTS-Verbindung, für das Zelt hatte ich ein langes Strom- kabel dabei, und auf meiner isländischen Mobilfunk-Nuni- mer riefen regelmäßig Journalisten an. So wollte sich zum Beispiel 1 larvey Cashorc vom kanadi- schen Fernsehen unbedingt mit mir treffen. Fr war ohnehin in Deutschland zu einem Termin, und als er horte, dass ich in Island sei, besehloss er, mir nachzureisen. Cashore leitet den Bereich »investigarive Recherchen« bei CSC, der Cana- dian Broadcasting Corporation. Fr musste einen Anschluss¬ flug zu dem kleinen Flughafen von Isafjördur nehmen, wo ich auf meiner Rundreise mit Anke und Jacob gerade Halt gemacht hatte. 205 Cashore schlug eine Kooperation vor. Sein Sender wollte sich an unserer nächsten Publikation beteiligen und sogar einige Redakteure dafür abstellen, uns beim Redigieren des Materials zu unterstützen. Ich unterhielt mich mit ihm zwei Stunden lang, wir harten uns in einem Fischrestaurant in lsafjördur verabreder. Doch sein Einsatz sollte nicht belohnt werden. Andere Medienpartner wollten nicht, dass C ß C e i n Stück vom Kuchen a b b e k ä m e . Die Spiegel-Leute waren ziemlich entspannt, es waren vor allem die englischsprachi- gen Journalisten, die ablehnend reagierten. Julian erzählte mir, sie hätten ihm gegenüber Druck aufgebaut. In Deutschland gab es in den Medien zu diesem Zeitpunkt nur ein Thema: das Unglück bei der Loveparade in Duisburg, bei der am 24. Juli 19 Menschen von der Menge erdrückt wor- den waren und zwei weitere Opfer einige Tage später im Krankenhaus an ihren Verletzungen gestorben waren. Bei uns gingen bald zahlreiche Papiere dazu ein: die unter Verschluss gehaltenen Planungsdokumente, die internen Ab- sprachen und alle Einzelheiten zum Sicherheits- und Geneh- migt! ngsprozess. Die Papiere stapelten sich regelrecht auf unserem Server, oft gleich in mehrfacher Ausführung. Es kam mir vor, als hätte die halbe Duisburger Stadtverwal- tung über Nacht den Whistleblower in sich entdeckt. Zwar hatten auch Blogs und andere Medien schon einiges davon veröffentlicht, aber wir waren garantiert die Ersten, bei denen die Hintergründe so umfassend dokumentiert wa- ren. Ich fühlte mich verpflichtet, das herauszugeben, zumal Wl. inzwischen auch in die Rolle einer Plattform geschlüpft war, die solchen D o k u m e n t e n die nötige Aufmerksamkeit sicherte. So n a h m ich mir während unseres Island-Urlaubs einige Nächte lang Zeit, alles für die Website aufzubereiten. Wir hatten auf unserer Tour in einem kleinen O r t namens Holmavik E feilt gemacht. In I lolmavik gab es nicht viel mehr 206 als ein Hexenmuseum und ein kleines Gästehaus in windiger Hanglage. Dort verbrachten wir zwei Nächte. Bis morgens um fünf sali ich mit Anke in dem rumpeligen Aufenthalts¬ raum, in dem jeden Tag das Frühstück serviert wurde, und befasstc mich mit Duisburg. Neben mir stapelte sich ein Berg alter Bierdosen von unse- ren Vorgängern. Gegen die Kälte schützten mich dunkel- blaue Merino-Wolluntcrwäsche und dicke Socken. Gegen die lahme Internet-Verbindung half nur - Geduld. Ich hatte an die vierzig Dokumente in unterschiedlichen Versionen durchzugehen und musste die ganze Produktiouskette wie- der an den Starr bringen. Außerdem wollten Zusammenfas- sungen geschrieben und publikationsreife Fassungen mit Deckblättern erstellt werden. Seit unserer Zwangspause hat- ten wir nur noch große Publikationen auf Seiten veröffent- licht, die wir eigens dafür gebaut hatten. Die Lovc-Parade- Veröffentlichung am 2 0 . August war praktisch die erste normale Publikation auf WikiLeaks seit unserer Zwangs- pause. Zu diesem Zeitpunkt publizierten wir ja schon langenicht m e h r - w i e es eigentlich das fest vereinbarte Prinzip gewesen war—die Dokumente in der Reihenfolge ihres Eingangs, son- dern wir ließen den Großteil einfach liegen und konzentrier- ten uns auf die BigShots. Diese Devise hatte Julian ausgege- ben. Und er war trotz heftiger Diskussionen darüber nicht umzustimmen. Dabei sammelte sich noch so einiges an, was ich wichtig gefunden hätte. W i r hatten zum Beispiel den Mail-Verkehr der NPD aus den vergangenen vier Jahren eingelagert. Einen Ausschnitt davon hatte ich bereits an einen Journalisten weitergegeben, damit der sich einen Eindruck verschaffen konnte. Außer- dem hatte der Spiegel, dem zumindest Teile des Materials anscheinend auch vorlagen, bereits eine Geschichte dazu ge- macht. Da der Spiegel-Artikel aus den Mails zitierte, musste 207 das Magazin von den Anwalten der Partei eine einstweilige Verfügung entgegennehmen. Z w a r wurde diese später wie- der aufgehoben, allerdings wäre die Publikation der NI'D- Mails auf Wl. eine gute Ciclegenheir gewesen, unsere Stärke gegenüber den klassischen M e d i e n herauszustellen, Für einst wei I ige Verfügungen gab es ja bei WL nicht ein ma I einen Empfänger. Als wir an einem Freitag wieder in Reykjavik a n k a m e n und ich in den Chat ging, schien es ein Problem zu geben. Einer der Techies, der sich wie ich in den Urlaub verabschiedet hatte, war verschwunden. Wir vergewisserten uns regelmä- ßig, dass jeder bei seinen Terminen heil a n k a m , dass niemand an der Grenze aufgegriffen und festgehalten wurde oder gar verschwand. Er war nun seit neun Tagen abgetaucht, dabei hatte er sich ursprünglich nur für drei Tage abgemeldet. Wir waren in Sorge. Meine brau erzählte unserem Sohn jeden Abend, bevor wir auf unserer Rundreise in einem neuen Bett einschliefen, dass in Erfüllung ginge, was m a n in dieser Nacht träumte. Ich weiß nicht, ob das bei dem zehnjährigen Jacob Ein- druck hinterließ - bei mir rat es d a s . Als ich in der nächsten Nacht träumte, unser Bekannter sei von einem Abenteuertrip wieder heil nach Hause zurückgekehrt, wachte ich morgens in der Überzeugung auf, alles w ü r d e sich nun zum Guten wenden. Und tatsächlich; Ich ging in den C h a t , und der Freund war wieder da. Ich dachte, jetzt wäre alles wieder gut. Zwanzig Minuten spater entdeckte ich im Internet die Mel- dung, dass in Schweden gegen Julian ein Haftbefehl erlassen worden war. Er habe zwei Frauen vergewaltigt, hieß es. Normalerweise gilt auch in Schweden, dass Menschen, die Gegenstand v o n Ermittlungen werden, vor der Presse ge- schützt sein sollten. Lim Rufschädigung zu vermeiden, dürf- ten die Medien nicht einmal d a s Alter einer verdächtigten 20S Person erfahren und schon gar nicht deren N a m e n . Das schwedische Boulevard-Blatt /..v/m'sse/r, das wie der Verlag dieses Buches zur schwedischen Bonnier-Gruppe gehört, brach in diesem Fall alle Regeln. Es hat aus den staatsanwalt- lichen Ermittlungen eine Story gemacht, mit seinem vollen N a m e n . Julian w u r d e davon ebenso überrascht wie wir. Die Polizei hatte sich noch nicht mal bei ihm gemeldet, da musste e r e s bereits in der Zeitung lesen. Das wünscht man keinem Menschen. Seltsam war, dass ich das Gefühl hatte, Julian hätte mir zum ersten Mal seit Monaten wieder zugehört - wenn auch nur für kurze Zeit. Er brauchte meinen Rat. Und er wollte von allen hören, dass sie auf seiner Seite stünden. Auch wenn wir ihm später nahelegten, sich für eine Weile zurückzuzie- hen, versicherten wir ihm doch sofort, dass wir voll hinter ihm stünden und keinen Grund sähen, an seiner Version der Geschichte zu zweifeln. Nach der Einsamkeit der isländischen N a t u r erwartete Anke, Jacob und mich das jährliche Kulturfestival der l laupt- sradt. Es war Samstag, und alles war voller Menschen. Die Isländer hatten ihre Straßen mit Buden gepflastert, es gab Essen und Trinken und Musik, und auf den H a u p t s t r a ß e n fand der jährliche Reykjavik-Marathon statt. Birgitta las vor dem alten Gefängnis aus eigenen Gedichten vor und sam- melte Unterschriften gegen die N u t z u n g von M a g m a zur Energiegewinnung. Ich ließ Anke und Jacob bei den Ständen zurück und kämpfte mich vor zur Flallgrtmskirkja. Das ist eine evangelische Kirche, die ein bisschen aussieht wie eine abfingbereite Arianc-Raumtdhre. Dort war ich mir Ingi und Kristinn verabredet. Wir wollten uns über das aktuelle Prob- lem austauschen. I >ie beulen Isla inier warteten bereits an der I eil Eriksson Statue auf mich. Kristinn schaute immer ein bisschen durch einen hindurch. Als hätte er in der Vergangenheit etwas sehr 2W Schreckliches gesehen und daraufhin beschlossen, nicht mehr richtig hinzugueken. Ingi stand hinter ihm, die H ä n d e vorm Körper verschränkt. Ingi trug meist Hosen und Wes- ten im Military-Stylc-und dazu dann eine alte Herrenhand- tasche. Wir gingen ins Einar-Jönsson-Museum. Weil wir uns gar nicht für die Kunst darin interessierten, aber beim Reden trotzdem immer weitergingen, schlängelte sich unser Par- cours regelrecht durch das Gebäude: Treppe hoch, auf der anderen Seite gleich wieder hinunter, um das Türkreuz auf der rechten Seite, in einer Acht noch mal durch den linken Raum und zurück in den ersten Stock. Durch eine T ü r auf der Rückseite des Gebäudes erreichten wir den Skulpturen- garten. Mögliche Verfolger härten wir mit dieser Taktik viel- leicht nicht abgehängt, aber zumindest erschöpft. Zwischen den bvonzefiguren blieben wir einen Augen- blick stehen. K ristinn zündete sich eine Zigarette an der vo- rangegangenen an. Er sprach ein bisschen überdeutlich und unterbrach mich mehrfach. Er w a r längere Zeit mit Julian zusammen in Großbritannien gewesen und durfte sich jetzt wohl zu seinen engsten Verrrauten zählen. »Und was machen wir n u n ? " , fragte ich. Kristinn guckte mit seinem leeren Blick durch mich hin- durch. Ingi beobachtete uns s t u m m . M i r w u r d e klar, dass unser Krisenmanagement miserabel bis nicht vorhanden war und dass wir uns dringend alle zusammensetzen mussten, um sehr grundsätzlich über Posten, Aufgaben und Struktu- ren nachzudenken. Im C h a t konnten wir unsere Probleme nicht lösen. Ich hatte schon länger auf ein Core Meeting, ein Treffen des Kernteams, gedrängt. Birgitta stieß wenig später zu uns dreien, Auch sie schien von der aktuellen Situation überfordert. Dann klingelte Kristinns Elandy. Er hörte zu, antwortete erfreut und informierte uns dann erleichtert. Der Haftbefehl 210 war zurückgezogen worden. Was für ein Tag! Wir waren uns alle einig, dass Julian das Verhalten seinen Fraucnhckannt- schaften gegenüber dennoch dringend überdenken sollte. Zu dem Thema »Julian und die Frauen» ließen sich nämlich in der Tat ein paar Sätze sagen. Julian mag Frauen, das steht fest. Dabei gab es keine bestimmte Frau, die seine Gedanken besetzt h i e l t - e s war das Thema an sich. Wenn wir auf Kon- ferenzen waren, taxierte er nicht selten die Anwesenden. Es ging ihm nicht um Beine, Brüste, Flintern, wie man es M ä n - nern gerne unterstellt. Juliaus Z u n e i g u n g zu Frauen war nicht so plump, wie es in den Medien dargestellt wird. Julian hatteeinen Blick für Details. Für Handgelenke zum Beispiel, Schultern, Nacken. Er sagte nie etwas wie »geile Titten« oder so, wirklich, nie. Er sagte eher: "Die Frau hat schöne Wangenknochen, das sieht sehr edel aus.« Oder wir betrachteten eine grazile Frau, die in ihrer H a n d t a s c h e kramte, während sie an uns vorbeiging. Und Julian sagte: »Es muss sich gut anfühlen, von diesen blanden berührt zu werden.« Das war aber wirklich schon das Äußerste, er re- dete mir gegenüber nie obszön über Frauen. Ich muss gesteben, er hat mich mit seinem Frauen-Tick ein bisschen angesteckt. Dabei war ich ja damals auch in festen Händen, Ich erinnere mich noch an die G/O/MI-VOIOTS-KOII- ferenz in Budapest. D o r t gingen wir nach unserem Vortrag auf eine Party, die auf dem Dach eines alten Supermarkts stattfand, und tranken ziemlich viel Absinth. Julian und ich vertrugen beide kaum Alkohol, und so waren wir in recht beschwipster Faune, als wir von der Party die Straße zurück zu unserem Apartment nahmen. Die Wohnung hatte ein Gasleck, und es roch erbärmlich darin, vermutlich war eine Leitung undicht. Wir schliefen abwechselnd im H o c h b e t r oder auf dem Sofa und machten Witze wie: »Wenn du mich nur noch röcheln hörst, schlepp 1II dich besser zum Fenster.« Oder: »Soll ich deinen Eltern noch diesen Eindruck in den Zeiten, in denen wir gemeinsam auf irgendwas ausrichten, wenn ich ihnen die traurige Nachricht Konferenzen reisten. überbringe?« Aber das Apartment war hillig und zentral ge- Eine Zeitlang hatte ich das Gefühl, es würde sich zwischen legen, und eigentlich hatten wir in Budapest ein sehr feines ihm und Birgitta etwas a n b a h n e n . Aber Birgitta war genau Leben. das Gegenteil einer devoten Frau: Sie war aufrecht und sagte Auf dem Heimweg von unserem Absinth-Abend hatten immer, was sie dachte. Und sie ist zweifelsohne eine attrak- wir jedenfalls so etwas wie eine gemeinsame Erscheinung: tive Frau-allerdingsschon lange keine22mehr. Irgendwann Auf Rollerblades, in Hotpants und engem Oberteil, raste da hat Julian mal zu mir gesagt, sie sei seine Traumfrau. Viel- eine Frau an uns vorbei. Sie war aufregend, sexy und sah sehr leicht war das nur so dahergesagt, er glaubte ja, ständig et- interessant aus. Wir steigerten uns ein bisschen in unsere was Bedeutsames sagen zu müssen. Aber ich hatte das Ge- Phantasiert, und das Thema ließ uns den ganzen Abend nicht fühl, dass er sich niemals dauerhaft auf eine Frau einlassen mehr los. könnte, die mir ihm auf Augenhöhe war. Z u r ü c k in unserer Gasbude sinnierten wir dem Abend Wir sprachen oft über die Evolutionstheorie. Der Stärkere hinterher. Julian lag unten auf dem Sofa, ich W 3 r nach oben behielt nicht nur immer die O b e r h a n d , er würde sich auch auf das Hochbett geklettert. W i r redeten über die Konfe- durch die vitalere Nachkommenschaft auszeichnen. Seine renz, andere Leute, künftige Pläne. Gene wären es besonders wert, verbreitet zu werden, so die Ab und zu seufzte einer und sagte: »Was für eine Frau!« These. Oder der andere sagte: »Ja, die war schon der Flammer.« Ich saß dabei, wie Julian in großer Runde damit protzte, Wir sind sogar später immer mal wieder auf diese Roller- wo er nicht schon überall auf der Welt Vater geworden sei. bladerin zurückgekommen, sie w u r d e zum Sinnbild für un- Viele kleine Julians, auf jedem Kontinent einer - das Bild sere Traumfrau. schien ihm zu gefallen. Ob er sich wirklich um die Kinder Ich habe in der Zeit nie etwas mit anderen Frauen ange- kümmerte oder ob sie überhaupt existierten, war eine andere fangen, mich plagte dennoch ein schlechtes Gewissen. Ich Frage. merkte, dass ich mich durch die vielen Reisen immer weiter Julian konnte Frauen gegenüber aber auch sehr zuvor- von meiner Freundin in Wiesbaden entfernte. kommend sein. Wenn er sie kennenlernte, war er höflich und Für Julian war das Kriterium, das eine Frau in seinen Au- c h a r m a n t . Allerdings bedachte er sie nie mit zu viel Auf- gen begehrenswert machte, recht einfach: 2 2 . Sie sollte jung merksamkeit. Das schien sie erst dazuzubringen, immer wie- sein. Und ihm war wichtig, dass sie ihn nicht in Frage stellte der zu ihm zurückzukehren. Sein Desinteresse zog sie an. und sich ihrer Rolle als Frau bewusst war. Sie durfte zugleich intelligent sein, das gefiel ihm sogar. Es ist mir sonst kein konkretes Beuteschema aufgefallen. Ob sie dünn war oder dick, groß, klein, blond - egal. Es war gut, wenn sie hübsch war, aber keine Bedingung. Ich glaube, in den Anfangsjahren von WL ist Julian oft einsam gewesen. Jedenfalls hatte ich 212 Im Fall der Anschuldigungen in Schweden soll es Streit über die Verwendungeines Kondoms gegeben haben. Anna A., offensichtlich eine der beiden Frauen, die sich bei der Polizei informierte, inwiefern ihre Erfahrungen mit Julian straf- rechtlich relevant sein könnten, und damit die Ermittlungen m auslöste, ist Mitglied der Christ lieh-Sozialdemokratischen Partei Schwedens. Sie harte Julian zu einem Seminar über »Die Rolle der Medien in Konfliktsituationen« eingeladen, das in Stockholm stattfand. Was wirklich zwischen ihnen passiert ist, wissen mir die Frauen und Julian. Fakt für mich war, dass es nun einmal diese Vorwürfe gab. Durch Julians Position bei WL. mussten wir dazu eine H a l t u n g finden. FJn Sprecher einer Organi- sation, gegen den solche Vorwürfe im Raum stehen, beschä- digt das Ansehen der Projekte, die er vertritt. Ob einem das nun gefällt oder gerecht erscheint, steht auf einem anderen Blatt. Nicht nur ich, sondern auch viele andere haben ihn daher gebeten, sich ein wenig zurückzuziehen. Fr hingegen fing bald an zu behaupten, es handele sich um eine Sehmie- r n i k n m p a g n e des Pentagon. M a n hätte ihn sogar kurz zu- vor gewarnt, dass gegen ihn schmutzige Tricks angewandt w ü r d e n und er aufpassen solle, dass er nicht »in die Sex- Falle tappe«. Zu uns sagte er, er könne die Kontakte nicht n e n n e n , die ihn g e w a r n t h ä t t e n , aber sie wären zuverläs- sig. Im Chat diskutierte ich ständig mit ihm über diese Proble- matik. D; whole* Di this is all not what will make people that feel hurt or whatever go away, in contrary so D: the reaction to it triggers people to come out of the closet J: that's the line you're trying to push around? D: what line? J] if so, i will destroy you. D: lol D: wtf [what the fuck) j D: seriously Di whats that bullshit? Ds are you out of your fuckin mind? D: i am not taking this bs much longer j D: seriously Di you are shooting a messenger here, and this is not acceptible D: the one that faces serious problems is you D; and by that the project might be harmed D: and thats my concern Ds my interest in helping you does not really thrive the way you are dealing with this D: cant even believe this J: they will go away be the end of the week D: no, they wont D: what will happen given that nothing happens, is that more people will come out of the cloaet D: because people do not like the way this is D: have you ever, just once, in all this hybris you seem trapped in considered that not everything is someone elses fault? Ds good luck man, i am tired of doing damage control for you there being dealt with D: D: so take a pick its pretty dead simple J: Go away and think about your actions and D: they want to see this has a consequence Statements. I know of many you do not think I D: and given the Statements you made, plus the do. I will not tolerate disloyalty in crisis. fact that we are even trying to push this while 2t4 D: i think you misunderstand the Situation here j setup-angle, this is not what is expected D; quite frankly 215 D: but as i said, i will not cover for you anymore or do any further damage control D: good luck with your attitude Meine Suspendierung D: i for myself have nothing i need to be ashamed for 1 J: So be it.'' Wie hätte ich ihm klarmachen sollen, dass es mir um d a s Projekt ging? Er warf uns vor, dass wir auf eine Schmieren- kampagne hereingefallen waren und ihm jetzt in den Rucken fielen. Er hatte mir von den beiden Frauen erzählt. Er hat abge- strirren, ohne Kondom mit ihnen geschlafen zu haben, w o - bei die Details an diesem Punkt recht vage blieben. Ich will und kann nicht über die Gefühle der Frauen urteilen und nicht Uber Julians Verhalten ihnen gegenüber. Was ihm hier zum Verhängnis w u r d e , schien vor allem, dass ein Chauvi wie er an zwei emanzipierte Frauen geraten war - und das in einem Land, das bei sexueller Gewalt strengere juristische Malsstäbe anlegt als die meisten anderen Nationen. Julian war nicht zuletzt durch seinen Popstar-Sratus in etwas hin- eingeraten, was er nicht mehr kontrollieren konnte. Schließlich tauchte die Frage auf, wer für seine Anwalts- kosten aufkommen sollte. Fr konnte das nicht ohne Weiteres von den Spendengeldern abzweigen, es ging bei den Vorwür- fen um ihn als Privatmann. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn Julian an die Stiftung oder an wen auch immer eine Rechnung für seine Arbeit des vergangenen Jahres geschrie- ben hätte, dann hätte er genug Geld für seinen Anwalt ge- habt. Ich habe mehrmals im (.'hat versucht, ihm das vorzu- schlagen. Aber Julian ging nichr darauf ein. 2 I6 Wir flogen am Tag nach dem ersten Haftbefehl gegen Julian in Schweden nach Berlin zurück, und ich verschanzte mich in unserer Wohnung. Da saß ich etliche Stunden, meistens im Wohnzimmer, an dem großen Tisch mit Blick auf eine Bau- stelle vor dem Fenster, den Rechner vor mir aufgeklappt, auf den Chat starrend oder seihst etwas hineintippend. Ich ging fast gar nicht mehr in den Club, obwohl ich sonst so gut wie jeden Tag zum Arbeiten dort war. M i r war anzusehen, dass mich etwas bedrückte, und ich wollte nicht, dass jemand nachfragte. Anke war hilflos. Sie hätte sicher am liebsten schon viel früher gesagt: "Lass es sein, das macht dich kaputt.« Aber sie wusste auch, wie sehr mein Herz an Wl. hing und dass ich vermutlich nicht gut auf einen solchen Rat reagiert hätte - gerade weil ich selbst wusste, dass sie recht hatte. Ich merkte aber auch, dass ich insgeheim langsam auf Ab- stand ging zu WL. Ich muss gestehen, dass die persönlichen Konflikre zwischen Julian und mir wonniglich ein wichtiger Auslöser dafür gewesen sind, vielleicht sogar der wichtigste. Aber es gab auch viele inhaltliche Punkte, die mir schon län- ger Sorge bereitet hatten, und die wurden in diesen Tagen sehr akut. Natürlich hatte ich schon länger ein Problem damit, dass ich die Öffentlichkeit d a r ü b e r b e l u g e n h a u e , wie Wl. tar- sächlich aufgestellt war, Dass wir lange nur aus zwei Voll¬ zeit-Leuten und einem Server bestanden halten, Auch unser 217 mangelhaftes Back-up-System m a c h t e mir zu schaffen. Schließlich war ich es, der dafür verantwortlich war, aber das System funktionierte nicht anständig. Ich war in den vergangenen fahren oft mitten in der N'achr aufgewacht, weil ich panisch an die Sicherheitskopien denken musste, die möglicherweise schon wieder nicht geklappt hatten. Ich stand dann sofort auf und machte ein neues Back-up, mehr Adrenalin als Blut in den Adern. F.inc Antwort, die mir auch beim hundertsten Interview mich schwer über die Lippen k a m , war die nach unserer vermeint- lichen Echtheitsprüfung. Bis Ende 2 0 0 9 wurden die einge- reichten Dokumente fast ausschließlich von Julian und mir geprüft. Genau genommen war die Aussage, dass wir auf rund achthundert freiwillige Experten zurückgreifen konn- ten, keine Lüge. Wir verschwiegen dabei allerdings das win- zige Detail, dass es keinen Mechanismus gab, sie tatsächlich einzubinden. Keiner von ihnen hätte jemals Zugriff bekom- men können auf das Material. Stattdessen prüften meist Ju- lian und ich,ob die Dokumente technisch manipuliert worden waren und ob sie uns plausibel erschienen, und recherchier- ten ein wenig. Und vertrauten d a n n darauf, dass es schon glattgehen würde. Wir waren offensichtlich gut und entwi- ckelten über die Zeiteinen Riecher, wascinechtes Dokument war und was nicht. Es passierte uns kein Fehler, jedenfalls soweit ich weiß. Aber es harre auch schiefgehen können. Solange ich mich selbst damit beruhigen konnte, dass wir ja an einem besseren System arbeiteten und eben noch am Anfang stünden, war das in O r d n u n g . Aber nach fast drei Jahren konnte ich mir das selbst nicht mehr glauben. In den zurückliegenden Monaren hätten wir eigentlich die Mög- lichkeit gehabt, die eigenen Verbesserungsvorschläge mit mehr Elan voranzutreiben. Es war Geld da. Es gab ein paar zuverlässige Mitstreiter, mehr Ressourcen - und wir küm- 218 inerten uns trotzdem nicht ausreichend d a r u m . Wir waren fahrlässig, und wir spielten mit dem Vertrauen unserer Quel- len und dem Geld unserer Spender. Früher hatte ich nur Julian, mit dem ich ernsthaft über diese ganzen Probleme reden konnte. Er wusste um die inter- nen Schwächen ja mindestens genauso gut Bescheid wie ich. Die meisten Sorgen behielt ich aber für mich. Ich harte keine Lust auf Konflikte. Inzwischen hatte ich angefangen, mich mit dem Architek- ten und Birgitta darüber auszutauschen, auch mit Herbert und mit Harald S c h u m a n n , dem Journalisten vom Tages- spiegel. Der C h a t r o o m , in dem wir mir wachsender Sorge debattierten, hatte übrigens einen sehr passenden Namen. Er hieß »Mission First«, Es war schon seit einer ganzen Weile klar, dass WL sich in die falsche Richtung entwickelte und wir uns verändern mussten. Den technischen Umbau harre der Architekt ja be- reits eingeleitet. Je länger wir über die Probleme sprachen, desto klarer war geworden, dass es eines weitaus umfassen- deren Umbaus bedurfte. Der Journalist Harald Schumann hatte uns in Island immer wieder gefragt, wer bei uns die Entscheidungen träfe. Er ließ nicht locker, setzte sich einfach auf einen der Plätze im Mhiistry of ideas und wollte sich nicht abschütteln lassen. Wir wanden uns. Wir gingen ihm aus dem Weg, versuchten ihn auf andere Themenfekler zu locken. Denn das war in der Tat unser Problem. Wir hatten versucht, kritische Fragen durch Prinzipien aus der Welt zu räumen: So wollten wir beispielsweise einfach alles Material veröffentlichen, in der Reihenfolge seines Ein- gangs, und verpflichteten uns so selbst zu Neutralität. Es gab nur ein Problem: Wir konnten diesem Prinzip spätestens seit Ende 2 0 0 9 nicht mehr gerecht werden, weil wir fast unter- gingen in Einreichungen und zwangsläufigauswählen muss- ten. 1 II -) Ein weiteres Problem: Wir wallten eigentlich im Sinne der Gewaltenteikmgcinc neutrale Stibntission-PUmfüvm bieten, also die reine Technik. Und nicht als politischer Agitator und mit einem Twitter-Account als Propaganda-Kanal auftreten. Und schließlich wählten wir uns Kooperationspartner in den Medien und brachten uns dadurch in neue Abhängigkei- ten. Obwohl diese Z u s a m m e n a r b e i t zuerst nur als Test ge- dacht war, blieben wir dem Modell treu. Wir genossen die A u f m e r k s a m k e i t , die uns die Medien e i n b r a c h t e n , u n d rechtfertigten die neue Linie d a m i t , dass auch das Material, die Inhalte selbst davon profitieren würden, wenn sie besser sichtbar wären. Keine Einzelentscheidungen zu Dokumenten und Veröf- fentlichungen zu fällen hätte außerdem grundsätzlich den Vorreil gehabt, dass im Zweifel niemand verantwortlich ge- macht werden konnte, sollte etwas schiefgehen. Wir wollten uns stattdessen auf Prinzipien u n d etablierte Mechanismen verlassen. Doch das war eine Illusion. Wir waren nicht nur gezwungen, eigene Entscheidungen zu treffen. W i r taten das in der Folge auch, und zwar ohne uns jemals Gedanken über Regeln dafür gemacht zu haben. Die gute Frage w a r schließlich, und damit hatte der Tages- spiegeU Journalist Schumann den Punkt getroffen: Wer sollte diese Entscheidungen treffen? Am Ende war es Julian, der das tat. Natu dich. Wir ande- ren waren zu unentschlossen, zu feige oder zu wenig resolut, um dem schnellstmöglich einen Riegel vorzuschieben. Er wurde zum Alleinentscheider an der Spitze von WL, und es gab keine Instanz, die ihn kontrollierte, Er wollte auch gar nicht hinterfragt werden. Das war spätestens im Z u s a m m e n - hang m it de r Verha ftung von Bradley M a n ningzum ProhIum geworden und hatte sich auch im Verlauf der folgenden Wo- chen gezeigt. An Julians Ermittlungsverfahren in Schweden sollte unser Team dann endgültig zerbrechen, 220 Die schwedische Staatsanwältin hatte den Haftbefehl ge- gen Julian zunächst binnen 24 Stunden wieder zurückgezogen und in den Vorwurf der sexuellen Belästigung abgemildert. Der Anwalt der Frauen veranlasste jedoch, dass der Vergewal- Ügungsvorwurf im November wieder aufgenommen wurde. Julian sagte, Krisrinn habe nach unserem Krisengespräch im Skulpturengarten berichtet, wie sehr ich probiert hätte, Birgitta zu manipulieren. Die Frage, wer tn diesem Fall was zu wem gesagt hatte, wurde in den kommenden Tagen und Wochen zu einer unserer Hauptbeschäftigungen. Wir hatten intern angefangen, unsere Chats zu protokol- lieren und untereinander auszutauschen. Das war ein Ver- such, gegen Julians ganz spezielles »symmetrisches« Wahr¬ heitsverständnis vorzugehen. Wir wollten einfach, dass es so etwas wie echte Dokumente gab, Belege für das, was im Chat thematisiert w u r d e . Es hätte auch nichts dagegen gespro- chen, wenn Ingi und Kristinn an allen Gesprächen beteiligt gewesen wären, obgleich ich sie nicht zum Kernteam zählte. Ich habe aus meiner Zeit bei WL vor allem gelernt, dass wich- tige Fragen immer in der Gruppe ausgetauscht werden müs- sen und dass bei der Diskussion niemand außen vor gelassen werden darf. Von dem Chat mit Julian, in dem er meine Suspendierung ausspricht, gab es eine Kopie, die bei Wircd veröffentlicht wurde. Ich weiß bis heute nichr, wer sie damals an das eng- lischsprachige Magazin weitergegeben hat. Ich denke aber, es gibt gute Grunde, anderen einen Blick auf diese Protokolle zu ermöglichen. Denn darin ging es nicht um private Dinge, sondern um die Komnumikationskultur von WikiLeaks, Die Chat-Protokolle zeigen, in welchem Zustand das Projekt da- mals war, in welchem Ton und mit welchen Argumenten hantiert w u r d e . Ich kann h u n d e r t m a l behaupten, Julian wäre ein »Diktator« gewesen. Mögesieh jeder selbst ein Bild machen, wenn er die Chats liest. 221 Seit den Vergcwaltigungsvnrwürfcn waren erst wenige Tage vergangen, als an einem Mittwochabend das Gezanke im Chat wieder losging. Julian betonte, er hätte keine Zeit, uns in seine Entscheidungen einzuweihen, denn er hätte »high level discussions with arouncl 20 people a day now«. Diese anderen Leute, mit denen er sich besprechen musste und die die Arbeit für WL erledigten - ich weiß nicht, wer damit gemeint sein sollte. Julians sogenannte Helfer reisten vielleicht gelegentlich mit ihm h e r u m , kamen mit auf Mee- tings oder zu Drehs, keine Ahnung. Er war zu dieser Zeit in Schweden. Er hatte dort, soweit ich weiß, Kontakt zu Leuten von der Piratenparrci und zu Journalisten von Aftnnbladet, der schwedischen Tageszeitung, für die er anfangen sollte, Kolumnen zu schreiben. Natürlich wäre es wichtig gewesen, mehr echte Pfeifer bei WL einzubinden und das kleine Kern- team zu entlasten. Keine Präge. Wir hatten zu diesem Z e i t p u n k t ziemlichen Ärger mit ei- nem Artikel im Wall Street Journal, Die Journalisten hatten Julian und mich unabhängig voneinander zu den Finanzen von WL befragt: Ich hatte ihnen erklärt, wie transparent und ordentlich unsere Spenden in Deutschland abgerechnet wür- den. Julian w u r d e mit dem Gegenteil zitiert, nämlich wie geschickt die Wl.-Konten explizit so g e h a n d h a b t w ü r d e n , dass sie von außen nicht mehr angegriffen werden konnten. Dem Bericht zufolge stellte er die intransparente Kontofüh- rung als eine clevere Methode d a r , zu verhindern, dass uns der Geldhahn zugedreht werden konnte. Das brachte uns natürlich nur weitere neugierige Journa- listen ein, die wissen wollten, wieso wir unsere Finanzen verschleierten. Und vor allem brachte es die Wau Holland Stiftung in Erklärungsnot. Julian sagte daraufhin, er sei falsch zitiert worden und habe das so nie gesagt. Wir baren ihn im Chat d a n n erneut, sich etwas zurückzu- ziehen und nicht mehr mir der Presse zu reden oder Tweets 222 loszuschicken, in denen er behauptete, das sei alles nur eine Schmierenkampagne des Pentagon, Als ihm unsere Fragen zu kritisch wurden, loggte Julian sich einfach aus. Ich vermute, es hat ihn doch erstaunt, wie konsequent wir ihm auf einmal widersprachen. Und dass auch der Architekt keine Spur von seiner kritischen Linie a b w i c h . M i r w a r wichtig, auch den anderen Techie zu seiner Meinung zu be- fragen, aber er wollte sich aus den internen Querelen lieber heraushalten. Die beiden Techniker und ich waren ratlos. Ich hatte mal wieder drei Stunden vor dem Chat gesessen, und wir waren vi Mi e i n e r l ösuiig w e i t e r entfernt als je z u v o r . So ging es jetzt schon wochenlang. Wir wollten Julian zwingen, mir uns zu reden. Wir haben dann zu einem recht harten Mittel gegrif- fen. Es war ein Versuch. Vielleicht war es nicht der optimale Weg, aber wir wollten klarmachen, dass WL kurz vor einer Meuterei stand. Und deshalb nutzten wir den kleinen tech- nischen Vorteil, den wir besaßen. Nichts Böses, nichts Essen- tielles, es ging mehr um die Symbol kraft. Die Techniker schalteten am Abend des 25. August das System in den Wartungsmodus. Das war ohnehin nötig. Das Submission-System^ die Mails, der Chat, das alles blieb on- line. Nur das Wiki war down. Und wir schickten eine Twit- ter-Meldung raus, dass es sich um vorübergehende Instand- h a l t u n g s a r b e i t e n h a n d e l t e . Außerdem ä n d e r t e n wir das Passwort für den Twitter-Account und den Zugang zu den Mails. Wir wollten ihn aufrütteln. Julian schaltete als Reak- tion darauf beleidigt das gesamte System ab. Wir gaben ziem- lich direkt klein bei, fuhren das Wiki wieder hoch und gaben ihm die Passwörrer. Am nächsten Tag erschien ein Artikel in Newsweek, in dem von »internen Querelen" bei Wl. zu lesen war, Ich hatte von dem Artikel noch nichts gehört, bis mich Julian nach- mittags im Chat daran fansprach. Er w a r d e r Meinung, dass 223 ich diese Aussage gestreut h ä t t e . Tch hatte nie mit dem bJewstueek-RepoTtei geredet, ich kannte ihn nicht einmal. Ursprünglich hatte ich Julian fragen wollen, was unsere Ab- machungen mit den Medien bezüglich des geplanten Irak- Releases waren: D: and what three people? D: this issue was discussed D: A [Architect] and i talked about it, Hans* talked about it, B talked about it, Peter* talked about it D: lots of people that care for this project have issued that precise D: what are the agreements re iraq? i need to S u g g e s t i o n understand what the plan is there, and what the D: it would just be the natural step to take HA person in close contact with other WikiLeaks D: and thats what pretty much anyone says activists around Europe, who asked for anonymity J: Was this you? when discussing a sensitive topic, says that J: D: its not me that is spreading this message constraints are D: i didnt speak to newsweek or other media many of them were privately concerned that Assange has contimied to spread allegations of dirty tricks and hint at conspiracies against representatives about this D: i spoke to people we work with and that have an interest in and care about this project him without justification. Insiders say that D: and there is nothing wrong about this some people affiliated with the Website are D: it'd actually be needed much more, and i can already brainstorming whether there might be still only recommend you to finally start some way to persuade their front man to step listening to such concerns aside, or failing that, even to oust him.« D: what does that have to do with me? D: especially when one fuckup is happening after the other D: and where is this from? J: who, exactly? J: Why do you think it has something to da with you7 D: who exactly what? D: probably because you alleg this was me J: Who have you spoken to about this issue? D: but other than that just about nothing D; i already told you up there D: as discussed yesterday, this is an ongoing J: those are the only persona? discussion that lots of people have voiced concern about D: you should face this, rather than trying to shoot D: some folks from the club have asked me about it and i have issued that i think this would be the best behaviour at the only person that even cares to be honest D: thats my opinion about it towards you Di and this is also in light to calm down the J: No, three people have »relayed« your messages already. D: what messages? 224 anger there [.] ,. J: h o w many people at the club? Ds i dont have to answer to you on this j 225 D: this debate is fuckin all over the place, and D: i have already told you again that i dont see why i should answer to you anymore just because no one understands why you go into denial[...j you want answers, but on the same hand refuse J: How many people at the club? to answer anything i am asking J: In what venue? D: in private chats D: i am not a dog you can contain the way you want to j D: but i will not answer anymore of these questions D: face the fact that you have not much trust on J; I am investigation a serious security breach. Are you refusing to answer? the inside anymore D: and that just denying it or putting it away as a D: i am investigating a serious breach in trust. campaign against you will not change that it is solely a consequence of your actions are you refusing to answer? J: No you are not. I initiated this conversation. Answer the question please. D: and not mine J: How many people are represented by these D: i initiated it private chats? And what are there positions in D: if you look above the CCC? D: twice already Di go figure D: D: i want to know what the agreements are in respect to iraq i dont even wanna think about how many people that used to respect you told me that they feel J: That is a procedural issue. Don't play games with me. disappointed by your reactions D: i tried to teil you all this, but in all your hybris you dont even care D: stop shooting at messengers J: l've had it. D: so i dont care anymore either D: likewise, and that doesnt go just for me Di other than that, i had questions first, and i J: need answers If you do not answer the question, you will be removed. D: like what agreements we have made D: you are not anyones king or god D: i need to understand this so we can continue D: and you're not even fulfilling your role as a working D: you keep stalling other peoples work Jj How many people are represented by these leader right now D: a leader communicates and cultivates trust in himself private chats? And what are there positions in Di you are doing the exact opposite the CCC? Dt you behave like some kind of emporer or slave D: Start answering my questions j J: This is not a quid-pro-quo. J: Are you refusing to answer? 226 trader J: You are suspended for one month, effective immediately. 227 D: haha D: right D: because of what? D: and who even says that? D: you? another adhoc decision? J: If you wish to appeal, you will be heard on Tuesday. D: BAHAHAHA D: maybe everyone was rieht, and you really have gone mental j D: you should get some help J: You will be heard by a panel of peers. Ji You are suspend for disloyalty, insubordination and destabalization in a time of crisis. 16 Wenige Sruiulen nach meiner Suspendierung, am Abend des 26, August, hat Julian dann ein Meeting einberufen, von dem der Architekt und ich ausgeschlossen waren. Beteiligt waren unter anderem die Nanny, Birgitta und Kristinn, Au- ßerdem hatte sich Resa*, ein Freund von mir, eingeloggt so- wie einige weitere Leute, die Julian mobilisiert harte. Mein anarchistischer Freund Herbert aus Island war auch dabei und schickte mir anschließend das Protokoll zu. Der Archi- tekt und ich haben das Protokoll mit Kommentaren versehen und an alle, die es betraf, zurückgeleitet. In diesem Meeting hat Julian die anderen über unsere Meuterei und meine Suspendierung unterrichtet. Uber mich h a t e r darin gesagt: »Daniel is problematic, and, frankly, de- lusionaLan illmotivated, but he can be kept in a box if he has other people telling him what is wrong and right and what he can do and can not do. when he is left in his germanie bubhle he floats,« Julian versuchte in diesem C h a t , die anderen auf seine Seite zu ziehen. Doch die anderen ließen sich nicht so einfach 17 22H überzeugen. Sie stellten Nachfragen und kritisierten Julian dafür, dass er sich nicht mehr mit dein Team absprach. Ich las das Protokoll wie einen Krimi. Fs wurde klar, mir so sehr wie vermutlich auch Julian, dass die anderen zwar nicht of- fen rebellieren würden, aber dass er keinesfalls die Mehrheit hinter sich hatte. Den Architekten hoffte Julian im Team behalten zu kön- nen. Keinen sonst brauchte er so dringend. Der Architekt war zentral für unsere Infrastruktur. Er war es gewesen, der Fnde 2009 das.Si//w»/ss/o»-System überarbeitet hatte. Vorher war d a s e i n einfaches, in die Websire eingebettetes Upload-For- mular. Er hatte die unterschiedlichen Plattformen von Ser- ver, Wiki und Mailsystem auseinandergelöst, so dass Flacker nicht in das komplette System eindringen konnten. Neben dem Architekten gibt es auf der ganzen Welt nur sehr wenige Experten, die dazu in der Lage gewesen wären, Umso weniger verstand ich, dass Julian mit seiner nach- lässigen Art die Arbeit des Architekten nicht genug w ü r - digte. Durch dieses Chat-Meeting hatte er ihn endgültig vergrault. Den anderen gegenüber stellte er den Architekten als einen Handlanger dar, der von mir negativ beeinflusst worden war. Julian musste zu diesem Zeitpunkt vermuten, dass die ge- plante Anhörung sehr leicht zu seinen Ungunsten hätte aus- gehen k ö n n e n . Auch wenn er das vermeintliche Panel of Peers selbst zusammengestellt hätte, wäre immer noch nicht klar gewesen, dass es sich am Ende gegen meine Suspendie- rung und vielleicht sogar gegen seine eigene herausgehobene Position bei Wl. ausgesprochen hätte. Im N a c h h i n e i n hatte meine Suspendierimg für ihn den Vorteil, dass er mich wie einen frustrierten Mitarbeiter aus- sehen lassen konnte, der das Projekt aus Rache kritisierte. Natürlich war ich frustriert. Natürlich w a r d e r Konflikt zwi- schen uns hochgekocht. Aber der Frust über meine Beurlau- 229 bang war nicht der Ursprung meiner Kritik, und inzwischen begriffen auch die anderen, dass bei WL etwas in die Schief- lage geraten war. Durch die Suspendierung srcllrc-Julian sicher, dass ich von da an von bestimmten Systemen ausgeschlossen war und viel weniger Möglichkeiten zur K o m m u n i k a t i o n hatte. Vorher hätte ich sogar seine Mails lesen können. Theoretisch, ich habe das nie getan. Der Streit eskaliert Wie so viele benutze ich mein M a i l p r o g r a m m gleichzeitig Julian hat nicht nur mich vom Mailserver ausgesperrt, son- als Speicher i iii Termine und Kontakte. Ich konnte also nicht dern alle anderen gleich mit. Er war der Einzige, der noch mehr nachgucken, mit wem ich in den folgenden Wochen Zugriff hatte. Viele Aufgaben, die von den Technikern erle- verabreder war. Ich hatte in der kommenden Zeir mindes- digt werden mussten, hingen von meiner Z u a r b e i r a b . Das tens vier oder fünf Vortrüge auf verschiedenen Konferenzen war also schon misslich genug. Aber d a d u r c h , dass er den zugesagt. T h o m a s Leif, der das Hambacher Demokratiefo- Zugriff auf den Mailserver sperrte, konnte wirklich niemand rum moderierte, hatte mich zum Beispiel zu der Veranstal- mehr arbeiten. Dabei mussten die Irak-Veröffentlichungen tung »Meine Daten gehören dir« eingeladen. Ich habe mich vorbereitet werden. Auf dem Mailserver lief auch die Do- nicht bei ihm abgemeldet und ihn in eine unangenehme Situ- mainverwaltung. Wir hätten dringend Sub-Domains anle- ation gebracht. Mein Stuhl auf der Bühne blieb leer. gen müssen für die Irak-Dokumente, Später versuchte ich, mich bei allen zu entschuldigen, die Mit Spiegel, Guardian und New York Times, unseren ich versetzt hatte. Ich habe bis heute die Sorge, es könnte Medienpartnern, hatten wir hereits einen festen Termin für noch jemanden geben, der nur ganz schrecklich böse ist, weil die Veröffentlichung ausgemacht. Der Termin musste um ich ihn alleine auf einem Podium sitzen liels. einen M o n a t auf den 2 3 . Oktober 201Ü verschoben werden. »Alles Daniels Schuld«, schimpfte Julian. Wir befanden uns in einem eigentümlichen Schwebezu- stand. Auf der einen Seite stand meine A n h ö r u n g noch aus und ich war offiziell »suspendiert«, auf der anderen Seite waren wir weiter über den Chat in Konrakt. Julian schrieb mir ellenlange Klagen. Er wäre jetzt nur noch d a m i t be- schäftigt, zu reparieren, was ich kaputtgemacht hätte. Es war ein bisschen so, als quatsche einem die Ex jeden Tag eine Stunde auf den Anrufbeantworter, dass sie nie wieder etwas mit einem zu tun haben wolle. Und ich war natürlich min- destens genauso bescheuert. Ich zankte eifrig zurück. Linter der Bedingung, das Passwort keinesfalls an mich 2.30 2.31 weiterzugeben, bot Julian den Techies an, wieder Z u g a n g Differenzen zu schließet:, wenn bereits unterschiedliche Äu- zum System zu bekommen. Sie ließen sich nicht darauf ein, ßerungen in der Presse kursierten: Birgitta hatte gesagt, sie sie waren ja mit meiner Suspendierung nicht einverstanden. hielte einen vorübergehenden Rückzug für das Beste, wäh- Der Architekt stand eindeutig auf meiner Seite. Der junge rend Julian behauptete, die Frauen wären vom Pentagon auf Techniker hielt sich heraus, Fr litt unter dem Stillsrand und ihn angesetzt worden und er das Opfer einer Schmierenkam- wollte am liebsten einfach weitermachen wie bisher. pagne. Julian hatte ja gesagt, er wolle ein Panel of Peers zusam- Wegen der Vergewaltigt! ngs vor würfe hätte er eine schwie- menstellen, also ein Gremium von Gleichgestellten. In den rige Woche hinter sich gehabt, die »schlimmste Woche mei- nächsten Tagen warteten wir also darauf, dass Julian uns nes Lebens in den letzten zehn Jahren«, schrieb er. Deshalb das Tribunal präsentierte. Wer diese Peers sein sollten, war sei es ihm auch nicht möglich gewesen, meine Anhörung vor nicht klar, er sagte nur, er brauchte dieses Panel für das Re- dem Panel of Peers zu organisieren. visionsverfahren - »um transparent zu sein und Vertrauen Z u d e m beklagte er sich, wir würden uns nicht genügend zu schaffen", wie er das nannte. um seine Sicherheit kümmern. Am 7. September schickte er Birgitta hat wenig später mit einem Journalisten von The uns eine ganze Liste mir Dingen, über die wir uns seiner Mei- Daily Beast geredet. Der Artikel sorgte für die nächste Auf- nung nach nicht genug Gedanken machten: regung. Darin stand unter anderem, dass Julian »ein chauvi- nistisches Verhältnis« zu Frauen hätte. Und dass sie ihm geraten habe, sich für eine Weile zurückzuziehen. Julian re- agierte sehr wütend. Fr fühlte sich verraten. Birgitta hat den Arger unterschätzt, den dieser Artikel auslösen sollte. Später schickte sie über Twirter eine Nach- richt, um die Spekulationen, die ihr Zitat ausgelöst hatte, ein wenig zu beruhigen: »I did NOT suggest Assange should re- sign, 1 think he should not be a spokesman right now. I le still has my support for all Iiis other w o r k . « Aber sie bereute nicht, mit der Presse geredet zu haben. Sie sagte immer, was sie dachte, und stand dann dazu. Julian war überzeugt, dass ich nicht nur Birgitta manipu- liert hatte, um sie zu dem Zitat in dem Daily Beast-Arukc\ zu bewegen. Fr glaubte auch, dass ich selbst die Quelle der Informationen über die »internen Querelen« bei Wl. war, über die berichtet wurde. Ich hatte mit keinem Journalisten geredet. Ich weiß auch nicht genau, woher der Reporter seine Informationen bezog. F.s war ja nicht schwierig, auf interne Awareneas comea from motivation. Ensured my legal support? Housing? Money supply? Intelligente about the case? Details about why it is happening? My support network. in Sweden? Political approaches to stop the smear? Articles? Tipoffs? Safehouses? [.) Diplomatie invites so I won't be shipped off ..? to the US? Rally S u p p o r t s ? Raise money for my case? Done any of that? Why not? 1 do all of that when one of us goes down.« JS IÄ 232 Ich hatte ihm immerhin geholfen, in Schweden Kontakt zu zwei guten Anwälten zu bekommen, noch am eisten lag. innerhalb von zwei Stunden, während ich eigentlich im Ur- laub war. Als schließlich der ganze Mailserver ausfiel, war Julian auf einmal ausgeschlossen. Ich weiß gar nicht genau, ob er selbst schuld daran war. Vielleicht ist die Kiste auch schlicht kaputtgegangen, alt und schrottig genug war sie ja. Iis war der einzige Server, den wir noch nicht erneuert hatten. 233 Ich diskutierte mir den anderen darüber, ob ich zum Ser- ver fahren sollte, um ihn zu reparieren. Früher hatte ich das häufiger gemacht. Bei der Gelegenheit könnte ich auch meine Mails mitnehmen, um zu erfahren, wem ich noch alles eine Hnrsehuldigung schreiben musste, weil ich ihn versetzt hatte. Am 10. oder I I. September, das weiß ich nichr mehr genau, stieg ich das erste Mal in den Z u g . Fs war ein warmer Spät- sommertag, der ICE war nicht besonders voll. Die wenigen beute, die noch mit mir im G m ß r a u m a b r c i l saßen, waren zum Glück mit sich beschäftigt. Ich schrieb ununterbrochen in das Chatfenster meines Rechners und tippte dabei mit den Füßen auf den Boden. Während der Fahrt gingen unsere Diskussionen weiter, ich war mir selbst nicht sicher, ob ich das Richtige tat. Sollte ich mir ohne Julians Wissen Z u g a n g zum Server verschaf- fen? Es war ein Gewissenskonflikt: Sollten wir meutern? Der Server stand in einem unscheinbaren O r t im Ruhrge- biet. Die Fahrt dauerte lange. So lange, dass ich genug Zeit hatte, es mir anders zu überlegen. Nach drei Stunden Zugfahrt, ich weiß nicht mehr, wie die Station hieß, in die wir gerade einfuhren, ergriff ich spontan meinen Rucksack, drückte auf den Türknopf und sprang auf den Bahnsteig. Es gibt dieses P h ä n o m e n , dass man glaubt, etwas verbrochen zu haben, nur weil man im Rückspiegel gerade einen Polizeiwagen sieht. So ähnlich erging es mir in diesem Moment. Ich fuhr zurück nach Berlin. Der Architekt hatte nach meiner Suspendierung die Tas- tatur aus der bland gelegt und keine einzige Zeile mehr für WL geschrieben - weder in Form von Programmcode noch in Form einer Unterhaltung mit Julian. Der Architekt War ein pragmatischer Mensch und ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Ärgerlich machte ihn, wenn jemand seine Zeit verschwendete. Und als ihm Julian trotz mehrfacher 234 Anfragen nicht mehr geantwortet hatte und er für seine Ar- beit kern Feedback mehr bekam, warnte der Arehirektjulian irgendwann sehr ernsthaft: »Wenn das so weitergeht, bin ich draußen.« Und als sich die Situation dann weiter zuspitzte, hat er dieser Drohung Taren folgen lassen. Julian fragte mich, warum der Architekt AWOL sei. Tja, was sollte ich da noch sagen? Ich überlegte zusammen mit einigen anderen, ob es Sinn machen w ü r d e , das Projekt zu übernehmen. Wir debattier- ten lange, ob wir nicht die Geschichte umdrehen könnten: Wir setzen uns an die Schalthebel des Projekts und suspen- dieren Julian. Wir waren in der Mehrheit, wir hatten prinzi- piell die gleichen Rechte. Viele Leute haben uns das geraten: »Warum übernehmt ihr nicht die technische Kontrolle und stellt sicher, dass er keinen Mist mehr bauen kann?" Aber gegen seinen Willen wollten wir das nicht tun. Am 14. September machte ich mich erneut auf den Weg ins Rechenzentrum. Während der Fahrt ließ ich das Flandy und den Rechner einfach aus und versuchte, ein Buch zu le- sen. Ich wollte mich selbst dazu zwingen, konsequent zu bleiben. Ich hatte die Person kontaktiert, die für uns den Server angemeldet hatte, und nicht erreicht. Der Betreffende wusste nichtsehr viel über die aktuellen Ereignisse, aber als ich ihm vor meiner ersten Fahrt Bescheid gegeben hatte, hatte er sehr skeptisch reagiert. Für ihn klang es so, als wollten wir etwas gegen Juliaus Willen unternehmen. Da konnte ich ihm noch so oft versichern, dass ich die Kiste einfach nur wieder in Betrieb nehmen wollte, damit wir bei WL weiterarbeiten könnten. Ich starrte aus dem Zugfenster und ließ Bäume, Häuser und Landschaften vorbeirauschen. Dieses Mal w ü r d e ich nicht umkehren. Ich schaltete die negativen Gedanken ein- fach aus. Ich hoffte, dass alles gutgehen würde. 235 Rechenzentren sind häufig in unscheinbaren Bürogebäu- M; Was machst du? den untergebracht, von außen nicht als solche erkennbar. Ich ging durch ein paar trostlose graue Gange, fuhr in den zwei- ten Stock, grüßte und machte mich auf den Weg zu unserem Server. Keiner hielt mich auf. In so einem Rechenzentrum stehen die Server von unterschiedlichsten Firmen, alles wird gut bewacht. Da ich jedoch schon häufiger d o r t gewesen war, um etwas zu reparieren, kannten mich die Leute und fragten nicht weiter. Ich wartete ungeduldig, dass die Kiste sauber hochführe, M: Er sagt, er wird die Polizei rufen. Neben mir stand mein Laptop. Natürlich war ich im Netz und hatte Kontakt zu den anderen. So richtig wohl fühlte ich mich nicht. Ich schwitzte. Die Klimaanlage des Rechenzent- r u m s gab zwar ein lautes B r u m m e n von sich, aber viel zu wenig kühle Luft. Eigentlich kein Wunder, dass unsere Ur- alt-Kiste hier Probleme machte. Einer von den Typen aus dem Rechenzentrum kam in den R a u m , in dem auch unser Server stand. Ich grüßte, und er nickte mir zu. Er prüfte eine Anzeige und verschwand wie- der. Als ich etwa eine Viertelstunde später wieder aufblickte, stand er direkt vor mir. Ich hatte ihn gar nicht näher kommen hören. Er sah aus, als wollte er etwas sagen. Ich hatte mir bereits eine Erklärung zurechtgelegt, wohl w a r mir nicht. Vielleicht hatte er mir auch nur noch einmal direkt ins Ge- sicht gucken wollen. Vielleicht hatte er sich vergewissern wollen, dass er mich k a n n t e . Er nickte mir zu. Und verließ den R a u m . Die Kiste war endlich hochgefahren. Ich behielt während- dessen den Monitor meines Rechners im Blick. Ich klickte ins Chat-Fenster, Als eine neue Person auftauchte, wusste ich sofort, wer es war. Martin' , der den Server für uns ge- mietet hatte. Er stellte mich gleich ohne Begrüßung zur 11 Rede. 236 D: Ich bin hier, beim Server. H: Ich weiß. Das Rechenzentrum hat mich benachrichtigt. Was zum Teufel soll das? Di Hör mal, ich repariere ihn nur. ich mache hier nichts, womit irgendeiner ein Problem haben müsste. M: ich habe Julian kontaktiert. Er ist ausgeflippt. D: Es gibt überhaupt keinen Grund. D: Das ist doch Quatsch, hör mal. M: Ich möchte, dass du sofort die Finger davon lässt, Daniel, okay? Mach dich vom Acker, bevor was passiert. Julian sagt, er lässt dich verhaften. D: Warte! Aber es war sinnlos zu diskutieren. Ich war mir nicht sicher, ob Julian wirklich die Polizei rufen würde. Wenn die Polizei unseren verschlüsselten Server sicherstellte, könnte sie damit zwar nichts anfangen, aber der Server wäre erst mal weg. Vor allem jedoch würde ein Polizeibesuch unseren Kontakrmann in Schwierigkeiten bringen. Julians Drohungen kannte ich inzwischen. Aber aus Res- pekt v o r d e r Person, die für uns das Risiko eingegangen war, diesen Rechner anzumelden, zog ich mich zurück. Ich hatte den Rechner also nur repariert. Ich habe nicht d a r a n manipuliert und noch nicht einmal meine eigenen Mails kopiert, Julian und alle anderen harten wieder Zugriff auf ihre Nachrichten. Doch die Reaktion war vernichtend. Julian t o b t e u u d wei- gerte sich, das Entsehlüsselungsmaterial einzugeben, um den Server wieder in Betrieb zu nehmen. Er schrieb im Chat: »Try that again and Ell have you locked Up.«" Er sprach davon, 237 dass der Server nun in die »Forensie« müsse, weil entweder etwas falsch verstanden, lass uns über die Zukunft von WL ich oder der Geheimdienst d a r a n herum manipuliert härten. noch mal neu reden.« Keine Ahnung, was er genau meinie, ob er den [techner bei »Ey, weißt du noch, diese Kunstfuzzis in Linz, M a n n , hat- der Polizei oder in einem Speziallabor vorbeibringen und un- ten wir nicht eine geile Zeit zusammen, oder die Bären, erin- tersuchen lassen wollte. So oder so wäre das völliger Quatsch nerst du dich noch?!« gewesen. Auf den Hinweis, dass eigentlich für den nächsten Tag Ha, ha! Ich war wirklich ein unverbesserlicher Träumer, ein endlich ein Chat-Meeting geplant war, sagte Julian: »The Phantast! Zurück in die Realität, aufwachen, mein Lieber. talk isnow because the crime was today.« Birgitta und Her- Hier waren die echten Worte: bert waren auch im Chat, sogar der Architekt tauchte plötz- »If you thrcaten this Organization again, you will be at- lich wieder online auf. Und so ergab sich das Gespräch eben rendcd to.« spontan, an diesem Abend des 14. Scprembcr. Ich war sehr »Daniel has a disease, it's some kind of borderline para- froh, dass wir endlich wieder miteinander redeten. Dass es noid schizophren ia.« unser letztes Gespräch werden sollte, konnte ich da ja noch »You are a criminal.«- nicht ahnen. Wie oft hafte ich in den vergangenen Tagen stundenlang Außerdem tat Julian schon wieder so, als wäre er der Chef auf den Monitor gestarrt, den Blick schon nicht mehr richtig von WL. Er habe 99 Prozent der Zusammenfassungen zu den fokussiert, und d a r a u f g e w a r t e t , dass dieser kleine Button Dokumenten sowie die Editoriais geschrieben, jeden einzel- auftauchte, der anzeigen w ü r d e , dass Julian da war. nen Tweet verfasst, und auch die ganze Philosophie des Pro- Ich saß die ganze Zeit in unserer Wohnung, verließ sie nur jekrs gründe auf ihn. Birgitta fasste das gut zusammen: »So im Norfall. b'gal, was ich machte, oh ich einschlief oder kurz from what you are saying Julian is that YOU are wl and every- Milch kaufen war oder bei der Post. Immer hoffte ich, beim one eise just your servants whom you allocate trust t o . « nächsten Blick auf den Bildschirm etwas vorzufinden, dass Auch der Architekt fand ziemlich schnell klare Worte und da eine Nachricht von Julian au mich stünde. machte deutlich, dass es für alle besser sei, wenn n u n sich Ich habe den Laptop überallhin mitgenommen: in die Kü- friedlich trennre. Er hatte sich bereits darauf vorbereiter, das che, in die Kissenecke, neben die Badewanne, und wenn ich System zu übergeben - und zwar in dem Zustand, in dem er schlafen ging, stand der Rechner neben meinem Betr. Ich es vor einem Jahr vorgefunden hatte. hätte genug anderes zu tun gehabt, aber es ging nichts ande- Darauf antwortete Julian: »Ourdutiesarebigger than this res. Irgendwann fing ich a n , g r ü n e Buchstaben zu sehen, idioey.« ' Zum Architekten sagte Julian, er sei nur noch »a wenn ich nur auf irgendeinen schwarzen Hintergrund blickte. shadow of the man you were«. " Julian verlangte auch von Zwischenzeitlich erfand meine Phantasie die Sätze, auf Birgitta eine Entschuldigung für ihre »Hinterhältigkeit«, die ich wartete, einfach aus dem Nichts: weil sie mit dem DtHVy-ßei^f-Jaurnahsivn gesprochen harte: »He Daniel, ich muss mit dir reden,« »Listen to me very carefully. It was backstabbing and it was »Ich habe nachgedacht. Vielleicht habe ich tatsächlich disgracefu! and you should apologise. Do you apologise?« * 21 238 2 21 1 1 2 2 239 Birgitta allerdings bestätigte ihre Kritik an Julians Verhal- ten nach den Vergewaltigungsvorwürfen. »You have mixed wl with this in a very bad way«, schrieb sie. Julian sah es ge- nau umgekehrt: »No. Vi I h a s sabotaged my private lifc.« " 2 Nachdem Julian versucht hatte, den Architekten in einen parallelen Chat zu ziehen und uns andere einfach auszublen- den, schrieb der Architekt seine letzten Worte. »Well you had 5 minutes time ... you hlew it. have fun. dont waste my time (how many times do i have to teil you that?)«. Und dann verfuhr der Architekt einmal genauso, wie Julian es schon so viele Male mit uns gemacht hatte. Er verschwand einfach. :,s Julian verstummte daraufhin ebenfalls. Was hätte er auch sagen sollen? Mit uns wollte er nicht mehr sprechen. Und wir nicht mehr mit ihm. Das war das Ende. Nicht das Ende von WL, aber das Ende des Teams, das in den vergangenen Jahren und Monaten da- für gearbeitet hatte. Von da an sollten wir höchstens noch über Bande miteinander sprechen, über die Medien oder durch die Vermittlung Dritter. Wir gaben auf und begannen mit der Ubergabe der Technik. Der Architekt half dem im Projekt verbleibenden Tecbie, das alte System wieder aufzubauen. Wir hatten zunächst eine Übergabephase von zwei Wochen vereinbart, letztlich sollten wir die Frist auf gut drei Wochen ausweiten, Warum der Architekt und ich gerade in den frühen Mor- genstunden des 15. September 2 0 1 0 beschlossen, dass nun Schluss sei mit WL? Gute Frage. Die eigentliche Frage müsste wohl heißen, w a r u m wir das nicht schon viel, viel früher entschieden hatten. Vielleicht hatten wir das schon, ohne es uns wirklich einzugestehen. Nur zwei Tage nach diesem Gespräch, am 17. Septem- ber 2010, registrierten wir den Namen für unser neues Pro- 24(1 jekt: O p e n L e a k s . Natürlich war diese Idee schon ein biss¬ cheu älter als zwei Tage. Natürlich hatten wir schon viel länger darüber nachgedacht. Und vielleicht hatten w i r d a s i n den vergangenen Wochen auch im Flinterkopf, als wir unse- ren Ton Julian gegenüber verschärften. Aber erst an diesem Tag war der endgültige Eutschluss dazu gefallen. Schon im Sommer war der G e d a n k e , dass wir vielleicht nicht bis in alle Ewigkeiten um WL kämpfen w ü r d e n , das erste Mal aufgekommen. F'ür den größten Frust sorgten bei uns damals zum einen Julians Twitrer-Meldungen und zum anderen die Tatsache, dass wir den großen Leaks hinterher- hechelten, während sich viele gute Dokumente sammelten, u m d i e sich keiner mehr bemühte. Dazu kündigte Julian per- manent neue große Leaks a n , um wenig später zu ergänzen, nie mehr etwas ankündigen zu wollen, und attackierte sinn- los alle möglichen Journalisten. Wenn ich mich richtig er- innere, hatte Julian gerade einen Mather-Jones-Artikel ver- unglimpft, als der Architekt die entscheidenden Worte aussprach. Seit sehr langer Zeit hat mir nichts so eine große Erleichterung verschafft wie dieser lässig hingeworfene, Ar- chitekten-üblich kurz gehaltene Satz: »Wenn das so weiter- geht, dann forken wir einfach.« Forken, also abspalten, gabeln. Abhauen! Oh M a n n , ich war also nicht der Einzige, dem der Gedanke daran schon mal gekommen war. Und obwohl ich ja wusste, dass der Ar- chitekt zu mir einen besseren Draht harre als zu Julian, war ich mir bis dahin nicht sicher gewesen, ob er nicht trotz al- lem im Ernstfall gesagt hätte: »Ich bleibe für immer bei WL,« Und am Architekten hing natürlich sehr viel. O h n e ihn et- was Neues aufzubauen wäre fast unmöglich gewesen. Natürlich sahen wir uns auch starken Zweifeln ausgesetzt, als wir vorsichtig anfingen, mitanderen über die Idee zu spre- chen. Mit H a r a l d Schumann und Birgitta zum Beispiel. Sie machten sich Sorgen, dass wir die Idee von WL aufs Spiel 241 setzten, wenn wir die Organisation spalteten. Schließlich war WikiLeaks so etwas wie eine Marke. Sie drängten dar- auf, dass wir das Problem mit Julian losten, dass wir bis zum Letzten um WL kämpften. Doch der Architekt und ich sahen das viel pragmatischer. Als dieser Damm einmal gebrochen war, als die entschei- denden Worte gesprochen waren, gab es für u n s , die wir schon länger haderten und grübelten, kein Hatten mehr. Aus dem Architekten und mir, und bald zum Beispiel auch aus Herbert, sprudelte es geradezu heraus. Zunächst waren es nur vage Phantasien. Wir fingen an, uns darüber auszutau- schen, wie ein besseres W i k i L e a k s aussehen konnte. W i r dachten sogar ziemlich bald über einen Namen nach. Und wir entwickelten sofort Ideen, wie man verhindern könnte, dass sich eine neue Organisarion über kurz oder lang genauso entwickeln könnte wie WL, wäre sie erst einmal zu Geld und Ruhm gekommen. Das ging ungefähr im Juli, vielleicht Au- gust 2010 los. Wir schrieben die ersten Konzepte, die dann zum Grund- stein des neuen Projektes werden sollten. Einige meiner Ideen waren noch aus der Zeit, als ich die erneute Einreichung für die Knigbt l-oimdatio» bearbeitete. Witzigerweise nahmen wir d a m a l s einen Sarz in u n s e r erstes Papier auf, über den professionelle Gründer von vergleichbaren Institutionen ver- mutlich herzlich lachen würden. Aber uns t r i e b g a n z furcht- bar die Präge um, wie e i n e solche Gruppe Entscheidungen treffen könnte, ohne dass sich dabei einer gegen die anderen durchsetzen müsste. Wir wollten wann immer möglich im Konsens entscheiden. Lind im Zweifel lieber tagelang weiter- diskutieren, alsauch nur die Meinung eineseinzigen Beteilig- ten unter den Tisch fallen zu lassen. Wir wollten uns nie unter Zeitdruck setzen lassen. Und wir hielten dann noch fest, dass wir im Zweifel Schnick, Schnack, Schnuck (oder wie es - in anderen Regionen - auch genannt wird: Schere, Stein, Papier) 242 spielen wollten, um ja nicht in eine Situation zu geraten, in der wieder ein Einzelner das Machtwort über die Köpfe aller anderen hinweg hätte sprechen können. Es war gar nicht so ein fach, dasSchnick-Schnack-Schnuck- Prinzip so zu Papier zu bringen, dass es halbwegs seriös klang. Wir mussten am Ende doch ein bisschen über uns sel- ber schmunzeln - und strichen es wieder aus dem offiziellen Konzept. Wir hielten aber fest, dass wirein neutraler Dienst- leisier werden wollten - und kein politischer Agitator. Wir wollten unbedingt verhindern, dass die neue Organisation den nächsten Popstar fabrizierte. Als mit dem letzten Chat endgültig feststand, dass wir WJ verlassen würden, n a h m e n die Arbeiten an OpenLcaks an Fahrt auf. Wenn ich auch unendlich traurig war, dass meine Zeit hei WL für immer vorbei w a r - e s war am Ende auch ein Befreiungsschlag. Ich beschloss außerdem, meinen Ausstieg öffentlich zu ma- chen. Damals stand der Irak-I.eak kurz bevor. Ich war dafür zusrändig gewesen, den Kontakt zu den Journalisten vom Spiegel zu halten. Bei unserem nächsten Treffen erzählre ich ihnen, dass ich leider nicht mehr für die Betreuung der Ko- operation zuständig sei, weil ich nichr mehr zum Team von W! gehörte. Rosenbach und Stark boten direkt a n , ein Interview zu machen. M a n könne das noch ins aktuelle Heft nehmen. Doch ich bat um eine Woche Bedenkzeit. Ich musste mir überlegen, was ich sagen und wie viel ich preisgeben wollte. Mir war bewusst, wie frustriert und aufgewühlt ich zu die- sem Z e i t p u n k t war. Ich wollte keinesfalls der Verlockung nachgeben, diesen Frust in einen persönlichen Rachefeldzug ausarten zu lassen. Mein einziges Motiv sollte sein, die G l a u b w ü r d i g k e i t des Projekts, die ich immer vermittelt hafte, zumindest ein Stück weit zu relativieren und andere 243 Lcureaufzuklaren, die sich bei Wl. engagieren, Geld spenden oder Dokumente hochladen wollten. Wenn ich zuvor dafür geradegestanden hatte, dass Wl, eitle verlässliche Sache war, galt es nun, dies öffentlich zu relativieren. Das war eine neue Situation. Knapp drei Jahre lang hatte ich niemandem etwas darüber erzählt, wie es intern bei uns zuging. Im Gegenteil, ich hatte immer versucht, Wl. best- möglich zu verkaufen, und im Zweifel hieß das auch, beden- ken zu zerstreuen oder Kritik zu widerlegen. Dabei hatte ich mitunter ein bisschen sprachliche Kosmetik aufgetragen, bewegte mich manchmal auf einem schmalen Grat zwischen Wahrheit uiul Propaganda. Die Unwahrheit habe ich be¬ wusst nie gesagt. In den beiden Spiegcl-journalisten sah ich vor allem Zeugen für meine bedenken. Wenn ich mich mit Marcel Kogenbach und Holger Stark traf, hörten sie sehr interessiert zu. Holger Stark hatte schon bei den vorangegangenen Gesprächen immer mal wieder sei- nen Notizblock gezückt. Irgendwann habe ich ihn gefragt, w a r u m er immer mitschriebe. Kr wolle sich daran erinnern, was ich sagte, meinte er. Mir wate es lieber, wenn er das ließe, erwiderte ich und erinnerte sie noch einmal an ihr Verspre- chen, dass nichts von dem Gesagten irgendwie verwendet würde. Bei einem der nächsten Gespräche hafte Stark den Notiz- block wieder auf dem Tisch. Mich nervte das. Vielleicht war ich zu misstrauisch geworden. Es hatte in den vergangenen Wochen zu viele Missverständnisse gegeben, zu viele In- terna, die in den Medien verkürzt dargestellt worden waren und deshalb für Arger gesorgt hatten. Ich nahm mich daher in dem Spiegel-Interview sehr zurück und ä u ß e r t e keine allzu heftige Kritik an Julian. Das Interview erschien am 15. September. Ich w a r den ganzen Montag über nervös, wartete auf eine Reaktion, viel- leicht sogar eine offizielle Stellungnahme von Julian. Nichts 244 passierte. Die Einzigen, die sich meldeten, waren weitere Journalisten. Ich hatte zu dem Z e i t p u n k t aber überhaupt keine Lust, noch länger über Wl. und meinen Ausstieg zu reden. Ein, zwei Journalisten habe ich noch ein paar Details zu meinem Ausstieg erläutert, um das Bild zurechtzurücken. Dann brauchte ich erst einmal meine Ruhe. Dringend. Die irakischen Kriegstagebücher Am 2 2 . O k t o b e r 2010 veröffentlichte WL 391 832 Doku- mente über den Irakkrieg. Es waren Militärdokumente aus den Jahren 2 0 0 4 his 2009. Ahnlich wie bei den Afghau War Diaries waren der Guardian, die N VT und der Spiegel wieder in der bevorzugten Lage, schon Wochen vorher einen Blick auf das Material werten zu dürfen und ihre Artikel zu schrei- ben - sie hatten die Dokumente ja bereits, seitdem Julian in London seinen Bauchladen aufgemacht hatte. Am 2 2 . O k t o b e r ging das Material dann bei WL auf die Seite und war damit auch ILir alle anderen verfügbar. Julian hatte vor meinem Ausscheiden immer von Exklusivrechten der drei Medienpartner wie beim Afghanistan-Leak gespro- chen, wodurch etwa die Washington Post oder freie Journa- listen nicht hätten eingebunden werden können. Doch dies- mal waren noch weitere Partner an Bord, unter anderem die Fernsehsender AI Dschazira und Channel 4. Während beim Afghanistan-Leak noch David Leigh vom Guardian den Hut aufhatte, w a r es beim Irak-Release Ciavin MacFadyen. Er ist der Chef des Centre for hwestigative Jour- nalism in London, Das ist eine Non-Profit-Organisarion, die sich vor allem der Ausbildung von investigativen Journalisten und der Aufklärung über den Nutzen dieser besonders kost- spieligen Form von journalistischer Arbeit verschrieben hatte. MacFadyen sitzt zugleich im Beirat des Bureau for Inves- tigative journalism, einer 2009 gegründeten Journalisten- 246 Initiative, die sich sozusagen um die praktische Umsetzung der Ziele des Centrcs bemüht, i iier entstehen im Jahr etwa vier his fünf Reporragen zu Themen, die nach Meinung des Bureau in der öffentlichen Berichterstattung vernachlässigt werden. Dafür bekommen die Journalisten Geld ans dem Bureau, hängen also nicht von konkreten Aufträgen ihrer Redaktionen ab. Auch das Bureau hat seinen Sitz in der bri- tischen Metropole; und das Centre for hwestigative jonrna- lism versorgtes mit Expertisen und vermittelt Autoren. McFadyen ist ein Fan von Julian und zugleich auch ein guter Kollege von Iain O v e r r o n , dem Chefredakteur des Bureau. So ist hier vermutlich auch der Kontakt zu Julian entstanden - und die Idee, im Vorfeld des Irak-Lcaks enger zusammenzuarbeiten. Die Idee: Das Bureau sollte Filme pro- duzieren und Lizenzen für diese Fünfminüter an Fernsehsen- derverkaufen. Das Bureau hat 2 0 0 9 eine Förderung von zwei Millionen Pfund von der Potter Foundation erhalten. Es war also finanziell unabhängig, und die Kollegen interessierte an der Z u s a m m e n a r b e i t vermutlich vor allem die gute Story und vielleicht auch das Rampenlicht, das WL mit sich brächte. Bereits b e i m Coliateral-Murder-Vitivo hatten u n s Sender nach den Kosten für eine Lizenz gefragt. Das hatte Julian auf die Idee gebracht, dass sich mit Videos womöglich eine wei- rere Geldquelle erschließen ließ. Von einem damaligen Newsweek-Reporter sowie zwei weireren Quellen habe ich gehört, dass unter anderem AI Dschazira und Channel 4 für die 5-Miiumten-Clips zum Irak-Release Geld bezahlt haben. Fs wurden Pfund-Summen im mittleren fünfstelligen Bereich und höher genannt. Pro- duzent der Videos waren Iain Overton und sein Bureau, In- zwischen ist Overton deshalb ins Fadenkreuz der Kritik ge- raten. Von unterschiedlicher Seite w u r d e gefragt, ob bei diesen Deals alles ordentlich abgelaufen sei. Seine Kritiker 247 wollten wissen, ob sich die Sender mir dem Kauf des Videos auch das Recht erwürben hatten, einen exklusiven Blick auf die Dokumente zu werfen. Overton streitet das ab. Das Geld sei nur für den erhebli- chen Produkrionsaufwand geflossen. Das Bureau habe am linde ein M i n u s gemacht. Ich habe das Gefühl, Overton muss jetzt ausbaden, dass er sich mit einer intransparenten Organisation eingelassen hat. Vorproduzierte Videos wurden offensichtlich auch noch anderen Sendern angeboren. Einigen, wie ABC zu in Beispiel, kam dieses Angebot suspekt vor, und sie w u n d e r t e n sich auch über die flöhe der verlangten Beträge. Die Öffentlich- keit, nicht zuletzt die WL-Fans und Spender, wurden über diese Video-Verkäufe weitgehend im Unklaren gelassen, und das ist auf jeden Fall zu bemängeln. Bis heute ist nicht nach- zuvollziehen, wer was bezahlte und welche Gegenleistung er dafür versprochen bekam. Overton hat mir gegenüber ver- sichert, er könne alle Hintergründe der Deals öffentlich ma- chen und aufzeigen, dass von Seiten des Bureau alles ordent- lich gelaufen sei. Als Julian mit dem Guardian in Streit über den nächsten ge- meinsamen Eeak geriet und der Guardian einzelne Depe- schen veröffentlichen wollte, ohne sich mit Julian abzuspre- chen, soll er in Begleitung eines Anwalts in die Redaktion gestürmt sein. So jedenfalls berichtet die Journalistin Sarah Ellison in Vanity Fair von dem »Clash der Kulturen« zwi- schen der traditionsreichen GwfTJ'rf/<7«-Redaktion und dem "Informations-Anarchisten« Julian Assange. Schließlich würden ihm die Informationen aus den Dokumenten gehö- ren, soll Julian demzufolge gesagt haben, und seine finanzi- ellen Interessen seien von der Frage b e r ü h r t , wie und wann diese Informationen veröffentlicht würden. Wenn Julian den Medienparrnern gegenüber so offensichtlich mit seinen ver- 248 tneintlichen finanziellen Interessen argumentiert, stellt sich die Frage, ob er sie nicht auch der Öffentlichkeit gegenüber transparenter machen kann. Aber nicht nur was die Deals mit den Medien betraf, auch technisch beschritt Wl. beim Irak-Release neue Wege: Die jüngsten Veröffentlichungen wurden auf einem Server von Amazonm den USA und in Irland gehostet sowie auf Servern in Frankreich. Was auch immer quer über den nordamerika- nischen Kontinent durch die Datenleitungen rauscht, davon kann man ausgeben, wird auch von der National Securily Agency, dem Militärnachrichrendienst der Vereinigten Staa- ten, überwacht. Und wenn es Wl. betrifft sowieso. Offen- sichtlich haben Julian und der Techniker es nicht geschafft, die Infrastruktur wieder so weit auf die Beine zu stellen, dass sie eine solche Veröffentlichung hätten stemmen können. Es gibt derzeit, also im J a n u a r 201 I, auch keine Möglichkeit, Dokumente an Wl. zu schicken. Das liegt d a r a n , dass das Submission-System ebenfalls offline ist. Es gibt aber eine Seite, auf der erklärt wird, welche Art von Submission interessant ist und wie das Hochladcn technisch funktioniert. Der Weg zu der Seite ist nicht verschlüsselt, so dass jeder, der sich für die Erklärungen zu den potentiellen Einreichungen interessiert, dabei leicht überwacht werden kann. Wer auch immer sich zwischen den Rechner des Nut- zers und dem WikiLeaks-Server in Frankreich schaltet, kann also e i n s e h e n , welche I n f o r m a t i o n e n ein p o t e n t i e l l e r Whistleblower auf der Wl -Seite abruft. Fast alles, was der Architekt in dem einen Jahr bei WL entwi- ckelt und der Organisation für die Zeit seiner Beteiligung zur Verfügung gestellt hat, hat er bei seinem Ausstieg mitgenom- men. Der Architekt ist der geistige Eigentümer von Software und Konfigurationen. Für die Resttruppe stellte sich also das Problem, wie man ohne sein Wissen weitermachen sollte. Das 249 technische Niveau, das Wl. vor seinem Einsrieg harre, würde ich zwar aus heutiger Sicht verantwortungslos nennen - auch wenn ich es über die ersten zwei Jahre selbst so mitgetragen habe. Der Techniker, der bei WL geblieben ist, hätte aber pro- blemlos alles wieder .tut den ursprünglichen Stand bringen können. Auch das Wiki hätte im Grunde online bleiben kön- nen, das hat ja nicht der Architekt programmiert. Der Architekt hat sich d a r u m g e k ü m m e r t , den anderen Techniker einzuweisen. Geduldig hat er ihm in der Überga- bephase erklärt, wie das Ganze konfiguriert sein musste. Der junge Tcchie ist eigentlich ein richtig guter Programmierer und wäre, das weißer auch, bei unserem neuen Projekt jeder- zeit willkommen. Allerdings war er alleine mit dem Wieder- aufbau schlicht überfordert. Julian hat sich nicht ausreichend d a r u m g e k ü m m e r t oder ihn unterstützt, sondern sich eher nur beklagt. Weshalb das System auch im Januar 2011, also vier Monate nach unserem Ausstieg, noch immer nicht wie- der funktioniert, weiß ich nicht genau, kann es mir aberden- ken. Wir warten bis heute darauf, dass Julian die Sicherheit wiederherstellt, damit wir ihm auch das Material zurückge- ben können, das auf der Sitbnüssion-Vhttiorm lag. Es wird derzeit sicher verwahrt. Wir haben an dem Material kein In- teresse, auch für OpcnLeaks werden wir es nicht verwenden. Wir werden es Julian aber erst wieder zurückgeben, wenn er uns nachweisen kann, dass er es sicher aufbewahren kann und damit sorgfältig und verantwortungsvoll umgeht. Bis jetzt, bis zum Erscheinen des Buches, haben wir das niemandem erzählt. Denn wir hatten Angst vor der öffent- lichen D e b a t t e . W i r hatten Angst, dass wir sie verlieren könnten. Vielleicht wird das nun passieren. Aber ich stehe voll und ganz zu dieser Entscheidung. Wir waren und sind primär der Sicherheit unserer Quellen verpflichtet. 250 Nach unserem allerletzten Gespräch hat Julian noch einmal versucht, den Architekten zu kontaktieren. Er hat zu ihm ge- sagt, dass man doch wieder zusammenarbeiten müsse. Er solle sich »wieein M a n n verhalten« und mal »die Vergangen- heit Vergangenheit sein lassen«. Der Architekt hat ihn ausge- lacht und gesagt: »Der Zug ist abgefahren.« Julian hat ja uns gegenüber mit seinen vielen neuen Mitar- beitern angegeben, seinen hundert neuen Pferden im Stall. Aber auch von denen war keiner in der Lage, das System wie- der zum Laufen zu bringen. In Schweden hatte er angeblich 30 oder 35 Unterstützer, die ihm geholfen haben, zwei oder drei Wochen lang. Ich habe gehört, dass alle gegangen sind, weil es ihnen zu anstrengend mir Julian wurde. Ich war zwar schon lange ausgestiegen und w ar bereits mit den Arbeitenan OpenLeaks beschäftigt, hatte zu diesem Zeit- punkt aber immer noch den 0/;eraror-Status im WL-Chat. Da las ich hin und wieder ein bisschen mit, aus Neugier. Tren- nungen im digitalen Leben, könnte man sagen, vollziehen sich viel weniger schart als im echten Leben. Wer aus einem Fußballverein austritt, muss halt woanders bolzen gehen. Ich war immer noch im öffentlichen WL-Chat und konnte alle Gespräche mitlesen. Und weil ich Operator war, blieb ich im Chat, ohne, wie normale Gäste, nach zehn Minuten Inakri- vität ausgeloggt zu werden. (Das war so eingestellt, damit sich dort niemand über längere Zeit unbemerkt aufhalten und heimlich zuhören konnte.) Ich konnte dann zusehen, wie die Pcrsonalsituarion bei WL auch dazu führte, dass der 17-Jahrige aus Island zum Captain des Chats gemacht wurde: PenguittX war von da an erster Ansprechpartner für alle Leute, die in den öffentlichen \\ I •( .hat kamen, um eine (Vage • " steilen. \\ as ja nicht ganz ungefährlich ist, denn hier nehmen auch die Menschen Kon- takt auf, die der Organisation Material übermitteln wollen. Das galt umso mehr, als die Mails immer noch nicht richtig r 2M funktionierten, Ja Julian sich geweigert h a t t e , J a s Ent- schlüsseln ngsmarcrial einzugehen. Potentielle Whistleblowcr müssen in dieser Situation drin- gend vor sich seihst geschützt werden. Sie müssen zum Bei- spiel daran erinnert werden, keine Informationen mitzulie- fern, die sie identifizierbar machen oder andere Beteiligte gefährden könnten. In den öffentlichen Chats können ja alle mitlesen, die sich ein loggen, ob das nun neugierige Spinner oder Profis vom Geheimdienst sind. Nach meinem Ausstieg bekam PetigiiinX von Julian dann den Auftrag, eine Pressemitteilung zu schreiben. Darin sollte ich als bösartiger Deserteur verunglimpft werden. Damit war der 17-Jährige allerdings überfordert. Er kann überhaupt nicht gut schreiben, Und er kannte auch die Hintergründe nicht gut genug. Also hat er irgendeinen anderen der freiwil- ligen Helfer um Unterstützung gebeten, der sich im Chat her- umtrieb, Und diesereifrige Freiwillige wussresichnicht anders zu helfen, als mich um 11 Nie zu bitten. Er verstünde die ganze Situation nicht gut genug und wäre dankbar für ein bisschen Input. Da dachte ich; »Oh Gott, jerzt ist alles zu spät.« Und in den Händen dieser Profi-Truppe liegen Dokumente, die Ju- lians Anwalt zufolge -thermonuklear« sein sollen. Als mich die Nanny nach meinem Austritt das erste Mal kon- taktierte, musste ich zustimmen, dass ich unser Gespräch nicht mit loggte. Gut. ich konnte einwilligen, dass ich keine Datei von unserem Chat speichern würde. Ich habe einfach ein Gedächtnisprotokoll geschrieben. Ich denke, die Nanny ist wirklich kein bösartiger Mensch, aber wenn sie mir sagte, dass sie alle »glücklich machen" wolle, klang das in meinen O h r e n etwas beunruhigend - oder wie aus einem schlechten Agenten film, Sie bot mir an, sie könnte sich dafür einsetzen, dass meine Person »in der Öffentlichkeit keinen Schaden« nähme. Ich brauchte nur 252 zuzustimmen, dass ich mich öffentlich nicht mehr kritisch über Julian oder das Projekt äußerte, und man könnte viel- leicht im Gegenzug darauf verzichten, mich schlecht darzu- stellen. Ich a n t w o r t e t e ihr, dass ich ihre Formulierung ein bisschen bedrohlich fände. Nein, korrigierte mich die Nanny. Wenn sie tatsächlich drohen wolle, w ü r d e sie das nichr so unterschwellig machen. Das wäre nicht ihr Stil. Den Architekten hat die Nanny mit einem regelmäßigen Gehalt zurückzugewinnen versucht. Nachdem auch Birgitta ausgestiegen war, wollte man sie eine Vcrschwiegenheitser- klärung unterschreiben lassen. Julian hatte nur in den ver- gangenen Monaten offen damit gedroht, dass er kompromit- tierendes Material über mich gesammelt hätte. Er wollte überdies meine Mails veröffentlichen und damit mein wah- res Ich - »The Real You« - ans Tageslicht bringen. Sollte er das doch bitte tun. Es mag komisch klingen, aber ich bin mir keiner Schuld bewusst. Vielleicht bin ich dafür einfach zu normal. »Em running out of options t h a t d o n ' t destroy peopte* *- mit diesen Worten hattejulian Birgitta beauftragt, uns wie- der auf Linie zu bringen. Das war kurz nach unserem Aus- stieg. Der Ton klang entsetzlich, aber auf der anderen Seite machte mir diese Aussage wegen ihrer ganzen Uherzogen- heit auch keine Angst mehr. Das erinnerte mich ein bisschen an den Pentagon-Sprecher, der in seiner Rede anlässlich des Afghanisran-Leaks an uns appelliert hatte, das Richtige zu tun: »Do the right thing!« Was d a s wäre und mit welchen Konsequenzen wir zu rechnen hätten, wenn wir nicht das Richtige täten, hatte er dabei offengelassen. Solche Drohun- gen klingen vielleicht eindrucksvoll, sind aber trotzdem leer. 1 Die Nanny reiste dann sogar nach Deutschland, um mich im Club aufzusuchen. Das war am I. N o v e m b e r , ein grauer Montag, sehr ungemütlich, der erste Tag, an dem wir in der 2 .vi Wohnung die Heizung aufdrehen mussten. Ich saß an dem großen Plenumstisch im Club, mit dem Rücken zur Wand und dem Blii k zur für. Sn entdeckte ich sie gleich, als sie ,ml den Club zuspazierte, und sie mich auch. Sie hatte das .Sp/e^eV-Interview gar nicht gelesen. »Ich will das alles gar nicht wissen«, sagte sie. Sie lächelte freundlich. Ich lächelte z u r ü c k , so dass man ein bisschen Z ä h n e sehen konnte. Als Nächstes kramte sie eine Liste hervor. »Das sind Punkte, die ich mit dir klären möchte.« »Ich habe nicht viel Zeit«, sagte ich. »Access Codes?«, las sie vor und guckte mich fragend an. Ich glaube, sie wusste selbst nicht, was das sein sollte, es klang einfach nur gut, Ich wusste jedenfalls nicht, was ge- meint war, Passwörter? Ich h a t t e weder Passwörter noch sonst irgendwas. Ich habe ihr erklärt, dass das alles sauber übergeben wurde und dass es mir leid täte, dass Julian sie mir falschen Informationen losgeschickt hätte. Sic tat mir wirk- lich leid. Julian versorgte sie mit irgendwelchen Halbwahr- heiteu, und sie sollte dann alles wieder in O r d n u n g bringen. Ich erklärte ihr auch, warum ich nicht wollte, dass Julian zu diesem Zeitpunkt die Dokumente erhielte. Lände sie denn überhaupt, dass jetzt alles so ganz rund liefe hei WL, fragte ich. Darauf konnte sie mir keine A n t w o r t geben. Sie schaute mich a n , oder auch ein bisschen durch mich hindurch. Ich glaube, sie war erstaunt, als ich dann wirklich ging. Das war sie wohl nicht gewohnt. Ich nahm etwas ande- res wichtiger als das Gespräch mit ihr? Ich wollte meine Agentin nicht länger warten lassen. Wir waren verabredet, um am Expose für mein Buch zu feilen. »Sorry, ich muss jetzt weg«, wiederholte ich. Und das war's. 1U Die amerikanischen Depeschen und Julians Verhaftung Als Nächstes veröffentlichte WL die Cables, die diplomati- schen Depeschen deramerikanischen Botschafter, die bereits zu meinen WL-Zeiten intern für einige Unruhe gesorgt har- ten. Ich fragte mich, warum Julian es auf einmal so verdammt eilig hatte. Er begründete den Zeitdruck intern damit, dass der Islän- der die Dokumente ja bereits weitergegeben hatte, was ihn nun zum 1 landein z w ä n g e - d i e Logik dahinter verstand kei- ner so recht. Ich erfuhr später, dass der Guardian das Mate- rial auch von der freien Journalistin I leather Brooke bekom- men hatte. Heather hatte sich die Cables ja von dein Isländer auf die Festplatte gezogen. Und der Guardian hätte die De- peschen nun offensichtlich lieber u n a b h ä n g i g von Julian veröffentlicht. So machte die Geschichte Sinn. Es bestand die Möglichkeit, dass der nächste Leak ohne ihn an die Öf- fentlichkeit käme. Die Mehrheit des alten Kernteams hätte der Publikation zu diesem Zeitpunkt niemals zugestimmt. Es kursierten Gerüchte, dass es am letzten November-Wochenende passieren sollte. Ich war in dieser Zeit mir Anke und Jacob bei meinen Schwiegereltern in Brandenburg zu Besuch. Als ich aiti Frei- tag auf Spiegel Online einen Vermerk sah, dass die cPaper- Ausgabe »aus redaktionellen Gründen« nicht wie sonst am s p a t e n Samstagabend, sondern erst am Sonntagabend online gehen sollte, w a r die Sache klar. Ich fuhr zurück in unsere Berliner Wohnung, um aufzuräumen. 255 Ich habe alles weggeschafft, was für einen Polizeibeamten auch nur im Entferntesten interessant ausgesehen hätte. Es gab natürlich ohnehin nichts, w o r a n ein Ermittler Freude gehabt hätte, nichr einmal eine falsch abgerechnete Cafe- Quittung für die Steuer. Ich ahnte jedoch, wie so eine I laus¬ durchsuchung abliefe. T h e o d o r R e p p e , der Sponsor der deutschen WikiLeaks-Domain, hatte mir erzählt, wie es ihm 2 0 0 9 ergangen war. Er hatte den Beamten mühsam erklären müssen, dass sein Subwoofer kein Computer war. Die Poli- zisten nehmen alles mit, was einem Computer oder Telefon ähnlich sieht. Ich hatte in den nächsten Tagen ungern auf mein Arbeitsgerär verzichtet. Und hin und wieder ruft mich jemand an, ich würde dann einfach gerne drangehen. Auch Papiere wandern bei einer Hausdurchsuchung in die Taschen der E r m i t t l e r - unter dem Zeitungsstapel in der Kü- che könnten schließlich Thermonukleare Papiere lagern oder in meinem Notizbuch der Schlüssel für die ///sj-mmce-Darei stehen. So habe ich versucht, die Wohnung von allem zu säu- bern, was für einen Polizisten mitnehmenswert ausgesehen hätte. Auch die Tüten voller Koks. Nein, kleiner Scherz. Am Sonntag, den2H. November, erschienen die ersten Depe- schen auf der eigens dafür geschaffenen Seite cahlegate.org. Insgesamt handelt es sich, so steht es auf der Website, um vertrauliche Kommunikation aus den Jahren 1966 bis Ende Februar 2010, und zwar zwischen 274 Borschaften aus der ganzen Welt und dem amerikanischen State Department, 1 5 652 der Depeschen sind als »Secret« klassifiziert. Wobei m a n von den Depeschen nur schwerlich sprechen konnte. Denn zunächst konnten die Leser nur einen Bruchteil, wenige hundert Dokumente, auf der Cablegate-Se'ne einsehen. Der Spiegel vom 29. November 2010 machte mit einer recht banalen Geschiebte auf. Amerikanischer Diplomaten- klarsch über Politiker: Sarkozy empfindlich und autoritär, 256 Putin ein Alpha-Tier, Merkel unkreativ, Westerwelle uner- fahren und Berlusconi ein eitler Partyheld-alle bekamen ihr Fett weg. Der Informationsgehalt tendierte wie eine Limes- funktion gegen Null. Nichts davon überraschte. Und wirk- lich Gedanken machen mussten sich diejenigen, die gar nicht auftauchten, weil sie zu unwichtig dafür waren. Weiter hin- ten im Heft kamen zum Glück interessante Geschichten. Nachdem die Veröffenrlichungsstrategie klar war, ver- stand ich auch, warum der Spiegel so gemächlich eingestie- gen war: D i e g u t 2 5 0 000 Cables sollten auch in Zukunft mir in kleinen Portionen aufcablegate.wikileaks.org wandern. Es gab also bei den Journalisten keine Not zur Eile. Spiegel, Guardian, El Pais und Le Monde sowie die New York Times - die diesmal nur deshalb wieder zu den Exklu¬ sivpartnern gehörte, weil der Guardian ihr das Material zugeschoben hatte - konnten das Material also genüsslich ausschlachten. Wenn es in diesem Tempo weiterginge mit den Veröffentlichungen, würde WL Monare davon zehren. W a r u m die Neiv York Times diesmal nicht z u m Start- Team gehörte, k a n n ich mir gut vorstellen. In der Zeirung warein kritisches Porträt über Julianerschienen, Warum der Guardian das Material dann mitder Konkurrenz teilte, kann ich nur vermuten. Z u m einen missbilligten sie sicherlich Juli- ans Versuch, negative Artikel mit Ausschluss zu bestrafen. Und zum anderen wollte der britische Guardian wohl nicht allein auf dem englischsprachigen M a r k t den Kopf hinhal- ten, sollte die Publikation juristischen Arger nach sich ziehen. Es war gut, einen Partner im Heimatland der Depeschen auf seiner Seite zu wissen. Die im Netz veröffentlichten Cables sind außerdem bear- beitet. Die wirklich brisanten Details sind nur den fünf ex- klusiven M e d i e n p a r t n e r n zugänglich. Einzelne Cables zu redigieren, wenn sie Informationen enthalten, die Menschen in Gefahr bringen könnten, ist fraglos richtig. Die Medien 257 haben öffentlich kommuniziert, dass sie das Redigieren zu einer Bedingung für die Kooperation gemacht hätten. Dazu gehörte zum Beispiel, die N a m e n chinesischer Dissidenten nicht zu veröffentlichen. Oder der russischen Journalisten und iranischen Oppositionellen, die mit den amerikanischen Diplomaten gesprochen haben. Das hat auch Julian so gesehen. F.r hatte selbst noch eine Anfrage an den amerikanischen Botschafter in London ge- stellt: »WLwäre sehr zu Dank verpflichtet, wenn die US-Re- gierung Hinweise zu den Fällen geben könnte, in denen sie eine Gefährdung von einzelnen Personen nicht ausschließen kann.« Der Chefjurist des State Department hat ihm Medi¬ enberichten zufolge geantwortet, man verhandele nicht mit Personen, die sich illegal Material beschafft hätten. Beim Afghanistan-Release hatte Julian die N YT sogar nur knapp 24 Stunden vor der Veröffentlichung noch mal bei der US-Regierung nachfragen lassen. Und sich im Ansehluss bei der Regierung beklagt, dass man ihm nicht beim Redigieren hatte helfen wollen. Die fünf beteiligten Medien waren also in einer herausge- hobenen Position, um ihre Leserzahlen mit Hilfe der Cables in die Höhe zu treiben. Doch die Konkurrenz wollte schließ- lich auch ihre Artikel schreiben, Interviews führen und Filme drehen und versuchen, mit ihren Geschichten in Konkurrenz zu den Exklusivmedien am Kiosk zu bestehen. Was zu eini- gen reißerischen Formulierungen geführt hat, etwa beim Stern. Der hatte zwar eine sehr gute Geschichte zu Bradley M a n n i n g im Heft, machte aber auf mit einem Bild von ihm im Fadenkreuz und titelte über den Bericht: »Dieses Milchge- sicht blamiert die USA«. Das w a r plump und rücksichtslos und Von einer Qualität, die man eher von der Bild erwartete. Die Medien brauchten zudem dringend Leute, die ste inter- viewen und zitieren konnten. Julian gab ja keine Pressekonfe- renzen mehr, die Schweden suchten ihn per internationalem 25 S Haftbefehl, er war untergetaucht. Anfragen an WL liefen ins I .eere, weil der Mailserver immer noch nicht zu erreichen war. Wer in dieser Zeit nicht alles zum WL-Hxperten wurde, war erstaunlich - oft reichte dafür, dass in der Vita irgend- was mit Internet stand. Der Blogger und Social-Media- Experte Sascha Lobo saß zum Beispiel bei Anne Will auf dem Sofa und diskutierte mit dem PR-Berater Klaus Kocks. Und so fing am Tag des Release auch mein Telefon mor- gens um acht an zu klingeln und bimmelte zwölf Stunden später immer noch. »Hello, Moscowcalling, Mr. Domscheir- Börg, are you available for interview today?«" Am Dienstag kamen die Japaner, am Donnerstag fuhr ich zu Stern-TV nach Köln, am Freitag zu einer schon lange angekündigten Veranstaltung der Irtedricli-Naumann-Stiftung nach Harn¬ burg, wo bereits die Presse auf mich wartete. Man hat auf allen Kanälen versucht, mich zu erreichen. Die Journalisten mailren an das Facebook-Profil meiner Frau, riefen in der Pressestelle ihres Arbeitgebers an. Selbst der Italiener unten an der Ecke sollte helfen, Kontakte zu vermitteln. 1 Sie wollten einen K o m m e n t a r von mir. Und zumindest einige hätten am liebsten gehört, wie schlimm ich WL fände, jetzt, da ich doch ausgestiegen war, und dass ich Julian mal kräftig eine rein würgte. Natürlich wunderte ich mich ein wenig über die zahlrei- chen Unterstützer, die sich plötzlich zu ihrer glühenden Ver- ehrung für Julian Assange bekannten. Das amerikanische Time Magazine hatte ihn im November auf seine Auswahl- liste zur »Person des Jahres 2 0 1 0 « gehoben. Gewinnen sollte letztlich Mark Zuckerberg, der Gründer und Chef von Face- book. Auf Zuckerberg war die Wahl der Redaktion gefallen. Die Leser jedoch hatten Julian die meisten Stimmen gegeben, übrigens vor dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Zwiespältig sah ich die Aktionen der Leute, die bald nach 259 dem Leak anfingen, die Website der Schweizer Postfinance, von Amazon, PayPal, Mastercard, Visa oder Moneybookers zu attackieren. Das waren Unternehmen, die plötzlich mein- ten, ihre Verträge als Dienstleistcr von WL nicht mehr or- dentlich wahrnehmen zu müssen, nachdem (.las Projektsich beim amerikanischen Außenministerium unbeliebt gemacht hatte. Federführend bei den Attacken waren wohl die Auo- //ywotfs-Jungs. Die Kritik an den Unternehmen war berech- tigt, und das war ihre Form - und auch einzige Möglichkeit:-, sich polirisch e i n z u m i s c h e n . Die N e t z - A t t a c k e n auf die schwedische Staatsanwaltschaft zeigten jedoch, dass man hier nicht sauber zu trennen vermochte. Journalisten aus allen Fcken der Welt vereinigten sich, um Julian zu unterstützen, angeführt von Gavin MacFadyen vom Centre for hwestigative Jottrnaiism. Der stellte das Statement der International hederat ion of Journalists auf seine Website: Die Vederation sei »sehr besorgt um das aktu- elle Wohlergehen« von Julian, denn »Assange sah sich ge- zwungen abzutauchen; gegen ihn lauft ein internationales Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs, er habe sich in Schweden der sexuellen Nötigung schuld ig gemacht«. Die australische Justiz prüfte nach der Veröffentlichung der Cables, ob m a n gegen Julian Anzeige erstatten sollte. Mehr als 4 0 0 0 Menschen setzten ihren N a m e n unter einen Brief, der ursprünglich von 2 0 0 Politikern, A k a d e m i k e r n , R e c h t s a n w ä l t e n , Künstlern und J o u r n a l i s t e n aufgesetzt worden war, um gegen diese Ermittlungen zu protestieren. Der Guardian veröffentlichre am 10. D e z e m b e r einen Brief, der unter anderem von dem australischen Journalisten John Pilger, der Schriftstellerin A. L. Kennedy und dem ehe- maligen Botschafter und politischen Aktivisten Craig M u r - ray unterzeichnet ist: »Die US-Regierung und ihre Verbünde- ten sowie ihre Freunde in den Medien haben eine Kampagne gegen Assange gestartet, die ihn ins Gefängnis gebracht hat, 260 wo ihm aufgrund von zweifelhaften Vorwürfen die Auswei- sung droht. Es muss davon ausgegangen werden, dass damit letztendlich seine Auslieferung an die USA erreicht werden soll. Wir verlangen, dass er sofort freigelassen wird, dass alle Vorwürfe gegen ihn fallengelassen werden und dass die Zen- surgegen WikiLeaks heendet wird.« Innerhalb der ersten 4H Stunden landeten 45 0 0 0 Unter- schriften atifeinem Online-Brief, den die Internet-Organisa- tion GetUp! am fä. Dezember aufgesetzt hatte. Darin wurden der amerikanische Präsident und der Generalsraatsanwalt Eric Holder aufgefordert, im ball Assange »für die Unschulds- vermutung und die Freiheit der Information einzutreten«. Die Erklärung sollte als Anzeige in der New York Times und der Washington Times erscheinen. Die Journalistin M i r a n d a Devine, eher der polirischen Rechten zuzuordnen, rief öffentlich zur Verteidigung Assan- ges auf und beschrieb den »besonderen Charakter« der in Schweden gegen ihn erhobenen Anklage: »Niemand glaubt, dass Julian Assange jetzt in einem britischen Gefängnis sitzt, weil er ein Vergewaltiger ist.« Zu den zahlreichen neuen Freunden von Julian zählte auch i\ l ichael Moore. Der hatte sich schon einmal nach dem Colla- terat-MurderAlideo bei uns gemeldet. Witziger weise hielt Julian den bekannten bi Imcm.k her u n d C i e s e l l s c h a l t s k r i t i ker für einen Idioten - bei ihm gehörte er in die Schublade »Verschwörungstheoretiker«. Moore trug 20 0 0 0 Dollar zu der Kaution bei, dank deren Julian aus der Haft entlassen werden konnte. Julian konnte sich auch über die vielen engagierten Worte der Feministiii Naomi Wolf freuen, die sich öffentlich für ihn srarkmachte. Deren Vortragsreihe zu ihrem Buch »Give Me Liberty: A 1 landbook for American Revolutionaries«, auf die ich ihn einmal angesprochen hatte, hatte er mir gegen- über als »banales Gerede« bezeichnet. 261 Der Wirz war, dass diese Leute vielleicht Stars waren, die einem Julian Assangc großzügig zur Milte geeilt waren. Ich weiß ganz genau, wie er zumindest einige seiner Unterst ützer sah: als nützliche Idioten, »Juniors» sozusagen, Möchtegerns. Ich glaube, viele dieser Leute dachten, es wäre schick, jetzt mit einem »Support Julian Assange«-Srieker herumzulau- fen. Sie jubelten sowieso jedes M a l , wenn die Amis etwas auf die Mütze bekamen. Julian hat seine Verhaftung als Ergebnis einer H e t z k a m - pagne bezeichnet. Das Verfahren diene in Wirklichkeit dazu, ihn über einen Umweg an die Vereinigten Staaten auszulie- fern. Als er auf Kaution freigelassen wurde, brach unter den Linterstützern im Saal und denen, die vor dem Gerichtsge- bäude für seine Freilassung demonstrierten, lauter Jubel aus. Julian reckte die Arme in die H ö h e , bevor er in elektroni- schen Fußfesseln aul den Landsitz seines Freundes Vaughan Smith im Südosten Englands verschwand. An dessen Toren erwartete ihn täglich ein Rudel Unter- stützer und Journalisten. Der nächste Leak von Zehntausen- den Dokumenten zur Finanzkrise, so hatte er bereits ange- kündigt, w ü r d e eine US-Bank zu Fall bringen, weil diese Unterlagen »unethische Praktiken« und »ungeheuerliche Verstöße« dokumentierten. Seinen F a n s a m Gartenzaun des Herrenhauses versprach er nun, das Tempo der Veröffentli- chungen werde noch zunehmen, seine Organisation sei un- verwüstlich und darauf vorbereitet, einer »Enthauptungsat- tacke« standzuhalten. Ich frage mich, von welchem Material er da gesprochen hat, aufweichein Wege er es erhalten hatte und wo e r e s aufhob. Ich hoffe für alle Beteiligten, dass er es sicher verwahrt. Dennoch trat Julian seit dem CtfWes-Release sehr viel we- niger aggressiv in der Öffentlichkeit auf als in den Monaten zuvor. Die Nanny hatte schon länger darüber gesprochen, ihm einen PR-Berater zu besorgen. 262 Auch auf der Website haben ein paar vorsichtige Umfor¬ mulierungen stattgefunden. Anstatt: »Das Übermitteln von vertraulichem Material an WikiLeaks ist sicher, einfach und durch das Gesetz geschützt« steht da nun: »Das Übermitteln von Dokumenten an unsere Journalisten ist in den besseren Demokratien vom Gesetz geschützt." Zu den Submission* heißt es neuerdings: »WikiLeaks akzeptiert eine breite Pa- lette von Materialien, aber wir fordern nichts gezielt an.« Und auch das Wort »klassifiziert« verschwand aus der Beschrei- bung der erwünschten Dokumente. Wenn ich Julian heute in den Nachrichten oder auf aktu- ellen Pressefotos sehe, sieht er viel älter aus. Dieses kindlich- schelmische Grinsen, das er manchmal hatte, ist aus seinem Gesicht verschwunden. Ersieht glatter aus, vielleicht sogar besser, aber ein bisschen wie ein Firmenboss. Mit Rucksack und alten Jeans war er mir sympathischer. In der Zwischenzeit hatte mich Stern TV eingeladen, und so durfte ich dem Medienzirkus mal wieder ein bisschen von der anderen Seite aus zugucken. Vor der Sendung wartet man als Gast in einem kleinen Zimmerchen auf das Startsignal. Neben mir war als Experte der Schweizer T h o m a s Borer eingeladen. Bekannt ist der Ex-Botschafter eigentlich vor allem, weil 2 0 0 2 die Boule- vardpresse mit unwahren Verdächtigungen über ihn herzog, woraufhin er mit viel öffentlichem Wirbel von seinem Bot- schafter-Posten in Berlin abberufen wurde. Borer kam aus seiner Kabine zu mir herüber und begrüßte mich mit den Worten »Ich schätze Menschen mit Zivilcou- rage sehr.« Doch der Satz ging noch weiter: "Auch, weil man sie mir nachsagt.« Er machte einen betont lockeren, Staats- mann isehen Eindruck dabei. Brust ein bisschen vorgereckt, die Stimme so sonor wie möglich. Z u r Vorbesprechung der Sendung traf man sich dann im 263 Büro von Günther Jauch, Borer und ich nahmen in unseren Sesseln Platz, und ich hatte mich innerlich aul ein paar neu- gierige Fragen von Deutschlands Promi-Journalisten einge- stellt. Ich hildete mir ein, im Vergleich zu Jauchs sonstigen Gasten ein wenig unkonventionell zu sein, und dachte, er würde mich nun gerne ausfragen. Die Sendungsplanung war jedoch in zwei, drei Sätzen und wenigen Fingerzeigen abge- handelt: »Ich frage erst Sie, dann Sie, und wir entwickeln das Gespräch dann langsam ...«, crklartejauch. Danach begann zwischen Borer und Jauch das wirklich heilst' T h e m a . Fs ging um Villen und die unterschiedlichen Preise am Zürich- see und am Schwielowsee, der Potsdamer Villengegend. Ich langweilte mich. Da draußen hatte gerade eine wirk- lich bedeutsame Enrhüllung statrgefunden, und hier sprach man über den Wert von Immobilien an Großstadtgewässern. Die Medien wollten nun alle sehr gerne von mir Kritik hören. Ich war vorsichtig. Je allgemeiner und neutraler meine Antworten wurden, desto suggestiver wurden ihre Fragen. Ich habe versucht, mich nicht verlocken zu lassen. Was der Debatte meiner Meinung nach fehlte, war eine vernünftige Trennung der unterschiedlichen Kririkpunkte an WL. Das war zu komplizierr, um es mit ein paar knacki- gen Zitaten abzuhandeln. Natürlich verdienrjulian grundsätzlich Unterstützung. Fs ist ein Skandal, dass amerikanische Politiker und Journalis- ten vor laufenden Kameras zu Julians Ermordung aufrufen. Vor allem muss verhindert werden, dass er an die USA ausge- liefert wird. Das wäre ein schlimmer Präzedenzfall und darf auf gar keinen Fall passieren. Aber wie man sich dagegen aus- sprechen konnte, dass er in Schweden seine Aussagen macht und gegebenenfalls vor ein ordentliches Gericht käme, das müsste mir doch einmal jemand erklären. Diesem Verfahren, das mit WikiLeaks rein gar nichts zu tun hat, sondern einzigjulians private Erfahrungen mitzwei 264 Frauen betrifft, kann und darf er sich nicht entziehen. Das wäre ein ganz klarer Lall von Machrmissbrauch. Ein Miss- brauch, wie WL ihn in jedem anderen Fall zu verhindern versucht hätte. In einer australischen Dokumentation ist Julian nach sei- nem Auftritt in der Talkshow von Larry King zu sehen. Er lässt den Blick über sein Konterfei auf den Titelbildern der internationalen Presse schweifen. Und dann sagt er halb ver- sunken: »Now I am untouchable in this eountry.« Der Journalist stockt: »Untouchable?« Und Julian wiederholt: »Untouchable.« Der Journalist sagt: »Thars a bir of hubris ...?« Julian scheint sich kurz über die Frage zu ärgern, scheint d a n n aber sehr schnell zu merken, dass er gar nicht ent- spannt dabei r ü h e r k o m m t , und geht sofort in einen Witz über: »Well fora couple of days.« 51 11 Nein, Julian. Niemand ist unantastbar. Und wie irgendjemand da draußen diese Vorstellung auch nur eine Sekunde lang unterstützen kann, das will mir nicht in den Kopf. Ich w ü n s c h e allen Beteiligten, dass die Ermittlungen in Schweden einen fairen Verlauf nehmen. Ich wusste aber auch gar nicht, w a r u m das nicht passieren sollte. Schweden ist we- der bekannt für Lynchjustiz, amerikanische Einflüsterungen noch intransparente Gerichtsverfahren. Wenn Julian sich richtig verhalten hat, wovon ich ausgehe, bis das Gegenteil bewiesen wird, hat er nichts zu befürchten. Die australische Polizei hat ihre Ermittlungen gegen WL inzwischen eingestellt, weil sie keinen Verstoß gegen austra- lisches Recht festgestellt hat. Anders sieht es aus mir den Ver- suchen der USA, Julian und andere Unterstützer von WL vor Gericht zu zerren, um sie an weiteren Veröffcnrlichungen zu 265 hindern. Rechtsexperten Streiten mich darüber, ob die Ge- setze eine solche Anklage erlauben würden und ob das nicht beispielsweise auch bedeutete, dass man die Medien, die das Material veröffentlichten, ebenfalls anzeigen miisste. Dem steht zudem das Recht auf Redefreiheit und das First Amend- ment entgegen. Gegen Julian könnte nun auch selbst im Namen des F.sfti- onage Act ermittelt werden, aus dem er uns beizeiten vor- trug. Dafür musste das Justizministerium allerdings nach- weisen, dass Julian mir der Absiebt gehandelt harte, den USA zu schaden. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein solcher Nachweis aussehen könnte. Ich bin kein Jurist, aber ich halte eine solche Anklage für absurd und schädlich. Nun versucht das State Department, Julian eine aktive Rolle bei der Informationsbeschaffung nachzuweisen. Das w ü r d e bedeuten, dass er als Komplize der tarsächlichen Quelle belangt werden könnte. Was den derzeit in Untersu- chungshaft sitzenden M a n n i n g - sollte er denn die Militär¬ dokumente beschafft haben - sicher entlasten würde. I Litte Julian hier eine aktive Rolle übernommen, hätte er ganz klar gegen unser Selbst Verständnis gebandelt. Natürlich sollte trotzdem grundsätzlich niemand dafür belangt werden, dass er die Öffentlichkeit mit Informationen versorgt bat, weder Whistleblower noch bnthüllimgspl.u (for- men wie WikiLeaks. Hier für klare Gesetze zu sorgen - siehe IMMI - ist das Anliegen, für das sich alte Journalisten, Ver- lage, Politiker und Demokraten einsetzen sollten. Genauso kann andersherum kein Zweifel daran bestehen, dass ich die Veröffentlichung der t '.ab/es für wichtig und rich- tig halte. Und in diesem Z u s a m m e n h a n g würde ich mich für die Sicherheit der Beteiligten in jeder Sekunde in die Bresche werfen. Wenn es nun bei einigen - eher den nicht beteiligten Me- dien - hieß, die Cables hätten keinen Informationsgehalt, 266 d a n n frage ich mich, was die Leute überhaupt für wichtig erachten und ob das über Fußballergebnisse und Proini- klatsch noch hinausgeht. Dass ein libanesischer Verteidi- gungsminister hofft, dass Israel sein Land bombardiere, damit er etwas gegen die Hisbollah unternehmen kann - das soll nicht bemerkenswert sein? Fs ist doch auch interessant, dass die Weltmacht USA die Vereinten Nationen nicht nur politisch und öffentlich immer wieder beschädigen, son- dern auch systematisch auszuhorchen versucht. Und dass Außenminister in Flillary Clinton ihre Diplomaten bittet, Informationen über Topmitarbeiter der Vereinten Nationen zusammenzustellen, bis hin zu deren E-Mait-Passwörtern, biometrischen Details und K r e d i t k a r t e n - N u m m e r n . Und dass ein ehemaliger afghanischer Vizepräsident mit einem Koffer mit 52 Millionen Dollar in bar in Dubai erwischt (man fragt sich, wie er so viel Geld in einen Koffer bekom- men bat?) und wieder laufengelassen wird - d a s ist doch sehr wohl berichtensw e n . Mich persönlich interessiert es als Bürger auch, dass ein Helmut Metzner ans der FDP-Zentrale Informationen an die Amerikaner verraten hat - ich habe jedenfalls weiß Gott schon belanglosere Artikel in der Zeitung gelesen. Wer nun sagt, er hätte vorher gewusst, dass Leute lügen und betrügen und spitzeln und bestechen, der hat eine gute Ausrede, sich überhaupt nicht mehr mit Politik zu beschäftigen. Schaltet man die Abendnachrichten enttäuscht aus und sagt: »Ach, ich habe doch schon immer gewusst, dass überall Krieg herrscht und Menschen gemein zueinander sind«? Noch viel mehr wundere ich mich über die ewiggestrigen Verteidiger der Intransparenz. Die nun aller Welt erzählen, wie wichtig es sei, dass geheim bliebe, was schon immer ge- heim war. Es gibt eine lange, unwürdige Tradition, nicht zuletzt auch in der deutschen Außenpolitik, sich Öffnungs- und Diskursbestrebungen zu widersetzen mit dem Verweis 267 auf ein höheres, schützenswertes G u t . Und hier habe ich noch kein Argument gebort, das mich nachhaltig überzeugt hätte, w a r u m dem sosein sollte. Ich bin der festen Überzeu- gung, dass man der Bevölkerung die Wahrheit nicht nur zu- muten kann, sondern dass man sie den Bürgern sogar zu mu- ten muss. Genauso wenig, wie m a n die Bevölkerung darüber täuschen darf, dass deutsche Truppen irgendwo in der Welt Krieg führen, muss man die Bevölkerung davor schürzen, von weltpolitischen Verstrickungen und Problemen zu er- fahren. Das ist parcrnalistischer, elitärer Bullshir, und ich finde es daher sehr sinnvoll, für ein Mehr an Transparenz undgereilres Wissen zu kämpfen. Dennoch gehen mir der Veröffentlichung der Cables auch ein paar Probleme einher. Eines betrifft die exklusiv beteilig- ten Medienpartner. Ich schließe mich zwar der Meinung des Politikwissenschaftlers Herfried M ü n k l e r in keiner Weise an, der im Spiegel gegen die Veröffentlichung der Cables plä- diert hat. Aber er trifft in seiner Kritik einen wichtigen Punkt: Wer kritisiert, dass die Geheimnisse .schon immer in den H ä n d e n bestimmter Mächte lagen, der muss sich jetzt die Erage stellen, ob sie durch die aktuelle Veröffeurlichtingsstra- tegie wirklich schon in die Verfügungsgewalt der Allgemein- heit übergegangen sind. Oder ob nichr vielmehr einfach nur die Hüter der Geheimnisse gewechselt haben. Geheimnisse, auf die zuvor das amerikanische Außenministerium und das Militär den Daumen hielten, liegen jetzt in den Händen von fünf großen iVledieniinternehrncn und Julian Assange. Sie haben jetzt darüber zu befinden, was öffentliche Aufmerk- samkeit verdient und was nicht. Die aktuelle Veröffentli¬ chungsstrategie hat sich von den ehemaligen Grundideen von WikiLeaks weit entfernt. Zu weit, wie ich finde. Z u m a l seit einigen Wochen offensichtlich Leute mit dem Auftrag durch die Welt reisen, sich d a r u m zu kümmern, die bislang noch unter Verschluss gehaltenen Depeschen bei an- deren Medien anzubieten. Darunter ist Johannes Wahl ström aus Schweden. Wahlström ist der Sohn von Israel Shamir, einem bekannten Antisemiten und Holocaust-Leugner rus- sisch-israeüscher Herkunft. Kristinn hat Wahlström und Shamir bereits öffentlich als »zugehörig zu WL" bezeichnet. Ich denke, Julian weiß, welche Leute er sich da an Bord geholt hat. Jedenfalls besteht der Kontakt zu Shamir bereits seit Jah- ren. Als Julian das erste Mal von Shamirs politischem Back- ground erfuhr, hat er überlegt, ihn einfach unter einem Pseud- onym bei WL einzubinden. Texte von Shamir beschrieb er mir gegenüber einmal als »eigentlich ganz clever«. Als Antisemit ist mir Julian allerdings noch nie aufgefallen, höchstens als Israel-kritisch, was sich aber einzig auf die politische Führung des Landes bezog. Ich habe keine Ahnung, w a r u m er heute einen offenkundigen Antisemiten in seinem Umfeld duldet. Es scheint, als hätte Wahlström die Cables an verschie- dene Medien in Skandinavien weitergegeben, während sein Vater den russischen M a r k t übernommen hat. Und obwohl die fünf Medien partner stets betonten, es sei niemals Geld geflossen, hat zumindest die norwegische Zeitung Aftettpus- ten nun öffentlich bekannt, für ihre Einblicke in die Cables Geld bezahlt zu haben. Alle anderen Zeitungen, auch die russischen, verweigern der Presse konkrete Auskünfte über ihre Deals. Das Geschäftemachen ist unschön. Weitaus problemati- scher ist das Szenario, jemand könnte die Einblicke zu einem anderen Zweck nutzen als zu dem der Publikation. Auch bedenklich fände ich die Vorstellung, dass ein Inte- ressent die Cables einzig angucken möchte, um sie im Zwei- fel lieber nicht zu publizieren. Es wären schließlich nicht die ersten Dokumente, die im Giftschrank verschwunden sind, weil jemand das so wollte. OpenLeaks Die Domain für das neue Projekt w u r d e am 17. September 20 H) rcgisi Herr, also zwei 1 age nach unserem Ausstieg, Die Frage, wie eine künftige Whistlehlower-Plattform aussehen sollte, was sie können und leisten müsste, hat uns allerdings schon viel länger beschäftigt! Nicht zuletzt, als ich mit einer Unterstützerin an dem Konzept für die Klügln Foundation arbeitete. Wir hatten Julian regelmäßig darüber informiert, welche Ideen zur technischen und inhaltlichen Weiterentwicklung wir diskutierten. Er fand das alles nicht so arg spannend. Julian hat manchmal von seinen eigenen Ideen gesprochen, wie es mit WL weitergehen könnte. Am liebsten hätte er ei- nen Leak nach dem anderen durchgezogen, so aggressiv und konfliktreich wie möglich. An inhaltlichen Diskussionen oder der technischen Weiterentwicklung der Plattform schien er kein Interesse zu haben. Er ist vielleicht auch einfach kein Mensch, der langfristig in die Zukunft plant. Das eigentliche Problem bei WL war ja, dass das Projekt zu viele Ansprüche gleichzeitig zu erfüllen hatte. WikiLeaks al- lein bildet den gesamten Prozess eines digitalen Geheimnis- verrats ab: Die Quellen laden hier ihre Dokumente hoch, das WL-Tcam bereinigt sie von Metadaten, verifiziert die Einsen- dungen und beschreibt die Zusammenhänge in Zusatztexten. Am Ende wird alles auf der Website veröffentlicht. All diesen Aufgaben gerecht zu werden, war ab einem ge- wissen Zeitpunkt nicht mehr möglich. Wir wurden einfach 270 überschüttet mit Einsendungen. Es hätte Hunderter intensiv eingebundener Freiwilliger bedurft, um das zu schaffen. So aber mussten wir ständig Entscheidungen treffen: Welche Leaks sollten das Tageslicht erblicken? Welche Dokumente sollten mit vielen Tausenden anderen unveröffentlicht auf den Servern liegen bleiben? Wir waren hoffnungslos über- fordert mit diesen Entscheidungen. Und vermutlich ent- täuschten wir die Einsender, die ein hohes Risiko eingegan- gen waren und bis heute darauf warten, dass dir mutiger (ieheimnisverrat belohnt wird und dazu beiträgt, unsere Ge- sellschaft zu einer besseren zu machen. Jede Auswahl stellt eine Z e n s u r dar, und Zensur ist ein politischer Eingriff. Im G r u n d e beginnt das bereits, indem sich die Beteiligten über Themen verständigen und die Öffent- liche Aufmerksamkeit auf bestimmte Probleme lenken, Und dass WL Aufmerksamkeit zu erzeugen vermochte, das wird heute wohl niemand mehr bestreiten. Da bei WikiLeaks zu viele Fäden in einer Hand zusammenliefen - in der bland von Julian Assange -, hatten wir uns zu einem Player von welt- politischer Bedeutung entwickelt. Von Neutralität konnte keine Rede mehr sein. Ihr hatten wir uns einmal verpflichtet. Sie war eines der wichtigsten Prinzipien von W L . Irgendwann hatten wir uns Partner in den Medien suchen müssen, das war sicherlich ein notwendiger Schritt. Aber auch die Entscheidung darüber, mit welchen Medien wir kooperierten, wol Ire Julian allein treffen. Später hat er offen- sichtlich sogar versucht, einzelne Medien auszusperren, wenn ihm die Berichterstattung nicht passte. Damit zwang er die Journalisten indirekt, freundlich über WikiLeaks zu schreiben. Die Konflikte mit den Redaktionen haben viel verbrannte Erde hinterlassen. Dieser Ansatz hat nicht funk- tioniert. Mir stellte sich zudem schon länger die Frage, inwiefern eine einzelne Plattform den Bedürfnissen unser unterschied* 271 liehen Quellen überhaupt gerecht werden konnte. Bei WL gingen ja Dokumente aus alier Welt und zu unterschiedlichs- ten Themen ein - von der Korruption im Rathaus einer deut- schen Kleinstadt über die Befreiungsbewegung in Osrtimor bis zur amerikanischen Außenpolitik. Lag die Lösung wirk- lich in einer einzigen Plattform für alle diese Inhalte? Wir waren ein Gernischtwarenladen oder sogar noch schlimmer: ein riesiger Supermarkt für Geheimpapiere geworden. Dabei hatten wir viel eher die Expertise und Ressourcen für ein kleines, feines IT-Fachgeschäft. Der viel klügere Ansatz war doch, sich auf seine Stärken zu besinnen. Unser neuer Ansatz ist daher, bloß die techni- sche Infrastruktur für den Whistleblower bereitzustellen. So würden wir auch die Gefahr reduzieren, dass ein Einzelner innerhalb des Systems zu viel M a c h t bekäme. Mir O p e n L e a k s schlagen wir also einen neuen Weg ein. Wir verteilen die Verantwortung einfach auf viele Schultern - und zwar auf die Schultern derjenigen, die dazu besonders gut geeignet sind. Indem das Empfangen und Veröffentli- chen der Dokumente voneinander getrennt werden, löst man nicht nur das Problem, dass zu viele Entscheidungen an einer zentralen Stelle zusammenlaufen. Sondern so lässt sich auch verliindem, dass einer der Verantwortlichen selbst in Versu- chung gerät, politischen Kinfluss auszuüben. Die Information und die Entscheidung darüber, was da- mit geschehen soll, liegt nun in den Händen derer, die tradi- tionell die meiste Erfahrungen d a m i t haben. Da mögen ei- nem als erstes vielleicht die Medien einfallen. Aber auch Nicht-Regierungs-Organisatinnen (N(.Os), Gewerkschafren oder Jouriialisrens'chulen sind bestens dazu geeignet, unsere Partner zu werden. Denn sie alle sind in der Lage, Öffent- lichkeit herzustellen und Vorgänge transparent zu machen, Sie alle haben die Fähigkeiten, geheime Unterlagen professi- onell auszuwerten und zu entscheiden, in welcher Form t u e 272 Ergebnisse publizierr werden sollten - ob nun klassisch als Bericht oder als vollständige Dokumentensaminlung. Auch die Entscheidung darüber, welcher der potentiellen Kooperationspartner die Dokumente erhalten soll, haben wir von äußeren Einflussversuchen entkoppelt. Für uns gibt es in diesem Punkt nur einen, der zu dieser Entscheidung le- gitimiert ist: die Quelle selbst. Wenn die Quelle der Meinung ist, ein Dokument sei in der Lokalpresse am besten platziert, dann sollte sie das auch ge- nau so verfügen können. Und wenn sie d e n k t , die Doku- mente wären beispielsweise bei Antnesty International bes- ser aufgehoben, sollte sie auch das bestimmen können. Diese Idee war bereits G r u n d l a g e unserer Bewerbung bei der Knigbt Foundation. Mit OpenLeaks setzen wir sie jetzt in die Fat um. Auf diese Weise wird es auch gelingen, die Information dorthinzubringen, wo sie die größte Wirksamkeit entfaltet. In einem Fall kann das ein Nachrichten-Medium sein, in ei- nem anderen eine spezialisierte NGO und ein andermal eine G e w e r k s c h a f t . Wer k a n n das besser einschätzen als die Quelle? N u r so können Leaks mit regionaler Bedeutung, etwa zu einem Lebensmittelskandal, ebenso Aufmerksam- keit erhalten wie spektakuläre Dokumenre von globaler Re- levanz. Niemand w ü r d e sich mehr mit der Frage qua len müs- sen, ob m a n seine Energien bevorzugt für viele kleine oder wenige große Leaks aufwenden sollte. Die Lösung, die Open- Leaks jetzt bietet, hat für alle Platz. O p e n L e a k s ist also anders als WikiLeaks keine Publika- lionsplattfonn, sondern konzeiurieri sich s t a t t d e s s e n ganz auf die erste Hälfte des Whistleblowing-Prozesses: dass Do- kumenre a n o n y m eingesendet werden k ö n n e n , dass die Q u e l l e geschützt wird u n d dass die Partner gut mit dem Ma- terial arbeiten können. Genau wie WikiLeaks bietet auch OpenLeaks eine Art geschützten Briefkasten an, in den der 273 Whistlcblower seine Unterlagen für einen bestimmten Emp- fänger einwerfen kann. Genau genommen werden wir eine ganze Reibe solcher digitaler Briefkasten anbieten, nämlich für jeden unserer Partner. Die Quelle kann sich nicht n u r aussuchen, in welchen Briefkasten sie ein Dokument einwerfen möchte, sondern gleichzeitig auch bestimmen, wie lange der Empfänger die Dokumente exklusiv auswerten darf. Dieser Mechanismus garantiert, dass eine Einsendung nicht unterschlagen werden kann. Denn nach Ablaut der brist wird sie zwangsläufig wei- tereu O p e n L e a k s - T c i l n e h m e r n zur Verfügung gestellt - wenn die Quelle dies möchte. Es wäre ja naiv a n z u n e h m e n , dass Zeitungen, die sich größtenteils über Anzeigen von Unternehmen finanzieren, völlig frei entscheiden könnten, was sie veröffentlichen. Es gibt genug Beispiele, in denen Unternehmen Anzeigenstre- cken zurückgezogen haben, weil ihnen ein Artikel über ihr Produkt oder Management nicht gefiel. Ein möglichst breiter Pool an Teilnehmern soll gewährleisten, dass sich am Ende immer jemand finden wird, der wichtige Informationen an die Öffentlichkeit bringt. Das Interesse unter den potentiel- len Partner-Organisationen ist groß. Darunter sind übrigens auch diejenigen Redaktionen, die zuvor eng mit WL zusam- mengearbeitet haben. Und es gibt schon jetzt viele Quellen, die uns gern ihre Dokumente anvertrauen wollen. Wir hoffen, dass viele m i t m a c h e n , auch weil das einen schützenden Nebeneffekt für die gesamte OpenLeaks-Com- muniiy bringen wird. Ein breites N e t z w e r k aus Medien, NGOs, Gewerkschaften und anderen unabhängigen Organi- sationen wird ein starkes Bollwerk gegen alle Angriffe auf das Prinzip solch digitaler Briefkästen bilden. Dieses Prinzip sollte rechtlich genauso stark geschützt sein wie das Brief- geheimnis für Papierpost. 274 Wenn nun viele starke Partner aus unterschiedlichen Berei- chen der Gesellschaft und d e r Mcdienmaschinerieemgebun- den sind, wird sich das als ein großer Vorteil erweisen: Sie werden gemeinsam alles dafür tun, dass es den Gegnern des digitalen Whistleblowing nicht gelingen kann, dieses geniale Prinzip aus den Angeln zu heben. Wir wollen zunächst nur mit einer Piandvoll Medien an- fangen und dann den Kreis Stück für Stück erweitern. Alles mir genug Ruhe und Bedacht, um unsere Konstruktion in der Praxis überprüfen und weiter optimieren zu können. Die ersten Tests sind für das erste Halbjahr 2011 vorgesehen. Wir wollen keinen Schnellschuss. Wir wollen keine Fehler machen. OpenLeaks ist auch keine Konkurrenz zu W L . Wir selbst veröffentlichen ja ohnehin gar nichts. Auch die mehreren Tausend Dokumente unterschiedlicher Güte, die wir derzeit in einer sicheren Umgebung zwischengelagert haben, werden wir nicht antasten. Wir können höchstens an die Quellen, die auf die Veröffentlichung ihrer Dokumente warten, ap- pellieren, sie erneut an einen unserer Partner einzusenden. WikiLeaks soll weiter publizieren, wachsen und gedeihen. Wir denken nur, dass WL nicht die einzige dieser Plattfor- men für Whistleblowing sein darf. Es gibt ohnehin genug Unrecht in der Welt, um mehr als eine solcher Plattformen ausreichend auszulasten. Bei O p e n L e a k s gibt es zum Glück auch keinen »Founder«. Ich möchte auch nie wieder über diese Frage diskutieren müs- sen, l.s gibt viele Menschen, die zur Entwicklung der Idee beigetragen haben, und sie alle sind Urheber. (Jenau wie alle, die nun helfen, OpenLeaks aufzuhauen. Neben dem Archi- tekten und Flerbert aus Island sind ein paar alte Freunde von WL jetzt auch bei OL. Außerdem melden sich Menschen aus aller Welt, die ihr Wissen ins Projekt einbringen wollen. Die 275 Community ist erwacht und hungrig nach der Arbeit an einer guten Sache. Natürlich sind wir auch bei O p e n L e a k s nicht immer alle einer Meinung, und wir diskutieren häutig. Wie bei WL sind hier viele starke Charaktere beteiligt. Es ist klar, dass wir uns intern auch noch festere S t r u k t u r e n zulegen müssen: Wer darf was entscheiden, wer ist für welchen Bereich verant- wortlich? Und wollen wir am Ende tatsächlich Schere, Stein, Papier spielen, um nicht handlungsunfähig zu werden, wenn wir in einer strittigen Frage einmal beim besten Willen kei- nen Konsens finden? Selbst wenn man anfangs noch ohne diese Regeln auskommt, haben wir bei WL gelernt, dass man diese Fragen nicht ewig vorsieh herschieben darf. Was mich wirklich glücklich macht, auch wenn es gar nicht so großar- tig klingt, ist, ilass bei unseren internen Differenzen jeder mal klein beigibt. 2011 wollen wir auch helfen, eine Stiftung zu gründen. Es soll dabei nicht nur um OL gehen, die Arbeit der Stiftung soll breiter ansetzen. Wir erleben derzeit einen Kulturwandel, der große Bereiche unserer Gesellschaft umfasst. Was die Infor- matiousfrei heil und d a s Whistleblowing i m Internet betrifft, stehen wir noch ganz am Anfang. Die Stiftung soll sich dieser Herausforderungen a n n e h m e n und Modelle für den zu- kunftsweisenden digitalen Geheimnisverrat entwickeln. Transparenz braucht eine starke Lobby. Die Stiftung soll neben O p e n L e a k s auch andere Projekte unterstützen. Im Bei rat dieser Stiftung sollten Experten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen sitzen. Natürlich werden wir alle Strukturen und die Finanzen der Stiftung transparent machen. Außerdem möchten wir unser Wissen teilen. Dies ist der vermutlich wichtigste Teil der ganzen Unternehmung. Dazu werden wir alle unsere Erfahrungen mit OpenLeaks nieder- schreiben und in einer öffentlichen Wissensdatenbank bc- 276 reitstellen. Wir hoffen auf viele Freiwillige aus der ganzen Weh. die uns dabei unterstützen werden. Informationen zu rechtlichen Grundlagen, zum Whistleblower-Schutz oder zu Präzedenzfällen sollen sich d o r t finden, für so viele Länder und nationale Gesetzgebungen wie möglich. Egal ob Initiati- ven oder potentielle Whistlcblower: Wer auch immer in Sa- chen Transparenz von unten selbst aktiv werden möchte, soll sich hier mir den nötigen Informationen versorgen können. Die Prominenz von WikiLeaks (vor allem die von Julian, aber auch die unserer Arbeit) hat das Thema Whistleblowing endlich salonfähig gemacht. Ob es ein Recht auf Geheimhal- tung gibt oder ob gewisse Dinge nicht von Whistleblowern ans Licht gebracht werden müssen - diese fragen sind in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Der Hype um Wi- kiLeaks hat sicherlich wesentlich dazu beigetragen. Trotz- dem ist es an der Zeit, ihn zu überwinden, um sich auf die wirklich wichtigen Themen und Inhalte konzentrieren zu können. M a n darf sich nicht täuschen lassen, weder von bunten Magazinstories noch von großhuehstabigen Titel- zeilen: Viele gute Artikel und Berichte zu den Leaks wurden weniger wahrgenommen als die persönlichen Verstrickun- gen der Beteiligten. OpenLeaks kann man durchausals nüchterne Infrastruk- tur betrachten. Wir verstehen uns als strukturell arbeitende Ingenicure, nicht als Medienstars oder global-galakrische Weltenretter. M a n kann uns sogar langweilig finden. Uns w ü r d e das nicht stören. H a u p t s a c h e , das System funktio- niert. 277 Nachwort Meute, im Januar 201 1, hin ich an dem gleichen Punkt wie ein Jahr Zuvor, als wir WL neu auf die Hülse stellen wollten. Mir O p e n L e a k s bauen wir etwas auf, wovon wir glauben, dass es am ehesten einige Probleme der Welt zu lösen vermag. Wenn 2010 das J a h r der medialen Aufmerksamkeit war, dann sollte 2011 d a s j a h r d e r Inhalte werden. Wahrend parallel zum Aufschreiben meiner Geschichte immer neue Pakten enthüllt und einige meiner Fragen beant- wortet wurden, wird der Einblick in die tatsächliche Situa- tion bei WikiLeaks immer undurchsichtiger. Wir stecken in einer medialen Informationsflut, die den Boden für Ver- schwörungstheorien, Gerüchte und Mythen bereitet. Um endlich das Mysterium WikiLeaks zu durchdringen, müssen wir Antworten auf etliche Fragen finden, die bisher nicht geklärt sind. Dazu gehören: * Wie ist die finanzielle Situation von WikiLeaks? Welche Spenden sind wohin gewandert? Wer entscheidet über die Vergabe von M irre In? * Was meinte Julian, als er dem Guardian sagte, dass er »ein finanzielles Interesse daran |habe], wie und wann sie [die Cables] veröffentlicht werden«? * Wie ist die aktuelle Organisations . Fntscheidungs- und Vera ntwortungsstrukrur? * Welche Rolle spielen Israel Shamir und Johannes Wahlström bei WikiLeaks? Welche Konditionen hatten die Deals, die Wahlström und Shamir mit den Medien abschlössen? 27« * Gibt es noch weitere Broker, die Material an die Medien wei- tergegeben haben, und wenn ja, zu welchen Konditionen? * Wie sind Julian Assange, andere WikiLeaks-Mitarbeiter oder Firmen von WikiLeaks- VIirarbeirern an diesen Deals beteiligt? * Wer hat Julian Assange zu der Genfer Pressekonferenz im November 2010 eingeladen? N u r wenn wir die einzelnen Fakten voneinander trennen können, werden wir verstehen, weshalb die Situation so ist, wie sie ist. Und nur dann kann beantwortet werden, was bei WikiLeaks und seiner großartigen I d e e - d e r Idee, mit Flilfe eines starken zeitgemäßen Werkzeugs Dinge von öffentli- chem Interesse transparent zu machen - schiefging. Unsere Gesellschaft braucht mündige Bürger. Menschen, die nicht aus Angst davor, enttäuscht zu werden, keine kri- tischen Fragen stellen. Unsere Gesellschaft braucht wache In- dividuen, die ihre Verantwortung nicht an den Messias, Führer oder Leitwölfe abgeben, sondern willens und in der Lage sind, gute von schlechren Informationen zu unterscheiden und auf- grund guter Informationen gute Entscheidungen zu treffen. Ich w u r d e oft gefragt, ob ich enttäuscht sei nach meinem Weggang bei WikiLeaks. Die Antwort war immer ja. Ich war anfangs vor allem emotional enttäuscht. Während der letzten Wochen und vor allem der Arbeit an diesem Buch habe ich aber begriffen, dass die Enttäuschung auch auf einer ganz anderen Ebene funktioniert. Nämlich der, dass ich nun kei- ner Täuschung mehr erliege. Diese Art von Enttäuschung ist konstruktiv. Sie schafft ein besseres Verständnis der Realität. Ein wahrhaft »gutes O m e n - . Daniel Domscheit-Berg im Januar 201 I 279 Danksagung Dieses Buch und die Geschichte dahinter sind einer Vielzahl von beteiligten geschuldet, hei denen ich mich hiermit be- danken möchte: Tina Klopp. Für zwei produktive Monate und das Aufschrei- ben all meiner Geschichten in so kurzer Zeit. Meiner Lektorin Silvie Florch und dem Rest des großarti- gen Teams vom Eeoii Verlag, o h n e deren Kompetenz und Spontanität niemals ein so gutes Buch in so kurzer Zeit hätte erscheinen können. Meiner Agentin Barbara Wenner für ihre erstklassige Be- gleitung von der Idee dieses Buchs bis zu seiner Publikation und darüber hinaus. Den Kollegen der ausländischen Verlage, die helfen, diese Geschichte zu übersetzen und in bisher 17 Ländern zu veröf- fentlichen. Im besonderen Charlie Conrad vom amerikani- schen Crown-Verlag für kostbares Feedback zum Inhalt. Den Anwälten Markus Knmpa und Dr. Sven Krüger so- wie A m a n d a Teifer und M a t t h e w M a r t i n . Für vermutlich unbezahlbares Feedback zum Inhalt. Meiner Familie. Für gute Werte, die mich zu dem machen, der ich bin. Meiner Frau Anke, der ich auf Augenhöhe begegnen kann, und meinem Sohn Jacob, Dem Chaos Computer Club und seinen Chaoten. Für so vie- les, dass es jeden Versuch einer Au fzählimg sprengen würde. 280 Der Brauerei Löscher für Club Mate. Was wäre ich ohne euch. Verdammt müde vermutlich. Dem Interner. Dafür, dass es immer zurückschlägt. Dem Einen und der Anderen. Für alles. All jenen, die an der Show der vergangenen drei Jahre be- teiligt waren. Direkt oder indirekt. Ohne euch wäre das alles nicht möglich gewesen. Den zahlreichen Quellen, deren Materialien wir publi- ziert haben. Wären nur ein paar mehr Menschen so murig wie ihr, die Erde wäre ein viel besserer O r t . Julian Assange, dass er eine Idee manifestiert und in mein Leben gebracht hat. Dem Openl.eaks-Team. Dafür, dass wir weitermachen! Daniel Domscheit-Berg ANHANG Anmerkungen 1 Du bist suspendiert. 2 Verschwenden Sie nicht unsere und Ihre Zeit mir diesem Schwachsinn. 3 Wissen ist frei. Wir sind Anonymous. Wir sind Heerscharen. Wir vergehen nicht. Wir vergessen nicht. Erwartet uns! Rech- net mit uns! 4 Der Artikel, der gerade über rechtliche Aspekte des Quellen¬ Schutzes 5 bei WikiLeaks verbreitet wird, ist falsch. Sehr geehrter Herr Uhrlau, wir haben mehrere Re- ports, die sich auf den BND beziehen. Könnten sie bitte präziser werden? Danke, Jay Lim. 6 Sehr geehrter Herr Lim, bis heute ermöglichen Sie unter der genannten Web-Adresse das Herunterladen eines als Verschlusssache eingestuften Berichts des BND. wir ersuchen Sie erneut höflich darum, diese und alle anderen Dateien oder Berichte mit Bezug auf den BND umgehend zu entfernen. Widrigen- falls werden wir umgehend Strafanzeige erstatten. Hochachtungsvoll, Ernst Uhrlau, Präsident des Bun- desnachrichtendienstes 283 7 Daniel Schmitt in Berlins Keutchenradio [sie]: Heute Abend um 21 Uhr sendet das angesehene Küchenradio in Berlin ein zweistündiges Video- und Audio-In¬ terview mit unserem deutschen Korrespondenten Da- niel Schmitt. D: Und dass du es nicht einmal für nötig hältst, mich darauf anzusprechen D: Auf so einer grundlegenden Ebene verstehe ich nicht, wie du auf die Idee kommst, dass ich ein Lügner bin D: Mensch, das ist ja noch schlimmer als ich es X Ich bin nicht etwa Anarchist, weil ich an Anarchie als letztes J: Du hast so viele Dinge verbockt und du willst, Ziel glaube, sondern weil es so etwas wie ein letztes Ziel nicht fuhr. D: Ich muss wissen, was wir tun können, um wieder J: Ich will, dass du selbst darauf kommst. mir vorgestellt habe dass ich das alles aufzähle. Aber was soll das bringen, wenn du es nicht selbst erkennen kannst? 9 auf eine Ebene des gegenseitigen Vertrauens D: Ich akzeptiere diese Liste nicht zurückzukommen, J D: Deshalb kann ich auch nicht selbst auf etwas D: Wenn du mal eine Minute Zeit hast, darüber zu sprechen, lasa es mich wissen D: Ich brauche einfach ein konstruktives Gespräch J: Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, und warum sollte ich es überhaupt erklären? D: Vielleicht, weil wir gemeinsam weitermachen wollen? D: Und ich glaube immer noch, dass ich einer der wenigen Menschen bin, denen du vertrauen kannst, also wirklich vertrauen D: Und von denen gibt es nicht allzu viele D: Wenn die letzten 3 Jahre etwas wert waren, sollte es diesen Versuch wert sein J: Pathologische Lügner haben immer großes kommen, denn mindestens die Hälfte davon stimmt überhaupt nicht Di Das sind Dinge, die nie passiert sind und du glaubst sie D: Wie sollte ich also auf etwas kommen können? J: Das sind direkte Beobachtungen. Keine Informationen aus dritter Band. D: Dann verstehe ich es noch weniger J: Ich habe dir schon vor sechs Wochen eine ellenlange Liste mit Gründen gegeben, warum ich stinksauer auf dich war. D: Diese Liste, auf der unter anderem stand, dass mein Anzug meistens ordentlich gebügelt ist? D: Ich verstehe es wirklich nicht. Vertrauen in ihre eigene Ehrlichkeit, das hilft ihnen beim Lügen 10 Politische Spruche dient dazu, dass Lügen wahr klingen und D: Warum hältst du mich für einen Lügner? Mord respektabel und um dem reinen Wind einen Anschein P; Ich kann mich nicht erinnern, dich jemals von Festigkeit zu gehen. angelogen zu haben D: ich habe das Gefühl, dass du den Lügen glaubst, die andere verbreiten 1Ü4 11 J: Ich habe keine Zeit, das zu erklären, und da es für dich nicht wichtig ist; nächstes Thema .. . 285 J: Ich weiß, warum du fragst und das macht es nur noch schlimmer D: Warum frage ich denn? J: Irgend so eine idiotische Desinformationskam- pagne D: Nein. Ich frage, weil ich meinen Kopf hinhalten J: 6. Ich habe eine vollständige SQL-Version der Datenbank erstellt, die ebenfalls als eine der herunterladbaren Datenbanken eingestellt werden muss J: 7. Seeding für Torrents/Vorverteilen von Archiven muss für etwas, zu dem du öffentlich Position J: 8. E-Mail-Server müssen robust gemacht werden. bezogen hast und ich muss jetzt die Fragen Jj 9. Presseteam/Kontakte standardisiert beantworten J: Das sind die Dinge, die gemacht werden MÜSSEN, J: Anwaltsnamen kann man nicht einfach rausgeben. Können nicht wir entscheiden. Es sind Bradleys Anwälte, blablabla J: Du musst es nicht wissen, weil du es eh nicht weitergeben kannst, blablabla, - darum: Zeitverschwendung damit wir nicht scheitern J: Und jetzt die Dinge, die gemacht werden müssen, wenn wir der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen wollen J: 10. Ich habe das Pearl-basierte Frontend mit Suchfunktion, das ich mit dem Guardian entwickelt habe. Das muss auch als herunterladbares Archiv 12 J: l.Die URLs müssen morgen standardisiert werden. Die Benennung wurde standardisiert. »Kabul War Diariesii und »Baghdad War Diaries« J: 2. Afghanistan] muss auf Merkmale überprüft verteilt werden (mehr dazu später) J: 11. Es muss eine kurze, 3-minütige Video- Einleitung gemacht werden. Hier stehen Leute für das Filmen und Schneiden bereit, aber der werden, die unschuldige Informanten betreffen. grafische Teil (z. B. Google Earth, Boden- Die befinden sich vor allem in den Threat aufnahmen) muss gemacht werden Reports. Diese durchzugehen ist ein ziemliches J: 12. Die Leute [Journalisten], die an den Daten Stück Arbeit. Übersicht und Pressemeldung gearbeitet haben, müssen alle interviewt werden müssen gemacht werden über ihre Methoden und die Qualitäten/Grenzen J: 3.5. Unsere eigene interne Kommunikation muss der Daten. Jeder 10 bis 20 Minuten. Vorbereitung standardisiert werden. Sat[elliten]-Pager ist nicht nötig. Auf der Londoner Seite habe ich verteilen, wenn verfügbar, und SILC/IRC das in Auftrag gegeben, aber wir müssen auch Varianten als Ausweichmöglichkeit Berlin und New York machen. Das ist eine J: 4, Veröffentlichungsinfrastruktur muss noch einmal getestet werden J: 5.Aus den Versionen der Afg[hanigtan]-Daten- schnelle Möglichkeit, einen »Leitfaden« für das Material zu produzieren und außerdem erhebt es WL auf den Status einer klaren partnerschaftli- bank, die wir zur Verfügung stellen, muss noch das Klasaifizierungs-Feld entfernt werden. ZU chen Arbeitsbeziehung mit diesen drei großen Playern 2S7 J: 13. Das Presse-Team muss robuster gemacht werden und wir brauchen eine Liste von Experten, [die] vernünftig über die Themen reden können (nicht nur wir) J: 14. Spendensysteme müssen geprüft/und etwas klarer gemacht werden/die australische abgehoben, höchstens, und alles wurde für Server ausgegeben, die wir brauchten, oder Sachen dieser Art, ist alles 100 % belegt B: Und ich habe ihn immer wieder darum gebeten, sich einfach mal mit dir zu treffen und diese ganzen Dinge durchzugehen Postfachadresse muss aufgeführt werden für Schecks usw., und möglicherweise sollte auch 14 Wir vertrauen Ihnen Daten an das .au [australische] Bankkonto genannt werden Lieber Freund, 13 D: Ergibt keinen Sinn BJ Nein, er glaubt, dass es tiefer geht. Dass du WL übernehmen willst. D: Wie tiefer? Das ist BS [Bullshit] B: Geld und Ruhm. D: Ja, klar. Hahaha. Das ist mit allen anderen wir wenden uns heute in einer vertraulicher Angelegenheit an Sie. Zusammen mit diesem Brief erhalten Sie einen USB-Stick, der Informationen in einem verschlüsselten Archiv enthält. Vor dem Hintergrund der Herausforderungen, denen unser Projekt in den nächsten Wochen geklärt. Und wir sind uns alle einig, dass das gegenüberstehen könnte, werden diese BS ist Informationen an Sie und andere vertrauenswürdige B: Ja, gut Personen und Organisationen überall auf der Welt D: Der Einzige, der es nicht kapiert, ist J, wird verteilt. Damit wird sichergestellt, dass diese sich schon klären. Ich weiß, warum er so denkt Informationen, egal was geschieht, die Medien und B: Ich hoffe es. Warum. damit die Öffentlichkeit erreichen. Gleichzeitig D: Einige Bemerkungen zum Beispiel, die ich gemacht ist es eine Rückversicherung dafür, dass unserem habe b2gl. Geld, zum Beispiel. Wir hatten einmal eine Diskussion darüber, dass ich einen Teil dieses Geldes ausgegeben habe B: Er glaubt, dass du regelmäßig große Geldbeträge an dich nimmst D; Und ich habe ihm gesagt, wenn er nicht mit mir redet, werde ich Geld für notwendige Auslagen Projekt und uns selbst nichts zustößt. Wenn irgendetwas schiefgeht, wird ein zweiter Mechanismus dafür sorgen, dass der Schlüssel zu diesem Material öffentlich gemacht wird, so dass sie das Archiv dechiffrieren und mit dafür sorgen können, dass nicht alles umsonst war. Bitte teilen sie niemandem mit, dass Sie diesen ausgeben, zumal das Geld hier in .de [Deutschland] Brief und die Daten erhalten haben. Es kann sehr zu großen Teilen Resultat meiner Arbeit ist viel davon abhängen- D: LOL [laugh out loud, lautes Gelächter]. Ich habe vielleicht 15-20K [15-20 000] von diesem Konto 288 Herzliche Grüße und vielen Dank WikiLeaks 289 15 J: [Bis] Ende der Woche werden sie aufgehört haben D: Nein, das werden sie nicht D: Was passieren wird ist - wenn wir nichts Di Mein Interesse, dir zu helfen, wird [durch] die Art, wie du damit umgehst, nicht gerade gefördert. dagegen unternehmen — dass noch mehr Leute an D: Ich kann das überhaupt nicht fassen die Öffentlichkeit gehen D: Hast du irgendwann einmal, nur ein einziges Mal, D: Weil es den Leuten nicht gefällt, wie damit umgegangen wird D: Es ist ganz einfach so D: Die wollen sehen, dass Konsequenzen gezogen worden D: Und angesichts der Statements, die du abgegeben hast, plus der Tatsache, dass wir versuchen, in deiner ganzen Überheblichkeit, in der du gefangen zu sein scheinst, in Erwägung gezogen, dass nicht an allem jemand anderes schuld ist? D: Viel Glück Mann, ich bin es leid, für dich die Schadensbegrenzung zu betreiben D: Also entscheide dich J: Geh jetzt und denke über deine Handlungen und diese ganze Setup-Geschichte zu pushen, ist das Aussagen nach. Ich kenne viele deiner Kommentare, nicht das, was man von uns erwartet von denen du glaubst, dass ich sie nicht Di Das trägt alles nicht dazu bei, dass die Leute, die sich verletzt fühlen oder was auch immer, sich wieder zurückziehen, im Gegenteil D: Diese Reaktion bringt die Leute erst recht dazu, an die Öffentlichkeit zu gehen J: Ist das die Position, die du verbreiten willst? mitbekommen hätte. Ich dulde keine Illoyalität in Zeiten der Krise. Di Ich glaube, du hast die Situation hier nicht begriffen, J D: Ganz ehrlich D: Aber wie gesagt, ich werde nicht mehr für dich D: Welche Position? den Kopf hinhalten oder Schadensbegrenzung J: Wenn es so ist, werde ich dich zerstören. betreiben D: LOL D; Viel Glück mit deiner Haltung D: WTF [what the fuck, was zur Hölle], J Di Ich für meinen Teil habe nichts, wofür ich mich D: Im Ernst Di Was soll der Scheiß? schämen müsste J: So sei es. D: Bist du vollkommen übergeschnappt? D: Ich mache das nicht mehr lange mit, J Di Im Ernst D: Du schießt hier auf den Überbringer der Nachricht und das ist nicht in Ordnung Di Welche Vereinbarungen gibt es bzgl. Irak? Ich muss wissen, was der Plan dabei ist und was die Sachzwänge sind J: »Von einer Person, die in engem Kontakt mit D: Wer hier ernsthafte Probleme hat, das bist du D: Und das könnte dem Projekt schaden und die angesichts des sensiblen Themas um D; Und darum geht es mir 290 anderen WikiLeaks-Aktivisten in Europa steht Wahrung ihrer Anonymität gebeten hat, war zu 291 hören, viele der Aktivisten seien der Ansicht, Di Ich bin es nicht, der diese Nachrichten verbreitet Assange habe wiederholt haltlose Vorwürfe D: Es wäre einfach nur der logische Schritt, der verbreitet, dass er das Opfer schmutziger Tricks getan werden müsste und einer gegen ihn gerichteten Verschwörung Di Und das sagt so ziemlich jeder sei. Insider berichten, dass unter den Leuten, J: Warst du das? die mit der Webseite in Verbindung stehen, D: Ich habe nicht mit Newsweek und auch nicht mit bereits Überlegungen angestellt werden, ob es eine Möglichkeit gibt, ihren Spitzenmann zum Rücktritt 2U bewegen oder, sollte das scheitern, ihn sogar abzusetzen." anderen Medienvertretern darüber gesprochen D: Ich habe mit Leuten gesprochen, mit denen wir arbeiten und die sich für dieses Projekt interessieren und denen es etwas bedeutet D: Was hat das mit mir zu tun? D: Und daran gibt es nichts auszusetzen D: Und woher stammt das? D: Eigentlich müsste das viel Öfter passieren und Ji Warum glaubst du, dass das etwas mit dir zu tun hat? D: Wahrscheinlich, weil du unterstellst, dass ich das war ich kann nach wie vor nur empfehlen, dass du endlich anfängst, auf solche Bedenken zu hören D: Besonders, wenn hier eine Scheiße nach der anderen passiert D: Aber abgesehen davon so ziemlich gar nichts J: Mit wem genau? D: Wie gestern schon besprochen ist das eine D: Mit wem genau was? ständige Diskussion und eine ganze Menge Leute J: Mit wem hast du über dieses Thema gesprochen? haben ihre Bedenken geäußert D: Das habe ich dir bereits weiter oben gesagt D: Du solltest dich damit auseinandersetzen, anstatt dich auf den einzigen Menschen J: Das sind die einzigen Personen? D: Einige Leute vom Club haben mich danach gefragt einzuschießen, der sich die Mühe macht, ehrlich und ich habe geäußert, dass ich das für die mit dir darüber zu reden beste Reaktion halten würde J: Nein, drei Leute haben mir deine Nachrichten bereits "übermittelt". D: welche Nachrichten? D: Das ist meine Meinung D: Und das ist auch vor dem Hintergrund, den Ärger dort einzudämmen [.] .. Di Und welche drei Leute? J; Wie viele Leute vom Club? D: Über dieses Thema wurde gesprochen D: Ich bin Dir darüber keine Rechenschaft D: Der Architekt und ich haben darüber gesprochen, Hans* hat darüber gesprochen, Birgitta hat darüber gesprochen, Peter* hat darüber gesprochen D: Eine Menge Leute, denen dieses Projekt etwas bedeutet, haben genau diesen Vorschlag gemacht schuldig, J D: Diese Debatte läuft verdammt nochmal überall und keiner kann verstehen, warum du die Augen vor der Realität verschließt [.] .. J: Wie viele Leute vom Club? 293 J: An welchem Ort? J: Weigerst du dich, mir zu antworten? Dt In privaten Chats D: Ich habe dir bereits wiederholt gesagt, dass D: Aber ich werde keine weiteren derartigen Fragen beantworten D; Sieh der Tatsache ins Auge, dass du intern nicht mehr viel Vertrauen genießt D: Du kannst es ignorieren oder als Kampagne gegen dich abtun — das ändert alles nichts daran, dass es einzig und allein eine Konsequenz deines Handelns ist D: und nicht meines Handelns J: Wie viele Leute werden durch diese privaten Chats repräsentiert? Und welche Position haben sie im CCC? ich nicht einsehe, warum ich dir noch Antworten geben soll, nur weil du welche verlangst, während du dich auf der anderen Seite weigerst, irgendeine meiner Fragen zu beantworten D: Ich bin kein Hund, den du herumkommandieren kannst, wie du willst, J J: Ich untersuche eine ernste Sicherheitsverlet¬ zung. Weigerst du dich, mir zu antworten? D: Ich untersuche eine ernste Vertrauensverlet- zung. Weigerst du dich, mir zu antworten? J: Nein, das tust du nicht. Ich habe diese Unter- haltung begonnen. Beantworte bitte die Frage. Di Darauf musst du dir selbst einen Reim machen Ds Ich habe sie begonnen D: Ich will gar nicht daran denken, wie viele D: Wenn du oben nachschaust Leute, die dich einmal respektiert haben, mir D: Bereits zweimal gesagt haben, dass sie von deiner Reaktion D: Ich will wissen, was die Absprachen den Irak enttäuscht sind D: Ich habe versucht, dir das alles zu sagen, aber in deiner Überheblichkeit ist dir das völlig egal betreffend sind J; Das ist eine Verfahrensfrage. Spiel keine Spielchen mit mir. D: Also ist es mir inzwischen auch egal D: Hör auf, auf den Boten zu schießen D: Abgesehen davon habe ich zuerst gefragt und ich J; Mir reichts. brauche Antworten D : Elim Beispiel welche Absprachen wir getroffen haben D: Ich muss das wissen, damit wir weiterarbeiten können D: Du blockierst die Arbeit anderer Leute J: Wie viele Leute werden durch diese privaten Chats repräsentiert? Und welche Position haben sie im CCC? D: Fang an, meine Fragen zu beantworten, J J: Das ist kein Quid pro quo. 294 D: Ebenso, und das gilt nicht nur für mich J; Wenn du die Frage nicht beantwortest, wirst du ausgeschlossen. D; Du bist nicht jemandes König noch Gott Di Und im Moment erfüllst du nicht einmal deine Führungsrolle Di Ein Führer kommuniziert und baut Vertrauen in seine Person auf D: Du tust genau das Gegenteil D: Du führst dich auf wie irgendein Imperator oder Sklavenhändler 295 J: Du bist mit sofortiger Wirkung für einen Monat suspendiert. mationen über den Fall? Details, warum das pas- siert? Mein Unterstützungsnetzwerk in Schweden? D: Haha Politische Ansätze, um die Schmierenkampagne zu D: Klar beenden? Artikel? Anonyme Tipps? Einen Unter- D: Mit welcher Begründung? schlupf? [.] Diplomatische Einladungen, damit ich ..? D: Und wer sagt das überhaupt? nicht in die USA ausgeliefert werde? Solidaritäts- D: Du? Noch eine deiner Ad-hoc-Entscheidungen? kundgebungen? Geld sammeln für meinen Fall? Ir- J: Wenn du Einspruch einlegen willst, wirst du am gendetwas davon gemacht? Warum nicht? Ich tue das Dienstag angehört werden. alles, wenn einer von uns untergeht. D: BAHAHAHA j: Vielleicht haben alle recht und du bist 20 Versuch das noch einmal und ich lass dich wegsperren. wirklich übergeschnappt, J D; Du solltest dir helfen lassen J: Du wirst von einem Panel of Peers [Gremium von 21 Das Gespräch ist jetzt, weil das Verbrechen heute stattgefun- den hat. Gleichgestellten] angehört werden. J: Du bist suspendiert wegen Illoyalität, mangelnder Unterordnung und Destabilisierung in einer Krisensituation. 22 Wenn du diese Organisation noch einmal bedrohst, wird man sich deiner annehmen. Daniel hat eine Krankheit, eine Art Borderline-paranoider Schizophrenie. 17 Daniel ist problematisch, ehrlich gesagt leidet er unter Wahn- Du bist ein Krimineller. vorstellungen und ist böswillig, aber man kann ihn unter Kontrolle halten, solange er Leute hat, die ihm sagen, was 2.5 Nach dem, was du sagst, Julian, ist es so, dass DU Wl. bist richtig und was falsch ist und was er tun kann und was nicht. und alle anderen nur deine Dienstboten, denen du Vertrauen Wenn man ihn in seiner germanischen Blase allein lässt, langt gewahrst. er an zu schweben. 24 Unsere Pflichten sind größer als diese Idiotie. 18 Ich h;ihe N I C H T gesagt, dass Assange zurücktreten soll, Ich denke, er sollte im Moment kein Sprecher [für WikiLeaks] 25 ein Scharten des M a n n e s , der du einmal warst sein. In all seinen anderen Funktionen hat er meine volle Un- terstützung. 26 Jetzt hör mal genau zu. Das war hinterhaltig und niederträch- tig und du solltest dich entschuldigen. Kntschuldigsr du dich? 19 Bewusstsein kommt von Motivation, [Habt Ihr] meine juristische Unterstützung sichergestellt? Meine Unterbringung? Geldversorgung? Geheimdienstinfor- 296 27 B:Du hast WL auf sehr unschöne Weise in diese Sache mit hineingezogen. 297 |: Nein. W ! hat mein Privatleben sabotiert, Chronologie von WikiLeaks 28 Also, du hattest 5 Minuten Z e i t . D u hast es vermasselt. Viel Spaß nach. Vergeude nicht meine Zeit (wie oft muss ich dir das sagen?) 29 Mir gehen die Optionen aus, die keine Existenzen zerstören. 30 Elallo, biet ist Moskau, Herr Domschcit-Börg, haben Sie heute 4 i O k t o b e r 2006 • WikiLcaks.org wird registriert Dezember 2 0 0 6 * Lrste Veröffentlichungen Januar 2007 • WikiLeaks kündigt an, die Veröffentlichung Zeit für ein Interview? ,31 Julian: Nun bin ich unantastbar für dieses Land. Journalist: Unantastbar? Julian: Unantastbar. Journalist: Ist das nicht ein bisschen überheblich? 32 N u n ja, für ein paar Tage. von 1,2 Millionen Dokumenten vorzubereiten November 2 0 0 7 • W i k i L e a k s veröffentlicht die Handbücher von Guantanamo llay Dezember 2 0 0 7 - Daniel trifft Julian auf dem 24. Chaos Cottt- mtmtidtiiui Congress [24C3) in Berlin Januar 2008 * WikiLeaks veröffentlicht Hunderte Doku- mente der Cayman-lslauds-Niederlassung des Schweizer Bankhauses Julius Bär Februar 20OS * Julius Bär klagt gegen Dynadot (den Regis- trar von WikiLeaks.org), verliert und zieht die Klage zurück März200S * WikiLeaks publiziert die "geheimen Bibeln" von Scientology Mai 2008 • WikiLeaks veröffentlicht das erste H a n d - buch amerikanisch er Bruderschaften 299 Juni 200S WikiLeaks veröf(entlieht Dokumente zum April 2 0 0 9 * International Jonmatisni Festival in Pe- rugia Memorandum of Understanding in Kenia Global Voitzes S um mit in Budapest Juni 2 0 0 9 September 2008 WikiLeaks veröffentlicht Mails aus der pri- • WikiLeaks wird mit dem Medienpreis von Amnesty International ausgezeichnet vaten Mailbox von Präsidentschaftskandi- datin Sarah Palin Juli 2 0 0 9 • WikiLeaks publiziert eine Liste der größten Schuldner der isländischen Kaupthing Bank November 2008 • WikiLeaks publiziert eine Mitgliedsliste der n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n British National August 2 0 0 9 • Hackingat Randow (HAR) in Vierhouten Party • WikiLeaks veröffentlicht den Bericht der September 2 0 0 9 • Preis der Ars Electroniea in der Kategorie »Digital Communitics" Oscar Foufidation zu A u f t r a g s m o r d e n durch die kenianische Polizei Oktober 2 0 0 9 Dezember 2008 • WikiLeaks veröffentlicht BND-Dokiniienie • WikiLeaks publizier: eine zweite Mitglieds- liste der iiritisb National Party /.ur Korruptionsbekämpfung im Kosovo • WikiLeaks veröffentlicht das ] Lind buch des November 2009 Human Terrain Team von 2 0 0 8 • WikiLeaks publiziert die 9 1 l-P.iger-Nach- / richten • Daniel und Julian halten erstmals einen of- • WikiLeaks publiziert die Ermittlungsakten fiziellen V o r t r a g a u f dem Chaos Cninmuni- gegen einen deutschen Pharmahcrsteller cation Congress (25C3) • WikiLeaks veröffentlicht die Toll-Collect- Verträge Januar 2 0 0 9 • Daniel k ü n d i g t seinen Job und engagiert • WikiLeaks veröffentlicht die L-Mail-Korre- sich Vollzcit für WikiLeaks spondenz von David Irving • WikiLeaks initiiert die Idee vom Medien- Februar2009 • WikiLeaks publiziert mehr als 6 7 0 0 Con- frerhafen, die in der Icelandic Modem Me- gressianal Research Service Reports dia initiative (IMMI) gründet • WikiLeaks veröffentlicht die Mail-Adressen von WL-Spendem Dezember 2 0 0 9 • WikiLeaks veröffentlicht den Feldjäger-Re- port zur Bombardierung von zwei Tanklas- März 2 0 0 9 W i k i L e a k s p u b l i z i e r t die U n t e r s n t t z e r - tern im afghanischen Kundus Datetibank von US-Senator Coleman 23, Dezember 2009 . Wiki Leaks geht offline s I IN 301 2 7 . D e z e m b e r 2 0 0 9 • Daniel und Julian h a b e n auf dem Chaos Cammuuication Congress (26C3) 28.November 2010 • W i k i L e a k s veröffentlicht die diplomari¬ einen schen Depeschen (Cables) Vortrag über die Zukunft von WikiLeaks t. Dezember 2010 5. J a n u a r 2010 • Interpol erstellt eine Red Nntice (eine Art internationaler Haftbefehl) gegen Julian • WikiLeaks beginnt in Island seine Arbeit an der Iceland ic Modern Media Initiative (IMMI) 7. Dezember 2010 • Julian stellt sich in London der Polizei und wird verhaftet .I.April 2010 • W i k i L e a k s veröffentlicht das Cnllatemb Mnrdcr-Video Hude Mai 2010 • liradley M a n n i n g wird verhaftet 14. Dezember 2010 • Julian wird auf Kaution freigelassen 30. Dezember 2010 • Daniel stellt O p e n L e a k s auf dem Chaos Cummunication 26. Juri 2010 • W i k i L e a k s veröffentlicht die Afgban War Oiaries .10. Juli 2010 • W i k i L e a k s stellt die verschlüsselte Insn- rancff-Datei online 20. August 2010 WikiLeaks publiziert die Planungsbericlire / u r Duisburger l.oveparade Gegen Julian ergeht ein Haftbefehl, der kurz darauf zurückgenommen wird 26. August 2010 • Julian suspendiert Daniel H. September 2010 • Daniel fährt/.um kaputten Mailscrver Li. September 2010 • Dame! und andere verlassen WikiLeaks 17. September 2010 • OpeuLeaks.org wird registriert 22, O k t o b e r 2010 • W i k i L e a k s veröffentlicht die Iraq War Lugs 1112 Congress (27C3) vor Tina Klopp, * 1976 in H a m b u r g , studierte Politikwissenschaft und Germanistik und absolvierte anschließend die Deutsche Jour- lUilistensehule München. Sie erhielt den FriedwarE-llruckliaus- Förderpreis für junge Wissenschaftler u n d Journalisteti 2 0 0 6 , das Hörspiel-Stipendium des Deutschen Lirerarurfonds 2010 und ar- beitet heute als Redakteurin bei Zeit Online.